Schattenboxen – ärztliche Selbstverwaltung gegen Korruption

Nicht wenige niedergelassene und angestellte Ärzte fallen in vielfältiger Weise als Verursacher oder Ziel von Korruption im Gesundheitswesen auf. Wesentlich sind dabei die medizinischen Experten als Zuarbeiter für Waren- und Leistungsanbieter und zum andern die Ärzte in der Krankenversorgung als Anwender von Arzneimitteln oder Medizinprodukten.
Hersteller von Arzneimitteln oder Medizinprodukten werben mit hohen finanziellen Zuwendungen medizinische Experten an, die sie als firmenhörige Gutachter und Berater in administrativen oder medizinisch-wissenschaftlichen Fachgremien und insbesondere als habilitierte Pharmareferenten im Rahmen des Produkt-Marketings auf Kongressen, in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung und als Meinungsbildner in Fachkreisen und in Medien brauchen. Die Käuflichkeit von Experten ist weltweit das gravierendste Korruptionsproblem im Gesundheitsbereich. Die Warenanbieter bedürfen der Zuarbeit solcher Experten bei allen Formen der Irreführung und des Wissenschaftsbetrugs im Rahmen des Pharma-Marketings.
Die Zuwendungen dafür sind erheblich. Der US Kongress führte unter Senator Grassley eine Untersuchung zu den Geldern durch, die Pharmafirmen wie GlaxoSmithKline US Psychiatern wie Joseph Biederman, Alan Schatzberg oder Charles Nemeroff als private Beratungshonorare zahlten. Für Studien über Depressionen erhielten Biedermann 1,6 Millionen Dollar, Schatzberg etwa 6 Millionen Dollar und Nemeroff 2,8 Millionen Dollar, die sie den zuständigen Universitätsbehörden verschwiegen. Die Psychiater wurden dafür abgestraft. In Deutschland ist bisher kein Fall bekannt geworden, dass solche bestechenden Honorare von staatlichen Stellen oder von der ärztlichen Selbstverwaltung überhaupt überprüft und sanktioniert werden. In den USA wurde als Konsequenz aus diesen Praktiken eine gesetzliche Deklarationspflicht für Zahlungen der Pharma- und Medizinproduktehersteller an Ärzte eingeführt (Physician Payments Sunshine Act).
In Deutschland gibt es keine gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung der Höhe der Zuwendungen und keine Sanktionierung korrupter Experten. Dabei findet man solche leicht: Ein Essener Neurologe, der öffentlich häufiger im Fernsehen mit Ratschlägen zur Migräne auftritt und der als Meinungsbildner fleißig an offiziellen Therapie-Leitlinien von Fachgesellschaften mitschreibt, fällt nicht nur durch firmenbezogenes Engagement für fragwürdige Arzneimittel auf, sondern auch durch materielle Verbindungen zu 29 Firmen. Man muss sich fragen, ob bei dieser Vielzahl von Interessenkonflikten eine sachorientierte Beratungsfunktion überhaupt noch möglich ist. Auch in der ärztlichen Selbstverwaltung taucht dieser Experte auf, als Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), einer Einrichtung, die der herstellerunabhängigen Arzneimittelinformation dienen soll und in der manche Mitglieder Ärzte auch kritisch, qualitätsorientiert und herstellerunabhängig informieren.
Warum schließt die ärztliche Selbstverwaltung solche Experten nicht aus? Korruptionsbekämpfung braucht andere Mitglieder und die ärztliche Selbstverwaltung scheint unfähig zu sein, allein in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich für Sauberkeit und Unabhängigkeit zu sorgen. Der Gesetzgeber sollte also durch ein Verbot bewirken, dass Experten mit Interessenkonflikten aus Entscheidungsgremien der Administration wie der Selbstverwaltung effektiv ausgeschlossen werden.
Niedergelassene und angestellte Ärzte in der Krankenversorgung werden von Warenanbietern mit Kickbacks bezahlt – für die Verordnung von Arzneimitteln (bis zu zehn Prozent des Warenwertes) oder für den Verkauf von umstrittenen Medizinprodukten, für die Einstellung von Patienten auf neue Therapien (Anwendungsbeobachtungen mit Kopfgeldprämien von bis zu 5.000 Euro), für Zuweisung von Patienten zu Operationen (1.000 Euro pro Hüftgelenkoperation) oder zu Labor-, Röntgen- oder MRT-Diagnostik. Andererseits zahlen Ärzte im innerärztlichen Verkehr selbst oft Kickbacks an zuweisende Kollegen. Solche Zahlungen oder Annahmen geldwerter Vorteile sind schon lange laut ärztlichem Berufsrecht (§§ 30-34) „Unerlaubte Zuwendungen“, doch von der ärztlichen Selbstverwaltung wurden diese Vorgaben konsequent missachtet, weil sie zur Klientelpolitik der Ärztefunktionäre in Widerspruch stehen.
Erst als einige Staatsanwälte für korrupte niedergelassene Ärzte die gleiche Bestrafung wie für angestellte Ärzte forderten, entstand für die untätige ärztliche Selbstverwaltung ein Problem. Deshalb war das Triumphgeschrei der Ärztefunktionäre groß, als der Bundesgerichtshof (BGH) am 22.06.2012 aus formalen Gründen entschied, dass niedergelassene Ärzte straffrei als Provisionen deklarierte Zuwendungen erhalten dürfen und dass ebenfalls straffrei bleibt, wenn Hersteller von Arzneimitteln oder Medizinprodukten niedergelassene Ärzte mittels Geld oder geldwerter Zuwendungen für die Anwendung ihrer Produkte ködern. Andererseits bewerteten die Richter dieses Zusammenwirken von Firmenvertretern und niedergelassenen Ärzte klar als „korruptives Verhalten im Gesundheitswesen“ und legten dem Gesetzgeber eine strafrechtliche Regelung analog dem berufsrechtlichen Verbot nahe, auch um die erforderliche rechtliche Gleichbehandlung niedergelassener Ärzte mit angestellten Ärzten zu gewährleisten.
Die ärztliche Selbstverwaltung hätte jedoch zudem nur geringe Möglichkeiten, ärztliches Fehlverhalten bei berufsrechtlich unzulässigen Zuwendungen zu ahnden, da weder Ärztekammern noch Kassenärztliche Vereinigungen dafür Kompetenz und Ermittlungsbefugnisse haben. Sie können Verstöße gegen die Berufsordnung weder ermitteln noch ahnden. Dazu braucht man die Staatsanwaltschaft und professionelle Ermittler. Die Behauptung von Ärztefunktionären wie dem Präsidenten des ÄKNo Henke, dass ihre Selbstverwaltung diese Aufgaben schultern könne, entpuppt sich somit als reine Schutzbehauptung zur Schonung der eigenen Klientel und zur Abwehr gesetzlicher Maßnahmen gegen die korrupten Standesgenossen. Schon die Ergebnisse einer vom GKV-Spitzenverband durchgeführten Studie „Zuweisungen gegen Entgelt“ zum Ausmaß der korrupten Praktiken bei niedergelassenen Ärzten hatten die Ärztefunktionäre beschimpft. Nun wollen sie durch Schaufensterreden und Vorspiegelung von Aktivitäten der Selbstverwaltung jede Befassung des Gesetzgebers unterbinden, damit Korruption im ärztlichen Bereich weiter geduldet wird. Das geschieht natürlich auf Kosten der Krankenversicherten, die die Zusatzkosten der korruptiven Praktiken bezahlen müssen.
Es ist daher zu begrüßen, dass der GKV-Spitzenverband nun auf eine gesetzliche strafrechtliche Regelung drängt. Allerdings ist die „beste Regierung seit der Wende“ (CDU-MdB und Ärztefunktionär Henke) anscheinend trotz der Aufforderung des BGH gegen die Gesetzesinitiative des GKV-Spitzenverbandes. Der Fairness halber muss aber angefügt werden: Nicht alle (niedergelassenen) Ärzte reproduzieren die Verhaltensnormen ihrer Selbstverwaltungsfunktionäre, sondern viele sind aktiv gegen Korruption und Bestechung, wie zum Beispiel die MEZIS-ÄrztInnen (Mein Essen Zahl’ Ich Selbst).