Correct me if I am (politically) wrong

„Echte“ Kunst, Elitarismus und weiße Wahnvorstellungen der Erhabenheit

So sehr „Political Correctness“ in der breiteren Öffentlichkeit lächerlich gemacht wird, so deutlich ist es noch immer ein Konzept, das Deutschland nicht ignorieren kann. Die Debatte über die Entfernung des N-Wortes aus Kinderbüchern, die momentan durch die deutschen Medien wütet (national und international, in Fernsehen, Radio, Print- und Social Media), bezeugt diese Tatsache.

Weiße [1] Kulturproduzent_innen reagieren emotional auf jede – in ihrer Wahrnehmung – Bedrohung ihrer „künstlerischen Freiheit“ und bedenken in ihrer Rage kaum die Meinungen, das Wissen und die Expertise derjenigen von uns, die als junge Schwarze Menschen in Deutschland leben und gelebt haben; diejenigen von uns, die Schwarze Kinder in diesem Land aufziehen und erziehen; diejenigen von uns, die anti-rassistische Aktivist_innen sind; oder diejenigen von uns, die auch beruflich im anti-diskriminatorischen Feld beschäftigt sind. Tatsächlich kommen einer bei der Beobachtung dieses merkwürdigen Verhaltens die Worte von May Ayim in den Sinn:

…alle worte in den mund nehmen
egal wo sie herkommen
und sie überall fallen lassen
ganz gleich wen es
trifft… [2]

Weiße Kulturproduzent_innen kämpfen darum, ihre Privilegien zu erhalten: Heute besetzen sie noch immer dominante Positionen in der deutschen Kunstindustrie und erleben deshalb vermutlich die pure Existenz von „Political Correctness“ als Bedrohung. Weiße Kulturproduzent_innen halten ihre eigenen künstlerischen Produktionen typischerweise für universell bedeutsam und wichtig (woraus folgt, dass die Kunstproduktion marginalisierter Gruppen als weniger relevant für die weiße deutsche Bevölkerung angesehen wird). Diese Kulturproduzent_innen sind sich meist ihres eigenen Weißseins vollkommen unbewusst, ebenso wie den Einschränkungen gegenüber, die dieses für ihre Sichtweisen, ihre kreative Arbeit und auch ihre (potenziellen) Betrachter_innen bedeutet.
So bauen beispielsweise weiße deutsche Theatermacher_innen, die Themen wie Integration, Immigration und Diskriminierung in ihren künstlerischen Produktionen bearbeiten möchten, nicht auf die Weisheit Schwarzer Feminist_innen, sondern entscheiden sich stattdessen lieber dafür, in dem schwachen Versuch, die Gesellschaft, in der sie selbst solch eine bequeme Position inne haben, zu provozieren und herauszufordern, lahme, veraltete und oftmals beleidigende Stereotype fortzuführen.
Ironischerweise nehmen eben diese Theatermacher_innen, wenn sie aufgrund ihrer schwachen Praxis kritisiert werden, diesen Moment selten als Gelegenheit wahr, etwas zu lernen und ihr eigenes diskriminatorisches Verhalten zu reflektieren, sondern streiten stattdessen ihren Kritiker_innen die Glaubwürdigeit mit solch einer Vehemenz ab, dass sie selbst ihre von ihnen behauptete Neutralität Lügen strafen (Otoo 2012). „Political Correctness“ ist für sie im besten Fall eine nervtötende Unannehmlichkeit – und im schlimmsten Fall? Momentan scheint es, als ob die meisten weißen Deutschen, die die Entfernung des N-Wortes aus Kinderliteratur kommentieren, in melodramatischer Weise vom Überhandnehmen der Zensur sprechen, von drohenden 1984-Szenarien, und vom Tod der künstlerischen Freiheit. Ein Kritiker machte hierfür sogar vom Blackface Gebrauch, um sein Argument anzubringen [3]. Es scheint, als ob diese weißen Deutschen nur widerwillig die Existenz Schwarzer Menschen in Deutschland akzeptieren würden, scheinbar im Glauben, dass die Entwicklung Deutschlands zu einer (sichtbaren) Migrationsgesellschaft ein Phänomen der jüngeren Geschichte sei (jegliches Wissen über Deutschlands brutale Kolonialgeschichte vergessend oder verdrängend), und dass daher – so die Annahme – diese neue Schwarze Bevölkerung fundamental missverstehen würde, was deutsche Kultur ist.
Selbstverständlich ist die positive Rolle, die wir Schwarzen Künstler_innen und Künstler_innen of Color bei der Gestaltung deutscher Kultur gespielt haben, wohl dokumentiert: Schwarze Menschen haben auf deutschem Boden gelebt und künstlerisch geschaffen, lange bevor Deutschland selbst existiert hat. Im Europa des 18. Jhds. war es beispielsweise nicht unüblich, afrikanische Musiker zu beschäftigen, und es ist bekannt, dass Friedrich Wilhelm I., später König von Preußen, 1713 „mehrere schwarze Jungs zwischen 13 und 15, alle gut gebaut“ als Musiker für sein Militärregiment ausbilden ließ [4]. Auch wissen wir von Schwarzen deutschen Künstler_innen wie Fasia Jansen (Sängerin & Liedermacherin) und Theodor Wonja Michael (Schauspieler), die Deutschland während des Zweiten Weltkrieges überlebten.
Jansen, von Josephine Baker inspiriert, hatte Tänzerin werden wollen; es war ihr aber in den frühen 1940er Jahren verboten, an Tanzstunden teilzunehmen, da diese nur für „Arier“ offen standen. Wonja Michael arbeitete als junger Mann in der Filmindustrie – auch in den frühen 1940ern – und hielt dort als Kulisse für Bilder weißer Vorherrschaft her.
Man fragt sich, was sie hätten erreichen können, wenn sie nicht auf Rollen eingeschränkt gewesen wären, die von einem faschistischen Nazi-Regime festgeschrieben wurden? Die Recherche von Yvette Mutumba beschäftigt sich mit der Situation von Künstler_innen afrikanischer Herkunft im heutigen Deutschland (siehe bspw. Mutumba 2012). Obwohl sie nicht einem explizit rassistischen, tatsächlich lebensbedrohlichen Kontext eines Nazi-Deutschlands ausgesetzt sind, zeigt Mutumba, wie Konstruktionen von race noch immer die Erfahrung und Arbeit Schwarzer Künstler_innen im heutigen Deutschland prägen.

Einige Kulturproduzent_innen sind der Meinung, dass Schwarzen Künstler_innen und Künstler_innen of Color der Eintritt in die deutsche hegemoniale Kunstwelt allein deswegen zugestanden werden sollte, weil damit irgendwelchen politisch korrekten Leitfäden entsprochen würde. Dieser Gedankengang stützt die Annahme, dass aktuelle Dominanzstrukturen in der Tat die „Norm“ sind, entlang derer sich alles andere ausrichten sollte. Die aktuellen Strukturen sind jedoch elitär und ausbeuterisch (eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Tatsache findet sich bei Barrett 2012). Sie führen nicht unbedingt zu der besten Kunst, sie führen noch nicht einmal unbedingt zu guter Kunst. Wo weiße Kunst als „echte“ oder „normale“ und jegliche „andere“ Kunst als „abweichend“, „ethnisch“ und somit implizit als „nicht so gut“ wahrgenommen wird, wird eine falsche Teilung produziert und wiederholt, die dazu führt, dass weiße Kulturproduzent_innen ihre Positionen in einer strukturell rassistischen Kunstindustrie beibehalten können. Ob wir wollen oder nicht, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht – wir als Schwarze Künstler_innen, die in einem vorherrschend weißen Kontext arbeiten, müssen mit diesen Umständen in unserem professionellen Leben permanent umgehen. Wir arbeiten an Orten, an denen wir nicht gesehen oder gehört werden, an denen unsere pure Existenz fortwährend verleugnet oder von der Mehrheit unserer Mitbürger_innen in Frage gestellt wird; an denen wir nicht ermutigt werden, von unserer Geschichte zu lernen, oder an denen unsere Geschichte abgewertet wird; an denen Hauptbestandteile – unsere Teile – der Geschichte der Menschheit aus der dominanten Erzählung ausgeblendet werden.
Für uns als Schwarze Künstler_innen wird die künstlerische Produktion in diesem Kontext eine Strategie, eine Praxis des Widerstands, eine Praxis dessen, was bell hooks „talking back“ genannt hat (hooks 1999). Kunst ist somit nicht für Eliten, sondern für Flüchtlinge (Ajalon 2012): Wir nutzen Kunst als Mittel zum Überleben.
Die Frage ist daher nicht, wie wir als Schwarze Künstler_innen in ein elitäres Feld einbrechen können und somit unbeabsichtigt weiße Wahnvorstellungen der Erhabenheit unterstützen, sondern vielmehr wie wir – wir alle kollektiv – einen gänzlich neuen Raum imaginieren können, der nicht auf Dichotomien des „innerhalb“ und „außerhalb“ aufbaut, sondern der tatsächlich „inklusiv“ wäre, im weitesten Sinne des Wortes. Ein Raum, in dem unsere Rollen als Schwarze Künstler_innen nicht bloß darin bestünden, die Unzulänglichkeiten weißer Kunst aufzuzeigen, sondern integraler, essentieller Teil eines visionären Ganzen wären. Was würde passieren, wenn beispielsweise hegemoniale Kulturproduzent_innen die Rolle Schwarzer Dichter_innen als Gesellschaftskommentator_innen fördern würden? In seinem Gedicht Defending Dessau schreibt der spoken word-Künstler Philipp Khabo Koepsell über den Tod Oury Jallohs, eines senegalesischen Mannes, der 2005 unter mysteriösen Umständen in einer deutschen Polizeistation starb [5]:

an african man
burned to a flake and a stain
on a fireproof mattress
on the tiled floor of cell no. 5
shackles on arms and feet – nose bone fractured
SUICIDE! officials say
obstinate in their refusal to investigate
the possibility and much more
plausible explanation
of him gotten struck
by lightening

Der Fall ist unter Schwarzen Deutschen und Menschen afrikanischer Herkunft, die in Deutschland leben, wohl bekannt: die Ironie, von der in dem Gedicht Gebrauch gemacht wird, haben wir nicht verloren. Außerhalb dieser Communities ist der Name Oury Jalloh jedoch in Deutschland kaum bekannt. Spoken word-Künstler_innen gehen mit ihrem Publikum eine direkte und emotionale Verbindung ein: Koepsell nutzt eine Bandbreite an Tönen, Stimmen, Lautstärken und Bewegungen, um sein Gedicht zu performen. Es ist ein kritischer Kommentar zur weißen deutschen Gesellschaft. Es ist eine Artikulation des kollektiven Schmerzes der Schwarzen Community. Wie könnten Performances dieses Gedichts Gesellschaft transformieren, künstlerischen Ausdruck als Ganzes informieren und die Art und Weise reformieren, in der wir alle in diesem Land über politische Themen kommunizieren? Die Möglichkeiten sind endlos.

In dem neuen Szenario, in dem Schwarze Künstler_innen, Künstler_innen of Color und weiße Künstler_innen und alle sichtbaren gleichen Zugang zu Strukturen und Ressourcen der deutschen Kunstindustrie haben, ist „political correctness“ nicht länger eine Zwangsjacke, die Kulturproduzent_innen dazu bringt, ihre künstlerische Freiheit für das moralische Ziel der Inklusion und Selbst-Repräsentation zu opfern, sondern wird zu einem Satz von Flügeln: es befreit Künstler_innen. Was braucht es, damit wir diese neue Kunstindustrie einleiten können?


Aus dem Englischen übersetzt von Sophie Schasiepen.



[1] Wo es sich auf Menschen bezieht, ist das Wort „Schwarz“ groß geschrieben, um deutlich zu machen, dass es sich um eine politische Selbstbezeichung handelt und um die soziale Konstruiertheit dessen hervorzuheben, auf das es sich bezieht. Das Wort „weiß“ als sozio-politische Kategorie ist kursiv, aber klein geschrieben, da es nicht das Potenzial der Widerständigkeit in sich trägt wie „Schwarz“ es tut (vgl. Eggers et al 2005: 13).

[2] Auszug aus künstlerische freiheit, ein Gedicht von May Ayim (1995).

[3] Im Januar 2013 erschien Denis Scheck, ein deutscher Literaturkritiker und Journalist, in dem staatlich finanzierten Fernsehsender ARD in Blackface und weißen Handschuhen, mit musikalischer Untermalung, die an schwarz-weiß Varietéshows erinnerte.

[4] Quelle: www.mirandakaufmann.com/courts.html (zuletzt aufgerufen am 01.02.13), im zitierten Text heißt es: „several black boys aged between 13 and 15, all well-shaped“.

[5] Defending Dessau abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von Philipp Khabo Koepsell. Übersetzung:

ein afrikanischer mann
verbrannt zu flocke und fleck
auf einer feuerfesten matratze
auf dem gekachelten boden der zelle nr. 5
fesseln an armen und beinen – die nase gebrochen
SELBSTMORD! sagen die beamten
stur in ihrer verweigerung die möglichkeit
und viel mehr noch
die plausible erklärung
zu ermitteln
dass er getroffen wurde
von einem blitz

Literatur:

Ajalon, J. (2012) “THE FUGITIVE ARCHETYPE OF RESISTANCE: A Metamorphical Narrative” in: Micossé-Aikins, S. and Otoo, S.D. (eds.) The Little Book of Big Visions. How to be an Artist and Revolutionize the World (Münster: edition assemblage),pp118-138

Barrett, S.E. (2012) “Creating Space for Evolution” in: Micossé-Aikins, S. and Otoo, S.D. (eds.) The Little Book of Big Visions. How to be an Artist and Revolutionize the World (Münster: edition assemblage), pp139-152

hooks, b. (1999) Talking Back. Thinking Feminist, Thinking Black (Boston, Mass.: South End Press)

Eggers, M.M. et al (Hrsg.) (2005) Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland (Münster: UNRAST-Verlag)

Köpsell, Philipp Khabo (2010) Die Akte James Knopf. Afrodeutsche Wort- und Streitkunst (Münster: UNRAST-Verlag)

Micossé-Aikins, S. and Otoo, S.D. (eds.) (2012) The Little Book of Big Visions. How to be an Artist and Revolutionize the World (Münster: edition assemblage)

Mutumba, Y. (2012) “Artists of African Descent in Germany” in: Micossé-Aikins, S. and Otoo, S.D. (eds.) The Little Book of Big Visions. How to be an Artist and Revolutionize the World (Münster: edition assemblage), pp15-31

Otoo, S.D. (2012) “Reclaiming Innocence: Unmasking Representations of Whiteness in German Theatre” in: Micossé-Aikins, S. and Otoo, S.D.(eds.) The Little Book of Big Visions. How to be an Artist and Revolutionize the World (Münster: edition assemblage), pp54-70



Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 28, Frühling 2013, „Critical Correctness“.