Demografiestrategie und In-vitro-Fertilisation

Die Beeinflussung reproduktiven Verhaltens

 

„Angesichts der demografischen Entwicklung“, so heißt es in ihrer 2012 veröffentlichten Demografiestrategie, sei es der Bundesregierung „ein besonderes Anliegen“, ungewollt kinderlose Paare zu unterstützen.(1) Dies habe man bereits durch einige gesetzliche Maßnahmen in Gang gesetzt, die Paaren - sofern sie verheiratet sind - die Finanzierung von Verfahren der künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF) erleichtern sollen. Die Regelungen richten sich auf die noch unter Rot-Grün erfolgte Einschränkung des Leistungsanspruchs von gesetzlich Versicherten bei der IVF-Finanzierung im Jahre 2004, die sich, wenn auch geringfügig, in der Zahl der Geburten niederschlägt: Seit die Krankenkassen nicht mehr die gesamten Kosten einer IVF übernehmen, sondern nur noch maximal die Hälfte, und zwar von höchstens drei (und nicht wie zuvor vier) Behandlungszyklen, ist die jährliche Zahl der so genannten Kinderwunschbehandlungen deutlich zurückgegangen.(2)

 

---- Siehe weitere Artikel zu diesem Schwerpunkt: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/217 ----

 

Um dem abzuhelfen, stellt die Bundesregierung mit dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstrukturgesetz den Krankenkassen frei, mehr als die vorgeschriebenen fünfzig Prozent der Kosten, die im Rahmen einer IVF anfallen, zu übernehmen. Zum anderen hat das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) zum 1. April 2012 eine Förderrichtlinie verabschiedet, mit der weitere 25 Prozent übernommen werden sollen. Jährlich sieben Millionen Euro stellt das BMFSFJ dafür zur Verfügung; Voraussetzung ist allerdings, dass das Bundesland, in dem ein Ehepaar diese finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen will, sich mit dem Bund die Kosten teilt. Nur vier Bundesländer haben sich bisher dazu bereit erklärt, neben Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sind das Sachsen und Sachsen-Anhalt. Letztere stocken die Kostenbeteiligung der GKV schon länger aus Landesmitteln auf: Bereits seit März 2009 zahlt die sächsische Landesregierung insgesamt bis zu 1.000 Euro für den 2. und 3. Zyklus zusätzlich und bis zu 1.200 Euro für einen vierten Versuch; Sachsen-Anhalt gewährt seit 2010 zusätzliche Mittel von bis zu 1.800 Euro für den 2. und 3. Zyklus und ebenso viel für den vierten.

 

Alle anderen Bundesländer sind derzeit noch nicht dabei - aber keinesfalls aus inhaltlichen Gründen. Streit gibt es nicht etwa über die Demografiestrategie der Bundesregierung oder das „besondere Anliegen“ der Unterstützung ungewollt kinderloser Ehepaare, sondern einzig darüber, wie die Finanzierung der IVF aufgeteilt werden soll. Die Länder wollen zwar inhaltlich genau dasselbe erreichen wie das BMFSFJ mit seiner Förderrichtlinie: dass der gesetzliche Anspruch auf Kostenbeteiligung bei IVF von derzeit 50 auf 75 Prozent angehoben wird. Einziger Unterschied zur Bundesregierung in dieser Frage: Die Mehrkosten, die daraus für die Krankenkassen entstehen, sollen vom Bund übernommen werden. Die Bundesregierung hingegen will die Länder hälftig an den Mehrkosten beteiligen. Deshalb lehnte sie einen Gesetzentwurf des Bundesrates vom März 2012 zur Änderung des Sozialgesetzbuches V ab, das so genannte „Kinderwunschförderungsgesetz“ - es sieht eine alleinige Finanzierung der zusätzlichen Kostenübernahme durch den Bund vor.(3)

 

Die „Unterstützung ungewollt kinderloser Paare“ erschöpft sich jedoch für die Bundesregierung keinesfalls in finanziellen Beihilfen für die IVF. Ihre umfassenderen bevölkerungspolitischen Zielsetzungen werden darin deutlich, dass es langfristig um eine Beeinflussung und Veränderung des reproduktiven Verhaltens geht: So ist die Herabsetzung des durchschnittlichen Alters von Müttern bei der Geburt ein - wenn auch indirekt - erklärtes Ziel der Bundesregierung. Unter der Überschrift der „Unterstützung ungewollt kinderloser Paare“ wird in der Demografiestrategie die Förderung „gezielter Aufklärungskampagnen zu Familienplanung und Fruchtbarkeit im Lebensverlauf“ angekündigt - schließlich blieben viele Kinderwünsche „in Folge der Aufschiebung des Kinderwunsches oder wegen gesundheitlicher Probleme derzeit unerfüllt“. Deshalb sollen auch „Informationen zu bestehenden Angeboten psychosozialer Beratung leichter zugänglich“ gemacht werden.(4)

 

 

Uta Wagenmann ist Mitarbeiterin des GeN und Redakteurin des GID.

 

 

Fußnoten:

(1)            Bundesministerium des Innern: Jedes Alter zählt. Demografiestrategie der Bundesregierung, April 2012, S.14, online unter www.kurzlink.de/gid217_3.

(2)            Die Landesvertretung Sachsen-Anhalt spricht von einem Rückgang von „rund 79.500 Behandlungen im Jahr 2003 auf jeweils unter 40.000 Maßnahmen in den Jahren ab 2004“. Vgl. Erläuterungen zur 893. Sitzung des Bundesrates am 2. März 2012, 21.02.2012, S.10, online unter www.kurzlink.de/gid217_2. Vgl. zu den Zahlen auch GID Nr. 194, Juni 2009, S. 39-41.

(3)            Der Entwurf liegt dem Bundestag seit April 2012 zur Beschlussfassung vor (BT-Drucksache 17/9344).

(4)            Demografiestrategie, a.a.O., S.15.