Bandenbosse im Rampenlicht

Hintergründe des Friedensabkommens der maras in Honduras

Frischer Wind in der Politik der öffentlichen Sicherheit?

(cw) Wenn Honduras in der internationalen Presse auftaucht, ist meistens von der Gewalt in dem kleinen zentralamerikanischen Land die Rede. Immer wieder wird betont, dass Honduras das gewalttätigste Land der Welt ist. Die Angabe der immens hohen Mordrate von 91,6 pro 100.000 Einwohner_innen für 2011 (United Nations Office on Drugs and Crime) scheint nicht nur aus der Perspektive Europas für unerträgliche Zustände zu stehen.

Waffenstillstand
Pressekonferenz zum Beginn der Verhandlungen

Anstatt die komplexen Ursachen der Gewalt in Zentralamerika zu beleuchten, reproduzieren die Reportagen aber oft nur den politischen Diskurs der öffentlichen Sicherheit in Honduras, der den Jugendbanden, den Maras, die Hauptschuld an der Gewalt zuweist.
Vor wenigen Wochen gab eine Meldung Anlass zur Hoffnung: Die Chefs der beiden Mara-Banden Barrio 18 und Mara Salvatrucha ließen aus dem Gefängnis verlautbaren, dass sie bereit seien, Frieden untereinander zu schließen. Im Gegenzug für ihre Bereitschaft, die Morde und die Rekrutierung so genannter Soldat_innen einzustellen, verlangten sie, dass ihnen Möglichkeiten geboten werden, ein Leben außerhalb der Banden zu beginnen. Die Erklärungen der Chefs zielten auch auf eine Versöhnung mit der gesamten Gesellschaft ab, welche die Jugendbanden schon lange als die Hauptursache der Gewalt sieht. „Wir wollen der Gesellschaft zeigen, dass wir keine Monster sind. Wir werden es mit Taten zeigen. Aber wir wollen, dass sie uns unterstützen, dass wir arbeiten und unsere Kinder ernähren können. Schluss mit der Gewalt! Wir wollen einen Wandel!“, sagte Marco, Pressesprecher der Mara Salvatrucha aus dem Gefängnis.
In El Salvador hatten sich die Chefs der beiden Banden bereits im März 2012 auf ein Abkommen eingelassen. Die Umstände und die beteiligten Akteur_innen erinnern so stark an das Friedensabkommen in El Salvador, dass beinahe von einer Eins-zu-Eins-Kopie die Rede sein könnte. In beiden Fällen verhandelten die ranghöchsten Chefs der Banden im Gefängnis mit Hilfe der Vermittlung bzw. Supervision (El Salvador) ranghoher Geistlicher und Repräsentanten der Organisation Amerikanischer Staaten OAS. In Honduras waren das der Subsekretär für Multidimensionale Sicherheit der OAS, Adam Blackwell, und der Bischof von San Pedro Sula, Monseñor Rómulo Emiliani. Auch waren sowohl in Honduras als auch in El Salvador die Regierungen nicht beteiligt, begrüßten aber später in beiden Fällen den Waffenstillstand und den Beginn der Verhandlungen.
Adam Blackwell fasst die Ähnlichkeiten der Strategien in beiden Ländern folgendermaßen zusammen: „Es handelt sich um einen ähnlichen Fall wie in El Salvador, zuerst ein Waffenstillstand mit der Gesellschaft, dann kamen sie nach und nach zu einem Waffenstillstand untereinander. Es gibt keine magische Formel, aber die Strategie der „mano dura“ (harten Hand) hat nicht funktioniert (…).“ Damit spielt Blackwell auf den wahrscheinlich bemerkenswertesten Aspekt des Waffenstillstands an: In El Salvador und Honduras scheint die Tatsache, dass die Regierungen die Friedensverhandlungen zwischen den Banden begrüßten, einer 180 Grad-Wendung in der Politik der Öffentlichen Sicherheit gleichzukommen. Nach der über viele Jahre hin erfolgten Stigmatisierung der Jugendbanden ist die breite Akzeptanz der Friedensverhandlungen durch die politischen Eliten umso verwunderlicher. Wie kann dieser Sinneswandel in der Politik der öffentlichen Sicherheit erklärt werden? Handelt es sich überhaupt um einen grundlegenden Wandel?
 

Die Politik der „harten Hand“ bedient zwar die Ängste der Bevölkerung, verschärft aber das Problem der Gewalt

Sicheres Viertel

"Sicheres Viertel“ - Wir müssen draußen bleiben, Foto: Kathrin Zeiske

 

Öffentliche Sicherheit und der Schutz vor Verbrechen sind für die Bevölkerung Lateinamerikas die wichtigsten politischen Themen überhaupt. Das bestätigt ein Bericht des Instituts für Meinungsforschung Latinobarómetro. Im Jahr 2011 gaben in Honduras 35 Prozent der Befragten „Gewalt, Banden und Delinquenz“ als das wichtigste Thema des Landes an.1 Dass dieses Thema für die Region eine derart zentrale Rolle spielt, liegt einerseits an der tatsächlichen Verbrechensrate. Immerhin waren 31 Prozent der Befragten selbst oder einer ihrer Verwandten innerhalb der vorhergehenden zwölf Monate Opfer eines Delikts geworden. Andererseits ist es aber auch ein Problem der Wahrnehmung. In einer Studie über die Auswirkungen der Unsicherheit auf die Psyche der Einwohner_innen der Städte Tegucigalpa, Valle de Ángeles und Comayagua fand der Psychologe Américo Reyes Ticas heraus, dass sich überwältigende 91 Prozent der Befragten auf schlecht beleuchteten Straßen und in engen Gassen unsicher fühlen.2 Diese Wahrnehmung steht in einem komplexen Wechselspiel mit der politischen Rhetorik der öffentlichen Sicherheit. Sie greift die Ängste der Bevölkerung auf, verstärkt sie aber auch.
Im Diskurs der „mano dura“ werden Kriminalität und Gewalt isoliert von strukturellen Ursachen wie Armut und sozialer Ungleichheit als Problem trennen. Repression durch Polizei und Militär wird als einzige Lösungsmöglichkeit präsentiert. Die Politikwissenschaftler_innen Verónica de la Torre und Alberto Alvarez bezeichnen diese Art des politischen Umgangs mit Kriminalität und Gewalt, in der die Ängste der Bevölkerung zu Wahlzwecken instrumentalisiert und verstärkt werden, als „Strafpopulismus“3. Die Isolation der Kriminalität von gesellschaftlichen Problemen mag der Grund dafür sein, dass in Zentralamerika nur acht Prozent der Befragten Armut als das wichtigste politische Problem angaben.4 Die Kontrastierung dieser Zahlen mit der Tatsache, dass die Länder des so genannten nördlichen Dreiecks (Honduras, Guatemala und El Salvador) zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas zählen, verdeutlicht die erfolgreiche Etablierung des „Strafpopulismus“ in der öffentlichen Meinung. Der Erfolg dieser Strategie liegt in einer Annäherung der Macht an die Gesellschaft begründet.5 Indem politische Eliten auf autoritäre Maßnahmen gegen Kriminalität setzen, vermitteln sie der Bevölkerung den Eindruck, dass sie selbst durch Überwachung und Denunziation an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung aktiv beteiligt sei. Die Null-Toleranz-Rhetorik wurde in Honduras in einer Reihe von Gesetzen konkretisiert. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählte eine Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 2003. Das so genannte „Antimara“-Gesetz erlaubt es der Polizei, Jugendliche ohne gerichtliche Beschlüsse und nur aufgrund ihrer Mitgliedschaft zu einer der Banden, welche anhand der Tätowierungen der mareros identifiziert wird, festzunehmen. Die Verhaftungen werden von einer Strategie der Militarisierung begleitet. In der militaristischen Logik arbeiten nicht nur Polizei und Militär in gemeinsamen Operationen zusammen, letztere bestimmen auch in immer größerem Maß die Eckpfeiler der Politik der inneren Sicherheit.
Bei aller Kritik an der politischen Instrumentalisierung der „mano dura“ soll hier nicht geleugnet werden, dass die maras ein zentrales Problem in der Region darstellen. Seitdem sie sich nach den Abschiebungen zentralamerikanischer Migrannt_innen aus den USA in El Salvador, Guatemala und Honduras etablierten, errichteten sie kriminelle Netzwerke mit mehreren tausend Mitgliedern.6 Durch Morde und Erpressungen kontrollieren die Banden ganze Stadtviertel. Zu den kriminellen Praktiken der maras zählen auch Entführungen und Verschwindenlassen. Viele mittelständische Unternehmer_innen haben mittlerweile das Land verlassen, weil sie die Schutzgeld-„Besteuerung“ durch die Banden nicht mehr stemmen konnten.
Die Thematisierung der Jugendbanden als Objekte einer militaristischen Politik ist jedoch der Lösung des Problems nicht dienlich. Vielmehr hat diese Politik zu einer Verhärtung des Problems geführt. In kurzer Zeit wurden tausende Jugendliche verhaftet, von denen ein großer Teil nur aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer der Banden zu langen Haftstrafen verurteilt wurde, ohne dass ihnen die Beteiligung an Verbrechen nachgewiesen werden konnte. Das hatte eine Überfüllung der Gefängnisse zur Folge. Die Mara-Chefs nutzen aber ihren Aufenthalt in den Gefängnissen, um den inneren Zusammenhalt der Banden zu festigen und Kontakte zum organisierten Verbrechen zu schmieden. Parallel dazu ermöglichten die Gewalt der staatlichen Sicherheitsinstitutionen und die zahlreichen Menschenrechtsverbrechen gegen Bandenmitglieder den jeweiligen Chefs, sich als Beschützer und Hilfsnetzwerke für Jugendliche zu profilieren.7 Die Polizeirepression stärkte nicht nur den gesellschaftlichen Einfluss der Banden, sondern ließ auch die Mordrate innerhalb kurzer Zeit rapide ansteigen: Von 33,6 im Jahr 2003 über 45,6 im Jahr 2007 bis hin zum bisher höchsten Wert von 91,6 pro 100.000 Einwohner_innen im Jahr 2011.8 Der Grund dafür waren einerseits ein Anstieg der Gewalt zwischen den Banden nach einem kurzen Waffenstillstand im Jahr 2006 und andererseits die Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Jugendlichen.9
Angesichts dieser katastrophalen Ergebnisse einer Sicherheitspolitik, welche Jugendliche unter Generalverdacht stellte, wirkt die Nachricht über das Friedensabkommen wie ein frischer Wind in die ser militarisierten Atmosphäre. Immerhin geben die Zahlen aus El Salvador Anlass zur Hoffnung: Dort verringerte sich die Mordrate seit dem Waffenstillstand um mehr als die Hälfte: Von 14 Morden auf fünf Morde pro Tag.10 In medialen Berichten wird diese Hoffnung nun auf Honduras projiziert.
 

Kritische Stimmen zum Friedensabkommen

Doch wird das Friedensabkommen die Hoffnung auf eine Zurückdrängung der gesellschaftlichen Rolle der maras und eine allgemeine Verbesserung der Gewaltsituation erfüllen können? Zumindest Monseñor Emiliani wird nicht müde, immer wieder zu erwähnen, dass es sich um einen langen Prozess handeln wird und dass die maras erst einmal einen Waffenstillstand mit dem Staat und der Gesellschaft geschlossen haben; einen offiziellen Frieden zwischen den Banden gäbe es bisher noch nicht. Das Friedenspotenzial der Maßnahme stellt er indessen nicht in Frage.
Kritischere Stimmen äußern dagegen grundlegende Bedenken an der Modalität der Verhandlungen und der Rolle des Staates. Für den spanischen Pater Antonio Rodríguez, der sich seit Jahren für die Rehabilitierung von jugendlichen Kriminellen im Stadtteil Mejicanos in San Salvador einsetzt, kommt die Akzeptanz der Verhandlungen durch den Staat einem „Kniefall vor der Mafia“ gleich. Er ist der Meinung, dass die Tatsache, dass nur die Chefs in Gefängnissen verhandeln, die hierarchischen Strukturen der Banden festigen werde. So könnten zwar die mareros die Gewalt untereinander beenden, aber weiterhin die Bevölkerung in den Stadtvierteln kontrollieren und Terror durch selektive Morde säen. Für die „einfachen Soldat_innen“ gäbe es keinerlei Möglichkeit, die Banden zu verlassen, ohne Gefahr zu laufen, ermordet zu werden. Insgesamt diente der Frieden so der Konsolidierung der gesellschaftlichen Macht der Banden, wodurch sie von der organisierten Kriminalität und den traditionellen politischen und wirtschaftlichen Eliten zur Bevölkerungskontrolle instrumentalisiert werden könnten.11
Der Soziologe Sergio Bahr geht in seiner Kritik bezüglich Honduras noch weiter, indem er die Bedeutung der maras für die Gewalt generell in Frage stellt. Für ihn sind nicht die Jugendlichen der Grund für die Gewalt, sondern der Drogenhandel, der Honduras längst in einen „Narcoestado“ (Drogenstaat) verwandelt habe. Die Organisierte Kriminalität schöpfe ihre Macht aus umfangreichen Allianzen mit politischen und wirtschaftlichen Eliten. Schließlich würden die mit Kokain beladenen Flugzeuge nicht auf den Fincas der Jugendbanden landen, genauso wenig wie die Morde an Menschenrechtsakti-vist_innen und Staatsanwält_innen von ihnen befohlen werden, auch wenn diese sie oft ausführen. Bahr fordert, dass man endlich einsähe, dass der Drogenhandel, der von Leuten im Kongress, im Militär, in der Polizei und in der öffentlichen Verwaltung kontrolliert wird, der wichtigste Verursacher der Gewalt im Land sei.12
 

Theatralische Inszenierung

Nimmt man diese Kritik ernst, wirkt das Friedensabkommen nur noch wie eine oberflächliche Maßnahme. Tatsächlich bedeutet es mehr Kontinuität, als es auf den ersten Blick scheint. Sowohl in der Null-Toleranz-Politik als auch im medialen und politischen Umgang mit den Friedensverhandlungen werden ausschließlich die Jugendbanden ins Scheinwerferlicht gestellt. Strukturelle gesellschaftliche Probleme wie die enorme sozioökonomische Ungleichheit sowie Machtverhältnisse, die für die Aufrechterhaltung der Gewaltordnung verantwortlich sind, bleiben bei dieser Inszenierung fast gänzlich im Dunklen. Es unterscheiden sich nur die Strategien der öffentlichen Inszenierung. Die „mano dura“-Politik stellt eine moralisierende Opposition zwischen Gut und Böse her. Sie bedient die Forderungen der Gesellschaft nach Rache und Bestrafung. Demgegenüber setzen die Friedensverhandlungen auf Symbolkraft. Besonders in Zentralamerika, wo in den vergangenen Jahrzehnten mehrere bewaffnete Konflikte auf diese Weise beendet wurden, darf diese symbolische Wirkung nicht unterschätzt werden. Diese wird durch die Teilnahme von hochrangigen Vertreter_innen der katholischen Kirche noch erhöht. Insgesamt sind beide Strategien auf ihre Weise öffentlichkeitswirksam. Zusätzlich stellt das Ereignis für die auf den Putsch gegen Manuel Zelaya folgende Regierung unter Porfirio Lobo eine Gelegenheit dar, ihre angeschlagene Legitimität zu erhöhen. Diese wird sie sich nicht entgehen lassen.

 

Gesellschaftlicher Ausschluss und parastaatliche Gewaltordnung

All dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verhandlungen im Zusammenhang mit der Gewalt in Honduras nur an der Oberfläche kratzen. Die wirklichen strukturellen Probleme, die sich im Hintergrund des politischen Theaters befinden, können mit zwei Begriffen benannt werden: der gesellschaftliche Ausschluss der Jugendlichen, der diskursiv aufrecht erhalten wird, und eine parastaatliche Gewaltordnung.
Die misstrauische bis stigmatisierende Haltung, die den Jugendlichen der barrios populares (städtische Armenviertel) entgegen gebracht wird, ist ein wesentlicher Grund für die Jugendkriminalität und die Entstehung der Banden. Der Staat ergreift kaum Maßnahmen, um den ausgeschlossenen Jugendlichen wirtschaftliche und soziale Perspektiven zu eröffnen. Den Jugendlichen ist diese Gleichgültigkeit längst bewusst, wie eine Aussage von Cristian Castro aus San Pedro Sula aus der letzten Ausgabe des Infoblatts verdeutlicht: „Sie geben uns keine Freizeitstätten. Banden, Drogen und Waffen: das ist das Spielzeug, das man Jugendlichen hier gibt. Damit sie sich beschäftigen und amüsieren. Deshalb hat der Staat sehr viel mit der Gewalt und den Morden zu tun.“ In den maras finden viele eine Möglichkeit, nicht nur die mangelnde soziale Unterstützung auszugleichen, sondern auch symbolisch mit der Ausgeschlossenheit umzugehen. Mauro Cerbino sieht in den Tätowierungen die institutionelle Gewalt gegen die Jugendlichen symbolisiert, da sie sich im wahrsten Sinne des Wortes das Stigma als Ausgeschlossene und Vogelfreie selbst ins Gesicht schreiben. Aber die Tattoos sind nicht nur Symbol, sondern auch Gegenstand eben dieser institutionellen Gewalt. Viele Bandenmitglieder entfernen aus Angst vor der Polizeigewalt ihre Tätowierungen, wodurch sie die physische Gewalt, die der Stigmatisierung folgt, gewissermaßen vorwegnehmen. Der Staat ist deshalb nicht nur aufgrund des mangelnden Angebots an Orientierung für die Gewalt verantwortlich. Durch eine „Ideologie der Hygiene“, welche diese Jugendlichen mit Dreck assoziiert, ermöglichen staatliche Akteure auch die gesellschaftliche Akzeptanz eines „unsichtbaren Genozids“.13 Dass der Begriff „Ideologie der Hygiene“ der Anthropologin Adrienne Pine kein abstraktes, realitätsfernes Konstrukt ist, sondern ein in der Gesellschaft weit verbreitetes Deutungsschema, wird in der Müllbeseitigungsrhetorik in vielen User-Kommentaren unter Internetartikeln über die maras auf erschütternde Weise deutlich. Der Diskurs beschränkt sich aber nicht auf die sprachliche Ebene, sondern führt zu handfester physischer Gewalt und Menschenrechtsverbrechen. Die Ermordung von Jugendlichen durch Todesschwadrone, die als Zusammenschlüsse von Polizist_innen, Militärs und Angehörigen der Mafia im Untergrund agieren, hat nicht ohne Grund seit der Einführung des Antimara-Gesetzes im Jahr 2003 deutlich zugenommen.14 Auch als im Februar 2012 und im Mai diesen Jahres bei Gefängnisbränden in Comayagua und San Pedro Sula aufgrund mangelnder Sicherheitsmaßnahmen 360 bzw. 103 Menschen, darunter viele mareros, starben, wurde die Verachtung der Jugend auf perfide Weise deutlich.
Auf der Ebene der Gewaltordnung muss der These von Sergio Bahr, dass der Drogenhandel die Hauptursache der Gewalt in Honduras sei, teilweise widersprochen werden. Der Drogenhandel hat zwar seine Macht in Zentralamerika erheblich ausgedehnt, seit dem der Isthmus zum wichtigsten Transportkorridor nach Mexiko wurde. An der Aufrechterhaltung des Terrors ist aber eine Vielzahl von Akteur_innen interessiert. Der Staat spielt dabei in zweierlei Hinsicht eine herausragende Rolle. Einerseits trägt er durch die Ineffizienz seiner Sicherheitsbehörden zur Aufrechterhaltung eines Regimes der Straflosigkeit bei. Andererseits ist der Staat auch selbst Akteur illegitimer Gewalt.15 Er ist aber kein einheitlicher, zielgerichteter Akteur, der im Rahmen einer zentralisierten und autoritären Staatsführung Menschen-rechtsverbrechen begeht. Vielmehr bemächtigen sich wirtschaftliche und politische Eliten, Staatsbedienstete sowie die organisierte Kriminalität seiner Institutionen, um ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen. Eben diese fließenden Grenzen zwischen Staat und Kriminalität machen die Gewalt so undurchsichtig. Für den Soziologen Trutz von Trotha zeichnet sich die parastaatliche Gewaltordnung in den lateinamerikanischen Ländern durch eine Kultur der gewaltsamen Selbsthilfe aus, welche zu einer Privatisierung der Gewalt führt.16 Die maras verkörpern zwar die Kultur der gewaltsamen Selbsthilfe, allerdings sind sie beim Spiel um die Kontrolle der Institutionen außen vor.
Maßnahmen zur Lösung des Gewaltproblems müssen auf diesen beiden Ebenen agieren. Den Jugendlichen müssen – wie der Pressesprecher der Mara Salvatrucha forderte – in Form von Bildung und Arbeit ernstgemeinte Alternativen zum Bandenleben geboten werden. Die zweite Herausforderung besteht darin, den Staat aus den Fängen partikularistischer und krimineller Interessen, die seine Gewaltanwendung so undurchsichtig machen, zu befreien. Solange diese Aufgaben nicht in Angriff genommen werden, bleibt das Friedensabkommen ein rein symbolischer Gestus.

1     Es handelt sich um eine kumulierte Zahl: 30 % nannten Delinquenz und öffentliche Sicherheit, 5 % Banden und Gewalt als das wichtigste Problem des Landes. Honduras liegt damit knapp über dem lateinamerikanischen Durchschnitt von 32 %. El Salvador liegt mit 51 % deutlich darüber, angeführt wird die Liste von Venezuela mit 62 %. Die einzigen Länder, in denen das Thema nicht mehrheitlich als das wichtigste Problem angegeben wurde, sind Paraguay (Arbeitslosigkeit), Chile (Bildung), Nicaragua, Dominkanische Republik und Bolivien (wirtschaftliche Probleme). Vgl. Lagos, Marta/Dammert, Lucía (2012): La Seguridad Ciudadana. El problema principal en América Latina, Corporación Latinobarómetro, Lima.
2    Vgl. Espinoza Murra, Dagoberto (2013): “Honduras: Percepción de la violencia”: Woodrow Wilson International Center for Scholars, S. 5: http://scela.wordpress.com/2013/02/14/honduras-percepcion-de-la-violencia-dagoberto-espinoza-murra/.
3     Vgl. Alvarez, Martín/De La Torre, Verónica (2011): “Violencia, Estado de Derecho y políticas punitivas en América Central”, Perfiles Latinoamericanos 37, S. 34.
4      Zum Vergleich: 2010 gaben in Zentralamerika 30 % Delinquenz und öffentliche Sicherheit als das wichtigste Problem an. Vgl. Corporación Latinobarómetro (2011): Centroamérica y sus democracias 1995-2010, S. 25: http://www.latinobarometro.org/latino/LATContenidos.jsp.
5    Vgl. Alvarez, Martín/De La Torre, Verónica (2011), S. 42.
6    Zum Zusammenhang der Abschiebungen von Flüchtlingen nach Zentralamerika durch die USA und die Entstehung der Maras: Dudley, Steven (2012): „Gangs, Deportations and Violence in Central America“, In Sight Crime: http://www.insightcrime.org/violence-against-migrants/part-ii-gangs-deportation-and-violence-in-central-america
7    Vgl. Cerbino, Mauro (2011): „Jóvenes víctimas de violencias, caras tatuadas y borramientos”, in: Perfiles Latinoamericanos 38, S. 13.
8    Vgl. United Nations Office on Drugs and Crime (2012): Intentional homicide, count and rate per 100.000 population (1995-2011).
9    Laut Zahlen der Nationalen Polizei von 2010 werden nur ca. 3 von 10 Morden von Mitgliedern der Banden begangen. Vgl. El País, 29.05.2013.
10    Vgl. El País: „Las maras ofrecen una tregua a cambio de reinserción”, 29.05.2013: http://internacional.elpais.com/internacional/2013/05/29/actualidad/1369778555_934021.html.
11    Vgl. Zeiske, Kathrin: „Ein Kniefall vor der Mafia“, Interview mit Antonio Rodríguez, in Jungle World, 06.06.2013: http://jungle-world.com/artikel/2013/23/47847.html.
12    Vgl. Bahr, Sergio (2013)„¿Tregua entre maras en el país más violento del mundo?”: http://www.nuso.org/opinion.php?id=119.
13    Vgl. Pine, Adrienne (2011): “Tegucigalpa: Donde se cruzan los caminos, se unen fronteras y divergen las percepciones” in: Colombia Internacional 73, S. 39 ff.
14    In den letzten drei Jahren gingen allein in Tegucigalpa mindestens 150 Anzeigen im Zusammenhang mit Ermordungen durch Todesschwadrone der Polizei im Ministerio Público ein. Vgl. Arce, Alberto: “Honduras: acusan a Policía de operar escuadrones de muerte” Infobase América, 17.03.2013: http://america.infobae.com/notas/68208-Honduras-acusan-a-Policia-de-operar-escuadrones-de-muerte.
15    Vgl. Cruz, Miguel José (2010): “Estado y violencia criminal en América Latina. Reflexiones a partir del golpe en Honduras”, in: Nueva Sociedad 226, S. 69.
16    Vgl. Von Trotha, Trutz (1995): „Ordnungsformen der Gewalt oder Aussichten auf das Ende des staatlichen Gewaltmonopols“, in: Nedelmann, B. (Hg): Politische Institutionen im Wandel, Köln, S. 145.
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