Dein Bauch gehört Gott

Evangelikale und ihr Kampf gegen Selbstbestimmungsrechte

Evangelikale versuchen – ihrem eigenen Bibelverständnis folgend – Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik zu nehmen. Ein zentrales Moment ihrer Aktivitäten ist der Kampf gegen die reproduktiven Selbstbestimmungsrechte von Frauen*. Damit sind sie nicht nur in den USA erfolgreich.


„Der christliche Glaube ist heute weithin aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt worden. Tendenzen und Mächte der Gottlosigkeit brechen erneut durch. So basiert die vielbeschworene ‚Wertegemeinschaft‘ der EU wesentlich auf den emanzipatorisch weiterentwickelten Ideen der Französischen Revolution, die – wie z.B. das ‚Recht‘ zur ehelichen Untreue und auf Abtreibung! – dem biblischen Ethos widersprechen. Darum steht Europa bei der Gestaltung seiner Zukunft letztlich vor der Entscheidung zwischen Christus und Antichristus.“[1]

Hinter diesem Aufruf steht eine konfessionsübergreifende Strömung im Protestantismus, die als „evangelikal“ bezeichnet wird. Ihr gehören etwa 1-3 % der Bevölkerung der BRD an. Die Strömung entstand durch protestantische Konservative als Reaktion auf die Modernisierung der Kirchen in den 1960er und 70er Jahren und die zunehmende Säkularisierung. Zur Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) haben Evangelikale ein ambivalentes Verhältnis, während die EKD versucht, sie in ihre Kirche zu integrieren. Innerhalb der evangelikalen Szene gibt es zahlreiche Organisationen und Strömungen. Der  bedeutendste Dachverband ist die Deutsche Evangelische Allianz (DEA). 1,3 Millionen Menschen in Deutschland und zahlreiche Organisationen bekennen sich zur „Glaubensbasis“, dem Kernpapier des Dachverbandes. Die Organisation betreibt sogar einen Radio- und Fernsehsender (ERF) und gibt das strömungsübergreifende evangelikale Wochenmagazin „idea-Spektrum“ heraus.
Relevant sind zudem die Bekenntnisevangelikalen („Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium“), eine Organisation innerhalb der Kirche, die gegen Liberalisierung und Modernisierung ankämpfen will. Besonders wichtig ist für sie die lebenslange Hetero-Ehe mit klarer Dominanz und Autorität des Mannes* und Unterordnung der Frau*. Vor allem international spielt auch die Pfi ngstbewegung eine wichtige Rolle im evangelikalen Zirkus, die für ihren musikalischen und interaktiven Gottesdienst bekannt ist.[2] In Stuttgart wurde die erste sogenannte Megachurch in Deutschland eröffnet. Die Organisation dahinter kann zur Pfingstbewegung gezählt werden. Die Kirche erreicht zwar nicht die Spitzenwerte ihrer US-amerikanischen Vorbilder, aber im Vergleich zu evangelischen oder katholischen Gottesdiensten kann sie mit ca. 2000 Teilnehmer_innen pro Veranstaltung auf eine enorme Resonanz blicken.

Deproduktion und Destabilisierung
Neben dem Versuch, konservative Positionen in und außerhalb der Kirche zu verbreiten, gibt es auch weitere politische und theologische Besonderheiten. Die Evangelikalen verstehen sich als bibeltreu. Das heißt, dass sie die Bibel, insbesondere ihre Handlungsanweisungen, wörtlich nehmen. Dies unterscheidet sich elementar von der historisch-kritischen Interpretation der protestantischen Kirche. Die Bibel sei für alle Fragen des Lebens und des Glaubens absolut unfehlbar. Teile der Bewegung halten sogar naturwissenschaftliche und historische Aussagen der Bibel für unfehlbar, auch wenn sie
off ensichtlich falsch oder widersprüchlich sind. Schon die Bibelauslegung der EKD und die Politik der beiden christlichen Kirchen ist weit von einem
emanzipatorischen Anspruch entfernt. Die Kirchen sind weiterhin viel zu oft ein Hort konservativer Ideen und Ansichten. Trotzdem muss gegenüber den Evangelikalen eine Differenzierung vorgenommen werden. Die Folge des evangelikalen Bibelverständnisses ist ein traditionalistisches und kulturpessimistisches Menschenbild, welches die Menschen vor Sünden und Sittenverfall bewahren will, und dabei weit über evangelische und katholische Positionen hinausgeht. Die bereits erwähnte „Glaubensbasis“ schreibt die höchste Autorität und völlige Zuverlässigkeit der Bibel als Grundposition jedes_r Evangelikalen der DEA fest.
Aus diesem Grundverständnis ergeben sich verschiedene Positionen der Strömung. So brechen Evangelikale mit dem Tabu der EKD und versuchen Muslim_innen und Jüd_innen zu missionieren. Damit widersprechen sie dem pluralistischen Missionsverständnis der Ökumene. Sie stellen sich gegen Schwangerschaftsabbrüche und halten Homosexualität für eine Sünde. Auch die Selbstbestimmung von Frauen* und eine Kritik an patriarchalen und dichotomen Geschlechterrollen halten sie für nicht vereinbar mit dem Wortlaut der Bibel. Sie fordern hingegen eine Re-Etablierung der Familie unter der
Obhut des Vaters, der die weibliche Sexualität und den Körper insgesamt reglementiert.
Das zentrale Moment ihrer Ideologie und besonders wichtig für Großevents und Aktivitäten bleibt aber der Kampf gegen die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen*. Ihre Grundannahme lautet, dass ab der Vereinigung von Eizelle und Samen Leben entsteht und ab diesem Zeitpunkt das christliche Tötungsverbot greift. Dies führt einerseits zu einer Emotionalisierung der Debatte und ist zudem inkonsequent, denn Evangelikale sprechen sich nicht grundsätzlich gegen Krieg oder z.B. die Todesstrafe aus. Es geht vielmehr um die Rolle der Frau* als Mutter, Dienerin des Mannes* und Verantwortliche für die Reproduktion der Gemeinschaft. Individuelle Entscheidungsspielräume von Frauen* würden letztendlich die Gesellschaft und das
Patriarchat destabilisieren.

Einfluss: „Wir sind eine heilige Nation“[3]
Evangelikale sind von ihren Gemeinden aufgefordert, in die Gesellschaft zu wirken. Neben der Missionsarbeit und populistischen Aktionen versuchen Evangelikale auch anderweitig an Einfluss zu gewinnen. In Deutschland gibt es zahlreiche aktive Institutionen und Organisationen. Neben Buchläden und Gottesdiensten gibt es auch Hochschulen und Schulen. Es existieren 70 evangelikale Bekenntnisschulen mit etwa 25.000 Schüler_innen. Als Beispiel kann die Georg-Müller-Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen genannt werden, die Kreationismus lehrt und offen bekennt, unehelichen Sex und Homosexualität
für „falsch“ zu halten. Zudem kommt ein Einfluss durch Öffentlichkeitsarbeit, beispielsweise gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz, hinzu. Öffentliche Auftritte wie der „1000 Kreuze Marsch“ gegen Abtreibung und das Christival sind nur ein weiterer Aspekt.
Evangelikale Vereine wie der als homophob kritisierte Beratungsverein „Wüstenstrom“ oder das „Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft“ werden bei familienpolitischen Gesetzesvorhaben vorab angehört. Hierbei ist die Orientierung an der CDU naheliegend, wie beispielsweise über die Vereinigung Christdemokraten für das Leben (CDL) in der CDU. Ihre indirekte Einflussnahme ist zum Teil erfolgreich. Ursula von der Leyen, damals noch  Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, übernahm die Schirmherrinnenschaft für das Christival in Bremen 2008 und unterstützte das Event mit 250.000 Euro. Dort referierten auch „Lebensschützer_innen“ von Birke e.V. und homophobe Vereine.[4] Auch die evangelikal geprägte Veranstaltung ProChrist hat zahlreiche wichtige Personen im Kuratorium, obwohl sie Abtreibungen und Evolution ablehnt und Homosexualität für eine Krankheit hält. Hierzu gehören Christian Wulff (bis zu seinem Amtsantritt als Bundespräsident) sowie Günther Beckstein (CSU), der Unternehmer Deichmann oder Erwin Teufel (CDU). Die Deutsche Evangelische Allianz hat mit Wolfgang Baake einen bekannten Lobbyisten, der gleichzeitig Leiter des christlichen Medienverbundes KEP ist und die Darstellung Evangelikaler in den Medien positiv beeinflussen will. Baake kämpft gegen  Schwangerschaftsabbrüche, Pornografie und lehnt Homosexualität ab. Dabei trifft er sich mit ranghohen Vertreter_innen aus der Politik, vor allem aus
der CDU und der SPD. Trotz zahlreicher eigener Medien und einem TV-Sender ist ihr Einfluss in Deutschland noch weit weniger stark als in anderen Ländern. Vor allem in den USA haben Evangelikale einen immensen Einfluss und sind wichtig für die politische Mobilisierungskraft der Konservativen. Die Zugehörigkeit zu evangelikalen Kongregationen ist in den USA weit verbreitet, einige von ihnen bezeichnen sich dabei als liberal. Der politische Einfluss der Liberalen ist jedoch deutlich geringer als der der Rechtskonservativen.

Legal, illegal, scheißegal?
Jedes Jahr sterben 47.000 Frauen* an den Folgen einer illegal und medizinisch nicht korrekt durchgeführten Abtreibung. Weitere Millionen mehr tragen Verletzungen davon.[5] Die Zahl der Abtreibungen ist in solchen Ländern größer, wo Abtreibung illegal ist. Die Kriminalisierung von Abtreibung führt nicht zu einer Verringerung der Abtreibungszahlen. Noch wichtiger für den emanzipatorischen Diskurs: Abtreibungen mit tödlichem Ausgang für die Frau* sind in solchen Ländern höher, wo Abtreibung illegal ist. Je restriktiver also das Abtreibungsrecht, desto höher die Sterberate von Frauen*. Länder mit einem liberalen Abtreibungsrecht, gut ausgebauter medizinischer Infrastruktur, guter reproduktiver Versorgung (Verhütung, Frauen*gesundheit, Schutz
vor Geschlechtskrankheiten), geringer absoluter Armut usw. produzieren sowohl weniger Abtreibungen als auch weniger Tode in Folge von heimlich durchgeführten Abtreibungen. Legal oder illegal? Offensichtlich nicht scheißegal. Wollen bzw. können Frauen* die Schwangerschaft nicht austragen, werden sie die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die Schwangerschaft zu beenden. Auch wenn sie dabei durch Maßnahmen wie das Einführen von Gegenständen in den Gebärmutterhals, durch das Einnehmen von giftigen Stoffen oder durch unzählige weitere Maßnahmen die eigene Gesundheit gefährden. Dabei folgen auf einen nicht erfolgreichen ersten Versuch meist weitere, extremere Maßnahmen.

Folgen der Illegalisierung
Ist Abtreibung in einem Staat illegal, zieht dies wie in Deutschland weitreichende Folgen nach sich: Im Standardcurriculum medizinischer Ausbildung sind Methoden des Schwangerschaftsabbruchs nicht zwingend enthalten. Universitäten stellen keine Fachleute für Abtreibungsmedizin ein. Angehende  Ärzt_innen spezialisieren sich nicht auf diesem Gebiet. Ein lebhafter wissenschaftlicher Diskurs um die besten, am wenigsten invasiven Abtreibungs- und Nachsorgemethoden findet nicht statt. Staatliche Forschungsförderung für einen illegalisierten Teil der medizinischen Grundversorgung ist nur schwer
zu rechtfertigen. Abtreibungsmedizin wird zum Randgebiet der Medizin, obwohl es sich für ausgebildetes Personal um einen Routine-Eingriff mit im Vergleich zu Geburten geringem Komplikationsrisiko handeln würde. Ein Mangel an Gynäkolog_innen mit Abtreibungsexpertise ist die Folge. Zudem dürfen Gynäkolog_innen in ihren Praxen keine Werbung für ein Angebot zum Schwangerschaftsabbruch machen. In den Wartezimmern von deutschen Frauen*ärzt_innen ist eine offene, niedrigschwellige Information über Abtreibung nicht möglich. Auskünfte über Ärzt_innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, werden in deutschen Praxen nur hinter vorgehaltener Hand erteilt. Hat frau* das Glück, eine_n Mediziner_in zu finden, die_der den Eingriff vornimmt, bittet diese_r nicht selten darum, Stillschweigen darüber zu bewahren. Zudem haben es neue Abtreibungsmedikamente auf dem deutschen Markt schwer. Beispielsweise wurde Mifepriston erst 1999 in Deutschland zugelassen – elf Jahre nach der Erstzulassung in Frankreich. In Italien kam das Medikament aufgrund des erbitterten Widerstands der katholischen Kirche erst im Jahr 2009 auf den Markt. Das Mittel Misoprostol ist in Deutschland
noch nicht zugelassen; in den USA ist es seit 2011 zu haben. Eine weitere Folge der Illegalisierung von selbstbestimmten Abtreibungen: Gesetzliche Krankenkassen übernehmen in Deutschland nur die Kosten des Abbruchs, wenn dieser nach kriminologischer (z.B. Vergewaltigung) oder medizinischer Indikation (z.B. Gefahr für die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau*) durchgeführt wurde. Der sogenannte „Abbruch ohne  Indikationsfeststellung“, für den frau* sich der Zwangsberatung unterziehen muss, wird von den gesetzlichen Kassen nicht getragen. Ärztliche  (Beratungs-)Leistungen direkt vor und nach dem Abbruch werden wiederum übernommen, auch hier wird die Schizophrenie des deutschen Strafrechts in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch deutlich. Eine Härtefall-Regelung für Frauen* mit geringem Einkommen rundet das Finanzierungschaos ab: Die Kostenübernahme müssen die Frauen* im Vorfeld des Abbruchs bei der Krankenkasse beantragen. Bei Minderjährigen gibt es keine eindeutige gesetzliche Regelung, dort hängt vieles von den Ärzt_innen ab: Grundsätzlich ist die Zustimmung der Sorgeberechtigten nötig, damit Minderjährige eine Abtreibung vornehmen lassen dürfen. Im Einzelfall kann die_der Ärzt_in allerdings auch entscheiden, dass die Minderjährige „einsichts- und urteilsfähig“ ist, also die „Tragweite des Eingriffs begreift und das Für und Wider abwägen kann“[6]. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass alle Frauen*ärzt_innen
sich dieser Regelung zur Urteilsfähigkeit von Minderjährigen bewusst sind.

Weil wir es uns wert sind
Abseits eines legalistischen Ansatzes, der sich nur auf die formale Gesetzmäßigkeit von Abtreibungen bezieht, bleibt das Eintreten für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz des Rechts auf Abtreibung – jenseits von Gesetzestexten – unerlässlich; und zwar nicht nur dort, wo der  Schwangerschaftsabbruch illegal ist. Das zeigt sich in Ländern wie Südafrika, wo Abtreibung zwar weitgehend legal, der Zugang zu ihr de facto jedoch stark eingeschränkt ist: Die religiös begründete Ablehnungshaltung definitionsmächtiger gesellschaftlicher Gruppen sorgt für ein Klima, in dem die moralische Verwerflichkeit von Abtreibung schwerer wiegt als die gesetzliche Erlaubnis. Abtreibung ist dann trotz Legalität mit einem wirkungsmächtigen
Stigma belegt. Ärzt_innen, Hebammen und Entbindungspfleger weigern sich nicht selten, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Gesundheitliche Aufklärung findet nur punktuell statt. Frauen* kennen ihre Rechte nicht. Hinzu kommt eine schlechte medizinische Versorgung, besonders abseits der Städte. Dies macht es den Frauen* oftmals unmöglich, medizinisch professionell begleitete Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu lassen. Zudem ist es in Folge der religiösen Stigmatisierung von Abtreibung besonders für arme, meist schwarze Frauen* schwer, die Unterstützung von Familie und Partner_in für die Entscheidung zum Abbruch zu finden. Wo Abtreibung als moralisch verwerflicher Akt angesehen wird, ist der Zugang zu medizinisch sicheren Abtreibungen erschwert. Je stärker der gesellschaftliche und politische Einfluss von moralkonservativen religiösen Kräften, desto schwieriger ist es, in beiderlei Hinsicht erfolgreich für ein Recht auf Abtreibung zu streiten: in legalistischer und in moralischer Hinsicht. Dies zeigt sich zum Beispiel in den USA, wo Abtreibung seit einem Urteil des Supreme Court von 1973 („Roe v. Wade“) zwar legal, gesellschaftlich und politisch jedoch stets schwer umkämpft ist. Dort ist in den letzten Jahren – paradoxerweise seit Amtsantritt von Barack Obama – auf Ebene der Bundesstaaten ein Zurückdrängen des Abtreibungsrechts zu beobachten. Der Anstieg von Gesetzesinitiativen zur Einschränkung reproduktiver Rechte ist ein Backlash-Phänomen, das sich seit Obamas Wahlsieg im Jahr 2008 stetig verschärft hat: Die republikanische Partei und ihre evangelikale Basis konzentrierten sich von nun an noch stärker auf die sogenannten „social issues“: den Kampf gegen Abtreibung und gegen die rechtliche Gleichstellung nichtheterosexueller Menschen. Letzteres äußerte sich zum Beispiel durch von Republikaner_innen eingebrachte Gesetzesinitiativen zum verfassungsmäßigen Verbot gleichgeschlechtlicher  Partnerschaften. Dabei wurden immer wieder der christliche Gott und die Gebote der Bibel zur Rechtfertigung für politisches Handeln herangezogen – eine kompromisslose Verknüpfung von Glaube und Politik, die im Evangelikalismus angelegt ist.

USA: Abtreibung unter strengen Auflagen
Da die Ausgestaltung des Abtreibungsrechts der USA in den Bundesstaaten erfolgt, haben evangelikale Gruppen durch stetigen Lobbyismus bei Lokalpolitiker_innen erfolgreich gegen den Zugang zu sicheren Abtreibungen gekämpft. Resultat ist eine erhebliche Einschränkung eines vom Supreme Court für legal befundenen medizinischen Eingriffs: So bedarf es in einigen Bundesstaaten der Zustimmung eines Elternteils bei einem Abtreibungswunsch einer Minderjährigen, wobei das Alter der Volljährigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs von Bundesgesetzen durch die Bundesstaaten selbst festgelegt wird; es liegt dann zwischen 18 und 21 Jahren. In anderen Bundesstaaten hat sich ein komplettes Verbot nach der 20. Schwangerschaftswoche etabliert. Einige Kliniken mussten sogar schließen, da Abtreibungskliniken unerfüllbare Auflagen nicht einhalten  konnten. Eine weitere Einschränkung ist das „Tele-Verschreibungsverbot" von Mitteln zur medikamentösen Abtreibung, welches ein wichtiges Instrument reproduktiver Medizin in ländlichen Gebieten mit geringer Ärzt_innendichte und hohen Armutsraten ist. Außerdem werden Frauen* mit einem Zwangsultraschall vor einer Abtreibung schikaniert, auch wenn dieser medizinisch nicht geboten ist, und einige Krankenversicherungen übernehmen die Kosten eines Abbruchs nicht. Auch die Verlängerung der Zwangsberatungs- und Wartezeiten vor dem Abbruch ist auf das Engagement evangelikaler Politiker_innen zurückzuführen. Neben diesen gesetzlichen Einschränkungen kommt es regelmäßig zu Sabotageakten an Abtreibungskliniken, Blockaden und Kundgebungen vor Kliniken, Belästigung von Patientinnen*, Drohungen gegen Gesundheitspersonal, bis hin zur Ermordung von Ärzt_innen, die Abtreibungen durchführen.

Für eine Gottlosigkeit des Strafrechts
Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung ist in Deutschland nach wie vor nicht gewährleistet und hart umkämpft. Hier versuchen Evangelikale Einfluss auf die Politik und die gesellschaftliche Stimmung zu nehmen. In Deutschland ist eine Abtreibung, bei der keine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt, auch mit vorheriger Beratung nur straffrei – nicht legal. Während katholischeBeratungsstellen seit 2002 keine Beratungsscheine mehr ausstellen, ist die Beratung durch evangelische Stellen umkämpft. Die katholische Kirche hält eine Abtreibung für mit dem biblischen Tötungsverbot unvereinbar und auch die protestantische Kirche will grundsätzlich das „ungeborene Leben“ schützen. Jedoch ist die Entscheidung der Schwangeren für sie maßgeblich und die Beratung nach eigenen Angaben „ergebnisoffen“.[7] Hier setzen Evangelikale an. Während die direkte Beeinflussung von schwangeren Frauen* (sogenannte „Gehsteigberatung“) hier noch eher die Ausnahme ist, sind Infostände, Demonstrationen
und Veranstaltungen an der Tagesordnung. So lange organisierte Religion in Eintracht mit konservativen Politiker_innen auf die deutsche Gesetzgebung einwirkt, so lange werden Frauen* dagegen kämpfen müssen, zum Austragen von Schwangerschaften gezwungen zu werden. Da es in absehbarer Zeit weder zum Untergang organisierter Religion, noch zum Ende des politischen Konservatismus kommen wird, muss sich die emanzipatorische Bewegung für Abtreibungsrechte einsetzen. Dabei gilt es nicht, den Status Quo gegen evangelikale und sonstige moralkonservative Kräfte zu verteidigen. Dass dies nicht funktioniert, hat sich in den USA gezeigt. Stattdessen ist ein offensiver Aktivismus gefragt. Der Schwangerschaftsabbruch muss raus aus dem Strafgesetzbuch und rein in die politische Agenda für ein freies, selbstbestimmtes Leben von Frauen*!

Annika Meixner darf sich Politologin nennen, ist selbsternannte Expertin für US-Innenpolitik und Aktivistin für reproduktive Rechte. Jannik Rienhoff ist Jurist und Politologe und hat 2009 in Marburg gegen „Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus“ demonstriert.

Weiterführende Literatur:
Jörg Kronauer, Verständnis für die Weltmission, Lotta #36, 2009, 11.
Sara Diehl, Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext, 2007.
S. Singh / D. Wulf / R. Hussain / A. Bankole / G. Sedgh, Abortion Worldwide: A Decade of Uneven Progress, 2009 (online abrufbar unter: http://www.guttmacher.org/pubs/Abortion-Worldwide.pdf).

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[1] „Freudenstädter Aufruf“ (online abrufbar unter: http://www.ikbg.net/pdf/ fa.pdf), 2004, 2 (Stand aller Links: 30.11.2012).

[2] Näher hierzu: Bündnis „Kein Raum für Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus“, Reader zum 6. Kongress in Marburg, 2009 (online abrufbar: http://noplace.blogsport.de), 19 ff.

[3] Peter Wenz (Leiter der Biblischen Glaubensgemeinde im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach), http://www.taz.de/!28493.

[4] Oda Lambrecht / Christian Baars, Mission Gottesreich, 2. Auflage, 2009, 85 f.

[5] Guttmacher Institute, Abortion Worldwide (Fact Video), 2012 (online abruf- bar: http://www.guttmacher.org/media/inthenews/2012/10/04/index.html).

[6] Pro Familia, Schwangerschaftsabbruch. Was Sie wissen sollten – Was Sie beachten müssen (online abrufbar: http://www.profamilia.de/fileadmin/ beratungsstellen/st-augustin/schwangerschaftsabbruch.pdf ).

[7] Jochen Müller, Religion und Strafrecht – Christliche Einflüsse auf Normenbestand, Dogmatik und Argumentationsstrukturen des deutschen Strafrechts, 2008, 144.