Anonyme Spermien?

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat im Februar entschieden, dass eine Klägerin, die mittels einer künstlichen Befruchtung mit anonym gespendeten Samen gezeugt wurde, gegenüber dem behandelnden Arzt einen Anspruch auf Kenntnis ihrer „genetischen Abstammung“ – also die Identität des Spenders – hat (Az.: 14 U 7/12, I-14 U 7/12).
Der beklagte Arzt hatte gegenüber der heute 21jährigen Klägerin damit argumentiert, dass er mit dem Samenspender – und den Eltern der Klägerin – damals einen Vertrag geschlossen habe, der dem Spender Anonymität zusicherte. Das OLG hielt diesen Vertrag für einen sogenannten Vertrag zu Lasten Dritter, der unwirksam sei. Zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und zur Menschenwürde gehöre auch ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung, in dem die eigene Persönlichkeit gewahrt und entwickelt werden könne.
Für diese Entwicklung der eigenen Persönlichkeit aber sei es auch notwendig, die eigene Abstammung zu kennen. Diese Kenntnis ist somit Teil des Persönlichkeitsrechts. Die Persönlichkeitsrechte des Spenders müssten dahinter zurücktreten. Außerdem hätten sich sowohl der Samenspender als auch der Arzt auf ein mögliches Auskunftsverlangen des gezeugten Kindes einstellen können, auch weil schon zum damaligen Zeitpunkt die Behandlungsrichtlinien der Ärztekammer besagten, dass Ärzt_innen den Samenspendern keine Anonymität zusichern könnten. Das Landgericht Essen sah dies noch anders. Laut OLG sei auch ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht durch Offenbarung des Spenders ausgeschlossen, da die Klägerin einen Anspruch auf die entsprechenden Informationen habe.
Zusätzlich führte der Arzt an, dass die entsprechenden Unterlagen nicht mehr vorhanden seien – nach damaligem Recht mussten solche Dokumente nur 10 Jahre lang aufbewahrt werden. Das OLG hielt seine entsprechenden Aussagen jedoch für widersprüchlich und verurteilte ihn trotzdem zur Auskunft nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch. Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Auskunft daher nun im Rahmen der Zwangsvollstreckung durchsetzen. Wirklich neu an dieser Entscheidung ist allerdings wenig. Bereits 1989 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die „genetische Herkunft“ zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehört und seit 2007 müssen Unterlagen über Samenspender 30 Jahre lang aufbewahrt werden. Für Menschen, die vor diesen Entscheidungen durch künstliche Befruchtung mit anonymen Samenspenden gezeugt wurden, ist das Urteil, gegen das die Revision nicht zugelassen wurde, jedoch äußerst relevant.

Katharina Günther, London