Was ist drin, wenn "Biosicherheitsforschung" drauf steht?

Recherchen zu einem Versuchsfeld im gv-Gerste

In Gießen fanden von 2006 bis 2010 Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderter Gerste statt. Das Studium unzähliger Akten führt zu einem Bild, in dem für den ursprünglich kommunizierten Zweck der Biosicherheitsforschung nicht mehr viel Platz bleibt.

Weitere Infos: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/220

Stellen Sie sich vor, Sie beackern ein Feld mit Gerste, genau genommen mit Sommergerste. Nach gut einem Monat Wachstum kommt es im gesamten Bestand zu einem starken Mehltaubefall. Wenn Sie ökologische Prinzipien ignorieren, werden Sie spritzen. Die Firma BASF bietet dafür zum Beispiel Capalo an: „Durch die Kombination der drei Wirkstoffe werden relevante Pilzkrankheiten in Weizen, Gerste, Roggen und Triticale sicher und dauerhaft erfasst.“ Für konventionelle LandwirtInnen eine Option. Aber können Sie sich vorstellen, dass ein solches Vorgehen auch sinnvoll sein kann in einem Pflanzenbestand, der zu wissenschaftlichen Zwecken angelegt wurde, um das Verhalten von Pilzen auf Blattoberflächen zu beobachten?

Genau das ist aber geschehen - und zwar bei einem Freisetzungsversuch der Universität Gießen mit transgener Gerste im Jahr 2009. Dies ist nicht die einzige Merkwürdigkeit eines Experimentes, welches aus dem Förderprogramm für biologische Sicherheitsforschung der Bundesregierung finanziert wurde. Vielmehr erfüllt der gesamte Versuch grundlegende Anforderungen an landwirtschaftliche Feldversuche nicht und es ist zweifelhaft, ob die in den Förder- und Genehmigungsanträgen bezeichneten Ziele jemals verfolgt wurden. Zwar wurde im Jahr 2010 ein Abschlussbericht veröffentlicht, doch in diesem wimmelt es von Ungereimtheiten.(1)

Nach unzähligen eigenen Beobachtungen am Feld und der Auswertung etlicher hundert Seiten Unterlagen zum Versuch entsteht ein Bild, demzufolge „Biosicherheit“ ein falsches Etikett für den Freisetzungsversuch mit gentechnisch veränderter (gv) Gerste war. Statt um Umweltbegleitforschung ging es um andere Ziele. Der Trick verschaffte Zugang zu einer lukrativen Finanzquelle: Insgesamt flossen mehr als 650.000 Euro Fördergelder in die Kassen der beteiligten Universitäten - für 9,6 Quadratmeter Gerste ein nettes Zubrot.

Keine dreijährige Versuchszeit

Für landwirtschaftliche Forschungen gilt eine dreijährige Versuchszeit als methodischer Standard. Das bestätigte auch der Leiter des Freisetzungsversuches mit gv-Gerste, Karl-Heinz Kogel, Professor am Institut für Phytopathologie und Angewandte Zoologie der Universität Gießen, bei seiner Vernehmung vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken am 16. September 2013. Doch keine der drei Teiluntersuchungen, die als Teile dieses Biosicherheits-Versuches gefördert wurden, erfüllte den Standard. So sollte zum Beispiel der Einfluss der gv-Pflanzen auf Mykorrhiza-Pilze im Boden untersucht werden, aber laut Abschluss­bericht ließen sich die Ergebnisse des Jahres 2009 nicht auswerten. Zum zweiten Versuchsteil, einer epidemiologischen Studie zum Pilzbefall der Blätter der Gerste, heißt es im Abschlussbericht: „Aufgrund der Teilzerstörungen in den Jahren 2006 und 2007 wurden keine epidemiologischen Studien und keine Ertragserhebungen durchgeführt.“ Mit anderen Worten: Auswertbare Versuchsergebnisse lagen nur für das Jahr 2009 vor. Doch in diesem letzten Jahr kam es zum oben beschriebenen Einsatz eines Breitband-Fungizids mit Langzeitwirkung.(2) Die in dem Abschlussbericht von 2010 veröffentlichten Ergebnisse lassen daher kaum einen anderen Schluss zu als diesen: Sie entbehren jeder seriösen Grundlage.

Verwunderung und Spekulation

2007 erregte der Gießener Freisetzungsversuch schon früh die Aufmerksamkeit der Medien. Unbekannte hatten Kogel (und einigen Zeitungsredaktionen) kurz vor der geplanten Aussaat mitgeteilt, dass der Boden der Versuchsfläche unbrauchbar gemacht worden sei. Die Art und Weise der Beeinträchtigung der Fläche blieb zwar im Dunkeln, angesichts des Versuchsaufbaus war es jedoch sicherlich leicht möglich, eine Schwachstelle zu finden. Dazu hätte es nicht einmal eines Giftstoffes bedurft. Schon das Auftragen von Mykorrhiza-Präparaten, das heißt das Ausbringen von Pilzen, hätte gereicht. Denn auch die ForscherInnen selbst hatten dies für einen der Teilversuche vorgesehen, um die Abwehrkräfte der gv-Gerste zu testen. Geplant war dies jedoch nur auf Teilen der Fläche. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Feld tatsächlich, wie in dem anonymen Schreiben behauptet, kontaminiert und damit unbrauchbar war, war also groß. Kogels Umgang damit war entlarvend: Er ließ den Boden nicht untersuchen, sondern säte vielmehr direkt nach Bekanntwerden des Briefes aus. Er hätte den Standort in jedem Fall überprüfen müssen, um den eigenen Versuch nicht zu gefährden - insbesondere wenn es um Bodenpilze gegangen wäre.

2009 bot der Aussaatzeitpunkt Anlass für Verwunderung und Spekulationen unter Gentechnik-KritikerInnen. Wenn tatsächlich die Untersuchung der bodenbewohnenden und blattbefallenden Pilze zwei der drei Forschungsziele gewesen wären, hätten Lufttemperatur und -feuchtigkeit eine bedeutende Rolle gespielt. Diese verändern sich im Jahresverlauf erheblich, weshalb eine Aussaat sinnvoll gewesen wäre, die der Realität eines landwirtschaftlichen Betriebes ähnelt. Doch die Aussaat, von der Kogel später behauptete, seine Forschungsergebnisse gewonnen zu haben, erfolgte am 24. oder 25. Mai (unterschiedliche Angaben in den Unterlagen der Universität Gießen). Das ist für Sommergerste cirka zwei Monate später als üblich - und über einen Monat nach dem fachlich empfohlen spätesten Termin: „Wie bei allen Sommergetreide-Arten, muss auch bei der Sommergerste durch eine möglichst frühe Aussaat die ohnehin knappe Vegetationszeit ausgenutzt werden. Insbesondere die noch verfügbare Zeit unter Kurztagsbedingungen, also die Zeitspanne vom Saattermin bis etwa zum 20. April, sorgt für gute Bestockungs- und Bewurzelungsverhältnisse, als Voraussetzung für ausreichend hohe Bestandesdichten bei noch moderaten Aussaatstärken.“(3)

Zahlreiche Verstöße

Die Liste der Seltsamkeiten am Gen-Gerstenfeld umfasste aber nicht nur die Frage der Versuchsziele und deutlicher Widersprüche zu den geförderten und genehmig­ten Versuchszwecken. Die intensive Beobachtung des Feldes durch Gentechnik-KritikerInnen und Einblicke in Behördenakten ergaben zahlreiche Verstöße gegen den Genehmigungsbescheid und insbesondere die Sicherheitsauflagen. Das ist bemerkenswert, denn bei Sommergerste handelt es sich um eine relativ einfach zu handhabende Pflanze mit geringer eigener Ausbreitungstendenz. Im Einzelnen wurden folgende Probleme registriert:

•  Aufgrund der Schäden durch eine symbolische Feldbefreiung am 2. Juni 2006 wurde der Versuch circa einen Monat später vorzeitig beendet. Bei einer Begehung am 2. August 2006 protokollierte die Überwachungsbehörde (Regierungspräsidium Gießen), dass flächig Gerste neu auflaufen würde. Seitens der Universität war das nicht gemeldet worden.

•  Die Akten des Regierungspräsidiums Gießen enthalten ein Foto aus der Gießener Allgemeine, das nach der Ernte 2006 aufgenommen worden ist. Darauf sind reife Gerstenähren zu erkennen. Nach dem Genehmigungsbescheid hätten eigentlich die Ähren restlos mit der Hand abgeschnitten und abtransportiert werden müssen.

•  Im Folgejahr, am 2. September 2007 besuchten Gentechnik-KritikerInnen das abgeerntete Gerstenfeld und schossen Beweisfotos. Wieder standen auf der Fläche einzelne Pflanzen mit vollreifen Gerstenähren.

•   Im Jahr 2009 wurde das Feld mit gv-Gerste nach einer Feldbefreiung im Mai des Jahres sofort erneut angelegt. Das alte blieb, schwer beschädigt, aber noch einige Zeit bestehen, so dass zwei Felder gleichzeitig vorhanden waren. Genehmigt war aber nur eines.

• In allen Jahren wurde die Auflage, einen Mäuseschutzzaun um das Feld zu errichten, missachtet.

Biosicherheit als Deckmantel anderer Versuche?

Was geschah also in den Jahren 2006, 2007 und 2009 auf den Versuchsfeldern? Biosicherheitsforschung, wie behauptet, war mit den konkreten Abläufen auf den Feldern nicht in Einklang zu bringen. Der Verdacht, dass sie nur simuliert wurde, um Fördermittel und eine Aussaatgenehmigung zu erhalten, erhärtet sich mit Blick auf die Vorphase des Versuchs. Kogel arbeitete nämlich schon jahrelang mit gentechnisch veränderter Gerste. Umweltauswirkungen interessierten ihn dabei nicht, sondern die Entwicklung von gentechnischen Methoden - finanziert vor allem über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), in der er selbst Projektgruppenleiter war. Fast zehn Jahre vor der Freisetzung lautete der Arbeitsauftrag einer von Kogel geleiteten DFG-Arbeitsgruppe: „Ziel des Teilprojektes ist die Charakterisierung neuer Gene, die in der Gerste bei der Ausprägung der SAR nach chemischer Aktivierung gegenüber dem Mehltaupilz beteiligt sind. Die Charakterisierung dieser Gene ist Voraussetzung für ein genaues Verständnis der SAR und damit für ihre optimierte breite Anwendung. Als weitere Konsequenz dieser Arbeit werden heute nicht verfügbare Getreide-spezifische SAR Gene bzw. Promotoren bereitgestellt, die u.a. zur Erstellung von transgenen Pflanzen mit SAR Reporterfunktion verwendet werden können.“(4) Die Beschreibung deutet auf Methodenentwicklungen hin, mit deren Hilfe anschließend konkrete Produkte (gv-Pflanzen) entstehen sollen.

Knapp zwei Jahre vor Beginn der ersten Freisetzung beschloss die DFG den Start einer neuen Arbeitsgruppe, wieder unter Leitung von Kogel (5). Ungefähr zeitgleich kündigte dieser im Zuge seiner laufenden Forschungen „Freilandversuche in Kooperation mit nationalen Saatgutfirmen“ an.(6) Was ist aus den Plänen geworden? Laut Standortregister legte Kogel keine anderen Felder als die für die Biosicherheitsforschung benötigten an. Die dortigen Abläufe passten aber gar nicht zur Biosicherheitsforschung, wohl aber zu Kogels ursprünglichen Plänen. Ohnehin wirkt es wenig wahrscheinlich, dass Kogel eine jahrelange Forschung abbrach und etwas ganz anderes machte, was vorher nicht zu seinem Tätigkeitsspektrum gehörte. Viel wahrscheinlicher ist es deshalb, dass Kogel seine ursprünglich geplanten Versuche durchführte, aber aus finanztaktischen Gründen zunächst 2005 und dann noch­mals im Jahr 2008 Förder- und Genehmigungsanträge so stellte, dass sie in das Biosicherheitsprogramm passten. Das bietet eine Erklärung für den seltsamen Verlauf der Versuche. Denn wenn es nicht um Pilze, sondern um Methodenentwicklung ging, schaffen verspätete Aussaat, verunreinigter Boden und vor allem der Einsatz eines Breitband-Fungizids keine Probleme. Dazu passt, dass Professor Kogel am 26. Mai 2009 ein Patent unter dem Titel „Novel Nucleic Acid Sequences and their Use in Methods for Achieving Pathogen Resistance in Plants“ (US 200901 65173) anmeldete.

Transparenz verweigert - doch genau recherchiert

Das Gießener Feld mit der gentechnisch veränderten Gerste gehört hinsichtlich seiner Vorgeschichte, seines Verlaufs und der bei verschiedenen Behörden entstandenen Akten zu den in Deutschland am besten dokumentierten Freisetzungsversuchen im Biosicherheitsprogramm der Bundesregierung. Das liegt nicht an der - eigentlich gesetzlich vorgeschriebenen - Transpa­renz staatlichen Umwelthandelns, denn diese wurde und wird überwiegend verweigert. Selbst eindeutige Gerichtsurteile helfen wenig. So verweigerten die Fördermittelstelle und einige Universitäten die Einsichtnahme in ihre Stellungnahmen zum Gießener Versuch. Ihre unter dem Etikett „Biosicherheit“ laufenden Forschungen handhabten diese Institutionen wie Betriebsgeheimnisse. Es seien „neue Verfahren der qualitativen und quantitativen Analytik entwickelt“ worden, schrieb beispielsweise die Universität Trier am 14. August 2013 - ein Hinweis, dass das Gerstenfeld kein Einzelfall war, sondern es auch bei anderen Feldern, die als Umweltbegleitforschung deklariert wurden, um Verfahrens- und Produktentwicklung ging.

Dass die Dokumentation des Gen-Gerstenversuchs so gut ist, ist eigenen Beobachtungen und Aktenrecherchen sowie einer Reihe von Gerichtsprozessen zu verdanken: Neben einer Verwaltungsklage gegen die Genehmigung des Versuches im Jahre 2009 brachten ein Strafprozess gegen Feldbefreier aus dem Jahr 2006 und ein Zivilprozess um kritische Veröffentlichungen über die Gentechnik-Seilschaften und ihre Finanzgebaren umfangreiche Akteneinsicht.

Damit wurde das Gerstenfeld zum wichtigsten Zeugnis einer offensichtlichen Abweichung von den in Förder- und Genehmigungsanträgen angekündigten Zielen und der Durchführung der Versuche. Dass dies kein Einzelfall war und ist, lassen Beobachtungen an und Akteneinsichten zu anderen Versuchsfeldern vermuten. Es ist Zeit, das Biosicherheitsprogramm offiziell unter die Lupe zu nehmen - und zwar bevor mögliche Betrügereien schlicht verjährt sind.

Jörg Bergstedt ist seit Jahren Aktivist und Autor. Neben der Agro-Gentechnik interessieren ihn unter anderem weitere Umwelt-relevante Themen und allgemeine Herrschaftsfragen.

Fußnoten:

(1) Kogel, Karl-Heinz: „Schlussbericht BMBF-Verbundprojekt Förderkennzeichen: 03 13282A“ vom 20.01.11 (www.projektwerkstatt.de oder www.kurzlink.de/gid220_x).

(2) 2008 wurde keine Freisetzung durchgeführt. „Es erfolgte eine Besetzung und Verwüstung der Freilandflächen.“ (Schlussbericht, Seite 14; siehe Fußnote 1).

(3) Quelle: Anbautipps der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

(4) Offizielles Kürzel des Projektes: FOR 343. SAR = „Systemisch Aktivierte Resistenz“; siehe dazu auch auf den Seiten der DFG unter www.dfg.de oder www.kurzlink.de/gid220_w.

(5) Offizielles Kürzel des Projekts FOR 666.

(6) Spiegel der Forschung, Nov. 2004, S. 85.