„Es geht einfach um alles“

 

Bei TTIP geht es leider längst nicht nur um Chlorhühner. LEA SUSEMICHEL fragte ALEXANDRA STRICKNER, Obfrau von Attac Österreich, nach weiteren befürchteten Auswirkungen des Abkommens, insbesondere auf Frauen. Und danach, wie es noch zu verhindern ist.

 

an.schläge: BefürworterInnen des TTIP, des „Transatlantic Trade and Invest- ment Partnership“, argumentieren mit Wirtschaftsaufschwung und mehr Arbeitsplätzen. Doch andere Freihandelsabkommen wie das Nordamerikanische Freihandelsab- kommen (NAFTA) zwischen Mexiko, Kanada und den USA zeigen, dass sie der breiten Bevölkerung keines- wegs mehr Wohlstand bringen, neben vielen anderen verheerenden Auswir- kungen, die NAFTA außerdem hat. Was erwarten Sie diesbezüglich für Europa?

Alexandra Stricker: Die BefürworterInnen von TTIP in Europa – allen voran die Europäische Kommission und die Regierungen der Mitglieds- staaten –, die diese Argumente für das Abkommen vorbringen, tun dies auf sehr dünnem Eis. Ein Blick auf die vorgelegten Studien zeigt, dass die positiven wirtschaftlichen Effekte von TTIP kaum vorhanden sind. Es wird ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von jährlich 0,05 Prozent vorhergesagt und rund 400.000 neue Arbeitsplätze sollen EU-weit in den ersten 15 Jahren nach Umsetzung des Abkommens entstehen. Doch diese Studien rechnen allesamt nicht die möglichen Kosten eines Abkommens ein. Bei derzeit schon rund 26 Millionen Arbeitslosen in Europa und dem Wissen darum, dass TTIP ein Deregulierungsabkommen ist (der Güterhandel ist zwischen den USA und der EU ja bereits weitestgehend liberalisiert) erwarten wir für Europa eine Verschärfung des Trends zu prekären und atypischen Erwerbsarbeitsformen – denn die europäischen Arbeitge- berInnen werden dort, wo es möglich ist, die Abwanderungskeule schwingen, um damit schlechtere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

In einem Positionspapier warnt WIDE (das entwicklungspolitische Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven) davor, dass es sich bei TTIP um ein großes Umverteilungsprojekt zugunsten großer Konzerne handle, das vor allem zulasten von Frauen ginge.Was sind geschlechtsspezifische Aspekte und Auswirkungen von TTIP?

TTIP an sich ist ein großes Umverteilungsprojekt zugunsten großer Konzerne und des einen Prozents zulasten der restlichen 99 Prozent in Europa und
in den USA. Wirft man einen Blick auf die Liste derer, die dem einen Prozent angehören, so findet man dort verhältnismäßig wenige Frauen, daher kann ich diesem Urteil durchaus zustimmen. Über die möglichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen von TTIP lässt sich auf der Basis der bisher durchgesickerten Verhandlungsdokumente sagen: Der gesamte Dienstleistungssektor soll Teil des TTIP-Abkommens werden, mit dem Ziel, bestehende Liberalisierungen z.B. im Bereich Energie, öffentlichem Verkehr, Pflege etc. festzuschreiben. Gegenwärtig wird diskutiert, dass per se alle Dienstleistungssektoren dem Abkommen unterworfen werden sollen, bis auf jene, die man explizit ausnimmt. Es gibt jedoch keine klare Ausnahme öffentlicher Dienstleistungen. Gerade Frauen sind aber auf eine Vielzahl öffentlicher Dienstleistungen angewiesen oder nutzen diese mehr als Männer – z.B. Kinderbetreuung, Öffis etc. Wir befürchten, dass mit TTIP nicht nur bestehende Liberalisierungen festgeschrieben werden und daher in Zukunft schwer rückgängig gemacht werden können, sondern das Tor für weitere Liberalisierungen bis hin zu Privatisierungen noch weiter geöffnet wird. Denn das Ziel der Konzerne ist es ganz klar, Bildung, Gesundheit, kommunale Dienstleistungen, die Wasservorsorgung, Pflege und vieles mehr zu privatisieren. Sofern Dienstleistungsbereiche, in denen vor allem Frauen überproportional tätig sind – wie z.B. Pflege oder Kinderbetreuung –, privatisiert werden, bedeutet das eine weitere Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse. Denn Profite für Privatunternehmen werden durch höhere Preise für jene, die die Dienstleistung kaufen, und geringere Löhne oder schlechtere Sozialleistungen für jene, die die Leistung erbringen, erzeugt.

Das mittlerweile berühmte Chlorhuhn steht stellvertretend für eine generelle Aufweichung von Konsu- mentInnenrechten.Welche Standards stehen sonst noch auf dem Spiel?

Standards bzw. gesetzliche Vorgaben zur Herstellung von Produkten oder Dienstleistungen gibt es nicht nur in der Landwirtschaft, sondern überall – z.B. für die Herstellung von Kinderspielzeug, Maschinen, Kosmetika, in der Hotellerie, in der Industrie etc. Wenn also deren Angleichung das erklärte Ziel der TTIP-Verhandlungen ist, dann geht es einfach um alles: um die Frage, welche Chemikalien zur Erzeugung von Produkten verwendet werden dürfen, um Kennzeichnungsregeln (z.B. ob Gentechnik ausgewiesen wird oder nicht) und es geht z.B. auch um Finanzmarktregulierung – welche Finanzprodukte müssen wie zugelassen werden und welche Einschränkungen gibt es etc. Das sind nur einige Beispiele einer unendlich langen Liste.

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TTIP will Unternehmen künftig Klagen vor Schiedsgerichten einräumen. Was ist das Problematische daran? Und welche Präzedenzfälle gibt es hier?

In TTIP soll – so wie im fast fertig verhandelten Abkommen EU-Kanada – auch die Möglichkeit festgeschrieben werden, dass Unternehmen Staaten klagen können, sofern sie sich ungerecht behandelt oder indirekt enteignet sehen. Dieses Instrument der Investor-Staats-Klagerechte gibt es bereits seit Längerem und wurde u.a. von vielen westeuropäischen Ländern aber auch den USA in bilaterale Investitionsabkommen mit Ländern im globalen Süden festgeschrieben. Auch in der Nordamerikanischen Freihandelszone gibt es dieses Instrument. Es sieht vor, dass Unternehmen Staaten klagen können und diese Klage dann vor einem internationalen Schiedsgericht verhandelt wird. Dieses besteht aus drei Personen, die von der klagenden und geklagten Partei benannt werden. Sie alleine fällen ein Urteil, gegen das keine Berufung eingelegt werden kann. Bisher waren diese Verfahren weder öffentlich noch konnten andere Parteien Stellung beziehen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass immer mehr Konzerne dieses Instrument nutzen, um gegen Umwelt- oder Sozialgesetzgebung zu klagen, die ihre Profitmöglichkeiten schmälert. So hat z.B. Vattenfall Deutschland auf rund 3,7 Mrd. Euro Schadenersatz für die Entscheidung aus der Atomkraft auszusteigen geklagt. Veolia hat Ägypten für die Erhöhung des Mindestlohns geklagt. Diese Klagen sind noch anhängig. Attac und vielen anderen Bewegungen und NGOs lehnen das Investor-Staats- Klagerecht für Staaten generell ab, da es ein Rechtssystem außerhalb bestehender Rechtssysteme schafft und somit v.a. für transnational agierende Unternehmen die Möglichkeit schafft, ihr privates Investitionsrisiko auf die Öffentlichkeit zu abzuwälzen und auch ihre Profitinteressen über andere gesellschaftliche Interessen zu stellen.

Der Widerstand gegen TTIP wächst. Doch welche realen Chancen gibt es noch,TTIP zu stoppen oder zumindest in dieser Form zu verhindern? Und welche Möglichkeiten wirkungsvollen Protestes gibt es konkret?

Die TTIP-Verhandlungen haben erst letztes Jahr begonnen, und seitdem ist bereits ordentlich viel Sand ins Getriebe gekommen. Das ursprüngliche Ziel war es, die Verhandlungen bereits 2014 abzuschließen. Anfang Februar sah sich EU-Handelskommissar De Gucht aufgrund der immer lauter werdenden Kritik veranlasst, das Instru- ment der Investor-Staats-Klagerechte aus den Verhandlungen rauszunehmen und eine öffentliche Anhörung zu machen, die gegenwärtig gerade läuft. Je mehr Menschen und Organisationen von TTIP wissen, je mehr Aspekte des Abkommens diskutiert werden, je stärker der Druck wird, die Verhandlungsdokumente zu veröffentlichen, desto schwieriger wird es für die Befürworter des Abkommens ihre Geschichte über die schöne neue Welt mit TTIP zu erzählen. Bereits jetzt argumentiert die EU-Kommission schon nicht mehr mit den positiven wirtschaftlichen Auswirkungen des Abkommens, weil das ins Leere läuft. Wirkungsvoller Protest braucht viele Elemente, eines davon ist, alternative und kritische Informationen zugänglich zu machen und andere Menschen über das Abkommen und seine Auswirkungen zu informieren. Ein anderes ist, sich aktiv an Aktionstagen oder Aktionen, die an Abgeordnete oder politische Vertreter gerichtet sind, sich zu beteiligen. Wir sind natürlich auch vernetzt mit anderen Akteuren in Europa und den USA, um hier gemeinsam daran zu arbeiten, dass unser Ziel „TTIP stoppen“ wahr wird.