Weiter mit OHNE Gentechnik

Interview mit Alexander Hissting

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) hat im Frühjahr dieses Jahres bekannt gegeben, dass nicht mehr ausreichend gentechnikfreies Sojaschrot auf dem Markt verfügbar sei. Stimmt nicht, sagt Alexander Hissting vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik.

Interview mit Alexander Hissting

Alexander Hissting leitet die Geschäftsstelle des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). Der Verband vergibt das „Ohne GenTechnik“-Siegel, das 2009 von der damaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) vorgestellt worden war. Hissting arbeitete zuvor für die Umweltorganisation Greenpeace. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik ist im Netz unter www.ohnegentechnik.org zu finden.

 

Große Geflügelmäster wollen „aufgrund der unsicheren Versorgungslage” in Zukunft keine gentechnikfreie Soja mehr verfüttern. Was ist aus der Sicht des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik davon zu halten?

Für uns ist klar, dass es sich hierbei um ein vorgeschobenes Argument handelt. Es ist ausreichend gentechnikfreie Soja auf dem Weltmarkt zu bekommen. Wer immer gentechnikfrei füttern will, der kann das auch. In Brasilien zum Beispiel sind die Anbauzahlen für gentechnikfreie Soja in den letzten Jahren zwar prozentual gesunken. Das liegt allerdings nur daran, dass die Fläche mit gentechnisch veränderter [gv] Soja auf Grund der Ausweitung des Sojaanbaus gestiegen ist. Insgesamt ist das Volumen an gentechnikfreier Soja gleich geblieben. Manche Analysen kommen sogar zu dem Schluss, dass die Menge in diesem Jahr - im Vergleich zum Vorjahr - um zehn Prozent gestiegen ist.

Es ist eine Frage des Geldes. Gentechnikfreie Ware ist teurer, da die Mehrkosten zur Qualitätssicherung von den Betrieben getragen werden müssen, die die Gentechnik vermeiden wollen. Das ist eine der zentralen Schieflagen in dem Gentechnik-System. Am Ende kostet die Gentechnikfreiheit für den Verbraucher nicht die Welt: Acht Cent je Hähnchen - da kann sich jeder selbst ausrechnen, ob es ihm das wert ist. Ich denke, dass die Betriebe, für die der ZDG spricht, einfach nicht mehr gentechnikfrei füttern wollen.

Das eigentliche Problem liegt meines Erachtens in den hohen Verunreinigungen. Wenn ich davon ausgehe, dass die Untersuchungsergebnisse, die von der Geflügelwirtschaft vorgelegt wurden, korrekt sind, dann wäre die Kontamination der Futtermittel nach der EU-Gesetzgebung in einem Bereich angekommen, der möglicherweise nicht als technisch unvermeidbar angesehen werden kann. Die Regulierung für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel macht aber genau das zur Bedingung. Die Werte müssen nicht notwendigerweise über dem Grenzwert von 0,9 Prozent liegen. Die Unternehmen nehmen ihre Probleme mit den Verunreinigungen aber nicht zum Anlass, sich der Frage zu widmen, worin diese begründet sind. Sie steigen jetzt einfach aus der Gentechnikfreiheit aus.

 

Gleichzeitig gibt es ja glücklicherweise auf der Anbieter-, wie auf der Abnehmerseite Unternehmen und andere Akteure, die die Gentechnikfreiheit vom Anbau in Südamerika bis zur Verfütterung hier in Deutschland beziehungsweise Europa gewährleisten.

Genau. Wir haben zum Beispiel gerade neue Zahlen vorliegen, wo mehr als achtzig Proben aus drei Futtermühlen ausgewertet wurden. Darin finden wir einen durchschnittlichen Verunreinigungswert von 0,10 Prozent. Der absolute Höchstwert in dem betreffenden Zeitraum von vier Jahren betrug 0,39 Prozent. In der Geflügelbranche wären einige Unternehmen glücklich, wenn ihr Durchschnittswert auf diesem Niveau läge. Unser Standpunkt ist in dieser Sache völlig klar: Die hohen Verunreinigungen rühren daher, dass die Unternehmen ihr Sojaschrot aus den falschen Quellen beziehen.(1) Wichtig ist, dass man auf jeder Verarbeitungsstufe, vom Saatgut bis zur Mischung des Sojaschrotes mit anderen Futtermittelbestandteilen in Deutschland die Gentechnikfreiheit anstrebt und nicht das Einhalten des Grenzwertes von 0,9 Prozent. Nur dann kann man am Ende für sich den Grenzwert von 0,9 Prozent für technisch unvermeidbare Verschleppungen in Anspruch nehmen. Das haben viele Futtermittelhersteller und die Unternehmen, die jetzt das Ende ihrer gentechnikfreien Produktion angekündigt haben, über Jahre nicht verstanden. Mittlerweile schauen aber die Qualitätsmanager der Lebensmittelhersteller, die ihre Produkte mit dem Ohne GenTechnik-Siegel kennzeichnen, genauer hin - allen voran in der Molkereibranche. Im Falle einer Futtermittel-Lieferung mit einer bestimmten Kontamination lassen sich diese unterschreiben, dass die Verunreinigung zufällig oder technisch nicht zu vermeiden ist. Somit fällt die Verantwortung im Falle der Kontrolle auf den Lieferanten zurück.

Überraschenderweise ist es in der Geflügel-Branche aber zum Teil folgendermaßen: Obwohl ein bestimmter Lieferant immer wieder Futtermittel mit hohen beziehungsweise zu hohen Verunreinigungen geliefert hat, wird er nicht gegen einen anderen Lieferanten, der nachweislich gentechnikfreie Ware liefern kann, ausgewechselt. Da es jedoch eben auch die Futtermittel-Lieferanten gibt, die gentechnikfreie Qualität liefern können, wird umso deutlicher, dass viele Unternehmen, die jetzt ihren Rückzug angekündigt haben, einfach nicht mehr wollen.

 

Wer genau hat jetzt seinen Rückzug von der gentechnikfreien Fütterung erklärt?

Zunächst hat der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft versucht, den Eindruck zu erwecken, dass er für die gesamte Geflügelbranche - Mast- und Legebetriebe - in Deutschland spreche. Dies ist aber bei Weitem nicht der Fall. Bei den Eier-Produzenten hat der größte Vermarkter in Deutschland, die Deutsche Frühstücksei, frühzeitig deutlich gemacht, dass sie an ihrem Gentechnikfrei-Programm festhalten wird. Bei der Mast hat zum Beispiel Stolle, heute Plukon Deutschland und seinerseits einer der fünf Großen in diesem Zweig der Branche, Gleiches gesagt.

Ausgestiegen sind unter anderem die beiden ganz großen Unternehmensgruppen der Geflügelmast, PHW [Wiesenhof] und Rothkötter - die beiden verfügen zusammen in Deutschland über einen Marktanteil von 70 bis75 Prozent beim Hähnchenfleisch. Bei derartig hoher Marktkonzentration ist es auch für die sonst selbst sehr mächtigen Handelsunternehmen wie zum Beispiel Lidl oder Aldi schwer, ohne diese beiden Lieferanten zu arbeiten. Sie können nicht einfach ausgelistet, das heißt aus dem Programm gestrichen werden - jedenfalls nicht komplett.

Bei den Eiern sieht es besser aus: Dort gibt es mehrere Unternehmen, die die Gentechnikfreiheit aufrechterhalten wollen. In der Folge liegen eigentlich allen großen Supermarktketten wieder schriftliche Bestätigungen von allen ihren Eier-Lieferanten vor, dass diese getechnikfrei produzieren. Unseres Wissens war der Lebensmitteleinzelhandel in die Vorbereitungen des Ausstiegs aus der Gentechnikfreiheit nicht einbezogen worden. Entsprechend war er wohl - wie man so sagt - not amused. Schließlich sind es größtenteils die Supermärkte, die den Unmut der Verbraucher und den Protest der Nichtregierungsorganisationen abbekommen.

 

Was bedeutet die Entwicklung für die Branche aus Ihrer Sicht?

Ich nehme die aktuellen Bewegungen als sehr spannend wahr. In der Vergangenheit war es so, dass große Teile der Branche einfach bei der gentechnikfreien Fütterung mitgemacht haben. Viele, wie zum Beispiel Wiesenhof, waren ja schon seit mehr als zehn Jahren dabei. Gleichzeitig war das nie - um diesen Begriff hier zu bemühen - eine große Leidenschaft. Wiesenhof hat die eigene Ware, die Hähnchen, nie gekennzeichnet, sondern sich selbst vor allem aus der Schusslinie für öffentliche Kampagnen genommen.

Jetzt kommt Dynamik in die Geschichte und ich erwarte, dass sich die Branche differenzieren wird. Diese Erwartung bezieht sich zunächst auf die Geflügelbranche, hier aber auf die Mast und die Produktion von Eiern. Vielleicht breitet sich diese Dynamik auch in andere Bereiche aus. Das heißt, dass der Handel sich öffnen könnte für das Thema Kennzeichnung von tierischen Produkten, bei deren Herstellung gentechnikfreie Futtermittel zum Einsatz gekommen sind. Bisher liegt das Hauptaugenmerk des Handels eher darauf, dass die Fütterung gentechnikfrei ist; eine entsprechende Kennzeichnung wurde nicht offensiv betrieben.

Wenn ich den Debatten der letzten Wochen etwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es sicherlich die Tatsache, dass der ZDG mit seiner Ankündigung die Diskussionen über gentechnikfreie Fütterung und die entsprechende Kennzeichnung wieder neu in die Medien gebracht hat. In der Folge setzen sich die produzierenden Unternehmen und die Händler wieder mit diesen Fragen auseinander und positionieren sich auch.

 

Wir haben jetzt viel über die Geflügelbranche gesprochen. Wie sieht es in anderen Segmenten, zum Beispiel in der Schweineaufzucht oder bei den Milchprodukten aus?

Bei der Schweinemast gibt es keine großen Fortschritte. Wir haben ein paar kleine, konventionell wirtschaftende Betriebe, die gentechnikfrei füttern und auch das Ohne GenTechnik-Siegel zur Kennzeichnung nutzen, aber wirklich voran geht es da nicht. Insgesamt bleiben wir bei Produkten vom Schwein unter einem Prozent Marktanteil. Im Vergleich zu der Geflügelbranche, wo es eine sehr integrierte Struktur der verschiedenen Ebenen gibt - Mast, Verarbeitung und Futtermittelherstellung liegen sehr nah beieinander, oft in einer Hand - ist die Branche bei der Mast von Schweinen deutlich stärker auf verschiedene Akteure verteilt. Bei der Produktion von Geflügelfleisch ist es zum Beispiel nicht selten so, dass derjenige, der die Hähnchenbrust vermarktet, bestimmt, welches Futter in den Trog kommt. PHW/Wiesenhof zum Beispiel kauft das Sojaschrot selbst in Brasilien ein. Die Unternehmensgruppe hat eigene Mischfutterwerke und die Mäster müssen das Futter aus diesen Werken verwenden. Ich möchte nicht missverstanden werden: Die Integration und Konzentration in der Geflügelbranche wirft eine Reihe anderer Fragen auf, aber für die Umsetzung der gentechnikfreien Fütterung ist sie im Grunde von Vorteil.

Im Bereich von Mast und Verarbeitung von Schweinen ist das eher die Ausnahme. Der einzelne Mastbetrieb kann in der Regel relativ frei entscheiden, von wo er sein Futter bezieht und an wen er seine Tiere liefert. Hinzu kommt, dass ein Schwein in viele verschiedene Teile zerlegt wird und diese Teile auf sehr unterschiedlichen Wegen vermarktet werden. Doch selbst wenn es gelingt, eine Vermarktung für Filet und Kotelett aus gentechnikfreier Produktion zu entwickeln, ist es oft nicht möglich, auch den Rest mit einem Bonus an den Mann oder die Frau zu bringen. Das heißt, ich muss den Bonus aus nur einem Teil des Tieres generieren, habe aber natürlich das ganze Tier gentechnikfrei - mit den entsprechend höheren Kosten - gefüttert.

 

In letzter Zeit ist immer wieder von Soja aus europäischer Produktion die Rede. Unter dem Label „Donau-Soja“ (2) ist ein neuer Akteur auf den Markt gekommen, der sich nicht nur der Frage „Verwenden wir Gentechnik-Saatgut oder nicht?“ annimmt, sondern auch andere problematische Aspekte der Sojaproduktion beziehungsweise des globalen Sojahandels berücksichtigt.

Der Verein ist wirklich ein Phänomen. Dafür dass es ihn erst seit etwa zwei Jahren gibt, haben seine Mitglieder - allen voran der Vorsitzende Matthias Krön - enorm viel vorangebracht. Für dieses Jahr rechnet der Verein bereits mit 200.000 Tonnen Soja, die nach dem Standard des Vereins produziert und zertifiziert sein werden. Im letzten Jahr war das für Donau-Soja geeignete Soja-Saatgut ausverkauft.

Der Preis liegt zwar über dem der Ware aus Südamerika, dafür gibt es aber - neben der Gentechnikfreiheit - den emotionalen Mehrwert durch die Gewissheit, den tropischen Regenwald in Südamerika nicht zu gefährden und es gibt die kurzen Transportwege innerhalb Europas, was ja gerade vor dem Hintergrund des Klimaschutzes an Bedeutung gewinnt beziehungsweise gewinnen muss.(3) Hinzu kommen die Arbeitsplätze in der Verarbeitung der Soja - das ist eine wirklich gute Sache.

Innerhalb der Produktion und Vermarktung ist es nun wichtig, dass Verarbeitungs-Infrastrukturen - zum Teil wieder - aufgebaut werden müssen, aber für die Zukunft gibt es hier allen Grund, optimistisch zu sein.

 

Vielleicht noch ein Wort zu dem drohenden Anbau von gentechnisch verändertem Mais. Die EU-Kommission hat ja angekündigt, den gv-Mais 1507 möglichst bald zuzulassen. Inwieweit wären die Mitglieder Ihres Verbandes von dem Anbau des 1507-Mais betroffen?

Wir sind sehr alarmiert, dass es mit dem 1507-Mais möglicherweise schon bald eine weitere gentechnisch veränderte Maissorte für den Anbau und die Verfütterung in der Europäischen Union geben könnte. Wir haben sehr, sehr viele Nutzer des Ohne GenTechnik-Siegels im Molkereibereich. Und genau in diesem Bereich wird Mais zum Großteil als Futtermittel eingesetzt. Der Anbau eines gv-Mais kann entsprechend zu - zum Teil deutlich - erhöhten Qualitätssicherungskosten führen - womit wir wieder an dem zuvor genannten Punkt wären, dass immer diejenigen, die die Gentechnik nicht wollen, unter ihr zu leiden haben beziehungsweise die Mehrkosten tragen müssen.

 

Herr Hissting, herzlichen Dank für das Gespräch und weiter viel Erfolg.

 

Das Interview führte Christof Potthof.

 

Fußnoten:

(1)  Der internationale Sojamarkt (in Richtung Europa) hat sich in der jüngeren Vergangenheit insofern verändert, als dass die Sojabohnen mittlerweile eher in Südamerika zu Sojaschrot und Sojaöl verarbeitet werden. Hintergrund ist, dass die beiden Zwischenprodukte so unmittelbar in verschiedenen Regionen der Welt genutzt werden. Das hat dazu geführt, dass die entsprechenden Verarbeitungskapazitäten auf europäischer Seite deutlich abgenommen haben.

(2)  Donau-Soja - unter diesem Titel entwickelt ein Verein seit Anfang 2012 den Anbau und die Vermarktung von gentechnikfreier Soja aus Europa, insbesondere aus Südosteuropa; im Netz zu finden unter www.donausoja.org.

(3)  In einer Darstellung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft heißt es, dass sich durch die Umstellung auf regional produziertes Soja die CO2-Emissionen von 1 Kilo produzierten Schweinefleisch um etwa 50 Prozent auf 1,8 Kilo CO reduzieren würden. Im Netz unter www.lfl.bayern.de oder www.kurzlink.de/gid224_w.