Welche Zahlen in wessen Interesse?

Weltweiter Anbau von Gentech-Pflanzen in der Statistik

Die Entwicklung der Agro-Gentechnik wird von Seiten der Industrie - und von Seiten der beteiligten WissenschaftlerInnen - gerne als Erfolgsgeschichte erzählt. Was steckt dahinter?

---   Zum GID-Schwerpunkt "Agro-Gentechnik" siehe  www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/228

2014 wurden etwa 180 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche mit gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen bewirtschaftet. Zweifelsfrei ein Wert, der als solcher geeignet ist zu beeindrucken. Er stammt aus dem aktuellen - am 28. Januar dieses Jahres erschienenen - Bericht der Biotech-Lobbygruppe International Service for the Acquisition of Agri-Biotech Applications (deutsch etwa: Internationaler Service für die Annahme der Agro-Gentechnik - ISAAA). Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen insgesamt von einer weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche von etwa 1,5 Milliarden Hektar aus. Das heißt, dass 12 Prozent dieser Fläche im Jahr 2014 mit gv-Pflanzen bestellt wurden.(1)

Der ISAAA hat eine Art Monopol auf die globalen Daten der Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen. Das gibt der Organisation eine erhebliche Macht darüber, wie die Geschichte der Verbreitung der Gentechnik erzählt wird. Dies ist um so mehr von Bedeutung, da er gleichzeitig von der Agrarindustrie finanziert wird. Grund genug, diesem Datenmonopol ein Stück auf den Grund zu gehen.

Der ISAAA publiziert auch andere Berichte, die meisten haben in der ein oder anderen Art aktuelle Fragen der Agro-Gentechnik zum Thema. Zuletzt, im Sommer des vergangenen Jahres, erschien zum Beispiel ein Bericht über gentechnisch veränderte Auberginen in Bangladesch. Damit ist es allerdings nicht getan. Wie GID-Redakteur Christof Potthof zeigt, ist der ISAAA ein Netzwerk ohne Mitglieder, das sich in verschiedensten Projekten engagiert. Ausbildung und Stipendien, Informationsarbeit und die Entwicklung von gentechnisch veränderten Pflanzen - der ISAAA ist an all dem beteiligt; immer, um die Verbreitung der gv-Pflanzen zu fördern.

Nur die halbe Wahrheit

Taarini Chopra vom Kanadischen Biotechnologie Aktions-Netzwerk hat genauer in die Berichte des ISAAA geschaut. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Organisation mit ihrem alljährlich erscheinenden Global Status of Commercialized Biotech/GM Crops-Bericht nur die halbe Wahrheit erzählt.

Am Beispiel der bekanntesten Darstellung der alljährlich veröffentlichten Daten zeigt die GID-Redaktion, wie der ISAAA vorgeht. Über die Jahre ist eine Art Ikonografie entstanden, deren symbolhafte Bedeutung den Informationswert - vermutlich bei weitem - übersteigt.

Farida Akhter von der Organisation Ubinig in Bangladesch lässt in ihrer Darstellung kein gutes Haar an dem Verfahren zur Zulassung gentechnisch veränderter Auberginen in dem Land beziehungsweise an den Pflanzen selbst. Obwohl die Ergebnisse eines Anbaus im vergangenen Jahr, wie Akhter darstellt, weitgehend enttäuscht haben, plant die Regierung nun, die Kommerzialisierung weiter auszubauen: Waren 2014 gerade mal 20 LandwirtInnen beteiligt, soll ihre Zahl in diesem Jahr auf etwa 100 steigen. Allerdings ist die Entscheidung für diese Ausweitung auf der Basis einer falschen Analyse gefällt worden. Demgegenüber feiert der ISAAA die Zulassung der gv-Aubergine als „historisch“ - warum nur?

Über die Situation in Afrika berichtet die internationale Sektion der Umweltorganisation Friends of the Earth. Dort ist die Verbreitung der kommerzialisierten Agro-Gentechnik auf drei Länder beschränkt. Für Aufmerksamkeit sorgt das Projekt WEMA, das gentechnisch veränderten Mais entwickeln soll, der über eine verbesserte Toleranz gegenüber Trockenheit verfügt. An diesem sind auch die Gentech-Konzerne Monsanto und BASF beteiligt. Sie sind nicht ganz unschuldig daran, dass im Rahmen von WEMA sehr restriktiv mit den Rechten auf geistiges Eigentum umgegangen wird.

An WEMA wiederum ist auch der ISAAA beteiligt. Wie es in einer Broschüre zum Projekt heißt, als „strategischer Partner“; gemeinsam in einer Reihe mit AfricaBio, einer Vertretung der Biotech-Industrie auf dem Kontinent und der „Biotech Initiative“ Open Forum for Agricultural Biotechnology.(2)

Freisetzungsversuche in der EU

In den Recherchen von Anne Bundschuh, GID-Redakteurin und GeN-Mitarbeiterin, war der ISAAA nicht beteiligt. Bundschuh hat die Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen untersucht, die in der jüngeren Vergangenheit in der Europäischen Union stattfanden. Dabei wird deutlich, dass zwar die Aktivitäten der Gentech-Konzerne zurückgegangen, öffentliche Institutionen aber durchaus am Ball geblieben sind. Im vergangenen Jahr meldeten sie erstmals in den letzten Jahren mehr Freisetzungen an als die Konzerne.

Mathematische Spitzfindigkeiten und die Funktionsweise der Wissenschaft

Nicht im Schwerpunkt, aber trotzdem mit immenser unmittelbarer Relevanz in diesem Zusammenhang: Hans-Dieter von Frieling hat eine Kritik zu einer aktuellen Publikation des Göttinger Agrarökonomen Matin Qaim (gemeinsam mit Wilhelm Klümper) geschrieben. Von Frieling, in der Vergangenheit selbst an der Uni Göttingen als Wissenschaftler tätig, hat genug Selbstbewusstsein, um Qaim und Klümper nicht in die letzten Winkel der mathematischen Spitzfindigkeiten zu folgen. Neben seiner konkreten Kritik an der Datenauswahl und -darstellung stellt von Frieling auch grundsätzliche Fragen über die Funktionsweise der Wissenschaft zur Diskussion, zum Beispiel, inwieweit deren Methoden in der Lage sind, die Wirklichkeit zu erfassen.

Dass von Frielings Text und die Publikation von Qaim und Klümper im Zusammenhang mit unserem Titelthema stehen, bestätigt auch der ISAAA in seinem jüngsten Bericht. Schon auf Seite 2 der Zusammenfassung findet die Publikation ihre Erwähnung - zu gut passt sie mit ihren Ergebnissen in die Erzählung des ISAAA. Die beiden kennen sich übrigens von früher. Bereits 1999 hatte der ISAAA Publikationen von Qaim herausgegeben.(3)

 

 

 

Fußnoten:

(1)            Da auf der Südhalbkugel viele Nutzpflanzen in der - kalendarisch - zweiten Jahreshälfte gepflanzt beziehungsweise gesät werden, verfährt der ISAAA nach dem Prinzip, dass die dort - zum Beispiel - im November oder Dezember ausgebrachten Pflanzen zu den Werten des Jahres 2014 gerechnet werden, auch wenn die jeweiligen Flächen zum Jahresende noch nicht geerntet worden waren.

(2)            African Agriculture Technology Foundation: Water efficient maize in Africa - Progress report (März 2008 - März 2011). Im Netz unter www.aatf-africa.org.

(3)            Zum Beispiel Matin Qaim (1999): The Economic Effects of Genetically Modified Orphan Commodities: Projections for Sweetpotatoe in Kenya. ISAAA Briefs No. 14. ISAAA, NY. Im Netz unter www.isaaa.org oder www.kurzlink.de/gid228_r.