Was bringt der IGM-Gewerkschaftstag?

Vom 18. bis 24. Oktober 2015 wird in Frankfurt der 23. Ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall stattfinden. Die Anträge für den Gewerkschaftstag liegen in einer 260-seitigen Broschüre vor. Stefan Schoppengerd hat sich wichtige Schwerpunkte herausgepickt und stellt sie uns vor.

 

Interessant verspricht die Diskussion über neue Arbeitskampfstrategien zu werden: Mehrere Anträge zielen darauf ab, eine neue »Eskalationsstufe« in Tarifauseinandersetzungen zu ermöglichen, die über das bekannte Ritual der Warnstreiks hinausgeht, aber nicht wie ein Erzwingungsstreik an die Durchführung einer Urabstimmung gebunden ist. Das könnte so aussehen: Eine Betriebsversammlung entscheidet, in einen eintägigen Warnstreik zu gehen. Wird diese Entscheidung vom IG Metall-Vorstand mitgetragen, bekommen die Streikenden – anders als beim bisherigen Warnstreik – Lohnersatz aus der Streikkasse. Ein solches Vorgehen am richtigen Punkt in den Zuliefererketten kann sehr wohl empfindliche ökonomische Wirkungen haben. Zugleich ist eine relativ unberechenbare Streikdynamik denkbar, wenn den Betriebsversammlungen ein Gutteil der Entscheidungsgewalt zugesprochen wird. Das ist sowohl den Arbeitgebern gegenüber ein kluger Zug, als auch eine sinnvolle Konsequenz aus dem Beteiligungsdiskurs innerhalb der IG Metall, weil damit ein neues demokratisches Moment in die Führung von Tarifrunden eingebaut würde. Der Leitantrag des Vorstands erwähnt diese Überlegungen immerhin als »denkbar«. Man darf also gespannt sein, wie handfest die Beschlüsse zu dieser Diskussion ausfallen.

Organisations- und tarifpolitisch deutet sich eine Fortsetzung des Kurses an, der mit der Zustimmung zum Tarifeinheitsgesetz und dem Kooperationsabkommen der Industriegewerkschaften IGM, IG BAU, IG BCE und EVG begonnen wurde. Ein Antrag des IGM-Vorstands zielt darauf, das umstrittene Konzept der »Wertschöpfungsketten« in der Satzung zu verankern. Brisanz hat das vor allem im Zusammenhang mit dem Vorhaben, die Bedeutung des DGB qua Satzungsänderung zu relativieren. DGB-Beschlüsse sollen nur noch dann Verbindlichkeit haben, wenn sie nicht der Beschlusslage der höchsten IGM-Gremien (Vorstand, Gewerkschaftstag, Beirat) widersprechen. Zugleich beinhaltet der Leitantrag zum Thema »veränderte Wertschöpfungsketten« die Absichtserklärung, einen eigenen Flächentarif für die Kontraktlogistik durchzusetzen, der zwar unterhalb des Lohnniveaus der Metall- und Elektroindustrie, aber oberhalb des branchenüblichen Niveaus liegen soll – das beträfe dann auch ver.di-Tarife in Transport und Logistik. Der neue Metall-Logistiktarif soll an die »Entgeltdynamik« der Metall- und Elektroindustrie gekoppelt werden.

Als Strategie im Umgang mit Auslagerungen und Werkvertragsvergabe ergibt sich also Folgendes: Eine grundsätzliche Ablehnung und Verhinderung traut man sich offenbar nicht zu; dennoch sollen die entsprechenden Belegschaftsteile für die IG Metall gewonnen bzw. gehalten werden. Die Verkopplung mit dem M+E-Tarif würde dazu führen, dass die Verhandlungsmacht der Kernbelegschaften auch den Beschäftigten der »industrienahen Dienstleister« zugute käme. Gleichzeitig ist die Botschaft an ver.di und den DGB: Wir können das, also machen wir das. Nicht Vereinbarungen oder Schiedsverfahren innerhalb des DGB entscheiden über Zuständigkeitsfragen, sondern unsere Macht. Etwas gebremst wird ein vergleichbares Vorgehen für das »Facility Management« (also Instandhaltungs- und Reinigungsarbeiten) angestrebt: Angesichts der schlechteren Ausgangsbedingungen sollen hier zunächst Unternehmenstarifverträge angepeilt werden, später dann Regelungen in der Fläche.

Eine ganze Reihe von Anträgen fordert – mit unterschiedlicher Schärfe – eine Wiederaufnahme konzeptioneller Überlegungen zur Konversion in der Rüstungsindustrie, teilweise verbunden mit dem Ansinnen, dazu auf Vorstandsebene Unterstützungsstrukturen für Betriebsräte zu etablieren. Dem stehen Anträge entgegen, die vor allem auf die Beschäftigungssicherung in der »wehr- und sicherheitstechnischen Industrie« abheben und allenfalls von »Diversifikation« sprechen wollen, nicht aber von einer vollständigen Umstellung der Waffenherstellung auf zivile Güter.

Darüber hinaus ist Arbeitszeitpolitik ein großes Thema. Vorstandsseitig, aber auch in mehreren Anträgen aus Verwaltungsstellen wird hier auf »Souveränität« und »Flexibilität« orientiert. Beschäftigte sollen in die Lage versetzt werden, die außerbetrieblichen Anforderungen in verschiedenen Lebensphasen besser mit den betrieblichen in Einklang zu bringen (etwa Kindererziehungszeiten, Pflegebedürftigkeit von Angehörigen, Bildungsmaßnahmen). Dafür werden vorrangig betriebliche Regelungen angestrebt. Implizit wird damit Abstand genommen von der Forderung nach allgemeiner Arbeitszeitverkürzung. Einige Anträge aus Verwaltungsstellen fordern demgegenüber die Wiederaufnahme des Ziels einer Durchsetzung der 35-Stunden-Woche und weitere Schritte zur Arbeitszeitverkürzung (s. zur Diskussion um Arbeitszeitpolitik auch den Artikel von Ingrid Kurz-Scherf in dieser Ausgabe).

 

StS