Unerträgliche Erinnerung

Die Affäre Ben Barka

in (25.12.2015)

Es war einer der größten Skandale Frankreichs und der traurige Höhepunkt der "bleiernen Jahre" in Marokko: das "Verschwinden" des marokkanischen Oppositionsführers und Freiheitskämpfers Mehdi Ben Barka am 29. Oktober 1965 in Paris. Bis heute dauern die Ermittlungen in diesem Jahrhundertfall der französischen Justiz an – bis heute wird seine Aufklärung verhindert: Frankreich weigert sich, Geheimdienstakten freizugeben, und Marokko, die Vernehmung der letzten Augenzeugen und Tatbeteiligten zuzulassen. Warum? Soll verschleiert werden, dass es der damalige marokkanische König Hassan II. höchstpersönlich war, der sich seines "Feindes Nummer eins" entledigen wollte? Und was hat Frankreich zu verbergen? Wie hoch in der Hierarchie reichten Mitwisser- und Mittäterschaft, wie tief waren kriminelle Banden, rechtsextreme Terrorgruppen und der Staatsapparat miteinander verstrickt? Und hatten auch die USA und Israel ihre Hände im Spiel?

 

An jenem Freitag vor Allerheiligen war Ben Barka von Genf aus nach Paris geflogen, um mit dem Regisseur Georges Franju über einen geplanten Film mit dem Titel "Basta!" zu sprechen, der zur Eröffnung der Trikontinentalen Konferenz in Havanna im kommenden Januar vorgeführt werden sollte. Im Mai war er zum Präsidenten des Vorbereitungskomitees dieses Gipfels der Länder und Befreiungsbewegungen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas gewählt worden. Ben Barka war es gelungen, sowohl die Sowjetunion als auch China als Unterstützer zu gewinnen. Am Samstag soll er eine Verabredung mit einem hochrangigen französischen Regierungsvertreter gehabt haben. Er nahm Quartier bei einem befreundeten Geschäftsmann und fuhr dann mit dem marokkanischen Geschichtsstudenten Thami El Azemouri, den er in das Filmprojekt einbinden wollte, mit dem Taxi zum Drugstore auf dem Boulevard Saint-Germain, einem Komplex mit Restaurant, Buchladen, Apotheke, Kino. Vor dem Drugstore, glaubte Ben Barka, würden sie sich um 12.15 Uhr treffen.

 

Das "Verschwinden"

 

Es war 12.20 Uhr, als der Polizeibeamte Louis Souchon auf Ben Barka zutrat und angab, den Auftrag zu haben, ihn zu einer Unterredung mit "Persönlichkeiten aus der Politik" zu bringen. Er wies auf einen Wagen, und ohne ein weiteres Wort an seinen Begleiter zu richten, ging Ben Barka voraus. In dem Auto warteten Antoine Lopez, Kontrolleur des französischen Geheimdienstes SDECE am Flughafen Orly, und ein Mitglied einer Gangsterbande um Georges Boucheseiche, der im Zweiten Weltkrieg für die Gestapo gearbeitet hatte und während des nordafrikanischen Unabhängigkeitskampfes für Spezialaufträge vom SDECE rekrutiert worden sein soll. Ben Barka wollte sich nochmals vergewissern, ob er tatsächlich die Polizei vor sich hatte. Ein zweiter Polizist in Zivil, der ihm die Tür öffnete, zeigte ebenfalls seine Kennmarke. Ben Barka stieg ein, möglicherweise im Glauben, der Termin vom kommenden Tag sei vorverlegt worden. Souchon, der später aussagte, für die Entführung "grünes Licht" aus dem Innenministerium erhalten zu haben, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Zurück blieb El Azemouri, so in Angst, dass er für Tage untertauchte.

Franju wartete nicht weit entfernt in der Brasserie Lipp vergeblich auf den marokkanischen Oppositionsführer, mit ihm der Journalist Philippe Bernier, ein Vertrauter Ben Barkas – und Georges Figon, Mittelsmann der Entführer. Die Idee für das Filmprojekt ging anscheinend auf Ben Barka und Bernier zurück. Sie wussten aber nicht, wie sie es verwirklichen könnten. Darauf soll Figon sich eingeschaltet und eine Lösung versprochen haben: Er kannte Marguerite Duras, die sich bereit erklärte, das Drehbuch zu schreiben, und den Kontakt zu Franju herstellte. Auch hatte Figon behauptet, die Finanzierung übernehmen zu können. Schließlich soll er Ben Barka vor dessen Abflug in Genf benachrichtigt haben, dass das Treffen nicht im Lipp, sondern im Drugstore stattfinde. Aber wer stand hinter Figon? War es einzig der marokkanische Geheimdienst – oder auch der gaullistische Abgeordnete Pierre Lemarchand, sein Mentor? Dieser hatte sich bei der Bekämpfung der rechten Terrororganisation der Algerienfranzosen OAS hervorgetan, die im SDECE ihr Standbein hatte, und soll mit Jacques Foccart zusammengearbeitet haben, zuständig im Élysée für "afrikanische Angelegenheiten", das berüchtigte "Françafrique". Als Lemarchand 2008 starb, nahm er seine Geheimnisse mit ins Grab.

Ben Barka wurde nach Fontenay-le-Vicomte 35 km außerhalb von Paris in das Haus Boucheseiches gefahren. Was danach geschah, ist ungewiss. Am Nachmittag des folgenden Tages sollen der marokkanische Innenminister Mohammed Oufkir und Sicherheitschef Ahmed Dlimi in Paris eingetroffen sein und sich nach Fontenay begeben haben. Lebte Ben Barka noch? Da er von einem früheren Attentat eine Verletzung an der Halswirbelsäule davongetragen hatte, gefährdete jede Handgreiflichkeit mit den Entführern sein Leben. Auch wurde behauptet, dass man ihn betäubte. Erlitt er dabei einen Herzinfarkt? Eine der unwahrscheinlichsten Versionen über seinen Tod ist die am weitesten verbreitete: dass er misshandelt, von Oufkir mit einem Messer gefoltert und ins Haus von Lopez nach Ormoy gebracht wurde, wo er, an einen Heizkörper gefesselt, starb. Sie fand durch einen Artikel Verbreitung, der im Januar 1966 unter dem Titel "J'ai vu tuer Ben Barka" (Ich habe gesehen, wie Ben Barka getötet wurde) in "L'Express" erschien und angeblich auf Aussagen Figons beruht. Er widerrief die Darstellung. Eine Woche später war er tot. Als Ursache benannte der "Canard enchainé": "Selbstmord durch drei tödliche Kugeln". In einem Aktenkoffer Figons fand sich eine handschriftliche Liste mit Fragen für ein Verhör Ben Barkas. Eine Analyse ergab, dass sie von Lemarchand niedergeschrieben worden war. Hatte Figon, der nach der Veröffentlichung in "L'Express" um sein Leben fürchtete, ihn zu erpressen versucht, wie Daniel Guérin vermutete?

Unklar wie die Umstände des Todes Ben Barkas ist der Verbleib seines Leichnams. Wurde er unter einer Moschee bei Paris bestattet, nach Marokko geschafft – oder nur der Kopf, nach dem die französische Justiz auf dem Gelände des ehemaligen Folterzentrums PF3 in Rabat suchen will? Half ein CIA-Agent namens "Martin", wie der frühere marokkanische Geheimdienstler Ahmed Boukhari behauptete, den Leichnam in Säure auflösen? Unzweifelhaft hatten die USA, die in jenem Jahr Bodentruppen nach Vietnam schickten und in Indonesien Suharto bei seinem Massaker an Millionen echter oder vermeintlicher "Linker" unterstützten, ein Interesse an der Ausschaltung Ben Barkas. Bis heute halten sie wie Frankreich Geheimdienstprotokolle über Ben Barka unter Verschluss.

Oder leistete der Mossad Hilfestellung und begrub den Leichnam Ben Barkas in einem Wald bei Paris? Dass der israelische Geheimdienst an der Entführung Ben Barkas beteiligt war, wurde erstmals 1966 von Maxim Ghilan und Schmol Mohr in der israelischen Zeitschrift "Bul" vertreten. Allerdings wurden sämtliche Exemplare aus dem Verkehr gezogen, bevor sie die Kioske erreichten, und die Autoren wegen Gefährdung der Staatssicherheit verurteilt – es durfte wohl keinesfalls herauskommen, dass der Mossad Hassan II für die Evakuierung der marokkanischen Juden Kopfgelder auf ein geheimes Konto in der Schweiz zahlte. Einer späteren Aussage Ghilans zufolge überwachte der Mossad Ben Barka bei seinen Reisen. Auch die Idee, ihn mit Hilfe eines Filmprojekts in eine Falle zu locken, stamme von ihm.

 

Die "bleiernen Jahre"

 

Präsident Charles de Gaulle befand sich mitten im Wahlkampf. Als größter Gegner erwies sich François Mitterrand, Kandidat der Linken, der zugleich von den Zirkeln der OAS Unterstützung erhielt. 1959 war versucht worden, Mitterrand zu diskreditieren, indem auf ihn das "Attentat de l'Observatoire" verübt wurde, von dem dann behauptet wurde, er hätte es selbst in Auftrag gegeben. Erklärte ein ähnliches Manöver, von welcher Seite auch immer, die französische Beteiligung an der Entführung Ben Barkas, den de Gaulle bereits zweimal empfangen hatte? Der General war fest von der Schuld Hassans II. überzeugt. Dieser stellte seinerseits das Verschwinden seines Staatsfeinds Nummer eins, von dem er bereits wenige Stunden später erfahren hatte, als rein französische Angelegenheit dar. Gleichzeitig wurde unter seiner Herrschaft jegliche Anspielung auf Ben Barka geradezu zum Tabu, auch wenn in den Städten des Landes Straßen nach ihm benannt sind. Diese Schizophrenie dauert bis heute fort. Anträge der französischen Justiz, im Fall Ben Barka ermitteln zu dürfen, werden nach wie vor mit Schweigen beantwortet. Doch der Gegensatz zwischen dem Königshaus und Ben Barka bestand nicht von Anfang an. Im Gegenteil waren beide einmal eng verbunden.

Der 1920 in einfachen Verhältnissen in Rabat geborene Ben Barka bestach von Kindheit an durch seine überragende Intelligenz. Als Mathematiklehrer unterrichtete er vier Jahre lang den jungen Hassan II. Er hätte ein bedeutender Wissenschaftler werden können. Aber die Mathematik war nicht seine einzige Leidenschaft. Hinzu kam eine zweite: der Kampf um die nationale Befreiung. Seit seiner Jugend politisch aktiv, war er einer der jüngsten Mitbegründer der Unabhängigkeitspartei (Istiqlal) und eng vertraut mit dem Vater Hassans II., Mohammed V., der sich hinter die Forderungen von Istiqlal stellte. Kaum war jedoch 1956 das französische und spanische Protektorat über Marokko aufgehoben, setzte er seinen Sohn als Oberkommandierenden der Königlichen Streitkräfte ein. Marokko war das einzige Land überhaupt, in dem die Befreiungsbewegung nach Erlangung der "Unabhängigkeit" nicht die Regierung übernahm. Hassan II. zur Seite stand Hauptmann Mohammed Oufkir, der von Frankreich als Adjutant an das Königshaus ausgeliehen worden war. Damit begannen zugleich die "bleiernen Jahre". Denn auf dem Land operierte immer noch die Nationale Befreiungsarmee ALN, auch die Untergrundzellen in den Städten, die Frankreich mit Attentaten und Bombenanschlägen unter Druck gesetzt hatten, existierten fort. Viele Befreiungskämpfer sahen die Errichtung des Königtums als Verrat an und wollten nicht aufgeben, bevor ganz Nordafrika vom Kolonialjoch befreit war. Hassan II. ging mit äußerster Brutalität gegen sie vor und zögerte nicht, bei ihrer Liquidierung auf die Hilfe Spaniens und Frankreichs zurückzugreifen.

Mohammed V. distanzierte sich von den Gewaltexzessen Hassans II. 1959 ernannte er eine Regierung aus Vertretern des linken Flügels der Istiqlal. Dieser geriet in Konflikt mit den Konservativen in der Partei und machte sich unter Ben Barka, seit der Unabhängigkeit Präsident des Parlaments, Mohammed "Fqih" Basri, Premierminister Abdallah Ibrahim sowie Abderrahmane Youssoufi als Nationalunion der Volkskräfte (UNFP) selbständig. Ende 1959 ließ Hassan II. die Chefredakteure der Parteizeitung "At Tahrir", Basri und Youssoufi, verhaften – wegen des Satzes, dass die Regierung dem Volk, nicht dem König verantwortlich sei. Ben Barka ging zum ersten Mal ins Exil. Noch war Hassan II. nicht König. Im Mai 1960 setzte Mohammed V. die UNFP-Regierung wieder ab und bestimmte seinen Sohn zum Regierungschef. Anfang des darauffolgenden Jahres – verstarb Mohammed V. im Alter von 52 in Folge einer harmlos scheinenden Operation. Seinem Leibarzt François Cléret zufolge hatte er vor, Hassan II. in die Schranken zu weisen und seine Ernennung zum Kronprinzen zu annullieren.

1962 kehrte Ben Barka zum zweiten Kongress der UNFP nach Marokko zurück, für den er ein Programm mit dem Titel "Die revolutionäre Option" erarbeitet hatte. Darin geißelt er den "Putsch" Hassans II. von 1960 und setzt auf die Stärke von Massenorganisationen wie der Gewerkschaften, an deren Spitze sich die UNFP stellen solle. Gegen sie könne das neokoloniale System, das sich allein auf gekaufte Eliten, repressive Staatsorgane und die Hilfe des Auslands stütze, nichts ausrichten. Veröffentlicht wurde die Schrift erst 1966 – nachdem Ben Barka sie kurz vor seiner Entführung dem Verleger Maspero eingereicht hatte. Andere UNFP-Vertreter waren bereit, Hassan II. die Hand zu reichen. Dieser ließ im November 1962 eine Verfassung per Referendum absegnen, die dem König hinter einer demokratischen Fassade absolute Vollmachten sicherte. Nicht anders steht es heute. Die UNFP, die Gewerkschaft UMT, der Studentenverband UNEM und weitere Vereinigungen hatten zum Boykott aufgerufen. Darauf wurde Ben Barka bei einem Attentatsversuch an der Wirbelsäule verletzt.

Im Mai 1963 fanden die ersten Parlamentswahlen statt. Für sie ließ Hassan II. eine königstreue Partei gründen, die FDIC – heute versieht die Partei der Authentizität und Modernität (PAM) ihre Rolle. Trotz Wahlmanipulationen kamen UNFP und Istiqlal zusammen auf 53 Prozent der Stimmen. Im Juni wurden mehrere Aktivisten der UNFP verhaftet, da sie angeblich Waffen aus einer US-Militärbasis entwenden wollten. Als dann im Juli die UNFP in Casablanca eine Versammlung abhielt, wurde das Gebäude von der Polizei umstellt. Mit der Begründung, sie hätten den Sturz des Königs vorbereitet, wurden 120 Parteimitglieder inhaftiert. Folter, Verschwindenlassen ergriffen bald das ganze Land. Ben Barka ging erneut ins Exil und kehrte nie mehr zurück. Denn im Anschluss an das "Julikomplott" brach der "Sandkrieg" mit Algerien aus, das sich seit Erlangung seiner Unabhängigkeit im Vorjahr mit marokkanischen Gebietsansprüchen konfrontiert sah. Über Radio Kairo forderte Ben Barka beide Seiten auf, den Konflikt zu beenden und auf die Einheit des Maghreb hinzuarbeiten. Dafür wurde er im November in Abwesenheit wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Ein zweites Todesurteil wurde ein Jahr später gegen ihn gefällt.

Im Dezember 1963 versuchten Marokkaner, die sich über seiner Genfer Wohnung eingemietet hatten, Ben Barka zu entführen. Er lebte fortan unter dem Schutz der algerischen Botschaft und traf für sich und seine Familie strenge Sicherheitsvorschriften. Anfang 1965 entging er in Genf einem weiteren Entführungsversuch. Gleichzeitig entfaltete er eine rege Reisetätigkeit. Im Februar traf er in Algier Che Guevara, im April sprach er in Kairo über "Die Rolle Israels in Afrika", im Mai wurde er in Accra zum Organisator der Trikontinentale ernannt. Im Juli traf er in Peking Mao Tse Tung, im September Fidel Castro in Kuba. Im Oktober wollte er nach Djakarta – und brach die Reise ab, nachdem er von dem Putsch Suhartos erfahren hatte. Auch in Marokko erreichte die Repression unerträgliche Ausmaße: Im März hatte Oufkir Studentenproteste in Casablanca zusammenschießen lassen. Die Zahl der Toten ging in die Tausende.

Hassan II. korrumpierte, wen er konnte, während er die Unkorrumpierbaren kaltstellen oder ausschalten ließ. Um seiner habhaft zu werden, wurde Ben Barka signalisiert, dass der König bereit wäre, die Todesurteile zu revidieren, und er gefahrlos zurückkehren könne. Ben Barka zögerte: Er misstraute "extremen Elementen" im Sicherheitsapparat. Hinzu kam im Mai seine Arbeit für die Trikontinentale. Die Intrige, die zu seinem Tod führte, scheint jedoch im April jenes Jahres eingefädelt worden zu sein. Damals reiste ein marokkanischer Agent namens "Chtouki" nach Paris. Lopez soll eine Arbeit für die marokkanische Fluggesellschaft RAM in Marokko versprochen worden sein, die Gangsterbande um Boucheseiche durfte dort Bordelle betreiben. "Chtouki" trat auch an Bernier heran, um ihn gegen eine hohe Summe Geldes zu bewegen, ein Treffen zwischen Ben Barka und Oufkir zu arrangieren. Bernier schlug aus. Oufkir war zu dieser Zeit ebenfalls in Paris, um mit "französischen Freunden" über Ben Barka zu sprechen. Im September stellte Bernier Ben Barka im Kairoer Hilton Figon als Produzenten des Eröffnungsfilms für die Trikontinentale vor. Am 29. Oktober 1965 wollte man sich in Paris mit Franju treffen.

 

Ohne Epilog

 

Die Trikontinentale in Kuba begann im Gedenken an Ben Barka. Die Teilnehmer verabredeten, dem Imperialismus der USA bewaffnet entgegenzutreten. "Schafft ein, zwei, viele Vietnams!", so Che Guevara in seiner Grußbotschaft. Zwar scheiterte er im Kongo und in Bolivien, wo er von der CIA ermordet wurde. Doch die kubanische Intervention in Angola führte zum Sturz des Apartheidsregimes in Südafrika. In Frankreich wurde das "Verschwinden" Ben Barkas zu dem Skandal der Fünften Republik. Nach zwei Prozessen wurde 1967 der General Oufkir als Hauptverantwortlicher in Abwesenheit schuldig gesprochen wobei die Urteilsverkündung kaum öffentlich wahrgenommen wurde, da zur gleichen Zeit der Sechstagekrieg begann. 1972 wurde Oufkir nach einem Putschversuch gegen Hassan II. erschossen. Die Gangster, die nach Marokko entkommen waren, sollen darauf im Folterzentrum PF3 ermordet und begraben worden sein. Dlimi, der sich dem Pariser Gericht gestellt hatte, wurde freigelassen. Er kam 1983 bei einem "Autounfall" ums Leben. Als 1975 die Gefahr bestand, dass die Justiz den Fall einstellte, reichte Ben Barkas Sohn Bachir erneut Klage ein. Sie wurde angenommen und ist nach wie vor offen. 2005 bestätigte sich, dass es sich bei "Chtouki", der 1967 in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, um Miloud Tounsi handelt, der heute in Rabat unweit der Avenue Ben Barka wohnt. Er hatte einen Visumsantrag beim französischen Konsulat gestellt. Ein Vergleich ergab, dass seine Handschrift mit der "Chtoukis" auf der Einreiseerklärung von 1965 übereinstimmte. 2012 musste der General Hosni Benslimane, Chef der Königlichen Gendarmerie, fluchtartig England verlassen, als er als Leiter der marokkanischen Olympiamannschaft den Spielen in London beiwohnen wollte, da gegen ihn, Tounsi und andere Zeugen und mutmaßliche Tatbeteiligte internationale Haftbefehle vorlagen. Der letzte, der sich in Sachen Ben Barka vor Gericht verantworten musste, war – Maître Buttin. Er hatte 2007 die Presse vorab von den Haftbefehlen unterrichtet, um den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zu veranlassen, bei einem Besuch bei König Mohammed VI. die Affäre Ben Barka zur Sprache zu bringen. Tounsi hatte darauf Anzeige wegen "Verletzung des Berufsgeheimnisses" erstattet. Buttin wurde freigesprochen.

Thami El Azemouri beging 1971 Selbstmord. Er konnte nicht ertragen, verdächtigt worden zu sein, Ben Barka verraten zu haben. Wann werden die Marokkaner endlich die Wahrheit erfahren über die eigene Geschichte?

 

Maurice Buttin: Hassan II – De Gaulle – Ben Barka. Ce que je sais d'eux. Karthala, Paris 2010

Zakya Daoud, Maâti Monjib: Ben Barka. Une vie, une mort. Michelon, Paris 2000

Daniel Guérin: Ben Barka, ses assassins. Préface de Gilles Perrault. Nouvelle édition complétée par des inédits. Syllepse et Périscope, Paris 1991