Es gibt Lernbedarf

Editorial iz3w 353 (März/April 2016)

Es muss ein hartes Wochenende gewesen sein, mit langen Nachtschichten, vor allem aber unerfreulichen Vorfällen. Jedenfalls lagen die Nerven blank bei den BetreiberInnen des Freiburger Szene-Clubs White Rabbit. Anders ist nicht zu erklären, warum das Kollektiv wenige Tage später in einer internen Email ankündigte, »dass wir vorerst keine Menschen mehr in das White Rabbit reinlassen werden, die nur eine Aufenthaltsgestattung besitzen.«

Für einen linken Club, in dem Flüchtlings-Unterstützergruppen Solipartys ausrichten und wo antirassistische Veranstaltungen stattfinden, war dies eine bestürzende Ansage. Die Leute vom White Rabbit begründeten sie so: »…wir sehen momentan keinen anderen Weg, wie wir gewisse Probleme mit Geflüchteten in den Griff kriegen können.« Am Ende der Mail waren einige Probleme aufgelistet, etwa die Verabreichung von KO-Tropfen, sexuelle Belästigungen selbst noch auf dem Frauen-WC sowie versuchte Vergewaltigung eines weiblichen Gastes auf dem Nachhauseweg. »Diese Vorfälle führen dazu, dass sich viele unserer weiblichen Besucher im White Rabbit nicht mehr wohlfühlen«, klagte das White Rabbit.

In der aufgeheizten Atmosphäre nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht konnte es nicht überraschen, dass die Ankündigung des White Rabbit für mediales Aufsehen, ja für einen Shitstorm sorgte. Ausgelöst wurde er, nachdem eine linke Gruppe das Email auf Facebook publizierte und eine lokale Sektion der AfD davon Wind bekam. Für sie war das eine Steilvorlage, um sich erneut als Schutzherr der (deutschen) Frauen aufzuspielen. Nun hagelte es Berichte und Kommentare. Alle großen Medien schrieben seitenweise über die Türpolitik von Freiburger Clubs, zu der normalerweise nicht mal das Lokalblättle ein Wort verliert.

Der Tenor der Kommentare war zweistimmig: »Wenn selbst im beschaulichen liberalen Freiburg die Flüchtlinge so große Probleme bereiten, dass selbst linke Clubs die Tür vor ihnen schließen, muss ja wohl was dran sein an der Sorgen der BürgerInnen«, lautete zusammengefasst die eine Version. Sie wurde begierig aufgegriffen, etwa vom grünen Freiburger OB, der »hartes Durchgreifen« gegenüber den mutmaßlichen Tätern forderte. Die andere Version lautete: »Pauschal alle Flüchtlinge für das Fehlverhalten Einzelner haftbar zu machen und sie auszugrenzen, ist diskriminierend.« Die durchaus zahlreichen VerfechterInnen dieser Position beklagten die Instrumentalisierung von »Köln« und »Freiburg« durch RechtspopulistInnen und forderten mehr Differenzierung im Umgang mit Flüchtlingen.

Das von der Medienlawine überrollte White Rabbit war inzwischen über sich selbst erschrocken und nahm das nie umgesetzte Zutrittsverbot für Flüchtlinge zurück. Sexismus soll nun durch verpflichtende Verhaltensregeln für alle BesucherInnen zurückgedrängt werden. Ende gut, alles gut?

Leider nicht. Einerseits dominiert in der Mehrheitsgesellschaft weiterhin eine triumphierende Haltung gegenüber »nordafrikanischen Männern«. Sie verbindet den Stolz auf die (mehr imaginierte denn reale) Domestizierung des Sexismus mit dem autoritären Entzug von Grundrechten wie dem auf Asyl (in den Worten von Linke-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht: »Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt«).

Andererseits spielen bestimmte linke Milieus beharrlich den Sexismus herunter, solange er vom Gegenstand ihrer paternalistischen Zuneigung verübt wird. Sie weigern sich, über patriarchale religiöse und traditionalistische Strukturen in den Herkunftsländern von Geflüchteten (ja, auch nordafrikanischen) auch nur zu sprechen und wittern hinter allen Erklärungsversuchen rassistische und ‚islamophobe’ Hetze. Ganz so einfach ist es dann doch nicht; wie etwa ein Gespräch mit marokkanischen Feministinnen offenbaren würde.

Worauf »Köln« und »Freiburg« vor allem verweisen, ist das Defizit der hiesigen Gesellschaft, ein Grundrecht wie Asyl uneingeschränkt anzuerkennen, ohne daraus irgendwelche Sonderbehandlungen für Asylsuchende abzuleiten – seien sie nun positiv oder negativ. Hier besteht bis weit ins linke Milieu hinein kollektiver Lern- und Diskussionsbedarf.

Lernen lässt sich zum Beispiel von Musa Okwonga, einem in Berlin lebenden britisch-ugandischen Autor. Er weigert sich, antirassistische gegen antisexistische Solidarität auszuspielen, und zeigt jene Empathie, die in diesen Tagen so oft fehlt:

»Als schwarze Männer mit afrikanischen Wurzeln hassen uns die Rassisten in Deutschland sowieso. Sie dachten schon beim ersten Anblick, wir seien Vergewaltiger und Perverse... Ihnen sind die Frauen, die in Köln und Hamburg angegriffen wurden, egal … Deswegen sind mir diese Leute eigentlich egal … Wieso fangen wir nicht bei dem prinzipiellen Grundrecht der Frau an, sich, wo immer sie sich auch auf der Welt aufhält, frei auf der Straße bewegen zu können, ohne dabei begrapscht zu werden? Und wieso sehen wir dies nicht als perfekten Moment für den Mann an, egal welchen Hintergrunds, ernsthaft wütend darüber zu werden, wie Frauen im öffentlichen Raum behandelt werden… Lasst uns unser Bestes tun, der global schon viel zu lange vorherrschenden Frauenfeindlichkeit entgegenzutreten und den wie auch immer gearteten sexistischen Lehren der Unterdrückung zu entsagen.«

Dem nichts mehr hinzuzufügen hat

die redaktion