Nach dem Gipfel kommen die Mühen der Ebene

Anmerkungen zum Pariser Klimavertrag von Prof. Erich Schöndorf. Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift BIG Business Crime 01/2016

Da war ganz schön was los in Paris am Abend des 12. Dezember 2015. Als der französische Außenminister Laurent Fabius verkündete: “Der Klimavertrag ist einstimmig angenommen“ lagen sich die Vertreter von 195 Staaten überglücklich in den Armen. Freudentränen flossen und eine gewaltige Begeisterung tobte durch den Konferenzraum in der französischen Hauptstadt. Die ersten Kommentare strotzten vor Euphorie und ließen keine Superlative aus: Vom Wunder von Paris (Greenpeace) wurde geschwärmt und von einem historischen Vertrag (“Spiegel“), von der schönsten und friedlichsten aller Revolutionen für den Klimaschutz (Präsident Hollande) war die Rede und von einem möglichen Wendepunkt für die ganze Welt (Präsident Obama). Der Mentor des deutschen Klimaschutzes, Hans-Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sprach von einem Triumph für Vernunft und Moral der Weltgesellschaft.

Das Wunder von Paris. Da war vielleicht die Prophezeiung von Friedrich Hölderlin wahrgeworden, der da, wo Gefahr war, auch das Rettend wachsen sah. Oder die Welt hatte tatsächlich begriffen, dass es in Sachen Klimaschutz so um die 12 Uhr war. Schon einmal hatte ja die Weltgesellschaft in einer ähnlich prekären Situation in letzter Sekunde das Ruder her- umgerissen, als sie zur Rettung der lebensnot- wendigen Ozonschicht im Montreal-Abkommen die FCKWs verbot.

Die überschwänglichen Reaktionen kamen nicht überraschend. Sämtliche vorangegangenen Klimakonferenzen waren mehr oder weniger gescheitert und jetzt hatte die Welt ihre letzte Chance wahrgenommen. Der Stein, der allen Teilnehmern vom Herzen fiel, wog schwer.

Aber nach dem Rausch kommt bekanntlich der Kater. Der aber hielt sich diesmal in Grenzen. Der BUND kommentierte lapidar, das Abkommen liefere keine angemessenen Antworten auf die Klimakrise, der renommierte deutsche Klimaforscher Mojib Latif hielt den Begriff des historischen Vertrags für nicht angemessen und die FAZ mutmaßte, die Einstimmigkeit von Paris sei ein Zeichen für die Schwäche der Vereinbarung. Viel mehr an Kritik kam nicht. Florian Schwinn vom hessischen Rundfunk dürfte da richtiger gelegen haben, als er meinte, was auf den Gipfel folge seien die Mühen der Ebene. Und die kann man festmachen am Kernstück des Pariser Vertrags, wonach sich alle Staaten verpflichten, die durchschnittliche globale Erderwärmung auf 1,5 bis max. 2,0°C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Die Folgen einer so  eingeschränkten Erwärmung, meint die Wissenschaft, wären gerade noch beherrschbar.

Schaffen wir das? Können wir mit den damit verbundenen Mühen fertig wer- den? Ich will die Frage am Beispiel Deutschland festmachen; wir sind in gewisser Weise repräsentativ für die Industrieländer der Welt. Die vereinbarte Temperaturanstiegsbegrenzung setzt voraus, dass wir die Treibhausgas-Emissionen, nämlich den Ausstoß von CO 2 (das etwa 90% der Treibhausgas-Emissionen ausmacht) mittelfristig erheblich und langfristig gegen Null reduzieren. CO 2, das vor allem bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas entsteht, sorgt dafür, dass ein Teil der die Erde treffen den Sonnenstrahlen nicht wie üblich in den Weltraum reflektiert wird, sondern in der Atmosphäre zurückgehalten wird, wo die mittlerweile auf 400 ppm angestiegene CO 2-Konzentrazion zu einer spürbaren Erwärmung des Planeten geführt hat. Für die zum Zweck der Verhinderung eines weiteren Temperaturanstiegs notwendige Reduzierung der CO2-Emissionen ist zu allererst der Ausstieg aus der Kohleverstromung angesagt. Beim Betrieb der deutschen Stein- und Braunkohlekraftwerke entstehen gegenwärtig 42% unserer Treibhausgas(=CO2)-Emissionen.

Nun kann man auch Strom herstellen, ohne auf einem Kohlefeuer Wasser zu kochen und mit dem Dampf entsprechen- de Generatoren zu betreiben. Das funktioniert über die Photovoltaik. Solarmodule wandeln die eingestrahlte Energie der Sonne unmittelbar in elektrischen Strom um. Oder wir zapfen die Energie des Windes mit tels Windrädern an – und erhalten ebenfalls elektrischen Strom. Beide Technologien arbeiten CO 2-frei und ihre Effizienz wird ständig verbessert. Aus diesen Quellen stammt schon heute jede 3. in Deutschland verbrauchte Kilowattstunde. Strom ist der Brennstoff unserer modernen Welt. Unser technisches Equipment, das unseren materiellen Wohlstand repräsentiert, von der Waschmaschine über den Staubsauger und vom Computer bis zu den Aufzügen in unseren Hochhäusern und der Straßenbeleuchtung ist alles strombasiert.

Die komplette Ersetzung des von uns bisher benötigten Stroms durch regenerativ erzeugten begegnet allerdings erheblichen Schwierigkeiten. Stromangebot und Stromnachfrage können stark differieren. Denn der Wind kennt auch die Flaute und die Sonne macht jeden- falls nachts schlapp und ist auch bei bewölktem Himmel und im Winterhalbjahr kein zuverlässiger Energielieferant. Es ist also notwendig, erneuerbaren Strom, wenn er im Überfluss vorhanden ist (und das ist oft der Fall) zu speichern, um ihn im Bedarfsfall abzurufen. Hier bietet die moderne Technik verschiedene Lösungen an. Normale Akkus werden dem in diesem Fall auftretenden Mengenproblem nicht gerecht. Aber es gibt die Möglichkeit, regenerativen Strom über die Elektrolyse zunächst in Wasserstoff und in einem 2. Schritt unter Beigabe von CO 2 in Methan zu verwandeln, das problemlos in unser Gasnetz eingespeist und wie herkömmliches Erdgas verwendet werden kann. Die power to gas-Technik ist längst erprobt und wartet nur noch auf ihren flächendeckenden Einsatz.

Noch raffinierter allerdings funktioniert die Idee der smart grids. Intelligente Stromnetze integrieren sämtliche Akteure des Stromnetzes, vernetzen sie und stimmen sie aufeinander ab. So können Flauten und sonnenarme Phasen überbrückt werden und es steht immer ausreichend – regenerativer – Strom zur Verfügung.

Mit einer wichtigen Ausnahme allerdings: dem Verkehrssektor. Er funktioniert zum größten Teil mittels Benzin und Diesel, die in den Motoren verbrannt werden und deren Energie für den notwendigen Schub sorgt. 20% der deutschen CO2- Emissionen gehen auf das Konto Verkehr (nicht eingerechnet ist der Flugverkehr).

Auch der Verbrennungsmotor ist nicht Schicksal, sondern CO2-neutral ersetzbar. Nämlich durch den Elektromotor, soweit der mit regenerativ erzeugtem Strom betrieben wird. Allerdings hat das Elektroauto neben seinem hohen Anschaffungspreis einen weiteren gravierenden Nachteil: den seiner eingeschränkten Reichweite. Gut 100 km schafft ein gängiges Modell heute mit einem vollgeladenen Akku und das ist zu wenig für eine moderne Mobilität. Nun ist die Akku-Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen und wieviel Platz es nach oben noch gibt, zeigt das Tesla-Elektroauto des Tüftlers und Visionärs Elon Musk. Dieses in den USA schon mehrtausendfach verkaufte Auto fährt mit einer einzigen Batteriefüllung 500 km weit.

Der Zukunftsforscher Lars Thomsen sieht die Elektromobilität vor einem historischen Durchbruch. So wie die Digitalfotografie praktisch über Nacht die Analogfotografie abgelöst habe und der Laserdrucker die Schreibmaschine werde der Elektromotor den Verbrennungsmotor in kürzester Zeit verdrängen. Für Tomi Engel von der deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie ist die Zukunft der Mobilität elektrisch – oder gar nicht.

Einige Automobilhersteller setzen auf eine andere Variante des umweltfreundlichen Antriebs, den Brennstoffzellenmotor. Hierbei wird der durch die power to gas-Technologie erzeugte Wasserstoff in einer Brennstoffzelle kalt (und lautlos) verbrannt und dabei in Strom umgewandelt. Die Reichweite eines entsprechenden Fahrzeugs dürfte die des Tesla noch übertreffen. Und wer schließlich vom klassischen Verbrennungsmotor nicht lassen will, kann sich die modernste Technologie zu Nutzen machen an der heute geforscht wird: power to liquid. Dabei wird die power to gas-Variante um einen zusätzlichen Schritt erweitert und das Methangas verflüssigt. Das heißt tanken und fahren wie gehabt, aber CO2- neutral. Diese Entwicklung hat aber einen akustischen Nachteil. Die power to liquid-Autos röhren wie die aus der alten Zeit: Keine wirklich gute Alternative.

Am Beispiel Strom und Mobilität konnte exemplarisch gezeigt werden, dass diese beiden dicken Brocken auch ohne Treib- hausgas-Emissionen auskommen können. Die Realisierung des entsprechenden Wandels bzw. Umstiegs – von Kohlekraftwerken auf Windräder, von Autos mit Verbrennungsmotoren auf Elektroautos, von fossil auf erneuerbar –  ist noch mit vielen Fragezeichen versehen. Aber ein vorsichtiger Optimismus erscheint gerechtfertigt. Einmal weil die Technologien der Erneuerbaren Energien sich im Eiltempo fortentwickeln, effizienter und billiger werden, so dass schon heute vielfach grid parity erreicht ist (Sonnenstrom ist nicht teurer als Kohlestrom). Zudem steht der Brennstoff der Erneuerbaren, Sonne und Wind, unendlich und kosten- frei zur Verfügung. Zum anderen signalisiert die Einstimmigkeit von Paris, dass die Weltgemeinschaft den Ernst der Lage erkannt hat und es nicht mehr bei bloßen Unverbindlichkeiten belassen will.

In jedem Fall bedeutet Paris, dass die Staaten in der Falle ihrer Selbstverpflichtung sitzen. Auch wenn es keine völkerrechtlich verbindlichen Sanktionsregeln gibt: Wer sich jetzt drückt oder zu bluffen versucht, steht zu Recht am Pranger der vertragstreuen Staaten sowie der überall mächtiger werdenden NGOs und Umweltverbände.

Und schließlich enthält der Pariser Vertrag eine Zahl, die bisher in der Klimadiskussion keine Rolle gespielt hat, aber von großer, vor allem psychologischer Bedeutung sei kann: 1,5°. Paris hat das Temperaturfenster nach unten geöffnet. Die Staaten wollen nach Möglichkeit die Temperaturerhöhung der Erde nicht nur auf 2°, wie auf den Vorbereitungskonferenzen postuliert, begrenzen, sondern auf 1,5°. Eventuell ist das ein zu ambitioniertes Ziel, in den Köpfen der Menschen ist damit aber eine Trendwende geschafft. Jetzt geht es in eine andere Richtung und dieser Richtungswechsel kann eine neue Zuversicht generieren, kann dem Engagement zur Klimarettung einen neuen Schub verleihen. Wer an der Sinnhaftigkeit der 2°-Grenze zweifelt, sie für nicht ausreichend hält, die Welt vor dem Hitzechaos zu bewahren, gibt vielleicht vorschnell auf. Wer aber die sichere Seite der 1,5° vor Augen hat, macht noch einmal Tempo und aktiviert lustvoll all seine kreativen Fähigkeiten.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Mühen der Ebene werden uns noch lange beschäftigen und für ihre Bewältigung brauchen wir einen langen Atem. Vielleicht sind wir schon bald gefordert, wenn die Politik den letzten Kohlekumpeln zu Diensten ist und die Pläne der Umweltministerin zum Kohleausstieg torpediert. Dann werden sich hoffentlich Viele an Wackersdorf, Whyl und Brokdorf erinnern, wo die Umweltbewegung ihre großen Erfolge gefeiert hat, und werden Kohlekraftwerke besetzen und Tagebaue blockieren. Denn es gibt da ein Ziel, auf das sich alle Staaten der Welt am 12. Dezember 2015 geeinigt haben: Die Erde zu retten. Wenn der Zweck die Mittel heiligen kann, dann jetzt.

Zum Autor:

Erich Schöndorf war Staatsanwalt und Professor für Umweltrecht an der FH Frankfurt am Main. Seit 2011 ist er Vorsitzender von Business Crime Control e.V.