Zur Kritik der Hightech-Gegenaufklärung

Editorial

Editorial

»Mit Vernunft kann man nicht alles machen. […]

Aber nur mit Vernunft kann man etwas machen.«

Francisco de Goyas berühmte Radierung, die diesem Heft mit Kritiken einer im Horizont des Hightech-Kapitalismus neu vordringenden Gegenaufklärung sein Gesicht gibt, trägt den nicht weniger berühmten Titel »El sueño de la razón produce monstruos«. »Sueño« ist doppeldeutig, kann hier ebenso Schlaf wie Traum der Vernunft bedeuten.

Vorbereitet durch die postmodernen Verabschiedungen und Enthemmungen, neu beschleunigt durch das von Latour gefeierte »Jahr der Wunder«, 1989, und der Wiederkehr von so vielem, das man, wenn nicht überwunden, so doch solide von den Lehren aus der nazistischen Erfahrung und den Nachkriegsverhältnissen eingegrenzt glaubte, hat eine veritable Gegenaufklärung Raum gewonnen. »Aufklärung« und »Humanismus« fungieren als ihre Feindwörter.

Ist Schlaf der Vernunft das richtige Bild für diesen Zustand? Bestimmen nicht vielmehr wechselnde, einander übertrumpfende ›Hypes‹ der Vernunft den Zeitgeist? Die schwindelerregenden Fortschritte der Technowissenschaften im Verein mit dem, was die herrschaftsförmig-antagonistische oder vom entfesselten Profitprinzip bestimmte Anwendung ihrer Ergebnisse von Mal zu Mal anrichtet, haben ein Börsenfieber des Geistes ausgelöst. Bei vielem drängt Antonio Gramscis Spottwort des »Lorianismus« sich auf. Er meint fahrlässiges Denken, das die Schleusen für hochtrabenden Unsinn öffnet. Gramsci spürte darin eine der Vorbedingungen des Faschismus. Und dieser regt sich nun wieder aus der ›Mitte‹ der Gesellschaft, die Brücken zu den notorischen Neonazis zu schlagen beginnt. Joe Buttigieg hat es 1991 auf den Punkt gebracht: Der Mangel an kritischer Strenge, sagte er, hat auch intellektuell Milieus der Linken erreicht. Von vielen Generationen von Intellektuellen oft unter Gefahren erarbeitete und zur Geltung gebrachte kritische Grenzziehungen der Rationalität wurden vielfach preisgegeben. Übergesprungen ist der periodisch unter immer neuen Verkleidungen auftretende konservative Widerruf von Humanismus seit Renaissance, Aufklärung, Französischer Revolution und der Erklärung der universellen Menschenrechte, zusammengestückt aus Verwesungsprodukten des strukturalistisch-marxistischen Antihumanismus, Entführungen aus dem Feminismus und über den Tisch gezogener Ökologie. Die Tatsache, dass, wie Karen Barad sagt, »unser Bild von der Materie desto wirklicher [wird], je phantastischer es wird (und umgekehrt)«, nehmen sie als Freibrief für die Aufnahme von Phantasmen aller Art in die Theorie. Unerkannt hat es die präfaschistische Vernunftkritik zu neuen Ehren gebracht.

Fragen wir zurück nach selber aufklärerischer Aufklärungskritik, finden wir uns an der Wiege dieser Zeitschrift wieder. »Das Argument hält es für notwendig, […] angesichts des Scheiterns der Aufklärung die Gründe dieses Scheiterns aufzuklären.« So heißt es in Margherita von Brentanos Argument-Manifest vom Ende der 1950er Jahre. Das antwortet auf einen anderen Satz: »Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.« Wer kennt nicht diese gewaltige These, mit der Horkheimer und Adorno ihr 1947 in Amsterdam erstmals erschienenes und »erst allmählich« zur Kenntnis genommenes Buch über die Dialektik von Aufklärung »im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens« eröffnen? Das »Aber« verweist auf den grellen Widerspruch zwischen den 1944 zu Protokoll gegebenen Schrecken und dem Ziel, »von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen«. Aber weder arbeiten die beiden Autoren diesen Widerspruch theoretisch aus, noch gehen sie der praktischen Frage nach, wie er sich bearbeiten lässt. Dies war die Frage, die der von Brentano ins Leben gerufene Argument-Kreis, dem u.a. Peter Fürstenau, Peter Furth, Klaus Heinrich und der bald von den Rauchern vertriebene Michael Theunissen angehörten, zu seiner Gründungsfrage machte und die den Kurs dieser Zeitschrift bis heute bestimmt.

In der Rezeption ist aus der kritisch-theoretischen Dialektik der Aufklärung im Zeichen der großen Enttäuschung angesichts des Scheiterns des europäischen Staatssozialismus die undialektische Absage an die Aufklärung geworden. Dem hat die – angesichts der passiven Dialektik der Aufklärung, ihrem Umkippen in Massenbetrug – panische Rhetorik jenes Werkes den Weg gebahnt. Inzwischen muss es immer öfter herhalten für die Beglaubigung mythischer Regressionen auf dem Rücken der Hochtechnologie.

Wo Nachfahren der Kritischen Theorie deren Ursprungsimpulsen treu bleiben, verfolgen sie das Projekt rettender Kritik der Aufklärung. Dabei geht es um deren Dialektisierung, um nicht der passiven Dialektik zu erliegen. Aus dem Projekt, »den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen«, wird dann die konkrete Utopie der Umschulung der »Herren«, die sie das Fürchten vor den Rückschlägen der Natur und der Gesellschaft lehrt, nämlich im Rahmen einer Konversion der Herrschaft über Natur und Mensch in sozial vermittelte »Allianztechnik«. Praktisch dreht das Ringen sich letztlich um die sozialökologisch motivierte Steuerung der Forschung und der praktischen Anwendung ihrer Ergebnisse. Letztere muss als eine anthropologische Tatsache begriffen werden. Was immer auf dieser Ebene sich ändert, verändert die Bedingungen des Menschseins. Zu einer Gattung zu gehören, die sich als unabschließbares »Gattungswerden« (Bloch) begreifen lässt, heißt, dass um die Richtung dieses Werdens zu ringen ist.

Alle Beiträge dieses Heftes lassen sich als Werkstattpapiere verstehen, die zur Mit- und Weiterarbeit einladen. Die Lage verlangt nach einer neuen Dialektik der Aufklärung selbst, die der Gegenaufklärung den Wind aus den Segeln nimmt. Denn frei nach Brecht: Man kann, wenn wir nicht über den Zeitgeist wachen, ihn über Nacht auch zum Faschisten machen. WFH