Katastrophen und kernige Kerle

Hefteditorial iz3w 356 (Sept./Okt. 2016)

Terroranschläge, Kriege und Krisen: Im Jahr 2016 treten sie in beängstigender Weise gehäuft auf. Sie hinterlassen ein immer stärker werdendes Gefühl der Bedrohung und der Unsicherheit. Es gesellt sich zum Unbehagen, das viele Menschen ohnehin gegenüber der kapitalistischen (Post-)Moderne und ihren Umbrüchen empfinden. Zwar sind die Auswirkungen der Krisen von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich gravierend. Aber es gibt weltweit eine ähnliche Reaktion darauf: Der immer lauter werdende Ruf nach dem starken Mann.

Auf den Philippinen hat der Rechtspopulist Rodrigo Duterte die Präsidentschaftswahlen mit über 15 Prozent Vorsprung auf die nächstplatzierte Kandidatin gewonnen. Im Wahlkampf kündigte er an, bis zu hunderttausend Kriminelle zu töten, wenn er gewählt wird. Die Todesstrafe findet er ohnehin richtig. Die ihm nachgesagte Kooperation mit Todesschwadronen in seiner Zeit als Bürgermeister von Davao City dementiert er nicht. Damals kündigte er an, das Blut der Kriminellen werde in seiner Amtszeit »die Bucht von Manila rot färben«. Kürzlich rief er seinen AnhängerInnen zu: »Wer einen Junkie kennt, soll ihn töten«.

So geschah es. In Dutertes erstem Amtsmonat Juli wurden über 500 extralegale Hinrichtungen verübt – das sind selbst für die von Kriminalität schwer gebeutelten Philippinen extrem viele. Sogar die dortige, sich ansonsten recht konform gebende Bischofskonferenz protestiert unter dem biblischen Motto »Du sollst nicht töten« gegen den eskalierenden Krieg zwischen dem starken Staat und den Drogenkartellen. Die Republik der Philippinen wird von Präsident Duterte derweil durchs Draufschlagen barbarisiert: »Ich schere mich nicht um Menschenrechte«, sagt er ganz offen, denn: »Ich führe einen Krieg.«

 

Einen Krieg um die Alleinherrschaft führt derzeit auch der türkische Präsident. Er nahm den Putsch einiger Militärs (der sich ebenfalls aus der Sehnsucht nach einfachen Lösungen und starken Männern nährte) zum willkommenen Anlass, um aus dem krisengeschüttelten Land ein autoritäres Erdoğanistan zu machen. Im Rahmen der laufenden »Säuberungen« im Militär, bei Behörden, Medien, Justiz und Wirtschaft sowie im Bildungssystem wurden bereits rund 60.000 Staatsbedienstete suspendiert. Der Krieg in den kurdischen Gebieten geht in unverminderter Härte weiter.

Schockierend an den Entwicklungen in der Türkei und auf den Philippinen ist auch, dass der rabiate Kurs der Autokraten von einem relevanten Teil der Bevölkerung begeistert unterstützt wird. Die zahlreichen Demonstrierenden auf dem Taksimplatz wurden nicht dazu gezwungen, türkische Fahnen zu schwenken und Loblieder auf Erdoğan anzustimmen. Sie tun es freiwillig.

Und auch die türkischen Wahlberechtigten in Deutschland wurden nicht genötigt, mit fast 60 Prozent für Erdoğan zu stimmen. Ihr Streben nach einer starken türkischen Nation, die repräsentiert wird von einem starken Mann, nimmt erschreckende Ausmaße an. Als neulich in Köln-Deutz zigtausende Fans von Erdoğan aufmarschierten, kam es nur vereinzelt zu Protesten. Die in Westeuropa eigentlich gut organisierte kurdische Bewegung und die türkischen Linken verzichteten auf eine machtvolle Gegendemonstration. Der Grund: Sie fürchteten, von fanatisierten Erdoğan-Anhängern angegriffen zu werden. Die Kräfteverhältnisse haben sich dramatisch verschoben; nicht nur in der Türkei stehen emanzipatorische Kräfte mit dem Rücken zur Wand, auch hierzulande.

Die Liste der Länder, in denen starke Männer und vereinzelt auch starke Frauen Wahlerfolge erzielt haben, erzielen werden oder sonstwie an die Macht kommen, lässt sich erweitern: Thailand, Russland, Österreich, Ungarn, Frankreich usw. usf. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bald auch in den USA einer Präsident wird, der mit ähnlich markigen Sprüchen punktet wie Vladimir Putin in Russland. Bei Donald Trump gilt wie bei so vielen anderen Rechtspopulisten: Wenn er gewählt wird, dann nicht trotz seiner Feindbilder schaffenden, potenziell tödlichen Rhetorik, sondern genau deswegen.

Man fängt sich leicht eines ein, ein autoritäres Regime, und man wird es schwer wieder los. Der zugrunde liegende Populismus ist eine volkstümliche, gefällige Form der Agitation. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Krisen werden die daraus resultierenden Ängste angesprochen, zugrunde liegende komplexe Sachverhalte werden in einfache Ursachen und Lösungen übersetzt. Rechtspopulistisch sind Bewegungen und Parteien dann, wenn zum Populismus Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Autoritarismus hinzukommen – wobei die Grenzen zwischen den Populismen linker oder rechter Provenienz äußerst durchlässig sind, wie sich am Beifall der AfD für Sarah Wagenknecht ablesen lässt.

Weil aber eine generelle Katastrophenstimmung lähmend und letztlich unpolitisch ist, sei festgehalten: Jeder Konflikt und jede Krise erweist sich bei genauerer Analyse als umkämpft – und somit auch als in menschenfreundlicher Weise lösbar. Die Türkei beispielsweise ist nicht nur Erdoğan, sie ist auch Gezi. Weiter für die Verschiebung von Kräfteverhältnissen einzutreten verspricht

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