Freispruch »aus Mangel an Bedeutung«

Bundesverfassungsgericht – NPD wird nicht verboten

Im Kern lässt sich das umfangreiche Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf das Argument reduzieren: Die NPD ist zwar demokratiefeindlich, rassistisch, antisemitisch und nationalistisch – ihr »Volksbegriff« negiere den Achtungsanspruch all derjenigen, die nicht zur ethnisch definierten Gemeinschaft gehören; das politische Gift, das sie verbreitet, ist hochgefährlich, jedoch ohne »Wirkkraft«.Damit wiesen die Karlsruher Richter[1] den Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD einschließlich ihrer Unterorganisationen (Art. 21 Abs. 2 GG) einstimmig zurück.[2]

Ein Blick auf die schwindenden Mitgliederzahlen – laut Verfassungsschutz unter 6.000 – und die Finanzen offenbare, dass die Partei, die »wesensverwandt mit dem historischen Nationalsozialismus« ist, auf dem besten Weg sei, sich selbst abzuschaffen. Tatsächlich stagnieren die Wahlergebnisse für die NPD bei Europa- und Bundestagswahlen auf sehr niedrigem Niveau. Sie flog aus den Landtagen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Doch trotz aller Mandatsverluste darf nicht vergessen werden, dass die Partei über 338 kommunale Mandate verfügt: in Thüringen 58, Mecklenburg-Vorpommern 49, Brandenburg 47, Sachsen-Anhalt 30 und in Hessen 23 (Stand November 2016). Diese Mandate sind weiterhin eine Ressource, um öffentliche Gelder zur Finanzierung völkischer Propaganda einzusetzen.

Die NPD ist seit ihrer Gründung im Jahr 1964 eines der organisatorischen Standbeine des deutschen Rechtsextremismus. Die enge Vernetzung mit den Kameradschaften und der rechtsextremen Szene in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ist ein Erfolgsrezept der NPD.

Das Urteil der Richter des Zweiten Senats legt die Nachfrage nahe: Wieviel Gefahr soll erst mobilisiert werden, bevor justiziabel eingegriffen wird? Erst kürzlich erklärte das Bundeskriminalamt, »auch die Bildung terroristischer/krimineller Gruppen innerhalb des rechten Spektrums« müsse in Betracht gezogen werden. Dafür spreche die hohe Straftatendichte in einzelnen Regionen und die Affinität für Waffen in der rechtsextremen Szene.

Das Risiko der Bildung neuer rechtsterroristischer Strukturen wird auch durch die Zahl abgetauchter rechter Gewalttäter in den Untergrund erhöht. So stieg die Zahl der mit Haftbefehl gesuchten Neonazis von März bis Oktober 2016 von 441 auf 454 Personen an – davon 92 wegen politisch motivierter Straftaten.

Das Urteil der Verfassungsrichter gefährdet all diejenigen, die den rassistischen Drohungen und gewalttätigen Attacken der Rechtsextremen ausgesetzt sind. Das BKA stellte für das Jahr 2016 insgesamt 921 rechtsextreme Straftaten fest – dazu zählen Sachbeschädigungen oder volksverhetzende Schmierereien. Nach Recherchen der Tageszeitung (taz) wurden 142 mutmaßliche Brandstiftungen auf Flüchtlingsunterkünfte verübt, bei denen 125 Menschen verletzt wurden.[3] Elf versuchte Tötungsdelikte von Rechtsextremisten wurden registriert. Im Vorjahr waren es 1.031 kriminelle Taten, eine Verfünffachung zu 2014. Ein Verbot wäre Opferschutz gewesen.

Das Gericht akzeptierte die bei der Beweisaufnahme[4] vorgelegten Argumente für die realen Wirkungen des politischen Handelns der NPD nicht. Eine »Atmosphäre der Angst« könne durch das Handeln der NPD nicht festgestellt werden, heißt es in der Urteilsbegründung; es gebe auch keine »national befreiten Zonen«, in denen das Gewaltmonopol des Staates nicht mehr gelte. Zwar versuche die Partei, »die Flüchtlings- und Asylproblematik« für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und das einschüchternde oder kriminelle Verhalten ihrer Mitgliedern löse punktuell »nachvollziehbare Besorgnis« vor gewalttätigen Übergriffen aus, jedoch sei der NPD kriminelles Handeln als Grundtendenz nicht zu attestieren; die 1.031 kriminellen Straftaten im Jahr 2015 könnten ihr nicht zugerechnet werden.

Die Verfassungsrichter verkennen die Wechselwirkung zwischen den von der NPD bereitgestellten organisatorischen Strukturen und der Radikalisierung der Täter. Die Bedeutung der Partei für rechtsterroristische Netzwerke wird unterschätzt. Dabei haben sich gerade am rechten Rand Misch-Szenen aus allen rechtsradikalen Gruppen und Parteien gebildet, wie etwa die Hardcore-Truppe vom »III. Weg«[5] oder »Die Rechte«, deren Verbot nach dem NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls hinfällig geworden ist. Vielfach agiert die NPD bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen nicht unter eigenem Namen, sondern unter einem Dach neutral erscheinender Organisationen wie beispielsweise der Bürgerinitiative »Nein zum Heim« in Sachsen.

Der erneut gescheiterte Verbotsantrag ist für die NPD ein Freibrief, NS-Verbrechen zu relativieren, gegen Asylbewerber, religiöse Minderheiten und sonstige Adressaten »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu hetzen und die »Ausländerrückführung« von acht bis elf Millionen »nicht germanisch-stämmiger« Menschen aus Deutschland zu fordern. Mit seinem Urteil hat das Gericht darauf verzichtet, dem organisierten gewaltbereiten völkischen Nationalismus einen Riegel vorzuschieben.

Rechts in der Parteienlandschaft breitet sich die AfD aus, die jedoch anders als die NPD nicht offen verfassungsfeindlich ist, deren Funktionäre jedoch immer wieder Grenzüberschreitungen zwischen bürgerlichem Protest und rechtsextremer Agitation austesten wie aktuell der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke, der in Dresden bei den »Jungen Alternativen« in Anspielung auf das Holocaust-Denkmal in Berlin erklärte: »Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat«. Auch deshalb hätten die Karlsruher Richter ein starkes Zeichen gegen den Rechtsextremismus setzen müssen.

Selbstverständlich: Ein Parteiverbot schaltet den Rechtsextremismus nicht aus. Es bleibt in erster Linie die Aufgabe einer aktiven Zivilgesellschaft, den Rechtsextremismus und die davon ausgehenden Taten zu bekämpfen. Das Verbot der NPD wäre jedoch, so Heribert Prantl, »ein Signal gewesen gegen diesen aggressiven Rechtspopulismus. Dessen Gehässigkeiten sind ja zum Teil identisch mit denen, die in der NPD propagiert werden. Ein Parteiverbot wäre ein Akt der Prävention gewesen« (SZ, 18.1.2017).

[1] Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele, Urteil vom 17. Januar 2017, Az. 2 BvB 1/13.
[2] Das erste Verbotsverfahrens gegen die NPD scheiterte 2003 an der Durchsetzung der Partei mit staatlichen Spitzeln, womit nicht genügend »Staatsferne« gegeben gewesen sei.
[3] Christine Stöckel, Zoe Sona und Svenja Bednarcyk dokumentieren im Artikel »Es brennt in Deutschland« in der Tageszeitung 142 Fälle von mutmaßlicher Brandstiftung auf Unterkünfte von Geflüchteten (taz, 3.1.2017).
[4] Vgl. Otto König/Richard Detje: Bundesverfassungsgericht urteilt über NPD-Verbot. Gegen Gewalt und Rassismus, SozialismusAktuell, 18.3.2016.
[5] Der »III. Weg« war von »Kameradschaftern« des neonazistischen Dachverbandes »Freies Netz Süd« nach dessen Verbot 2014 gegründet worden.