Zeitenwende: »America first!«

Donald Trump ist US-Präsident

Donald Trump hat die Macht der Administration in den USA übernommen. Als 45. Präsident der Vereinigten Staaten kündigt er weitreichende innen- wie außenpolitische Umwälzungen an, die bei vielen Beobachtern den Eindruck aufkommen lassen: Der Immobilienmilliardär will den US-Kapitalismus in einen Gefälligkeits- oder Klientelkapitalismus verwandeln und eine neue Weltordnung etablieren.[1]

Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bringt das verbreitete Unbehagen auf den Punkt: Sorgen bereitet ihm wie vielen anderen US-BürgerInnen »einerseits der Rechtsstaat. Das Einhalten von Regeln«. Trump schert sich nicht um Gesetze und Verträge. »Für Leute, die an den Rechtsstaat glauben, ist das schlimm. Andererseits sein Umgang mit Unternehmen. Das Weiße Haus darf einzelne Firmen nicht an den Pranger stellen. Wenn man etwas für falsch hält, verändert man Gesetze. Man sagt also nicht: Ford benimmt sich schlecht. Sondern man sagt: Wir müssen den legalen Rahmen so verändern, dass es für unsere Firmen interessant ist, im Inland zu investieren. Einzelne Firmen oder auch Presseorgane zu mobben, kann sich ein US-Präsident nicht leisten.«

In der Tat hat der neue Präsident geringen Respekt vor Normen, Gesetzen und Institutionen. Angefangen bei sexistischen Ausfällen im Alltagsleben über die Ehrlichkeit in Steuerfragen bis hin zur Akzeptanz internationaler Verträge gibt es zu Recht Kritik. Trotzdem – so andere vorgebrachte Argumente – seien Amerikas Demokratie und die an dieser Weltmacht ausgerichteten Weltordnung längst nicht verloren. Das System robuster »checks and balances« breche nicht plötzlich zusammen.

 

Was kann Trump alles anrichten?

Trump sei nicht durch einen Putsch an die Macht gekommen, sondern der gewählte Staatschef der USA, auch wenn die Gegenkandidatin Hillary Clinton fast drei Millionen mehr Stimmen erhalten habe. Allerdings verliere der bisherige Fluchtpunkt des demokratischen Kapitalismus an Attraktivität und Strahlkraft. Trump – so die moderate Beurteilung – müsse eine Chance erhalten.

Laut US-Verfassung wird die Macht des Präsidenten nicht durch Regularien innerhalb der Exekutive eingeschränkt. Persönlichkeit, persönliche Anschauungen und Führungsstil des Amtsinhabers prägen die politische Form, dagegen sind die Gegengewichte von Parlament und Justiz minimiert. Auch der geringe Rückhalt von Trump in der republikanischen Partei, die im Übrigen eine enorm starke Stellung in allen Parlamentskammern und unter den Bundestaaten hat, ist nur von begrenzter Bremswirkung.

Völkerrechtlich bindende Verträge beengen seinen Spielraum, aber viele sind kündbar, und niemand kann die USA zwingen, internationale Abmachungen einzuhalten. Sowohl aus dem Klimavertrag von Paris als auch aus dem Atomabkommen mit Iran könnte Trump mit einem Federstrich aussteigen, was er auch bereits angedroht hat.

Trump bringt keine Erfahrungen aus einem Amt in der öffentlichen Verwaltung mit. Im Wahlkampf spielte ein professionelles Beraterteam keine Rolle. Als politischer Akteur übernimmt Trump eine Rolle, die sich von der bisherigen Elite deutlich unterscheidet: Künftig geht es mehr um seinen »Charakter« und weniger um ein kohärentes Gestaltungsprogramm. Das hat er in der Rede bei seiner Vereidigung unterstrichen: Er und niemand anderes werde Amerika zu neuer Stärke zurückführen: »Buy American! America first!«

In der Tat basiert das politische System der USA auf vielen »checks and balances«. Normalerweise geht ein US- Präsident, bevor er etwas sagt und auf den Weg bringt, zu seinen Beratern, konsultiert die wichtigen Machträger im Kongress sowie die Departement-Chefs seiner Administration, der Notenbank etc. und stellt sicher, dass er kohärente Aussagen macht und eine politische Konzeption verfolgt. Bürokratische Prozesse garantieren, dass ein US-Präsident jederzeit weiß, was er sagt. Trump hält sich für informiert, konsultiert wenig Experten und verhält sich als aus der Zeit gefallener autokratischer Unternehmer.

Der neue Präsident orientiert sich am Organisationsmodell eines Unternehmens, das selbst im Finanzmarktkapitalismus eine Rarität ist. Auch dort ist der normale Typus heute noch immer »Teamarbeit«. Demgegenüber gibt nun der Vorstandsvorsitzende als Präsident die Marschrichtung »America first!« vor, auch wenn die operative Politik den Ministern überlassen bleibt.

Aber als Unternehmer wie als Politiker nimmt sich Trump die Freiheit, auch in Einzelentscheidungen hinein zu grätschen. Die politische Klasse wird weiterhin auf Distanz gehalten werden. Das Kabinett und seinen Beraterstab hat er mit Personen besetzt, die über keine Hausmacht verfügen und im Politikbetrieb Washingtons weitgehend unbekannt sind.

Donald Trump hat ein Regime von Außenseitern zusammengestellt: missliebige Militärs, wohlhabende Milliardäre und Geschäftsleute sowie konzeptive Ideologen und Medienprofis aus dem rechten Spektrum. Sein politisches Chaos-Management stützt sich auf den Stabschef Reince Priebus, den Chefstratege Stephen Bannon und den Sicherheitsberater Flynn. Ihr Credo: »Let Trump be Trump« – »Lasst Trump Trump sein«.

Der neue Präsident hatte im Wahlkampf mehrfach eine scharfe Migrationspolitik, eine schroffe Zurücksetzung Mexikos und einen Abbau der Gesundheitsreformen (Obamacare) angekündigt. Er zielt auf eine protektionistischere Handelspolitik, will heißen, dass er die US-Wirtschaft verstärkt gegen Konkurrenz aus dem Ausland abschotten will. In seiner Antrittsrede hat er dies erneut unterstrichen: »Protect!« – die Interessen Amerikas stehen im Mittelpunkt der mit seiner Person verbundenen Erneuerung.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble mahnt Trump ob dieser Ankündigung zur Einhaltung internationaler Abkommen: »Natürlich werden wir darauf pochen, dass Vereinbarungen eingehalten werden.« Schäuble geht jedoch nicht davon aus, »dass morgen der große Handelskrieg ausbricht«. Im Umgang mit Trumps Ankündigungen und seinen markigen Sprüchen über die sozialen Medien fordert Schäuble mehr Gelassenheit: »Lassen Sie ihn doch erst mal im Amt ankommen, dann sehen wir, was er macht... Man darf Trumps Art der Kommunikation nicht mit Regierungserklärungen verwechseln.« Die Rede nach seiner Vereidigung war allerdings die Erklärung eines Regierenden.

 

Europa »als Mittel zum Zweck für Deutschland«

In einem Interview mit der deutschen »Bild«-Zeitung und der britischen »Times« hat der zukünftige amerikanische Präsident seine Sicht auf Europa und die NATO dargelegt. Auch hier drehen sich die Bewertungen vor allem um den besten »Deal« für Amerika – traditionelle Allianzen und politische Kräfteverhältnisse spielen eine untergeordnete Rolle. Das illustriert seinen Stil als Businessman und Macher.

Die Zukunft der Europäischen Union ist ihm letztlich egal. Er versteht Europa nicht als wesentlichen Partner für eine demokratische Weltordnung, nicht als Friedens- oder Stabilitätsprojekt, sondern als »Mittel zum Zweck für Deutschland«. Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion sei gegründet worden, um die Vereinigten Staaten beim Handel und der Wettbewerbsfähigkeit abzuhängen.

Den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU begrüßt er, weitere Austritt würden folgen und es sei nicht von Bedeutung, ob die EU nun stärker zentralisiert werde oder die Nationalstaaten eine größere Bedeutung erlangten. »Also ist es mir ziemlich egal, ob sie getrennt oder vereint ist.« Den Briten verspricht er nach dem Brexit den schnellen Abschluss eines Handelsabkommens.

Angesprochen auf die Furcht der Ostmitteleuropäer vor Russland, zeigt er Verständnis. Er verstehe, »was da vor sich geht«. Es folgt die Aussage, die NATO habe Probleme: »Sie ist obsolet, weil sie erstens vor vielen, vielen Jahren entworfen wurde. Zweitens zahlen die Länder nicht das, was sie zahlen müssten.« Außerdem habe sie sich nicht um den Terrorismus gekümmert – eine Aussage, die vor dem Hintergrund der Militäreinsätze in den letzten Jahren einigermaßen erstaunt.

Die Betonung einer gerechteren Lastenverteilung innerhalb der NATO ist nicht neu, und sie passt in ein Weltbild, in dem die USA ständig geben und die Welt nimmt. »Das ist sehr unfair gegenüber den Vereinigten Staaten«, klagt er. »Abgesehen davon ist mir die NATO aber sehr wichtig.«

Trumps Einschätzungen und Ankündigungen zeigen, dass der neue US-Präsident eine Zeitenwende einleiten will. Bisher hatten Republikaner wie Demokraten nicht nur die NATO als Grundpfeiler amerikanischer Sicherheitspolitik betrachtet. Auch dass es im strategischen Interesse der USA liegt, dass die EU Europa politisch stabilisiert und für marktwirtschaftliche Verhältnisse sorgt, war unbestritten.

Beim letzten NATO-Gipfel hatte noch Barack Obama die Europäer eindringlich zum Schulterschluss und zu einem sanften Brexit angehalten, um vor dem Hintergrund der russischen Aggressionspolitik eine Schwächung des Westens und der US-Nachkriegsarchitektur zu verhindern. Jetzt geht es um neue Strukturen unter dem Blickwinkel des unmittelbaren Nutzens für die Weltmacht Amerika.

 

Protektionistische Wirtschaftspolitik

Mit seinem Wirtschaftsprotektionismus, der Skepsis gegenüber Migration und der Kritik an Angela Merkels Entscheidungen in der Flüchtlingskrise bestärkt Donald Trump nicht nur rechtspopulistische EU-Gegner in Westeuropa. Seine Geringschätzung der EU, der freien Presse und der Gewaltentrennung geben dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und dem starken Mann in Polen, Jaroslaw Kaczynski, Auftrieb.

Europa kann sich unter Trump nur noch sehr bedingt auf die USA verlassen. Die beste Antwort sei Europas Einigkeit, schlussfolgern der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault und Bundeskanzlerin Merkel. Denkbar ist, dass sich die Europäer zu einer EU-Verteidigungsunion überwinden. Ob sie dafür die Kraft und die Ressourcen aufbringen, ist angesichts des Zustands der EU fraglich.

Protektionistische Maßnahmen zum Schutz der US-Unternehmen, Infrastrukturinvestitionen, Steuerreformen und Deregulierung bilden die zentralen Achse der Wirtschaftsstrategie, mit der Trump das Wachstum der US-Wirtschaft voranbringen und den Niedergang der Weltmacht stoppen will. Obwohl die US-Wirtschaft deutlich besser dasteht als die meisten anderen entwickelten Volkswirtschaften, ist ihr Fundament nicht stabil genug, um den Rückwirkungen auf einen wesentlich stärkeren US-Dollar über längere Zeit standzuhalten, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit der USA und damit ihre weiteren Wirtschaftsaussichten untergraben würde.

Derzeit stellen Akteure in der Wirtschaft und auf den Märkten die positiven Aspekte heraus wie Steuersenkungen, Infrastruktur-Investitionen und eine Deregulierung, vor allem der Banken. Der US-Präsident sorgt vor allem bei Bankern und Finanzinvestoren für Hochgefühle. Fast alle erwarten eine Deregulierung ihrer Branche. Grund für die Euphorie ist die Aussicht, dass mit der Machtübernahme der Republikaner Gesetze geändert werden, die den Banken unter Obama geschadet hätten. Es handelt sich um das sogenannte Dodd-Frank-Gesetzespaket, das nach dem Finanzkollaps 2008 eingeführt worden ist.

Das hören Investoren gern und die Ankündigung lässt die Aktienkurse steigen. Kurzfristig bringen Steuersenkungen, Ausweitung öffentlicher Investitionen und lockere Kreditgewährung der amerikanischen Wirtschaft etwas mehr Wachstum. Mittelfristig aber werden die negativen Folgen überwiegen.

Bislang waren die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, damit der Freihandel und ein schlanker öffentlich-staatlicher Sektor (also Deregulierung und Privatisierung) die zentralen Achsen neoliberaler Wirtschaftspolitik. Jetzt sehen wir den Übergang zu einer neuen Agenda. Trump verabschiedet sich vom radikalem Wettbewerb und gibt drei Kernelemente vor: fiskalische Stimuli, eine protektionistische Handelspolitik und Deregulierung. Die »Trumponomics« werden die Verhältnisse gründlich durchschütteln.

Die Bevölkerungsschichten, die sich als Verlierer oder Abgehängte fühlen, sind empfänglich für die gefährlichen isolationistisch-protektionistischen Rezepte eines Donald Trump. Das politische Votum dieser beunruhigten Bevölkerungsschichten kann zu Verwerfungen und Katastrophen wie in der Großen Depression führen.

Die Logik von Protektionismus und die mit Klientelwirtschaft (Cronyism) verbundene Praxis geheimer Absprachen, Klüngelei und Deals haben in der langen Frist keine Perspektive. Es geht also nicht bloß darum, dass Trump als Immobilienmilliardär selbst in dem Ruf steht, ein mit der Politik verbandelter »crony capitalist« zu sein. Vielmehr geht es um die Fehlentwicklung, dass »cronyism«, trotz der vordergründigen Wertschätzung wirtschaftlicher Freiheit, sich als verbreitete Praxis in vielen kapitalistischen Gesellschaften etabliert hat.

Diese Entwicklungsrichtung ist keine tragfähige Alternative zu den Problemen neoliberaler Austerität, die das konservativ-marktliberale Lager über ihr politisches Establishment in den letzten Jahrzehnten betrieben hat.

[1] Eine ausführliche Betrachtung der Gründe und Rahmenbedingungen von Trumps Wahlsieg findet sich in der Printausgabe von Sozialismus Heft 1-2017, S. 2-9: »Beendet Trump die säkulare Stagnation?«. Der bevorstehende Umbruch in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sowie die absehbaren geopolitischen Veränderungen werden in Heft 2-2017 dargestellt.