Rechtspopulist Wilders: »Rutte wird mich nicht los«

Die Wahl in den Niederlanden

Das politische Establishment in den Niederlanden kehrt nach kurzer Irritation zum Alltagsgeschäft zurück. Neue Pfade sind nicht zu erwarten. Dass die europäischen Eliten den Sieg der Rechtskonservativen feiern, obwohl diese schlechter abgeschnitten haben als vor fünf Jahren, ist absurd.

Der Applaus für den rechtsliberalen Mark Rutte drückt nur aus, dass der Rechtspopulist Geert Wilders einen Durchbruch verpasst hat. Geert Wilders PVV hat nur ein Drittel Sitze dazugewonnen (von 15 auf 20) und ist nur zweitstärkste Partei. Damit soll der Rechtspopulismus strukturell geschlagen worden sein. Der amtierende Premier Rutte von der VVD wird zum Sieger ausgerufen, obwohl er ein Viertel seiner Abgeordneten (von 41 auf 33) verloren hat; seine Koalition ist gar fast halbiert (von 79 auf 42 Sitze). Sehen so Sieger aus?

Ein Debakel ist vor allem das Ergebnis der bisher mitregierenden Sozialdemokratie (PvdA), sie repräsentiert nur noch 5,7% der abgegebenen Stimmen und verlor insgesamt 19 Sitze (von 38 auf 9) Dieser Absturz der »Partei der Arbeit« ist spektakulär. Die Sozialdemokraten haben die Quittung für eine beispiellose neoliberale Sanierung erhalten, die neben einer Deregulierung des Arbeitsmarktes vor allem einen großen Kahlschlag im Bereich von Gesundheit und Pflege hinterlassen hat.

Neben der vernichtenden Niederlage der Koalition von Rechtsliberalen und Sozialdemokraten hat sich die Parteienlandschaft weiter zersplittert: Eine weitere rechtspopulistische Partei – das »Forum für Demokratie«, das das Referendum gegen das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen erfolgreich betrieben hat – zieht mit zwei Abgeordneten ins Parlament ein. Auch die aus der PvdA abgespaltene Migrantenpartei Denk, deren Lebenselixier die Verteidigung von Bürger- und Menschenrechten gegen die anwachsende Welle des Rechtspopulismus im Lande ist, erhielt drei Sitze. Weitere neue Parteien wie die »für die Tiere« (4 Mandate) und die Seniorenpartei 50plus (5 Mandate) haben ihren Anteil verdoppelt.

Die Sozialistische Partei (SP) konnte sich mit 9,2% der Stimmen und 14 Sitzen (einer weniger als 2012) zwar in schwierigem Umfeld behaupten, aber vom Niedergang der Sozialdemokratie in keiner Weise profitieren. Dies taten christliche (CDA) und liberale Demokraten (D66), die mit jeweils 19 Mandaten erheblich zulegten. Stark zugelegt hat GrünLinks und zwar von 4 auf 14 Mandate und von 2,3 auf 8,9%.

Die Wahlbeteiligung stieg um 5,8%. 80,2% aller NiederländerInnen gingen an die Wahlurnen. Also alles in Ordnung und Ausdruck demokratischer Vielfalt? Fakt ist, das Wilders »Partei für die Freiheit« auf einer Woge anti-islamischer Ressentiments ganz oben mitschwimmt. Eine Erklärung sind die Folgen der neoliberalen Regierungspolitik, die die Lebensplanung und Wertesysteme der Wählerschaft in den vergangenen Jahren erschüttert haben, die allerdings diverse Kommentatoren geflissentlich ausblenden.

 

Die Bürgerlichen verstehen die Welt nicht mehr

»Wie Pim Fortuyn stützt Wilders sein politisches Programm nicht auf ethnischer Zugehörigkeit oder die Forderung, die Niederlande ›wieder groß zu machen‹, sondern auf Meinungsfreiheit, Gleichheit und andere zentrale fortschrittliche Werte«, behauptet Joris Luyendijk (FAZ 28.2.2017). Geert Wilders nutzt diese Werte und Freiheiten allerdings zur Herabsetzung ganz bestimmter Bevölkerungsgruppen. »Zugleich scheint Wilders zutiefst illiberal zu sein, bekundet er doch offene Verachtung für demokratische Institutionen wie das Parlament, die Presse oder die Unabhängigkeit der Gerichte.«

Aufseiten der Etablierten ist man entsetzt: »Als einziges Mitglied lenkt er seine Partei wie ein arabischer Diktator und ignoriert oder demütigt gelegentlich sogar seine eigenen Abgeordneten. Wilders hat es nicht geschafft oder vielleicht gar nicht mal versucht, prominente Gestalten aus dem Establishment zu gewinnen, die ausreichend Erfahrung für ein Ministeramt mitbrächten. Und er scheint nicht darauf aus zu sein, Leute aus seiner eigenen Partei dafür auszubilden. Tatsächlich hat Wilders anscheinend gar nicht den Wunsch zu regieren.« Und trotzdem wird er gewählt.

Wilders umgeht das diskreditierte Repräsentativsystem der parlamentarischen Demokratie und twittert. Er braucht keine Partei zur Willensbildung, er appelliert direkt ans Volk und drückt dessen Gefühle unmittelbar aus. Diese Gefühlslage beschreibt ein anderer Journalist so: »Der stillschweigende Vertrag, den die Niederlande vor vielen Jahren geschlossen hätten, sei gebrochen… Der Vertrag der liberalen Demokratie hieß: Du kannst werden, wer du sein möchtest… Du hast Freiheit, deinen Beruf und deinen Lebensstil zu wählen, unabhängig von Herkunft, Glauben, Hautfarbe. Und sehen Sie was daraus geworden ist: Unsicherheit, Gleichmacherei, Globalisierung, Immigration.« (FAZ 9.3.2017)

 

Zerstörte Illusionen, Angstrohstoff für den Rechtspopulismus

Der Gesellschaftsvertrag wurde aber nicht bloß in den verbindlichen Werten gebrochen, sondern in seinen materiellen Grundlagen, auf denen es sich die Mittelschichten bequem gemacht hatten. »Nichts mehr also mit sozialem Standpunkt und Kohäsion. In Holland kämpft jeder für sich. Dem Land fehlt es an verbindenden Elementen«, sagt der Parteienforscher Maurice de Hond.

Auch wenn die Konjunktur wieder anzieht, der Staatshaushalt die Normen des Fiskalpaktes erfüllt und also diese Begründung für Austeritätspolitik entfällt, bekommt man nicht das, was einem doch zusteht, im Gegenteil ist immer mehr Selbstbeteiligung an den sozialen Risiken des Alters und der Gesundheit verlangt. Da macht sich Wut breit, mit der man nicht weiß wohin. Jemand muss Schuld haben, nämlich die Wirtschaftsflüchtlinge und Einwanderer in die Sozialsysteme, wie Geert Wilders wieder und wieder betont. Im Wahlkampf fordert er eine »Deislamisierung«, was konkret die Schließung von Moscheen, ein Verbot des Korans und eine Einwanderungssperre für Muslime bedeutet. Der Islam ist für ihn keine Religion, sondern eine »totalitäre Ideologie«, gegen die sich westliche Gesellschaften verteidigen müssen.

Viele Niederländer sind frustriert über die Eliten, die diesen Abstieg zulassen, die daraus resultierenden Probleme ignorieren und stattdessen idealistische Kulturprojekte vorantreiben. Wilders verspricht deshalb, die Niederlande »von der linken Elite zurückzuholen«. Man straft bei allen sich bietenden Gelegenheiten die etablierte Politik ab.

Exemplarisch für diese kalte Wut ist die Satellitenstadt Almere (198.000 Einwohner). Sie wurde auf gepoldertem Neuland in den 1970er Jahren 20 Autominuten von Amsterdam mit seinen explodierenden Mieten geplant und gegründet. Hier hatte die PVV schon bei der letzten Kommunalwahl einen Rekord-Stimmanteil von 20,4%. Der Geograph Josse de Voogd erklärt: »Ursprünglich zogen Leute aus der oberen Mittelschicht dorthin… Jetzt kommen mehr Leute aus der unteren Mittelschicht und mit Migrationshintergrund«. Die Häuserpreise in den Niederlanden liegen immer noch 9,9% unter dem Rekord von August 2008, aber 14,7% über dem bisherigen Tiefpunkt im Juni 2013.

Angesichts der Volatilität der Hauspreise, steigender Treibstoffpreise, und vor dem Hintergrund, möglicherweise den Vollzeitjob zu verlieren, sind die Möglichkeiten gering, in andere Wohngebiete auszuweichen. Der gesellschaftliche Wandel der verstädterten Niederlande wird als drohender Abstieg des Wohnumfeldes empfunden. Migranten werden als Symbol eines aus den Fugen geratenen sozialen Gefüges wahrgenommen, in dem man weitgehend unter sich und die Welt in Ordnung schien.

Der Stadtsoziologe und Wahlforscher Maurice de Hond glaubt, das Wahlverhalten mit zwei Fragen erklären zu können: »Sehen Sie Ihre wirtschaftliche Zukunft positiv? Und: Angesichts der gravierenden Veränderungen in den vergangenen Jahren, blicken Sie zuversichtlich nach vorn?«. Sein Fazit lautet: »Die Verunsicherten stimmen für Wilders, die Linkspartei SP oder die Seniorenpartei 50plus. Die Zuversichtlichen für die linksliberale Partei D66 oder die Grünen.«

Die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA) geht in dieser Konfrontation den Weg der griechischen PASOK in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit. In der Migrationsfrage unentschieden, stimmte man in der Koalition für die Selbstbeteiligung an den Gesundheitskosten, nachdem man 2012 einen Wahlkampf dagegen geführt hatte, und forderte im Wahlkampf 2017 die Abschaffung der Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung.

Der Wahlkampf jedoch wurde bestimmt von national-kulturellen Ressentiments und immer weniger von sozialen Fragen: Das Renteneintrittsalter und die Selbstbeteiligung an den Pflegekosten, die hohe Zahl von Soloselbständigen und befristeten Arbeitsverträge lassen bei den Bürgern Zweifel wachsen, ob sie noch in einem der vermeintlichen eigenen Leistung entsprechenden Maße an der zuletzt wieder anziehenden Konjunktur beteiligt sein werden. Dahinter traten lange die 2012 (Höhepunkt der Euro-Rettungsdebatte) dominierende Rolle der Einheitswährung, die Unterzeichnung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens, der »Nexit« und die Kosten für die auch in den Niederlanden notwendige Bankenrettung zeitweilig zurück – für Wilders ein zentrales Feld seiner Agitation.

 

Rechtsliberal gegen Rechtspopulistisch

In einer der beiden zentralen Fernsehdebatten machte der SP-Parteivorsitzende Emile Roemer die soziale Frage sehr plastisch: Der Spitzenkandidat der CDA, Sybrand van Haersma Buma, sprach darüber, dass sich die Menschen im Klaren sein müssen, dass Gesundheit Geld kostet. Buma wolle in einem Krankenwagen einem Unfallopfer erzählen, dass er auf jeden Cent achten müsse – so Roemer. Außerdem machte der SP-Mann deutlich, dass – solange 150.000 junge Menschen auf der Suche nach Arbeit sind und sich ältere Menschen noch bis ins hohe Alter bewerben müssen – das Rentenalter auf 65 zurückgesetzt werden muss. Genutzt hat beides nicht viel.

Wilders verdichtete die Themen Fremdenfeindlichkeit und soziale Ängste auf seine Weise im letzten TV-Duell mit dem seit über sechs Jahren amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte. Rutte hatte vor der letzten Wahl jedem Holländer eine Steuergutschrift von 1.000 Euro versprochen, die bis heute nicht erfolgt ist. »Rutte kann man nicht trauen. Die 1.000 Euro haben der Asylant und der Grieche bekommen; der Holländer wartet heute noch darauf«, griff Wilders das Gefühl auf, zu kurz gekommen zu sein. Dieser enttäuschte Glaube, man sei in der Gesellschaft nur durch die Einkommensposition etwas wert, ist klassenunspezifisch.

Mark Rutte von der neoliberalen VVD unterstellt Wilders eine »linke« Wirtschafts-, Sozial- und Haushaltspolitik. Damit meint er die von Wilders versprochene Rücknahme der Kürzungen in der Haus- und Altenpflege und die Abschaffung des ungeliebten Eigenbeitrag zur Krankenversicherung von 385 Euro im Jahr, einen umlagefinanzierten Mietzuschuss und die Rückkehr zu einem Renteneintritt mit 65 Jahren.

Der Ministerpräsident sonnt sich nicht nur in den Erfolgen seiner Haushaltskonsolidierung, sondern trötete im gesamten Wahlkampf in das gleiche schrille Horn der anti-migrantischen PVV: Er reiche jedem die Hand, der »unsere Werte teile«. In der Auseinandersetzung mit der Türkei eskalierten Rechtsliberale und Rechtspopulisten ihren Streit um die Ressentiment-geladenen Wähler ohne Rücksicht auf angebliche europäische Werte der Freizügigkeit, Meinungsfreiheit usw.

Die geplanten Propaganda-Auftritte türkischer Minister nutzte Rutte, um sich als anti-islamisches Bollwerk und Verteidiger des demokratischen Alltagsglaubens zu inszenieren. Der türkische Staatspräsident tat Rutte den Gefallen, in dem er nach dem Einreiseverbot für seine Minister den Westen als »islamophob« bezeichnete, der sein wahres Gesicht gezeigt habe. Rutte setzte Wasserwerfer und deutsche Schäferhunde gegen türkischstämmige Demonstranten vor dem Generalkonsulat in Rotterdam in Marsch.

Ahmed Aboutaleb, Rotterdams muslimisches und sozialdemokratisches Stadtoberhaupt, versuchte gegen Erdogan und seinen schrägen Nazi-Vergleich zu punkten: »Sie haben vergessen, dass ich Bürgermeister einer Stadt bin, die von den Nazis bombardiert wurde.« In der Sache jedoch deckte die PvdA den Koalitionspartner. Die PvdA-Abspaltung Denk überflügelte bei der Wahl die Sozialdemokraten in Rotterdam.

Wilders befeuerte die Ängste um die innere Sicherheit in geradezu hysterischer Weise. Er beschuldigte Mitarbeiter seines polizeilichen Personenschutzes des Kontaktes zu vermeintlichen Terroristen. Er twitterte ein gefälschtes Foto seines D66-Konkurrenten – die Partei lehnt das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ab – in einer Demonstration sogenannter Islamisten. Wilders verspricht, den Koran als anti-semitische Ideologie zu verbieten und Moscheen zu schließen. Er ist das islamophobe Original und tönt: »Ich sage allen Türken in den Niederlanden, die mit Erdogan übereinstimmen: Geht in die Türkei und kommt nie mehr wieder!« Und nach den Krawallen in Rotterdam twittert er in Vertretung des Volkes über die Demonstranten: »Die Niederlande sehen nun, dass das Türken sind und keine Niederländer. Sie haben unseren Pass, aber gehören nicht zu uns. Sie haben hier nichts zu suchen.« (Handelsblatt).

 

Die parlamentarische Willensbildung – Ist ein Neuanfang möglich?

Sechs Parteien mit je rund 10% machen eine Regierungsbildung schwierig, wenn kein ideologisches Element eine Mehrheit verbindet. Eine Koalition oder Duldungspolitik mit der PVV haben alle größeren Parteien ausgeschlossen. Dem Neoliberalismus fehlt die Hegemonie in der Gesellschaft. Der CDA und D66 fällt eine entscheidende Rolle zu, ob sie sich mit GrünLinks, SP und den Sozialdemokraten (oder anderen Splittergruppen) zu einem Neuanfang entschließen oder eine Fortsetzung der bisherigen Politik im Sinne Merkels realisieren wollen.

GrünLinks und SP haben einen Ausschluss der rechtsliberalen VVD von der Regierungsmacht zum Wahlziel erklärt. Faktisch haben die Parteien der parlamentarischen Linken noch nicht einmal ein Viertel der Stimmen. Unter Einschluss von D66 und Christdemokraten wäre man bei der Hälfte der Parlamentssitze, bräuchte also noch weitere Splittergruppen.

Programmatische Schnittmengen sind durchaus vorhanden. GrünLinks setzt auf Umverteilung durch »Schließen von Schlupflöchern und stärkere Besteuerung von Multinationalen Konzernen«, die »Senkung der Einkommenssteuer und spürbare Anhebung der unteren Einkommen«. Zweiter Schwerpunkt ist eine Energiewende: Ausstieg aus der Stromerzeugung mit Kohle innerhalb von vier Jahren und aus dem Gebrauch von Gas als privater Heizenergie sowie Ausbau von Offshore Wind-Parks.

Drittens fordert GrünLinks ein Recht auf drei Tage Kinderbetreuung in der Woche, Verkleinerung der Grundschul- und Oberstufenklassen sowie bessere Bezahlung für Lehrer. Die Studiengebühren sollen halbiert und die Stipendien für Studierende aus benachteiligten Schichten erhöht werden. In der Gesundheitsversorgung gehöre der Markteinfluss zurückgedrängt und 30.000 zusätzliche Pflegekräfte eingestellt. Und unter dem Titel »Eine Gesellschaft« fordert man schließlich Sprachunterricht und Verfassungskunde für Asylsuchende, härtere Gesetze gegen Hatecrimes und die Einstellung von 1.000 Polizisten im Nachbarschaftsbereich. Die Wähler von GrünLinks sind besser Gebildete, Jüngere aus Großstädten, die vorher eher der PvdA nahestanden. Sie wünschen sich die »Veränderung« statt mehr vom gleichen.

Zum Lager der Optimisten zählen auch die Demokraten 66. Die Linksliberalen wollen 3,5 Mrd. Euro – mehr als jede andere Partei – in das Bildungssystem stecken, weshalb die Partei als »Bildungspartei« gilt. Gleichzeitig möchte sie die Grundförderung für Studenten abschaffen und befürwortet ein System, in dem Studenten ihr Studium durch günstige, staatliche Kredite finanzieren. Die anderen Schwerpunkte sind: Kleinere Klassen, gerechtere Lastenverteilung (10 Mrd. Euro Steuerentlastungen auf Einkommen), Sprachunterricht für Einwanderer vom ersten Tag an, Abbau von Bürokratie und Investitionen von 400 Millionen Euro im Gesundheitswesen, Schließung aller Kohlekraftwerke bis 2025 und Tarife, die Minderverbrauch honorieren, ein Verbleib der Niederlande in der EU.

Es besteht eine Chance, den Rechtspopulismus nachhaltig einzuhegen, denn das Establishment selbst verkauft seinen Führungsanspruch nur noch mit der Parole, es gäbe keine Alternative. Im Deichbau und Poldern kennen sich die Niederländer aus, aber italienisch-instabile Regierungen waren auch in den Niederlanden in den letzten 20 Jahren die Regel.

 

Rechtspopulismus mit Zukunft

Ein Reformbündnis unter Ausschluss der Rechtsliberalen wäre ein fragiles Experiment. Aber auch Rutte, sollte er die Regierungsbildung meistern und die Politik an der Seite der deutschen Kanzlerin fortsetzen, sieht sich der Ablehnung in Teilen der Bevölkerung gegenüber (faktisch hat sein bisheriger Kurs ja nur noch die Zustimmung von weniger als einem Drittel der Wählerschaft).

Solange sich an der Regierungspolitik unter den Vorgaben des Europäischen Fiskalpaktes nichts ändert, werden sich die Einkommen und Vermögen der oberen 10% verselbständigen und damit das Gefühl großer Bevölkerungsteile bestärken, trotz aller Anstrengungen nicht mitzukommen. Das »Weiter so« auf dem Trümmerfeld neoliberaler Fundamentalsätze (kein Geld auf Kosten künftiger Generationen ausgeben, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Senkung der Lohnnebenkosten und der Haushaltsdefizite durch Beschneidung der Sozialleistungen usw.) wird die kalte Wut über den gebrochenen Gesellschaftsvertrag nicht verfliegen lassen.

Und solange sich dieses Gefühl hält, wird es rechtspopulistische Ausbruchsversuche eines größeren Teils der Gesellschaft geben. Der Rechtspopulismus hat schon jetzt eine breitere Basis. »Wilders kommt nicht aus dem Nichts. Seine Wähler sind eher jung, und sie speisen sich aus drei Schichten: Die erste Gruppe hat schlecht bezahlte Jobs und ist eher niedrig gebildet, eher sozialdemokratisches Klientel. Die zweite Gruppe sind klassische Renditerechner, eher aus dem kleinbürgerlich-liberalen Milieu, sie finden, dass sie zu hohe Steuern für ihre harte Arbeit zahlen. Und schließlich gibt es die Ideologen, klassische Rechte, durchaus auch gut gebildet.« (FR 13.3.2017)

Wilders wird sich auch in Zukunft als Rebell gegen die sogenannte politische Elite in Den Haag und Brüssel inszenieren. »Er [Rutte] wird mich nicht los«, twitterte er. Seine PVV wird frei als Opposition im Dienste der kleinen Leute gegen die angebliche Masseneinwanderung herumgeistern, weil niemand in den bürgerlichen Parteien in diesem »Nepp-Parlament« bereit ist, einer breiten Koalition beizutreten, die mit linker Grundausrichtung eine Erneuerung der niederländischen Sozialordnung pragmatisch voranbringt.