Bitcoin und die "Blockchain-Economy"

Immer wieder mal tauchen alternative Währungsmodelle in der gesellschaftlichen Diskussion auf. Tauschringe und sogenannte Regionalwährungen dokumentieren ein durchaus verbreitetes Bedürfnis nach Veränderung der Ware-Geld-Beziehungen. Die Expansion der digitalen Technologie in nahezu allen Lebensbereichen hat auch zu Überlegungen und Diskussionen über digitale Währungssysteme geführt. Als prominentestes Beispiel entwickelten sich die sogenannten Bitcoins, die Michael Paetau vorstellt.

Am 1. November 2008, unmittelbar nach dem Beginn der Finanzkrise postete Satoshi Nakamoto1, ein bis dahin unbekannter Computer-Spezialist, ein neunseitiges Positionspapier auf einer Kryptographie-Mailingliste, in dem er ein von ihm programmiertes System vorstellte, das es möglich machen sollte, Zahlungsvorgänge mit Hilfe eines Computers oder eines Smartphones ohne die Zwischenschaltung eines Geldinstitutes und ohne Bezug auf eine nationale Währung abzuwickeln. Auf der Basis eines kryptographischen Protokolls, das als quelloffenes Programmpaket aller Welt zur Verfügung gestellt wurde, schlug Nakamoto ein Geldsystem vor, das ohne Bezug auf Zentralbanken oder sonstige staatlich autorisierte Institutionen funktionieren können sollte. Das Papier trug den Titel "Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System". Wie sich mittlerweile herausstellte, ging es in diesem Papier aber um wesentlich mehr als um ein "elektronisches Zahlungssystem". Nicht wenige Ökonomen sprechen vom Beginn eines Umbruchs im vorherrschenden Verständnis dessen, was Geld bedeutet und wie es funktioniert. Zumindest aber lässt sich feststellen, dass nach einer Unterbrechung von Jahrzehnten wieder eine Diskussion darüber entstanden ist, was Geld eigentlich ist. Und es fällt auch auf, dass man sich in der neueren geldtheoretischen Debatte der Gültigkeit der neoklassischen Theoreme, die seit Jahrzehnten den Mainstream in der Ökonomie darstellen, gar nicht mehr so sicher ist.2

Digitale Währungen

Bitcoin ist nur eine von verschiedenen digitalen Währungen, die unter dem Begriff der "Cryptocurrency" subsumiert werden, aber mit Abstand die populärste. Bitcoins werden dezentral innerhalb eines Computernetzwerkes erzeugt, verwaltet und transferiert. Dabei garantiert das kryptographische Protokoll die Überprüfbarkeit aller Zahlungsvorgänge, so dass trotz des Verzichts auf eine zentrale Steuerungsinstanz gewährleistet werden kann, dass eine bestimmte Geldsumme nicht doppelt ausgegeben wird, und dennoch die Anonymität der Transaktionen sichergestellt wird.

Diese Leistung wird durch das Netzwerk aller am Bitcoin-System beteiligten Instanzen, den Bitcoin-Clients, erbracht. Jede Transaktion wird in einem öffentlich zugänglichen Kontenbuch, der sogenannten "Blockchain" festgehalten, wo sie nicht nur jederzeit durch das Netzwerk überprüft werden kann, sondern auch tatsächlich überprüft werden muss, um eine Zahlung freizugeben. Im Protokoll der Blochchain wird dann jede Transaktion mit einem Zeitstempel versehen und kann jederzeit zurückverfolgt werden.

Um in den Besitz von Bitcoins zu gelangen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Neben der Möglichkeit, selbst Bitcoins zu "schürfen"3 , worauf noch zurückzukommen sein wird, kann man wie bei allen anderen Währungen auch, eigene Dienstleistungen oder Waren gegen die Zahlung von Bitcoins anbieten oder auch Bitcoins gegen andere Währungen tauschen. Weltweit gibt es eine Reihe von Marktplätzen (Online Marketplaces) und Wechselstuben (Online Exchanges), bei denen Bitcoins gegen andere Währungen getauscht und anschließend in die eigene "Wallet" auf dem heimischen PC oder dem eigenen Smartphone transferiert werden können. Das Eigentum an Bitcoins bzw. die Legitimation über eine bestimmte Summe von Bitcoins zu verfügen, wird durch das Vorhandensein eines öffentlichen und eines privaten Schlüssels nachgewiesen.

Innerhalb der Netz-Community wird Bitcoin häufig als die adäquate neue Form virtuellen oder digitalen Geldes begrüßt, die besser an die Bedingungen und Möglichkeiten des digitalen Zeitalters angepasst ist als die traditionellen nationalen Währungssysteme. Hervorgehoben werden meist folgende Aspekte:

  • Direkter Zahlungstransfer von Person zu Person ohne Zwischenschaltung einer Bank,

 

  • einfache Handhabung der Übertragung (ähnlich wie das Versenden einer Email),

 

  • nutzbar in jedem Land der Welt (kein Währungstausch erforderlich),4

 

  • ]niedrigere Kosten für Zahlende und Zahlungsempfänger,

 

  • anonyme Zahlungsprozesse wie beim Bargeld, d.h. es gibt keine Möglichkeit die Handelspartner zu identifizieren oder das Kauf- und Zahlungsverhalten einer Person zu verfolgen,

 

  • Konten können nicht von einer staatlichen Autorität oder Bank eingefroren werden,

 

  • es gibt keine Möglichkeit, einmal geleistete Zahlungen zu widerrufen.


Nach acht Jahren praktischer Erfahrungen mit Bitcoin hat sich gezeigt, dass dieses System im Prinzip funktioniert. Aber es handelt sich hierbei um ein Konzept, dass unserer gewohnten Auffassung von Geld so sehr widerspricht, dass nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Fachwelt Skepsis verbreitet ist. Insbesondere Fragen der Geldschöpfung, der Geldmengensteuerung und des Wertbezuges werfen immer wieder Fragen auf. Und die zum Teil enormen Kursschwankungen der letzten Jahre sind der Nährboden für einen nicht zu übersehenden Mangel an Vertrauen in die neue Währung. In dem hier vorliegenden Beitrag kann nicht auf alle offenen Fragen eingegangen werden. Ich möchte mich stattdessen auf einige grundlegende geldtheoretische Fragen, die den Charakter der neuen Währung betreffen, konzentrieren.

Geldschöpfung und Geldmengenregulierung durch die "Blockchain"

Wie bereits hervorgehoben ist die "Blockchain", also das für alle Benutzer des Bitcoin-Netzwerkes uneingeschränkt einsehbare Kontenbuch, das Herzstück des Systems. In ihm werden fortlaufend alle Transaktionen aufgelistet und als Gutschriften oder Lastschriften eingetragen, und lassen sich bis zum Jahre 2009 zurückverfolgen (https://blockchain. info/). Diese Aktiv/Passiv-Dokumentation ist es, die den Geldcharakter von Bitcoin ausmacht. Bitcoin existiert somit nicht als materielle Entität, auch nicht als ein Dokument oder eine digitale Datei, die kopiert werden oder verloren gehen kann, sondern ausschließlich als Wertzeichen für Gutschriften oder Lastschriften, legitimiert durch die Blockchain und gerichtet an eine bestimmte Bitcoin-Adresse. Nakamoto spricht von einer Kette digitaler Unterschriften.

Der eigentliche Geldschöpfungsprozess geschieht im Prozess der Verifizierung der Zahlungsvorgänge durch das Bitcoin Netzwerk. Jede einzelne Transaktion muss vor ihrer Ausführung auf ihre Legitimation überprüft werden. Dabei wird zunächst mit Hilfe der öffentlichen Buchhaltung geprüft, ob die zahlende Person überhaupt ein ausreichendes Bitcoin-Guthaben besitzt und berechtigt ist, dieses an eine andere Adresse zu transferieren. Aber erst wenn diese Transaktion der gemeinsamen Buchhaltung hinzugefügt wurde, wird daraus ein erfolgreicher und irreversibler Zahlungsvorgang. Denn dadurch, dass die Blockchain nicht auf einem einzelnen Rechner, der als zentraler Server fungiert, existiert, sondern auf allen mit einer entsprechenden Software ausgerüsteten Computern, ist es erst mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung möglich, dass prinzipiell alle Akteure im Bitcoin-Netzwerk die Möglichkeit erhalten, sich an der Prüfung zu beteiligen.

Und, das ist nun sehr wichtig, wer sich daran beteiligt und schnell ist, wird belohnt mit einem sogenannten "Block Reward". Dieser besteht aus neu generierten Bitcoins. Dies ist der eigentliche Geldschöpfungsprozess, bei dem der sogenannte "Miner" ins Spiel kommt. Die Miner sind diejenigen Akteure im Bitcoin-Netzwerk, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Transaktionen zu validieren und sie dem öffentlichen Kontenbuch hinzuzufügen.5 Dies geschieht aber nicht einzeln, sondern in Zeit-Intervallen von 10 Minuten. In diesen 10 Minuten werden alle stattfindenden Transaktionen zu einem "Block" zusammengefasst. Jeder Block baut aufeinander auf und beinhaltet einen verschlüsselten Wert des vorangegangenen Blocks. So entsteht eine Kette von zusammenhängenden Blöcken, die "Blockchaine". Verschlüsselt sind die Blöcke nach dem "Secure Hash Algorithm" (Hash-Funktion SHA 256).6)  Ein "Block" ist somit nichts anderes als ein verschlüsseltes Protokoll über mehrere innerhalb von 10 Minuten stattfindende Zahlungstransaktionen, das der Blockchain hinzugefügt wird. Die Erstellung der Blöcke erfordert die Lösung einer kryptologisch-mathematischen Aufgabe, die erstens Zeit und zweitens enorme Rechenkapazität erfordert. Sobald ein Akteur es geschafft hat, einen solchen Block zu erstellen, stellt er diesen den anderen Akteuren im Netzwerk zur Verfügung, die die Lösung anhand der SHA-Prüfsumme kontrollieren. Die erfolgreiche Validierung bringt demjenigen, der den Block erstellt hat, einen Block-Reward von gegenwärtig 12,5 Bitcoin ein.

Die Geldmenge aller gesellschaftlich verfügbaren Bitcoins ist sehr streng durch die dem System zu Grunde liegende Software geregelt und basiert auf einer Übereinkunft der am Bitcoin Netzwerk partizipierenden Anwender. Sie kann weder durch eine Zentralbank noch durch eine Regierung verändert werden, d.h. auch keinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen unterworfen werden.7 Als das Bitcoin-System ins Leben gerufen wurde, wurde eine Summe von 21 Millionen Bitcoin als Höchstgrenze vereinbart, die nicht überschritten und die bis 2030 in mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Stufen erreicht werden soll. Der gegenwärtige Stand (Januar 2017) ist ca. 16 Millionen BTC.8

In den ersten Jahren des Systems wuchs die Geldmenge relativ schnell. Die von den Minern zu lösenden mathematischen Aufgaben waren noch relativ einfach. Das System ist jedoch so programmiert, dass mit steigender Geldmenge der Schwierigkeitsgrad der zu lösenden Aufgaben steigt und außerdem der Block-Reward für erfolgreiche Validierungen sich schrittweise je nach der Anzahl der validierten Blöcke um die Hälfte verringert (Bitcoin Halving). Während er in den ersten Jahren noch BTC 50,- für jeden erfolgreich validierten Block betrug, wurde er 2012 auf BTC 25,- halbiert und 2016 auf BTC 12,50. 2020 wird er noch BTC 6,25 betragen und verringert sich immer weiter. Damit sinkt natürlich die Motivation für die Miner sich an den aufwendigen Transaktionsverifizierungen zu beteiligen. Damit das System weiterhin funktioniert, müssen somit andere Motivationen greifen. Auch hierfür hält das System eine Antwort bereit: Transaktionsgebühren.

Wenn zu Beginn dieser Ausführungen niedrigere Kosten und Gebühren als einer der Vorteile des Bitcoin-Systems zitiert wurden, so heißt dies nicht, dass die Transaktionen vollkommen kostenlos sind. In der Praxis hat sich die Erwartungshaltung durchgesetzt, dass bei einer Transaktion eine geringe Gebühr für die Miner gezahlt wird. Diese richtet sich nach der Datenmenge, die eine Transaktion benötigt. Als Richtwert gilt gegenwärtig: BTC 0,0000001 pro Byte. Wieviel das genau ist, berechnen die vom User verwendeten Wallets automatisch. Es gibt zwar (bis jetzt) keine Verpflichtung, diese Gebühr zu zahlen, aber es hat zweifellos einen motivationsfördernden Effekt für die Miner, sich dieser und nicht jener Transaktion zuzuwenden und damit auf die Geschwindigkeit der Aufnahme einer Transaktion in einen Block.

Die geldtheoretische Provokation: Was ist Geld?

Die hier nur skizzenhaft dargestellte Blockchain-Economy hat in den letzten Jahren der geldtheoretischen Diskussion neue Impulse verliehen. Dass Geld in erster Linie als Tauschmittel angesehen wird, gehört zu den Grundpositionen der Mainstream-Ökonomie und zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der geldtheoretischen Debatten. Alles Weitere, insbesondere die weiteren Funktionen des Geldes, Wertmessung und Wertaufbewahrung, lassen sich aus dieser Grundbestimmung ableiten. Doch genau diese Grundannahme ist es, die nun in Frage gestellt wird.

Politische und wissenschaftliche Kontroversen über das, was als Geld anerkannt werden sollte und wie man es am besten organisieren könnte, lassen sich im Grunde alle einordnen in den grundlegenden Dualismus zwischen einer nominalistischen Geldauffassung und einer essentialistischen. Ein Höhepunkt dieser Kontroverse lässt sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Europa beobachten, als der Liberalismus die politökonomische Hegemonie - zumindest in England - erlangt hatte und das Bürgertum nach einem Wertmaßstab für Geld suchte, der nicht nach politischen Opportunitätsgründen von der Obrigkeit manipuliert werden konnte. Vorgeschlagen wurde dann ein strikter Goldstandard. Letztlich stellte sich aber heraus, dass eine so strikte Goldbindung zu einer unzureichenden Versorgung der Wirtschaft mit Geld und Krediten führte. Sie wurde dann abgeschafft, um später in modifizierter Form wieder eingeführt zu werden, um dann hundert Jahre später erneut abgeschafft zu werden.

Der Ausgangspunkt für diesen geldtheoretischen Dualismus wurde bereits in der klassischen Epoche des antiken Griechenland gelegt, als die ersten Geldmünzen in Umlauf kamen. Und es lässt sich deutlich erkennen, dass hier von vornherein eine bestimmte Prämisse in die Definition des Geldes einfließt, die einer bestimmten Gesellschaftsstruktur und ihrer Produktionsweise entsprach. Geld hatte dafür zu sorgen, den Austausch von Waren zu organisieren. Bei Aristoteles ist dies ganz klar formuliert, wenn er den Zusammenhang der freien Bürger der Polis auf den Warentausch gründet und dem Geld die Funktion zuspricht, diese Gemeinschaftsleistung zu garantieren.9 Was die Einheit der Gemeinschaft erzeugt, ist der Bedarf an Produkten, die andere zur Verfügung stellen. Auf dem Markt, aber "als eine Art austauschbarer Stellvertreter des Bedarfs ist das Geld geschaffen worden, aufgrund gegenseitiger Übereinkunft. Und es trägt den Namen ›Geld‹ (nomisma), weil es sein Dasein nicht der Natur verdankt, sondern weil man es als ›geltend‹ gesetzt (nomos) hat und es bei uns steht, ob wir es ändern oder außer Kurs setzen wollen".10 Letztlich ist Geld also "jenes Ding, das als Wertmesser Meßbarkeit durch ein gemeinsames Maß und somit Gleichheit schafft".11

Ähnlich tauschorientiert hatte schon Platon argumentiert und dabei der [i]staatlichen Autorität[/i] eine entscheidende Rolle zugesprochen. Denn ebenso, wie der Markt, auf dem private Händler ihre Waren untereinander tauschen können, von der Polis bereitgestellt wird, stellt sie mit dem Geld ein Austauschmedium zur Verfügung, dessen Wert staatlich garantiert wird, damit es als Äquivalent für den Wert aller anderen verschiedenartigen Waren anerkannt wird.12 Für Platon, der als Begründer der nominalistischen Geldauffassung gilt, besitzt Geld keinen Eigenwert sondern ist lediglich staatlich autorisiertes Wertzeichen. Für ihn ist Geld ohne staatliche Autorität undenkbar.13

Diese Engführung der Definition des Geldes auf seine Tauschmittelfunktion hatte schwerwiegende Konsequenzen für alle geldtheoretischen Ansätze, die folgten. Auf diese Weise blieben nämlich all jene Entwicklungen unbemerkt, die mit Hilfe von anderen Geldformen als die der Geldmünze die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums organisierten. Ein Blick auf ältere Gesellschaften im Osten des antiken Griechenlands, vor allem in Sumer der Uruk-Zeit (ca. 3000 v.u.Z.) zeigt, dass hier in einer Gesellschaft, in der der gesellschaftliche Reichtum nicht über Warentausch sondern durch ein komplexes System der von Tempelbürokratien verwalteten Produktion, Lagerung und Verteilung der Güter geregelt wurde, eine andere Form von Geld benötigt wurde, nämlich eine Form der gegenseitigen Aufrechnung von Schulden und Forderungen, dokumentiert mit einer für diesen Zweck geeigneten Schrift und Arithmetik, verwaltet in einem Buchhaltungssystem auf Tontafeln gespeichert.14 Also, wie man heute unter entwickelteren Verhältnissen des Finanzwesens erkennt, eine Art von virtuellem Geld, die das vorwegnimmt, was viele tausend Jahre später in Europa in einem auf Münzgeld aufbauenden System als schrittweise Ablösung des Geldes von seiner angeblich primordialen Form beschrieben wird. Nämlich als im 16. Jahrhundert, mit der Verbreitung von Wechseln, der Einführung des "Scudo de Marchi", und anschließender Verbreitung von Banknoten, Schecks, Kreditkarten bis hin zum digitalen Geld sich eine schrittweise Ablösung des Geldes von einer irgendwie gearteten materiellen Substanz durchsetzte.15

Griechische Produktionsverhältnisse des 5. Jahrhunderts v.u.Z. unterschieden sich aber wesentlich von denen der bürokratischen Tempel-Planwirtschaften in Mesopotamien des 3. Jahrtausends v.u.Z. Sie erforderten Warentausch und insofern auch eine andere Form von Geld, nämlich die Geldmünze. Und so wurde die geldtheoretische Diskussion für Jahrhunderte auf eine falsche Fährte gelockt. Niklas Luhmann vermutete bereits 1997 - über zehn Jahre vor der Erfindung des Bitcoin - dass "Geld vermutlich nicht im Hinblick auf seine Tausch vermittelnde Funktion, sondern als Zeichen für unausgeglichene Leistungsverhältnisse" entstanden ist.16

Es lässt sich also festhalten, dass wir heute aus einer Situation des entwickelten kapitalistischen Finanzwesens heraus behaupten können, dass wir den Geldbegriff abstrakter fassen müssen, als es im Mainstream der Wirtschaftswissenschaften geschieht, indem wir anerkennen, dass Geld zunächst ein System von Kreditkonten und ihrer Verrechnungen ist, und dann erst eine bestimmte Form als Münze, Wechsel, Banknote oder eben Bitcoin annehmen kann.

Geld als Medium

Soziologen haben mit einer solch tiefergelegten Definition des Geldes vermutlich weniger Probleme als Ökonomen. Schon für Marx, Simmel, Parsons, Habermas oder Luhmann war Geld nicht so sehr als materielles Substrat interessant, nicht als eine bestimmte Sache oder Ding, sondern als soziale Technologie, mit der Gesellschaften die Verteilung ihres Reichtums organisieren und soziales Handeln gesteuert wird. Soziologen sprechen deshalb vom Geld als einem sozialen Steuerungsmedium. Als "Medium" besitzt es die Eigenschaft, lange Ketten von sozialen Handlungen dadurch zu beeinflussen, dass einzelne Entscheidungen durch das Medium selbst prädisponiert sind, beispielsweise, ob man etwas kaufen möchte oder nicht. Welche Form dieses Medium annimmt, ist immer das Resultat eines komplexen Zusammenwirkens unterschiedlicher Faktoren, seien sie geographischer, technologischer oder auch interessengeleiteter Art. Sie ist immer eingebettet in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um adäquate Formen der Steuerung des ökonomischen Systems, um die Steuerung der Produktion, der Akkumulation, der Administration, der Verteilung und des Austausches des gesellschaftlichen Reichtums. Und selbstverständlich ist das beim Thema Cryptocurrency nicht anders.

Ob Cryptocurrency eine Zukunft hat oder nicht, lässt sich schwer abschätzen. Gegenwärtig fristet es trotz stetig wachsender Akzeptanz immer noch ein Nischendasein. Bitcoin leidet immer noch unter einigen Turbulenzen und Skandalen der Anfangsjahre (Silk Road, MtGox, Flexcoin, MyCoin, Bitfinex). Unklar ist auch, was eine Währung, die systembedingt deflationär ausgelegt ist (aufgrund der Geldmengenbeschränkung auf 21 Mio. BTC), für potentielles Wirtschaftswachstum bedeutet. Ein anderer Punkt ist, dass die Mining-Praxis technologisch zwar vollkommen transparent ist, aber in gesellschaftspolitischer Hinsicht eine Reihe von Fragen aufwirft. Einige Miner haben sich zu Mining-Pools zusammengeschlossen, indem sie ihre Rechenkapazität zusammenführen, so einen Konkurrenzvorteil gegenüber anderen erlangen und auf diese Weise mehr Block-Rewards erhalten. Befürchtet wird, dass dies zu dominanten Mining-Unternehmen führen könnte, die durchaus in der Lage wären, großen Einfluss auf das Geldmengenwachstum und die Geldmenge auszuüben. Eine andere Sorge gilt den sogenannten "Early Adopters", die in den Anfangsjahren einfach und schnell eine große Summe von Bitcoin generieren konnten, diese bislang gehortet haben und nun von Zeit zu Zeit in größeren Mengen auf den Markt werfen, was ein Grund für die zum Teil sehr hohen Kursschwankungen sein könnte. Volatilität und Sicherheit sind wohl die größten Probleme der neuen Währung. Inwieweit diese Probleme durch das Open-Source-Konzept, das dem ganzen System zu Grunde liegt, gelöst werden können, wie aus der Netz-Community oft zu hören ist, bleibt abzuwarten.

Anmerkungen

1) Satoshi Nakamoto ist ein Pseudonym. Wer sich hinter diesem Namen verbirgt und ob es sich dabei um eine oder mehrere Personen handelt, ist immer wieder Gegenstand heftiger Spekulationen, angeblicher Enttarnungen, denen Dementies folgen, und - seitdem Nakamoto für den Ökonomie-Nobelpreis vorgeschlagen wurde - der aber nur an eindeutig identifizierte Personen vergeben werden kann - auch Selbstbekenntnisse, die aber angezweifelt werden. Die Identität bleibt ungeklärt.

2) Vgl. Felix Martin 2014: Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus, München; oder auch Paul Vigna / Michael J. Casey 2015: The Age of Cryptocurrency, New York.

3) In Analogie zum "Goldschürfen" hat sich im Englischen der Begriff "Mining" für die Geldschöpfung von Bitcoins etabliert.

4) Diesen Vorteil haben beispielsweise einige griechische Unternehmen genutzt, um während der temporären Bankenschließung im Sommer 2015 weiterhin Importe aus anderen europäischen Ländern beziehen zu können.

5) Im Prinzip kann jede Person ein "Miner" sein, aber hierbei handelt es sich um einen ausgesprochen elaborierten Prozess, der nur mit Hilfe sehr leistungsfähiger Computer umgesetzt werden kann. Letztendlich ist es also pure Rechenleistung, die über die Möglichkeit entscheidet, selbst Bitcoin zu generieren.

6) Das Ergebnis einer Hashfunktion ist eine Prüfsumme, wie sie jedem sicherheitsbewussten Benutzer eines Computersystems bekannt ist, um beispielsweise die Integrität von aus dem Internet heruntergeladener Open-Source-Programmen zu verifizieren.

7) Dieser Sachverhalt hat eine Reihe von Autoren dazu veranlasst, Bitcoin in die Nähe marktliberaler Geldtheorien, wie etwa derjenigen von Friedrich A. von Hayek zu rücken (Friedrich A. von Hayek 1977: Entnationalisierung des Geldes, Tübingen). Das mag nicht ganz falsch sein, reicht aber wegen des vollkommen anderen Konzeptes nicht aus, um das auf der Cryptocurrency-Idee basierende Geldsystem angemessen zu beurteilen.

8) Den genauen Stand einschließlich aller relevanten Daten, wie Inflationsrate, Kursentwicklung etc. kann man hier einsehen: http://www.bitcoinblockhalf.com/. Daten zum kontrollierten Geldmengenwachstum finden sich im Bitcoin-Wiki: https://en.bitcoin.it/wiki/Controlled_supply .

9) Aristoteles 1969: Nicomachische Ethik. Buch V [1132b 29-1134a 2] (nach der Übersetzung von Immanuel Bekker, 1831), Stuttgart: 132 ff.

10) Aristoteles: a.a.O. [1133a 12-1133a 29- b14]: 133 f.

11) Aristoteles: a.a.O [1133b 14-1134a 2]: 135, Vgl. auch die Kritik von Marx im Zusammenhang mit der Entwicklung der Geldform (MEW 23: 73 ff.), auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. dazu: Michael Paetau 1978: "Das Marxsche Quantitätsgesetz und die neuere Inflationsdiskussion", in: Sozialistische Politik (SOPO), Jg. 10 (1978, Heft 3): 54-64.

12) Platon 1958: Politeia (Der Staat), Hamburg: 371b.

13) Heute wissen wir, dass er sich hierin irrte. Die historische Entwicklung des Geldes zeigt viele Beispiele für Geld, das nicht von staatlich autorisierten Institutionen herausgegeben wurde. Eines der wichtigsten Beispiele ist sicherlich der "Scudo de Marchi" oder "Ecu de Marc", mit denen die Handelshäuser Europas im 16. Jahrhundert über die Grenzen der Fürstentümer hinweg ihre Forderungen und Verbindlichkeiten gegeneinander aufrechneten. Vgl. hierzu Felix Martin, a.a.O.: 142 ff.

14) Vgl. Felix Martin, a.a.O.: 55 ff.

15) Vgl. hierzu die von Felix Martin beschriebenen Beispiele, wie das "Fei-System" auf der Insel Yap (9-15), das Buchhaltungssystem in Uruk (55 ff.), sowie die von der "Jixia-Akademie" im China des 4. und 3. Jahrtausend v.u.Z. entworfene Geldtheorie (106 ff.).

16) Niklas Luhmann 1997: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Band 1, Frankfurt am Main: 348.

Michael Paetau, Soziologe und Kommunikationswissenschaftler am Internationalen Zentrum für Soziokybernetische Studien, lebt in Bonn und Bogotá.