KunstarbeiterInnen zwischen Prekarität und Widerstand.

Eine Genealogie

Historische Einflüsse und die Gegenwart

Im Hintergrund der Kunstmessen, Biennalen und Ausstellungen und bevor künstlerische Arbeiten ausgestellt, verkauft, gesammelt oder verschenkt werden, müssen KünstlerInnen, PraktikantInnen, AssistentInnen und KuratorInnen forschen und planen, sie eignen sich Arbeitsmaterialien und notwendige Fähigkeiten an, um zeichnen, schreiben, bauen, proben oder filmen, publizieren und ein Publikum in den sozialen Netzwerken einladen zu können. Performances, Graphiken, Installationen, Filme, Skulpturen, Dokumente oder Gemälde sind alle das Ergebnis künstlerischen Arbeitens und von Kreativität. Ungeachtet dieser Tatsache, wird künstlerische Arbeit auf dem heutigen globalen Kunstmarkt nicht anerkannt, während der Fokus allein auf das materielle Ergebnis dieser Arbeit gerichtet ist. Demzufolge werden die Bedingungen künstlerischer Arbeit als unwichtig abgetan, häufig von den oberen Rängen des Kunstmanagements aus, aber manchmal selbst von KünstlerInnen. Wenn Mitglieder der künstlerischen community sich dazu entscheiden, dagegen Stellung zu beziehen, setzen sie sich in manchen Fällen der Gefahr aus, von einer Ausstellung ausgeschlossen zu werden oder auf die schwarzen Listen bestimmter Institutionen zu kommen.

Dieser Zustand ist keine zwingende Angelegenheit. Dem weit verbreiteten Glauben, dass KünstlerInnen viel zu unabhängig und zu beschäftigt mit ihrem eigenen Werk sind, um sich zu organisieren und an sozialen Bewegungen teilzunehmen, lässt sich leicht mit einer beträchtlichen Menge von Beispielen begegnen, in denen KünstlerInnen sich in Gewerkschaften, Kommunen, Assoziationen, Gilden, Syndikaten oder Kollektiven zusammengefunden haben. Wichtig zu betonen ist darüber hinaus, dass es KünstlerInnen dabei nicht nur um bessere Bezahlung, rechtliche und andere Absicherungen ging, sondern dass sie sich zudem mit ArbeitInnenbewegungen zusammenschlossen, um den herrschenden Status Quo herauszufordern.

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als im Rahmen der Künstler-Gewerkschaft innerhalb der Pariser Kommune die Worte Künstler, Kunstarbeiter und Aktivist synonym verwendet wurden, haben KünstlerInnen ein prekäres und bewusstes Dazwischen hinsichtlich der Klasseneinteilungen von Gesellschaft besetzt. Dieser Strang von Selbstreflexion und Widerstand kann auch in den darauf folgenden Avantgarde-Bewegungen nachgezeichnet werden. Innerhalb dieser Gruppen wandten sich KünstlerInnen und KunsttheoretikerInnen gegen den Begriff des L’art pour l’art und versuchten, eine ArbeiterInnenklassen-Identität anzunehmen, auch wenn sie sehr uneins darüber waren, was diese genau beinhalten sollte. In diesem Sinne lässt sich die Entwicklung engagierter KunstarbeiterInnen als dialektische Beziehung zwischen KünstlerInnen und Gesellschaft beschreiben, in der die Transformation der einen nicht unabhängig von der anderen auftauchen kann. Wie ich anhand der folgenden Beispiele zeigen möchte, existieren kollektive Aktionen auf der Makrobene und auf der Graswurzelebene nicht getrennt voneinander. [...]

KunstarbeiterInnen, Avantgarden und Neue Soziale Bewegungen

KünstlerInnengruppen aus aller Welt bemühten sich in verschiedenen Intensitäten um Verbindungen zu und Allianzen mit der organisierten Linken, um das Konzept der/des KunstarbeiterIn als wiederkehrende künstlerische Subjektivität zu rahmen, mit der Mitglieder der KünstlerInnen-Community in verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Strategien – von der künstlerischen Intervention bis zur direkten Aktion – [sich und andere] mobilisierten. Meine Analyse dieser Gruppen bezieht sich nicht auf eine historische Zufälligkeit von einem Protestzyklus oder einer Bewegung zum/zur nächsten, sondern bildet eine Grundlage für eine komparative Studie zu Kontinuität und Bruch, Überlappung und Dissonanz.

Während ihre Mitglieder keine spezifisch sozialistische Position vertraten, opponierte die DADA-Bewegung doch gegen die Werte der bürgerlichen Gesellschaft, des politischen Konservatismus und gegen den sinnlosen Ersten Weltkrieg. DADA führte eine bestimmte rebellische Attitüde in die künstlerische Praxis ein und artikulierte eine Reihe von Unzufriedenheiten mit dem institutionalisierten Charakter der Kunstwelt. Einige Mitglieder von DADA Berlin bemühten sich, zumindest theoretisch, um Identifizierung mit der ArbeiterInnenklasse, indem sie sich nicht als KünstlerInnen im Dienste des Kapitals, sondern als KünstlerInnen der Arbeiterklasse präsentierten: als KunstarbeiterInnen. [...]

Nur ein Jahrzehnt später demonstrierte in Mexiko-Stadt die bahnbrechende Gewerkschaft der Technischen Arbeiter, Maler und Bildhauer an der Seite des lokalen Proletariats mit kreativem Enthusiasmus. Auch wenn Mexiko seine Unabhängigkeit von Spanien 1821 hart erkämpft hatte, waren die ökonomischen Spaltungen zwischen den Reichen und den Armen und der soziale Unterschied zwischen Menschen mit spanischer und solchen mit amerindischer Herkunft eklatant und befeuerten ein Jahrzehnt des Bürgerkrieges [1910-1920].
In ihrem Manifest von 1922 bediente sich die Gewerkschaft des allgemeinen sozialistischen Zeitgeists und richtete sich an „die Arbeiter, von den Reichen unterdrückten Bauern, an die von ihren Vorgesetzten zu Henkern gemachten Soldaten und an die Intellektuellen, die sich der Bourgeoisie nicht unterwerfen.“ Sie schrieben: „Wir sind auf Seiten derer, die das alte und inhumane System überwinden wollen, in dem du, Bodenarbeiter, Reichtümer für die Aufseher und Politiker produzierst, während du selbst hungerst. Wir verkünden, dass jetzt der Moment der sozialen Veränderung von einer altersschwachen zu einer neuen Ordnung gekommen ist.“ Ihr Ziel war, „Schönheit für alle, die aufrührt und zum Kampf anregt“ zu produzieren.
Viele Mitglieder der Gewerkschaft, die wie eine Gilde funktionierte, traten der Mexikanischen Kommunistischen Partei bei. Ihre Aktivitäten galten sowohl der Entwicklung einer neuen kollektiven künstlerischen Sprache, die ihren Ausdruck in großformatigen, didaktischen und staatlich geförderten Wandgemälden (murales) im öffentlichen Raum fand, als auch in der Verteidigung der Rechte und Interessen von KünstlerInnen. [...]

Zur gleichen Zeit gründete sich 1928 in New York die Harlem Artists Guild. Ihr erster Präsident, der Künstler Aaaron Douglas, agitierte gemeinsam mit der Vizepräsidentin Augusta Savage und anderen prominenten Mitgliedern der Harlem Renaissance-Bewegung (Gwendoly Benett, Norman Lewis, Charles Alston und anderen) für ein Ende der auf rassialisierten Zuschreibungen basierenden Diskriminierung und für die Integration und die faire Bezahlung Afrikanisch-Amerikanischer KünstlerInnen in Kunst-Organisationen. [...] In der Verfassung der Gilde hieß es, das „im Bewußtsein der Notwendigkeit, an der Lösung der kulturellen, ökonomischen und beruflichen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, kollektiv zu agieren“, bestehe ihr Ziel erstens darin, junge Talente zu ermächtigen, „das gegenseitige Verständnis von Künstlern und Öffentlichkeit durch Bildung“ und durch „die Kooperation mit Ämtern und Individuen, die an der Verbesserung der Lage von Künstlern interessiert sind“ zu fördern, sowie schließlich den „Lebens- und Leistungsstandard unter Künstlern“ anzuheben. […]

Wiederaufnahmen und neue Zyklen von Kämpfen nach dem Zweiten Weltkrieg

In der reaktionären Phase nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Artist’s Equity Association zu einer Zeit gegründet, in der Gewerkschaften demontiert und die Frauen aus den Fabriken gedrängt wurden und die feindliche Haltung der Regierung KünstlerInnen gegenüber diesen wenige Perspektiven bot. Die Association sah sich beträchtlicher Gegnerschaft ausgesetzt, wurde doch die Idee organisierter KünstlerInnen bei konservativen KritikerInnen und GesetzgeberInnen mit einigem Argwohn aufgenommen, nicht zuletzt aufgrund einer andauernden Antipathie dem Aktivismus früherer Gruppen wie der Artist’s Union und der Harlem Artists Guild gegenüber, sowie auch wegen des ideologischen Kalter Krieg-Misstrauens gegenüber sozialen Ideen. […]

In den turbulenten 1960er und 1970er Jahren waren die KünstlerInnen wieder unter den ersten derjenigen, die sich selbst organisierten und sich mit den ArbeiterInnen identifizierten, die unter Druck standen, weil sie sich gegen Lohn- und Rentenkürzungen und die Auflösung der Gewerkschaften zur Wehr setzten. Im Frankreich des Jahres 1968 brachten KünstlerInnen, ArbeiterInnen und Studierende ihren Unmut über die allgemeine Armut, die Arbeitslosigkeit, die konservative Regierung und die militärische Einmischung in Südost Asien zum Ausdruck und nahmen in verschiedenen Wellen von Streiks und Demonstrationen die Straße ein. Fabriken und Universitäten wurden besetzt. Das Atelier Populaire, eine von Studierenden und Fakultätsmitgliedern an der École des Beaus Arts in der Hauptstadt gegründete Kunst-Organisation, produzierte Plakate und Spruchbänder für die Revolte […].

Im selben turbulenten, globalen soziopolitischen Klima gründete eine Gruppe von internationalen KünstlerInnen und KritikerInnen 1969 in New York die Art Worker’s Coalition (AWC). Hunderte von KünstlerInnen nahmen am Eröffnungstreffen des AWC teil. Ihre Funktion war ähnlich der einer Gewerkschaft, indem sie sich direkt mit den Gremien und Bürokraten der Museen anlegte, die zur Fassade der kommerziellen Kunstwelt geworden waren. […] Obwohl die AWC sich nach drei Jahren intensiver Arbeit auflöste, hat ihr Vermächtnis Bestand, künstlerische Arbeit neu zu denken und die ungerechten und diskriminierenden institutionellen Modelle in den USA herauszufordern. Gegenwärtig sind, mit der Involvierung der künstlerischen Community in sozialen Bewegungen wie Occupy Wall Street, die Fragen der künstlerischen Subjektivität und der Klassenzusammensetzung, von KünstlerInnen als ArbeiterInnen, der Protestpolitiken oder der Rolle von Kunst und künstlerischen Institutionen im Zeitalter des Kunstmarktes wieder zentral geworden.

Gegenwärtige Herausforderungen und Neuanfänge

Heute ist es offensichtlich, dass KünstlerInnen dem Druck ausgesetzt sind, sich der Logik des Kunstmarktes anzupassen oder gar Symbole der neuen neoliberalen Kreativwirtschaft zu werden. Wie Kulturkritiker wie Gregory Sholette richtig beobachtet haben, haben die Geschäftswelt und die Politik durch das Kooptieren der Wünsche und Forderungen des Protests der 1960er und 1970er Jahre, das Büro in flexiblere und weniger hierarchische Formen der Kontrolle transformiert, die immer schwieriger zu entwirren und zu bekämpfen sind.
Gleichzeitig bezeichnen sich einige KünstlerInnen-Gruppen in prekärer Lage als ArbeiterInnen, zu einer Zeit, in der sich traditionelle Industrien so gut wie aufgelöst haben, während es kein Sicherheitsnetz des ausgestorbenen Wohlfahrtsstaates mehr gibt oder, wie in einigen Ländern an der Peripherie der Europäischen Union, der Staat überhaupt aufgehört hat, zwischen der arbeitenden Bevölkerung und den Unternehmensimperien zu vermitteln. Während die 1% ihre Reichtümer genießen, ist es nun überdeutlich, dass die Vielen nicht vom Trickle Down-Effekt profitieren.
In der Kunstwelt müssen selbst die bestbezahlten KünstlerInnen mit ständig wechselnden Beschäftigungen umgehen, während sie von Kunstmesse zu Biennale zu Großausstellung reisen und ausgiebig Netzwerke knüpfen und Selbstvermarktung betreiben. Während selbst die erfolgreichen KünstlerInnen zu kämpfen haben, gibt es gleichzeitig die vielen KünstlerInnen, deren Arbeit unsichtbar ist, wenngleich total notwendig für das Funktionieren der Kunstwelt. […]

Zugleich sind aber aktivistische Gruppen entstanden – wie Precarious Worker’s Brigade, Occupy Museum, Liberate Tate und der May Congress of Creative Workers – die ähnlich wie ArtLeaks […] gegen die Begrenzung der Institutionen aktiv werden und die Notwendigkeit sehen, diese neu zu denken, ihre Aufgaben zu reformulieren und gegen die sich ausbreitende Repression und stillen Machtmissbrauch – die Nebeneffekte des Neoliberalismus – kämpfen.


Das Organisationsmodelle der KunstarbeiterInnen, die ich hier diskutiert habe, sind nicht nur Mittel, um sozio-politischen Wandel herbeizuführen. Das Wichtige an ihnen ist aus meiner Sicht, dass sie die Idee eine kollektiven, selbstorganisierten, politisch engagierten Projektes verkörpern, das zur Veränderung der Gesellschaft führen kann. […]




Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 43, Sommer 2017, „Class Matters“.
Dieser Text erschien zuerst in Erik Krikoritz/ Airi Triisberg/ Minna Henriksson (Hg.): Art Workers. Material Conditions and Labour Struggles in Contemporary Art Practices. Berlin/ Helsinki/ Stockholm/ Tallinn 2015. Gekürzt und aus dem Englischen übersetzt von Jens Kastner.


Corina L. Apostol ist Kunsthistorikerin, Kuratorin, Künstlerin und hat ihren PhD in Kunstgeschichte an der Rutgers University, New Brunswick, New Jersey gemacht. Sie ist Mitbegründerin von art-leaks.org