Xi Jinping fordert den weiteren Umbau Chinas

In seiner Eröffnungsrede auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei hat Chinas Staatschef und Generalsekretär der Partei, Xi Jinping, die Mitglieder aufgerufen, sich gegen jegliche Versuche zur Wehr zu setzen, die Führerschaft der Partei zu unterminieren. Das Land trete in eine »neue Ära« ein, in der die Partei einen »Sozialismus nach chinesischer Art« praktiziere.

»Die Aussichten sind gut, aber die Herausforderungen ernst«, sagte Xi. Die gesamte Partei müsse bereit sein, sich noch mehr zu bemühen. »Um große Träume zu erreichen, muss es große Anstrengungen geben.« Jeder in der Partei »muss mehr tun, um die Führerschaft der Partei und das chinesische besteht sozialistische System aufrechtzuerhalten, und sich entschieden gegen alle Äußerungen und Handlungen wenden, die diese unterminieren, verzerren oder verleugnen«, sagte Xi vor den fast 2.300 Delegierten aus ganz China

Xi Jinping hat also den Führungsanspruch der Kommunistischen Partei in allen Bereichen des Lebens unterstrichen. Die 89 Millionen Parteimitglieder bilden das Rückgrat des Landes und stehen für dessen Fortschritt, sagte er. Die von ihm anvisierte Wiedergeburt Chinas wäre nach seinem Selbstverständnis ohne die Führung durch die Kommunisten nicht möglich.

Chinas Führung hat unter Xi Jinping seit 2012 Reformen durchgesetzt. Auch sie hatten das Ziel, die führende Rolle der Partei wieder herzustellen. Die entschiedene Anti-Korruptions-Kampagne in der zurückliegenden Amtsperiode hat wesentlich dazu beigetragen, das Machtmonopol der Partei zu stärken. Ihr angeschlagener Ruf in der Bevölkerung ist korrigiert worden.

Das stabile Wirtschaftswachstum (2017 knapp 7%) ist ohne Zweifel ein Erfolg der Konjunkturpolitik der vergangenen Jahre: Die Partei hat eine Reihe von Wirtschaftszweigen gezielt fördert, um das Wachstum hoch zu halten. Auch die Kreditvergabe blieb auf einem hohen Niveau. Zugleich ist es gelungen, die Überkapazitäten in Branchen wie Kohle, Stahl und Beton etwas zu verringern.

Auch künftig geht es um die Bekämpfung der »unausgeglichenen Entwicklung«: Einige Branchen haben zu hohe Kredite aufgenommen, die Reichen werden immer reicher, die Preise für Wohnungen sind zu schnell gestiegen. Das Wachstum soll daher künftig weniger auf kreditfinanziertem Aufbau von mächtigen Industrien wie Stahl, Kohle und Beton beruhen. Hier hatte die staatliche Förderung den Aufbau horrender Überkapazitäten begünstigt.

Ziel ist stattdessen ein »dynamisches Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage«. Die künftigen Wachstumsbringer sollen die Informationstechnik, Dienstleistungen und innovative Branchen sein. Der Fokus bleibt jedoch auf der Realwirtschaft und der Herstellung konkreter Waren.

Schon in der ersten Amtsperiode von Xi Jinping hat die Parteiführung begonnen, die Wirtschaft umzubauen. Nun zielt sie verstärkt auf den Ausbau des Dienstleistungsbereichs. Dafür wird ein schwächeres Wachstum in Kauf genommen. Bis 2018 dürften die Staatsschulden auf 40% der Wirtschaftsleistung steigen und sich bis zum Ende des Jahrzehnts 45% nähern.

 

Wachsender Schuldenberg

Dies hat jetzt die amerikanische Rating-Agentur Moody's alarmiert; sie hat im Mai 2017 die Bonität Chinas um einen Punkt von Aa3 auf A1 herab gestuft. Sie nennt dafür mehrere Gründe, darunter Zweifel an der Reformfähigkeit, sinkende Devisenreserven und das Schuldenrisiko. Besonders die Schuldensituation im Land ist den Analytikern der Rating-Agentur ein Dorn im Auge. Hier gebe es eine hohe Wahrscheinlichkeit eines deutlichen Anstiegs in allen Wirtschaftszweigen. Damit würden auch die Belastungen für den Staatshaushalt wachsen. So dürfte nach Auffassung von Moody's die Finanzkraft nachlassen und die Verschuldung zunehmen.

Die Wachstumsraten haben sich von durchschnittlichen 16% in den Jahren 2001 bis 2009 in den letzten vier Jahren auf 8% halbiert. Absolut betrachtet, sähen die Verbindlichkeiten der Privathaushalte trotz des jüngsten Kreditwachstums im internationalen Vergleich zwar mit 43% des BIP noch »harmlos« aus, dafür hätten die Unternehmen mit 166% des BIP über die Stränge geschlagen. Ein gewisser Trost sei die Tatsache, dass es sich vor allem um »heimische Kreditkontrakte« handle – der Anteil der Fremdwährungskredite belaufe sich auf nicht einmal ganz 3% des BIP. Auf der anderen Seite hätten die Verbindlichkeiten der chinesischen Nicht-Finanzunternehmen seit dem Jahr 2008 um das Dreieinhalbfache zugenommen und ein gefährliches Niveau erreicht.

Die Regierung ist dabei, den Teufelskreis aus stetig wachsender Verschuldung der Unternehmen und den aus notleidenden Krediten resultierenden Gefahren für den Finanzsektor zu durchbrechen. Im Zentrum ihrer Maßnahmen steht ein »debt to equity swap Program«, durch das risikoreiche Verbindlichkeiten der Unternehmen in Eigenkapital umgewandelt werden. Hochverschuldete Firmen können dadurch die Eigenkapitalquote erhöhen. Da sie weniger Geld für die Tilgung ihrer Schulden benötigen, erhalten sie einen größeren finanziellen Spielraum. Den Banken bietet das Programm die Chance, ihre Bilanzen um notleidende Kredite zu bereinigen.

Wachsender Schuldenberg

Die chinesische Regierung will aber weiterhin aufwändige kreditfinanzierte Projekte auflegen, um die Infrastruktur auf dem Lande zu entwickeln. Das schaffe Jobs für einfache Arbeiter, die weiterhin dringend gebraucht werden. Die Stabilität des Arbeitsmarkts hat Vorrang vor allen anderen Überlegungen. Das Gesamtziel sei ein »ökologisch ausgewogenes und lebenswertes Umfeld«.

Die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage verschafft der Partei Bedingungen, um ihr Reformprogramm umzusetzen. Präsident Xi Jinping hat auf dem Parteikongress die Eckpunkte für eine Reihe von Zukunftsplänen dargestellt. Sie beinhalten eine Mischung aus staatlicher Lenkung auf der einen Seite, bei deutlichen Deregulierungen auf der anderen Seite, um China zu einem führenden Hochtechnikland zu machen. Xi Jinping skizzierte in der Grundsatzrede für die Ausgestaltung der neuen Ära einen Zeitplan:

  • Bis 2020 soll sich die reale Wirtschaftsleistung im Vergleich mit 2010 verdoppeln, um die Armut zu besiegen und allen BürgerInnen einen bescheidenen Wohlstand zu sichern.
  • Bis 2035 soll die Ökonomie in allen wichtigen Technikbranchen zu einem Innovationsführer aufsteigen. Die chinesischen Firmen sollen die bisherigen Weltmarktführer aus dem Westen und aus Japan zunächst ein- und anschließend überholen. Darüber hinaus soll das asiatische Land bis 2035 ein Rechtsstaat sein, in dem keiner über dem Gesetz steht. Wichtige Felder sind weiter der Umweltschutz und die Bedürfnisse der wachsenden Mittelklasse.
  • Im nächsten Fünfzehnjahreszeitraum von 2035 bis 2049 soll China dann »modern, stark und wohlhabend« werden und zu einer Gesellschaft transformiert werden, die im weltweiten Wettbewerb als besonders innovativ wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund sind die Zukäufe chinesischer Firmen im Ausland zu sehen, durch die sie Know-how erwerben, das sie bis jetzt nicht besitzen.

1978 setzte sich Deng Xiaoping mit auf den Markt bezogenen Wirtschaftsreformen in China durch. Seither ist die Volksrepublik von einem bitterarmen Entwicklungsland zu einer ökonomischen Supermacht aufgestiegen. Mit einem Anteil von 15% an der Weltwirtschaft liegt es 2017 auf Platz zwei hinter den USA mit einem Anteil von 24%. 2050 wird China wohl die Nummer eins sein und die Vereinigten Staaten nach 180 Jahren als größte Ökonomie der Erde abgelöst haben. Eine solch dramatische Verschiebung der wirtschaftlichen Gewichte hat stets politische Auswirkungen, vor allem, wenn der aufsteigende Staat die bisherige Vormacht zu überholen droht. Konstellationen wie diese waren historisch enorm konfliktträchtig.

Philip Alston, Uno-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, ist durch China gereist und hat 2016 eine Einschätzung über die Armutsbekämpfung vorgelegt. Zunächst lobte er die großen Errungenschaften Chinas bei der Armutsbekämpfung. Durch das starke Wirtschaftswachstum, staatliche Eingriffe und vor allem aufgrund des großen Willens der politischen Führung sei es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, rund 700 Mio. Menschen aus ihrer extremen Armut zu führen. In China gilt als extrem arm, wer weniger als zwei US-Dollar am Tag zum Leben hat, die Weltbank setzt diese Messlatte schon auf einen US-Dollar 90 pro Tag.

Alstons Lob war angebracht, denn in der Tat sind Chinas Erfolge beeindruckend: Verfügten 2003 lediglich 10% der ChinesInnen über eine Krankenversicherung, sind es inzwischen rund 95%. 2009 waren 240 Mio. ChinesInnen durch eine Altersvorsorge erfasst, fünf Jahre später sind es bereits 842 Mio. Auch die Kinder- und Müttersterblichkeit fielen zwischen 2000 und 2012 um 60% respektive um 49%. China habe diese Probleme erkannt und sei sie entschlossen angegangen.

Unlängst hat Staatspräsident Xi Jinping zudem angekündigt, dass bis 2020 das Problem extremer Armut in China gänzlich behoben sein soll. »Dieser Wille ist beeindruckend und in der restlichen Welt nicht häufig vorhanden«, sagte Alston. Doch der Uno-Sonderberichterstatter mahnte, man dürfe nicht nur auf die großen makroökonomischen Errungenschaften blicken, sondern müsse auch das Individuum im Blick behalten. Hier fand er auf seiner Reise zahlreiche Probleme: Fehlender Zugang zu Bildung, mangelndes Mitspracherecht, keine Rechenschaftspflicht der Regierenden sowie große soziale Ungleichheit drohen Chinas Zukunft zu gefährden.

So gut Chinas Wirtschaftswachstum für die Entwicklung des Landes war, hat es doch gleichzeitig zu einer dramatischen Ungleichheit geführt. Einer Studie der Peking Universität gemäß besitzen die reichsten 1% der ChinesInnen so viel wie ein Drittel der übrigen Bevölkerung, während die ärmsten 45% lediglich über 1% des gesamten Wohlstands verfügen. Deshalb sei auch ein Wert von zwei US-Dollar 30 Cent am Tag eben nicht die ganze Geschichte, mahnte Alston.

Bottom 50% versus top 1% income share: China versus US

Bottom 50% versus top 1% income share: China versus US

Zudem habe er während seiner Reise immer wieder von »Menschenrechten mit chinesischem Charakter« gehört. Natürlich müssten lokale und kulturelle Eigenheiten bei der Implementierung berücksichtigt werden, sagte Alston. »Aber wir dürfen nicht hinnehmen, dass die Regierung entscheidet, welche Rechte ihr zu welcher Zeit politisch korrekt erscheinen.« Wichtig sei es, umfassend Rechte zu garantieren, zu schützen und einklagbar zu machen. In China hätten die Menschen kaum Möglichkeiten, Missstände zu melden und ihre Rechte einzufordern. Wenn die Regierung in diesem Bereich hier nicht ebenso entschieden agierte wie bei der Armutsbekämpfung, setze man die Zukunft des Landes aufs Spiel.


Die Initiative »Neue Seidenstraße«

Als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt meldet China immer mehr politische Ansprüche an. Die Außenpolitik der Volksrepublik hat mittlerweile viele Facetten: Die offensichtlichen sind neben der Seidenstraßen-Initiative z.B. Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer oder die Gründung von eigenen Organisationen wie der Asian Infrastructure and Investment Bank (AIIB) – ein Gegenentwurf zur Bretton-Woods-Struktur.

Seit 2013 verfolgt China die Initiative »Belt and Road«. Diese »Neue Seidenstraße« zielt darauf ab, Infrastrukturen und politische Beziehungen aufzubauen, die mehr als 60 Länder in Asien, Europa und Afrika miteinander verbinden. Kritiker des Projekts sorgen sich, dass China womöglich zu sehr auf die Ausweitung seines geopolitischen Einflusses konzentriert ist, um mit den USA und Japan konkurrieren zu können, dass es Vorhaben durchführen könnte, die wirtschaftlich wenig sinnvoll sind. Doch sofern einige Bedingungen erfüllt sind, ist die wirtschaftliche Logik für die Initiative überzeugend.

Wie kürzlich in einem Bericht der Asiatischen Entwicklungsbank bestätigt wurde, sind viele Länder der »Neuen Seidenstraße« dringend auf Infrastrukturinvestitionen in großem Stil angewiesen – genau die Art von Investitionen, die China zugesagt hat. Manche von ihnen, etwa Bangladesch und Kirgisistan, haben keine zuverlässige Stromversorgung, was die Entwicklung ihres Industriesektors behindert und ihre Exportfähigkeit beeinträchtigt. Andere, wie Indonesien, haben nicht genügend Häfen für ihre interne wirtschaftliche Integration oder für den internationalen Handel.

Die »Belt and Road«-Initiative verspricht, den Ländern zu helfen, diese Einschränkungen zu überwinden, indem sie für Häfen, Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Kraftwerke und Netze externe Mittel zur Verfügung stellt. In diesem Sinn könnte sie ähnlich wirken wie der Marshall-Plan der USA nach 1945, der allgemein für seinen Beitrag zum Wiederaufbau und zur wirtschaftlichen Erholung des kriegsverwüsteten Europas gelobt wird.

Eine externe Finanzierung reicht natürlich nicht aus, um erfolgreich zu sein. Die Empfängerländer müssen auch wichtige Reformen durchführen, die die Transparenz und die Berechenbarkeit ihrer Politik erhöhen und damit das Investitionsrisiko verringern. Tatsächlich wird die Durchführung ergänzender Reformen ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Ertrag der Investitionen in die »Neue Seidenstraße« sein.

Für China sind die Investitionsvorhaben wirtschaftlich attraktiv, besonders wenn private chinesische Gesellschaften die Führung übernehmen. 2013, als China die Initiative erstmals vorschlug, saß es auf 4 Bio. US-Dollar an Devisenreserven, die weniger als 1% Rendite abwarfen. In Bezug auf Chinas eigene Währung waren die Renditen aufgrund der erwarteten Aufwertung des Renminbis gegenüber dem US-Dollar zu diesem Zeitpunkt negativ.

In diesem Sinn sind die Investitionen in »Belt and Road« nicht besonders teuer, namentlich wenn ihre weitreichenden potenziellen Vorteile berücksichtigt werden. Chinas Verhältnis von Außenhandel zu Bruttoinlandprodukt übersteigt 40% – wesentlich höher als dasjenige der USA –, was teilweise auf eine unterentwickelte Infrastruktur und eine unzureichende wirtschaftliche Diversifizierung der chinesischen Handelspartner zurückzuführen ist.

Durch die Bewältigung dieser Schwächen können Chinas Investitionen in die »Neue Seidenstraße« zu einem erheblichen Anstieg der Eigenhandelsvolumen der teilnehmenden Länder und Chinas führen, wovon Unternehmen und ArbeitnehmerInnen erheblich profitieren.