"Marokko ist zum Scheitern verurteilt"

Gespräch mit Claude Mangin-Asfari

in (06.01.2019)

Claude Mangin-Asfari ist eine unermüdliche Aktivistin für das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis und die Freilassung ihrer politischen Gefangenen aus marokkanischer Haft. Unter ihnen befindet sich ihr Mann Naâma Asfari, einer der Wortführer der Proteste von Gdeim Izik im Herbst 2010, von denen der Philosoph Noam Chomsky urteilte, dass sie es gewesen seien, mit denen der "arabische Frühling" begonnen habe – vor Tunesien und Ägypten. Nachdem Claude Mangin-Asfari im April in ihrer Heimatgemeinde Ivry-sur-Seine in einen wochenlangen Hungerstreik getreten war, um das Recht zu erkämpfen, wieder nach Marokko einreisen zu dürfen, das ihr seit 2016 von dem Königreich verwehrt wird, besuchte sie im September Deutschland, unter anderem um auf dem Afrika-Filmfestival in Köln die Dokumentation "Dis leur que j'existe – Sag ihnen, dass es mich gibt" vorzustellen. Bei dieser Gelegenheit entstand das folgende Interview.

Inamo: Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, sich für die Westsahara einzusetzen?

Claude Mangin-Asfari: Das geschah in mehreren Etappen. Ich hatte zwar von der Frente Polisario gehört, die 1973 den Kampf um die Unabhängigkeit der Westsahara aufgenommen und drei Jahre später die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) gegründet hatte. Aber mich genauer mit dem Konflikt zu beschäftigen begann ich erst 1989. Ich bin ja Lehrerin. In jenem Jahr hatte ich mich für eine Beschäftigung für das Katholische Komitee gegen Hunger und für Entwicklung (CCFD-Terre solidaire) freistellen lassen. Das CCFD wollte damals alle Partner aus den arabischen Ländern zusammenbringen. Ich habe also Einladungen verschickt, auch nach Marokko und an die DARS. Postwendend kam aus Marokko eine Absage. Ich habe meinen Chef gefragt, wie das zu verstehen sei. Er meinte, man könne niemals Marokkaner und Sahrauis zusammen einladen. Auch wenn die Marokkaner nichts gegen Sahrauis hätten, dürften sie doch niemals an einer Konferenz teilnehmen, bei der Vertreter der Polisario gegenwärtig seien. Überhaupt war der erste Kooperationspartner, den ich traf, ein Repräsentant der Polisario: Bachir Sayed, der Bruder von El-Ouali Mustapha Sayed, einem der Gründer der Befreiungsfront. Ganz naiv fragte ich ihn, ob die Sahrauis wirklich ein Volk seien. Entsprechend heißt der Film über meinen Mann, den ich in Köln vorgestellt habe: "Sag ihnen, dass es mich gibt!" Denn nach wie vor weiß in Frankreich kaum jemand um die Westsahara. Mein Vater war Professor, er kannte Nordafrika, hatte in Tunesien gearbeitet, als Kind war ich selbst dort. Aber man dachte zu jener Zeit, dass die ganze Region französisch ist. In unserer Geschichtsschreibung existierte die Westsahara nicht. Kurz, es dauerte nicht lang, bis ich verstand, dass es da ein Problem gibt. 1990 war ich eingeladen, die Flüchtlingslager der Sahrauis im algerischen Tindouf zu besuchen. Das war ein Schock. Gleichzeitig war ich Generalsekretärin der Pfadfinder. Zu unseren Sommercamps haben wir dann jedes Jahr sahrauische Kinder eingeladen.

Die Hölle überlebt

I: Und wie haben Sie Ihren Mann Naâma Asfari kennengelernt?

CMA: Nachdem ich wieder eine Zeitlang unterrichtet hatte, habe ich mich erneut freistellen lassen, diesmal für Enfants réfugiés du monde. Die Hilfsorganisation leistete eine wichtige Arbeit, nämlich Aufenthaltsorte für Flüchtlingskinder zu schaffen, um sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Ich habe in Tindouf Betreuerinnen geschult. In den beiden Jahren, die ich fort war, wollte ich meine Wohnung in Frankreich vermieten. Ich war bei einer Familie untergebracht und habe gebeten, man möge mir einen Sahraui vorschlagen. So habe ich 2002 meinen Mann erstmals getroffen. Im November hat er seinen Abschluss in Internationalem Recht in Paris gemacht, und er musste zu seiner Familie nach Tan-Tan in den besetzten Gebieten zurückkehren. Im Frühjahr 2003 hat er mich eingeladen, und Ende des Jahres haben wir geheiratet. Naâmas Vater Abdi Asfari, der 2015 im Alter von 79 Jahren verstorben ist, war ein Großer unter den Reguibat, einem Nomadenstamm. Im Februar 1976, nachdem Spanien sich im Vorjahr aus der Westsahara zurückgezogen hatte und das marokkanische Militär einmarschiert war, wurde er als Mitglied der Polisario verhaftet und "verschwand". Er war in Kelaat M'gouna bei Ouarzazate und in Agdz.

I: Im "geheimen Garten", wie König Hassan II. einmal die Kerker in der Wüste nannte …

CMA: Er zählte er zu den Überlebenden dieser Hölle, die "wiederauftauchten", als Marokko und die Polisario 1991 einen Waffenstillstand schlossen. Er war stark und unbeugsam. Naâmas ganze Familie spielt beim Unabhängigkeitskampf eine wichtige Rolle. Auch seine Mutter war eine bedeutende Persönlichkeit bei der Revolution der Sahrauis. Sie war 1976 ebenfalls inhaftiert worden. Dann nochmals 1983. Zwar kam sie nach einigen Monaten frei, starb aber an den Folgen der Misshandlungen. Ein Onkel war Vertreter der Polisario in Schweden, ein weiterer ebenfalls "verschwunden". Unter den Reguibat stünde Naâmas Familie weit oben in der Hierarchie. Doch die Gründer der Polisario wollten den Tribalismus abschaffen. Seitdem ist es üblich, seine Stammeszugehörigkeit nicht zu erkennen zu geben. Das wird bis heute durchgehalten. Nach der Verhaftung seiner Eltern hatte der Großvater mütterlicherseits Naâma aufgenommen, in Al-Qasabi, einer Oase in der Nähe von Goulmim im Süden Marokkos. Der Großvater hatte als Lehrer die Gründerväter der Polisario in Arabisch unterrichtet. Die Familie hat sich aufopferungsvoll für Naâma eingesetzt. Als Kind eines "Verschwundenen" war es ihm nicht erlaubt, auf ein Internat zu gehen. Also ist die ganze Familie nach Guelmim umgezogen, damit er die weiterführende Schule besuchen konnte. Naâma nahm die Chance wahr. Er hat erst in Marokko Jura studiert, dann ist er 1999 nach Frankreich gegangen, wo er sein Studium zunächst in Nanterre fortsetzte. Er hat dabei nie versucht, mit der Polisario in Kontakt zu treten, denn er wollte nicht die Möglichkeit verlieren, nach Hause zurückzukehren und seinen Vater wiederzusehen, von dem er so lange getrennt gewesen war. Das Thema seiner Diplomarbeit war aber die UN-Blauhelmtruppe Minurso, die seit 1991 den Waffenstillstand zwischen Marokko und der Polisario überwacht und bei der Durchführung eines Referendums über den Status der Westsahara helfen soll, das aber von Marokko immer wieder verschleppt wird. Ein heikles Thema.

Freiheitskämpfer und Kollaborateure

I: Es gibt in der marokkanischen Politik Sahrauis von Rang …

CMA: Marokko versucht, den alten Stammesdünkel noch zu übertreiben. Nehmen wir den Königlichen Konsultativrat für Sahara-Angelegenheiten (Corcas). Er repräsentiert die Sahrauis vor dem König und wurde von Hassan II. geschaffen. Der Präsident ist ein Reguibat. Er ist reich – und ein großer Kollaborateur. Man bedient sich der Oberhäupter der Stämme, um die Besatzung zu rechtfertigen. Übrigens reichen die Gebiete der Sahrauis im Norden bis Sidi Ifni, das ebenfalls von Spanien kolonisiert war, auch wenn die Polisario nur das Territorium der spanischen Kolonie Westsahara reklamiert.

I: 2008 gab es einen regelrechten Krieg gegen die Einwohner von Sidi Ifni, die gegen ihre trostlosen Lebensverhältnisse protestierten …

CMA: Das war schrecklich. Es gab Verletzte, Verhaftungen. Ich habe damals Reisen organisiert für französische Aktivisten. Wir haben immer Sidi Ifni besucht wegen eines Hotels direkt am Meer. 2008 wurden wir von der Polizei überwacht, schlimmer als in den besetzten Gebieten. Mir war bis dahin nicht bewusst gewesen, dass in Sidi Ifni neben Berbern zahlreiche Sahrauis leben. Es gibt noch einen anderen Ort, in dem es ähnlich ist, Assa. Dort haben sich viele eng an die Monarchie angelehnt, dienen in den Königlichen Streitkräften (FAR). Schon in den 50er-Jahren haben sie für Marokko gekämpft.

I: Waren sie nicht eher für einen geeinten Maghreb, den die Kolonialmächte und die Monarchie aber verhindern wollten, so dass diese am Ende die Guerilla der Nationalen Befreiungsarmee (ALN) gemeinsam zerschlugen?

CMA: In der Operation "Écouvillon" von 1958. Ja, Frankreich trägt eine große Verantwortung für das, was in der Folgezeit geschehen ist. Assa spielt jedenfalls eine wichtige Rolle. Zum Beispiel der Historiker und Aktivist Ali Salem Tamek, er kommt von dort. Er war Vizepräsident des Kollektivs der sahrauischen Menschenrechtsverteidiger (Codesa). Es gibt noch einen anderen Tamek, seinen Bruder, er ist Minister der Polisario. Ein weiterer Bruder ist verantwortlich für die Gefängnisse in Marokko, seit sein Vorgänger geschasst wurde wegen der Freilassung des pädophilen Spaniers Daniel Galvan 2013. Manche sehen in der Kollaboration mit Marokko eine Chance. Die Trennlinie geht mitunter durch die Familien.

Sahrauische Intifada

I: Wann ist Ihr Mann selbst politisch aktiv geworden?

CMA: Er hat 2005 begonnen, sich offen für die Sache der Westsahara einzusetzen, mit Beginn der sahrauischen Intifada. Nach dem Tod Hassans II. 1999 hatte sein Nachfolger Mohammed VI. viele Hoffnungen geweckt, weil er Innenminister Driss Basri feuerte und es ermöglichte, dass 2002 Beobachter von France Libertés die Westsahara besuchen konnten. Das war eine Premiere. Man muss sich vorstellen, dass vorher niemand einfach dorthin reisen konnte. Auch setzte Mohammed VI. eine Wahrheitskommission (IER) ein. Die Opfer der Gewaltherrschaft seines Vaters sollten entschädigt werden – und auf Klagen verzichten. Man hat dies gelobt und mit Südafrika verglichen. Aber im Unterschied zu Marokko hat Desmond Tutu tatsächlich für Gerechtigkeit gesorgt. Die Internationale Föderation der Menschenrechtsligen (FLDH) unter Driss El Yazami hat sich an der IER beteiligt. Driss Benzekri wurde ihr Präsident. Vielleicht haben sie am Anfang ernsthaft an die Arbeit der IER geglaubt. Doch wie viele andere frühere Gegner der Monarchie ließen sie sich von dieser umgarnen. Das kann ich nur feststellen. Ich weiß nicht, warum das so ist. Benzekri war unter Hassan II. vierzehn Jahre in Haft. Ich habe längere Zeit in Haiti gelebt, ich weiß, wie Diktaturen funktionieren. Wenn man aus einer Demokratie kommt, kann man sich das schwer vorstellen. Jedenfalls kam 2005 der Moment, an dem die Revolte begann.

I: Weil der König seine Versprechen nicht hielt?

CMA: Das war mit verschiedenen Dingen so, auch mit dem Familiengesetz. Die Jugendlichen waren enttäuscht und sind auf die Straße gegangen. Eine Journalistin von Charlie Hebdo, Agathe André, erfuhr davon und wollte darüber berichten. Sie hat die Polisario kontaktiert. Diese riet ihr, mich zu begleiten. Daraus ist ein großartiger Artikel hervorgegangen. An dem Tag, an dem wir mitten im Aufruhr in Laâyoune eintrafen, war Tamek "verschwunden". Er hatte mehrere europäische Länder bereist, um über die Menschenrechtsverletzungen aufzuklären, war aber bei der Rückkehr verhaftet worden. Mein Mann sagte, er könne uns nicht abholen. Es war Revolution, die Straßen waren voller Gendarmen, Polizei. Irgendwie ist es uns aber gelungen, durch das Land zu reisen. In Tan-Tan lernten wir Naâmas Kusinen Mina und M'Barkhalina Bali kennen, 14 und 16 Jahre alt. Sie hatten vorgehabt, zu Fuß Tindouf zu erreichen, weil sie in Laâyoune verfolgt wurden. Aber man hatte sie verraten, und sie waren festgenommen worden. Sie waren sehr mutig, obwohl sie so jung waren. Mein Schwiegervater hatte sie aufgenommen. Wir trafen die sahrauischen Rechtsanwälte Mohamed Bachir Leili, Bachir Rguibi und Bazaid Lehmad. Auch sie waren anderthalb Jahrzehnte lang "verschwunden". Rguibi ist der Bruder von Mohammed Abdelaziz, dem langjährigen Präsidenten der DARS, der 2016 verstarb. In Laâyoune werden sie gedemütigt, mit Steinen beworfen. Diese drei vertreten im Team die politischen Gefangenen. Es reicht, von "besetzten Gebieten" oder "Folter" zu sprechen – man kommt sofort vor Gericht. Wir waren auch in Dakhla, wo wir Aussagen von Folteropfern sammelten. Wir haben die Zeugnisse in Frankreich vor die Menschenrechtsliga gebracht. Dort wusste man rein gar nichts von der Realität der Besatzung. Es brauchte die Intifada, um auf sie aufmerksam zu machen.

Arabischer Frühling

I: Was ist genau passiert 2010 in Gdeim Izik?

CMA: Bis 2010 gab es zahlreiche Verhaftungen und Prozesse. Einer nach dem anderen wurde gefangengenommen und abgeurteilt. Ich habe mitgewirkt, Juristen als internationale Beobachter zu gewinnen. Im Oktober 2010 gab es dann in Smara, Boujdour, Dakhla Aufrufe zum Widerstand, überall waren Graffiti, und man errichtete schließlich in Gdeim Izik bei Laâyoune ein Zeltlager. Es war, wie Noam Chomsky sagte, der Auftakt zu den Protesten des "arabischen Frühlings", vor Tunesien. Wie dort ging es zuerst um die Lebensbedingungen, soziale Forderungen. Immer mehr kamen, auch aus dem Norden in Marokko, der Diaspora, den Lagern in Tindouf. Zwei Treffen mit dem Innenminister Taïeb Cherkaoui fanden statt. Naâma gehörte nicht zu den Initiatoren und war anfangs gar nicht dabei. Aber er hatte Anfang 2010 an einer Reise nach Tindouf teilgenommen. Er wurde zu einem der wichtigsten Sprecher der Bewegung. Schließlich nahte der 6. November, der Tag, an dem 1975 der "Grüne Marsch" stattgefunden hatte, unter dessen Deckmantel das Militär einmarschiert war. Der König hielt eine Rede, in der er unterstellte, bei den Demonstranten handele es sich um Terroristen und Kriminelle, die die Region destabilisieren wollten, während Marokko guten Willens und auf Ausgleich bedacht sei. Einen Tag vorher war mit dem Comité de Dialogue eine Übereinkunft getroffen worden, man wollte, dass alle zurückkehren, und hat Wohnungen und Arbeit versprochen. Aber Naâma kam zu dem Schluss, dass die Zugeständnisse nur mit Blick auf die Rede gemacht worden waren und an der Selbstbestimmung kein Weg vorbei führe. Jean-Paul Lecoq, ein Abgeordneter des PCF, kam am 7. November abends in Casablanca an. Er wollte weiter nach Laâyoune, aber man hat ihn sofort wieder ausgewiesen. Naâma hat mich an jenem Abend angerufen, er hatte eine neue Nummer, und mir gesagt, dass er mit Sicherheit festgenommen würde. Die Polisario hat mich kontaktiert, sie wollte Naâma warnen, dass ein Angriff unmittelbar bevorstehe. Dann erfuhr ich von seiner Verhaftung. Am 8. November wurde das Camp gestürmt und niedergebrannt. Die Behörden sprachen davon, dass es dabei elf Tote unter den Einsatzkräften gegeben habe, unter welchen Umständen und wie viele Sahrauis getötet worden waren, wurde nicht unabhängig untersucht. Die Minurso hat dazu kein Recht, also gab es nur die offizielle Propaganda.

I: Es gab immerhin Al-Jazira …

CMA: Der Sender wurde umgehend des Landes verwiesen. Die spanische und die marokkanische Presse durften nicht in die Westsahara, nicht einmal, um die marokkanische Version der Geschehnisse zu verbreiten. Ich habe versucht, AFP, Le Monde und den Figaro zu unterrichten, die vielleicht jemand hätten schicken können. Es erschien dann auch ein Artikel in Le Monde, aber voller Fehler. So hieß es, dass es sich um eine Angelegenheit zwischen Marokko und Algerien handele.

Missachtung allen Rechts

I: Es gab zuerst einen Prozess vor einem Militärtribunal. Warum das?

CMA: Als Grund wurde genannt, dass die Todesopfer Militärangehörige waren. Es handelte sich um einen unfairen, illegitimen Prozess. 2013 wurden neun der insgesamt 25 Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt, Naâma zu dreißig Jahren. "Geständnisse" waren unter Folter erpresst worden. Schon in den Jahren zuvor hatte sich Hélène Legeay von der Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT) für die Sache der Sahrauis eingesetzt. Wir haben den Fall Naâmas herausgegriffen und im Februar 2014 in Frankreich und vor dem UN-Komitee gegen Folter in Genf Klage eingereicht. Mit der Eingabe in Paris bewirkten wir einen Skandal, denn der marokkanische Geheimdienstchef Abdellatif Hammouchi, der sich damals in Frankreich befand, sollte wegen der Vorwürfe vernommen werden. Aber er ist sofort abgereist. Auch hat Marokko die Zusammenarbeit mit Frankreich in Rechts- und Sicherheitsfragen unterbrochen. Wie wurde das wieder eingerenkt? Hammouchi wurde die Ehrenlegion verliehen, und die Konvention über die juristische Kooperation zwischen den beiden Ländern wurde den Wünschen Marokkos entsprechend geändert. Die Klage in Frankreich blieb letztlich erfolglos, da die Gerichtsbarkeit sich für nicht zuständig erklärte. Aber die Anklage in Genf nahm ihren Lauf, wenn auch langsam. Denn Marokko ist Mitglied des Komitees. ACAT hat Druck gemacht, dass es ein Urteil fällt, sonst würden wir bekannt machen, dass es unter dem Einfluss Marokkos steht. Am 31. Juli 2016 hob das Kassationsgericht in Rabat das Urteil des Militärtribunals auf, um guten Willen zu zeigen. In der Begründung folgte es den Einwänden gegen das damalige Verfahren: dass das Militärgericht nicht zuständig gewesen sei, die Verurteilten keine Möglichkeiten hätten, das Urteil anzufechten, und Beweise fehlten. Naâma war ja in der ersten Zeit des Camps und bei seiner Zerschlagung gar nicht anwesend. Im Oktober wurde der Beginn des neuen Prozesses vor einem Zivilgericht auf den 26. Dezember festgesetzt, wohl in der Annahme, dass internationale Beobachter wegen Weihnachten verhindert wären. Das Urteil des UN-Komitees gegen Folter wurde am 12. Dezember veröffentlicht. Es entschied, dass Naâma für das unter der Folter erlittene Leid zu entschädigen sei, die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden müssten und alle Repressionen gegen Naâma und seine Angehörigen einzustellen seien.

I: Hat sich Marokko daran gehalten?

CMA: Im Gegenteil. An mir hatte sich Marokko ja in der Zwischenzeit schon gerächt, denn im Oktober 2016 war ich aus Marokko ausgewiesen worden. Seitdem lässt man mich nicht mehr einreisen. Ich konnte also nicht bei dem neuen Prozess anwesend sein. Ursprünglich hatten wir vor, unter Berufung auf internationales Recht ein neues "Schlachtfeld" zu eröffnen. Das war die Arbeit von Hélène von ACAT und von Joseph Brehan vom Cabinet Ancile, einem der Anwälte, die wir zur Verteidigung entsandten. In den Genfer Abkommen, die auch Marokko unterzeichnet hat, ist geregelt, dass Personen aus besetzten Gebieten nicht in das Land der Besatzer deportiert werden dürfen, und wenn sie verurteilt werden, dann nach den Gesetzen des besetzten Landes. Aber das wurde schlicht übergangen. In der Presse war darauf zu lesen, dass es sich bei Brehan um einen Juden handele. Im Gericht wies man auf die marokkanische Fahne und meinte, man befinde sich in Marokko, das internationale Recht spiele keine Rolle. Soviel zum Niveau, auf dem sich alles bewegte.

Koloniale Gewalt

I: Fielen denn die Urteile anders aus?

CMA: Sie ergingen im Juli 2017 und unterscheiden sich kaum von denen des Militärtribunals. Hinzu kommt: Anfangs waren die Gefangenen "normal" behandelt worden. Aber dann begannen sie, sich gegen die Maskerade aufzulehnen, und die Rechtsanwälte beschlossen, ihr Mandat niederzulegen. Das wurde als Rebellion angesehen, zumal auf diese Weise bekannt wurde, dass es sich erneut um eine Farce handelte. Diese beiden Rebellionen, erst in Gdeim Izik und dann vor dem Zivilgericht, wollte die Monarchie nicht hinnehmen. Also wurden die Gefangenen zur Strafe am 15. September auf verschiedene Gefängnisse verteilt. Sie durften sich nicht mehr die Beine vertreten, Sport treiben, in die Bibliothek, ihre Studien fortsetzen, Besuche der Familie wurden unterbunden. Warum? Einige sind zu lebenslanger Haft verurteilt, und dann werden sie noch schikaniert? Aber das ist Kolonialismus. Wir Franzosen kennen das, wir waren genau so gegenüber der FLN in Algerien. Eine Kolonialmacht, das ist eine Macht, die Menschen misshandelt, um sie zu brechen. Also haben Naâma und die anderen Gefangenen im Februar einen Hungerstreik begonnen, um zu erreichen, dass sie in die besetzten Gebiete verlegt werden. Zwei Monate später habe ich selbst das gleiche Mittel des Protests gewählt, um über die französische Regierung Druck auszuüben, dass ich wieder nach Marokko einreisen kann. Auch haben wir im Juli erneut in Genf Anzeige erstattet, denn all das geschah unter Verletzung der Beschlüsse des UN-Komitees. Ende Juli hat Marokko geantwortet. In der Antwort heißt es, dass es sich bei Naâma um einen Kriminellen handele, von Folter könne keine Rede sein, und es gebe auch keine Schikanen gegenüber den Familien, diese hätten das Recht, ihn zu besuchen, auch ich – aber ich käme ja gar nicht deswegen, sondern um gegen Marokko zu agitieren. Doch im Dezember werden Gespräche zwischen der Polisario und Marokko stattfinden. Die Trump-Administration, die das Geld für die UNO kürzen möchte, macht Druck …

I: Hat nicht US-Präsident Donald Trump mit dem König noch eine Rechnung offen, da dieser den Wahlkampf seiner Gegnerin Hillary Clinton unterstützte?

CMA: Die USA sind das einzige westliche Land, vor dem sich die Monarchie fürchten muss. John Bolton, der Nationale Sicherheitsberater, ist ein Freund der Sahrauis. Und da ist die Afrikanische Union (AU). Seit dem Wiedereintritt des Königreichs in die AU Anfang 2017 versucht es, zu bewirken, dass die DARS aus ihr ausgeschlossen wird. Es gibt aber keine Regel, die dies erlaubt. Vielmehr hat ein Land, das in die AU aufgenommen wird, deren Satzung und somit die Grenzen, die von der Kolonialzeit geerbt wurden, anzuerkennen. Als Marokko 1956 unabhängig wurde, blieb die Westsahara aber eine spanische Kolonie. Entsprechend ist es Marokko nicht gelungen, auf der Ebene der AU etwas gegen die Westsahara zu unternehmen. Zwar hat das Königreich einzelne Länder wie Senegal durch Bestechung auf seine Seite gebracht. Aber die großen Regionalmächte Algerien, Nigeria und Südafrika stehen fest zur DARS. Es gibt also im Augenblick starke Kräfte gegen die Besatzung. Hinzu kommen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs über die Nichtigkeit der Handels- und Fischereiabkommen. Marokko ist zum Scheitern verurteilt. Es bringt jetzt so erbärmliche Argumente vor wie dass der Iran mittels der Polisario Chaos stiften wolle. Das ist jämmerlich. Glück für uns!

Mit Claude Mangin-Asfari sprach am 20. September 2018 in Berlin Jörg Tiedjen, Redaktion. Das Interview entstand unter Mitwirkung von Regina Dietzold vom Verein "Freiheit für die Westsahara", Bremen.