Streitbar oder neutral?

Anja Besand ist Professorin für Didaktik der politischen Bildung. Sie lehrt seit 2009 an der Technischen Universität in Dresden, wo sie den gleichnamigen Lehrstuhl innehat. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört unter anderem die Analyse des Verhältnisses von ästhetischem und politischem Lernen im Zeitalter Neuer Medien. 2017 war die Hochschulprofessorin im Auftrag des Sächsischen Kultusministeriums an der Erarbeitung eines sogenannten Handlungskonzeptes „W wie Werte“ beteiligt. Von diesem Konzept verspricht sich die Kultusbehörde eine „Stärkung der demokratischen Schulentwicklung und politischen Bildung an sächsischen Schulen“.
Jüngst ist die Politikdidaktikerin ins Visier der AfD geraten. In einem Zeitungsinterview hatte die Professorin auch Fragen zum Beutelsbacher Konsens beantwortet, der mit dem Überwältigungsverbot, der Kontroversität und der Schülerorientierung Grundprinzipien der politischen Bildung fixiert. Dass ihre Äußerungen im Widerspruch zur AfD stehen, genügt der Partei, um gegen die Professorin vorzugehen. Die Anklage lautet auf Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Beutelsbacher Konsenses. Als Beweis zitiert die AfD aus besagtem Interview zwei Sätze: „Der Beutelsbacher Konsens gilt. Aber das heißt nicht, dass wir zu irgendeiner Art politischer Neutralität verpflichtet sind.“ Daraufhin will der hochschulpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Form einer Kleinen Anfrage von der Landesregierung wissen, wie sie diese Aussage beurteilt und was die Regierung gegebenenfalls gegen die Professorin zu unternehmen gedenkt. Auskunft verlangt die AfD-Fraktion zudem über die finanzielle Beteiligung der Landesregierung an dem Magazin, das die inkriminierten Äußerungen publiziert hat.
Unter Anklage stehen also die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Presse. Nicht allein eine unliebsame Hochschulprofessorin will die Rechtsaußen-Partei disziplinieren, sondern auch die Presse mit der unverhohlenen Drohung, ihr die Finanzierungsrundlage zu entziehen. Beide Berufsgruppen – Lehrkräfte wie Journalisten – auf eine strikte „Neutralität in der politischen Bildungsvermittlung“ zu verpflichten, ist das Ziel der AfD.
Zur Durchsetzung und Kontrolle einer Neutralitätspflicht in der politischen Bildungsvermittlung hat die sächsische AfD-Landtagsfraktion die Plattform „Lehrer-SOS“ im Internet installiert. Dort können seit dem 12. Oktober 2018 Lehrkräfte angezeigt werden, die sich kritisch über die Partei äußern. In welcher Art und Weise Verstöße gegen deren parteioffizielle Auffassungen geahndet werden, darüber entscheiden dann verantwortliche Fraktionsmitglieder. Zwar ist das Anzeigen-Portal der AfD auf heftige Kritik von Parteien und Verbänden gestoßen, die den „Lehrerpranger“ als eine „Denunziationsplattform“ geißeln, doch fehlt den Landespolitikern eine wirksame Handhabe, um das Löschen der Internet-Plattform durchzusetzen.
Während die offizielle Politik sich auf verbale Attacken gegen den „Lehrerpranger“ beschränkt, beweisen couragierte gesellschaftliche Akteure Einfallsreichtum im Umgang mit dem Anzeigen-Portal. So wollten Erziehungswissenschaftler der Universität Leipzig nicht warten, bis es zu einer Anklageerhebung seitens der AfD gegen sie kommt. In einem Offenen Brief, quasi einer Selbstanzeige, an die AfD-Landtagsfraktion fordern die Unterzeichner, ihre Namen auf die Plattform „Lehrer-SOS“ zu setzen. Denn sie, die Erziehungswissenschaftler, würden, so die Begründung, „auch in Zukunft dafür Sorge tragen, dass Lehramtsstudierende sich und ihre Schüler dazu befähigen und anregen, sich über den Charakter Ihrer Partei ein Bild zu machen“.
Warum also das Verfahren nicht abkürzen. Die Selbstanzeige verkehrt die ursprüngliche AfD-Intention ins Gegenteil: Aus dem Anzeigen-Portal wird ein Internetportal von couragierten Demokraten. Das ist ein subversiver Akt, der zur Nachahmung auffordert. Und es ist ein demonstrativer Akt der Solidarität mit den Lehrerinnen und Lehrern, die wegen ihrer klaren Worte über die AfD ins Visier der Rechtsaußen-Partei geraten. Es braucht, wie das Beispiel zeigt, Zivilcourage, um sich nicht einschüchtern und vom Recht auf freie Meinungsäußerung abbringen zu lassen. Eine Tugend, die nicht zuletzt im Schulunterricht vonnöten ist.
Von „einer politischen Bildung mit Haltung“ spricht Anja Besand. Sie vergleicht das professionelle Selbstverständnis von Lehrkräften in der politischen Bildung mit einer anwaltlichen Tätigkeit, die darin besteht, für die Bürger- und Menschrechte einzutreten. Eine Neutralitätspflicht und die bloße Wissensvermittlung, wie sie die AfD verlangt, verneint die Professorin. In dem inkriminierten Interview führt die Hochschuldidaktikerin über den Beutelsbacher Konsens des Weiteren aus: „Wir sind verpflichtet, Kontroversen zum Mittelpunkt unserer Anstrengungen zu machen. Es gibt durchaus ein normatives Fundament politischer Bildung. Das kann man mit dem Grundgesetz fassen, das kann man aber auch durch Menschenrechte fassen.“
Nach Ansicht der AfD zementiert dieses normative Fundament jedoch eine politische Ordnung, die die Partei überwinden will. Folgerichtig lehnen die sächsischen Rechtspopulisten eine politische Bildung ab, die „allein dem Erhalt tradierter Vorstellungen von Demokratie“ dient „und so deren Weiterentwicklung verhindert“. Weiterentwicklung bedeutet hier jedoch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen: zu einer kulturell homogenen, staatlich regulierten Gesellschaft.
Wo ethnische Gleichartigkeit zum Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen erklärt wird, wandelt sich das Selbstverständnis der Bürgerschaft eines Landes. Aus rechtlich und politisch gleichen Staatsbürgern, die öffentlich räsonieren und sich dabei den in der Verfassung verankerten Menschen- und Bürgerrechten verpflichtet wissen, werden Volksgenossen, die sich zuallererst einer Kultur zugehörig fühlen. Die Volksgenossen sorgen sich mehr um die kulturelle Homogenität und Identität, als um die republikanische Gleichheit in der politischen Meinungs- und Willensbildung. Und weil der Wille des Volkes und der seiner politischen Führung in diesem völkischen Gebilde als identisch miteinander gelten, kann auf politische Repräsentativorgane weitgehend verzichtet werden.
Gegen den strategischen Umgang der Rechtspopulisten mit politischer Bildung gilt es, die Prinzipien einer säkularen, auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Toleranz beruhenden politischen Kultur zu verteidigen und eine Menschenrechtskultur zu pflegen, die von der „Würde des Menschen“ ausgeht.
Sachsens Kultusminister hat die Klage der AfD-Landtagsfraktion gegen die Hochschulprofessorin abgewiesen. Es gebe keinen Grund, gegen Frau Besand einzuschreiten.