Umkämpfte Körper im öffentlichen Raum

Feminismus und Sicherheit

Hotspots, Verbote, Kriminalisierung – der staatliche Zugriff auf den öffentlichen Raum, sichtbar im massiven Eingriff in die Regeln des Alltagslebens und verwoben mit der Ausgrenzung von marginalisierten Gruppen, bestimmt gegenwärtig die politischen und medialen Diskurse zu Sicherheit. Mit der sozialen Konstruktion von „gefährlichen Orten“, die ein konstitutives Wechselverhältnis von Räumen und Subjektidentitäten implizieren, müssen wir uns wieder die Frage stellen, wie geschlechtliche Identitäten durch Sicherheitsdiskurse und –praktiken (re)produziert und daher neue Raumgrenzen und Bewegungseinschränkungen im urbanen Raum aufgezogen werden. Angesichts der staatlich gelenkten Gefährdungs- und Bedrohungsszenarien steht die Bewegungsfreiheit von Frauen in der Stadt, ihre selbstbestimmte Verfügung über Körper und Raum, wieder einmal zur Disposition. Unterlegt ist diesem Diskurs die Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit als zombiehaftes geschlechtliches Ordnungsmuster, das immer wieder zum Leben erweckt wird –  mit Verweis auf Gewalttaten wie sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen im öffentlichen Raum – und die sich passend in die Versicherheitlichung der Gesellschaft einfügt. 

Der immer schon staatlich kontrollierte und überwachte Frauenkörper spielt im Verhältnis von Sicherheit und Geschlechterverhältnissen eine bedeutsame Rolle. Insbesondere seit den Silvesterereignissen in Köln 2015/16 spitzt sich der hegemoniale Diskurs um „unsere schutzbedürftigen“ Frauen und den als gefährlich konstruierten „muslimischen Mann“ als Tätergruppe zu. Politiker_innen erzeugen mit der Behauptung von „importierten patriarchalen Männlichkeitsbildern“ verbunden mit einer „bestimmten Gewaltkultur“ die Fiktion von westlichen liberalen Gesellschaften. Dass wir es hier keineswegs mit einem Phänomen importierter sexueller Praktiken zu tun haben, zeigen unter anderem sexuelle Übergriffe auf traditionellen Festen wie Oktoberfest, Karneval sowie anderen Großevents im öffentlichen Raum. Ideologisch angereichert werden diese Debatten von einem organisierten Diskurs zu Alltagsrassismus und Sicherheit, der ihm Sichtbarkeit und politische Bedeutung verleiht und zunehmend zum dominierenden Modus der Wahrnehmung der sozialen Welt wird (Eribon, S. 135f). Rassismus spielt in den nationalen Sicherheitsdiskursen somit eine zentrale Rolle und lässt Heterogenität nicht länger als produktive Differenz, sondern einzig als massive Bedrohung erscheinen. 

Zu einer machtpolitischen Instrumentalisierung des weiblichen Körpers kommt es auch, wenn beispielsweise Sozialpolitik in Kriminal- oder besser Sicherheitspolitik umdefiniert und in diskursiver Form oder durch den tatsächlichen Gebrauch des Strafrechts verfolgt wird  (vgl. dazu Belina 2011, S. 23).  Im Rückgriff  auf die „natürliche“ Geschlechterdifferenz  wird dann mit den „weiblichen“ Ängsten im Vertreibungskampf gegen marginalisierte Gruppen argumentiert und dieser so frauenpolitisch legitimiert. Dass sich unter den so konstruierten „gefährlichen Körpern“, einer Konstruktion, die auf das komplexe Ineinandergreifen von rassistischen und klassistischen Denkmustern verweist, auch Frauen befinden, wird  nicht gehört. Verantwortlich gemacht wird diese homogene „gefährliche“ Gruppe von Sexarbeiter_innen, Bettler_innen, Obdachlosen, Geflüchteten von liberaler Seite für die Einschränkung der egalitären Zugänglichkeit zum öffentlichen Raum. In Wahrheit geht es in neoliberalen Zeiten vor allem darum, dass sie im „Kampf um Raum“ den Interessen von städtischen Aufwertungsprozessen sowie den sauberen, sicheren innerstädtischen Konsumflächen entgegenstehen.

Durch die verstärkte diskursive Erzeugung solcher Bedrohungsszenarien läuft der öffentliche Raum Gefahr,  abermals  als „weiblicher Angstraum“ wahrgenommen zu werden. „Angsträume“ erwecken mit dieser Bezeichnungspraxis zum einen den Eindruck, der Ort bzw. Raum selbst sei gefährlich, realiter sind sie in ihrer Materialität Orte der Einschreibung gesellschaftlicher (Sicherheits-)Normen und -praktiken. Zum anderen wird in diesem Diskurs die „weibliche“ Angst im öffentlichen Raum als quasi „naturhaftes Wesensmerkmal“ begriffen, als Einverleibung einer hegemonialen vergeschlechtlichten  Subjektivierungsweise, mit der eine räumliche (Selbst-)Beschränkung einhergeht (Ruhne 2003). „Regieren mittels Kriminalität“ zielt auf eine Selbstregulierung, die allein auf Grund der vermeintlichen Bedrohung vorgenommen wird (Belina, 2011, S. 22) und fällt in einem prekären Dasein, das sich durch eine zur Selbstverständlichkeit gewordene Verunsicherung bestimmt, durchaus auf fruchtbaren Boden. 

Um der Wirkmächtigkeit von Kriminalität als staatliche Ideologieproduktion entgegenzutreten, bietet das Aufsuchen von sogenannten gefährlichen Orten im öffentlichen Raum ein Potenzial für queer-feministische Interventionen. Aktionen gegen die Verbotskultur,  das Imaginieren von anderen Handlungsräumen, auch mittels Parodie und Ironie, können den Überwachungs- und Kontrollwahn in allen seinen Formen sichtbar machen.

Irmtraud Voglmayr ist Medienwissenschafterin und Soziologin, lehrt an den Universitäten Wien, Salzburg und BOKU Wien und lebt in Wien. Sie arbeitet gegenwärtig zu den Themen Sicherheit, mediale Klassenverhältnisse, vergeschlechtlichtes Altern.



Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst(Wien), Nr. 49, Frühjahr 2019, „Sicherheitsdispositiv“.


 

Literatur 
Belina, Bernd (2011): Raum, Überwachung, Kontrolle. Vom staatlichen Zugriff auf städtische Bevölkerung. Münster: Westfälisches Dampfboot. 2. Auflage. 
Eribon, Didier (2016): Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp. 6. Auflage.
Ruhne, Renate (2003): Raum Macht Geschlecht. Zur Soziologie eines Wirkungsgefüges am Beispiel von (Un)sicherheiten im öffentlichen Raum. Opladen: Leske + Budrich. 
Schmincke, Imke (2009): Gefährliche Körper an gefährlichen Orten: Eine Studie zum Verhältnis von Körper, Raum und Marginalisierung. Bielefeld: transcript-Verlag.