Skandal im Sperrbezirk

Hefteditorial iz3w 373 (Juli/August 2019)

Im April 2018 war die »Willkommenskultur« für Geflüchtete schon ziemlich abgewrackt. Da zog ein neues Unwetter von Bremen her auf. Die dortige Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe vielfach widerrechtliches Asyl gewährt. So ging eine Medienkampagne los – ein Bam! Bam! Bam! ums Bamf: Bild, Badische und Berliner Zeitung titelten: »BAMF-Skandal: So lief der unfassbare Asyl-Betrug von Bremen«, »BAMF-Affäre ist größer als gedacht«, »Asyl zu Unrecht gewährt: Korruptionsskandal beim BAMF«.

Das hatte Folgen: Bundesinnenminister Horst Seehofer verbot der Außenstelle im Mai, Asylentscheidungen zu treffen. Dann entschuldigte sich Seehofer bei der Bevölkerung für den »handfesten, schlimmen Skandal«. Die Zeitungen berichteten von Korruption, Bestechung und Kontrollverlust. Das Ganze sei »ein groß angelegter Asylbetrug«, wie die Bild schrieb – aber heute ist nicht viel übrig vom »Skandal«.

Genaugenommen 0,9 Prozent. Das ist der Anteil der Asylbescheide, die nach Prüfung durch die Bundesbehörde des BAMF in der Bremer Außenstelle »unrechtmäßig positiv« ausgestellt worden waren. Das sind genau 50 Anträge. Bremen liegt damit sogar unter dem Bundesdurchschnitt von 1,2 Prozent. Anfang 2018 war von hunderten, wenn nicht tausenden unrechtmäßigen Asylbescheiden die Rede. Ach ja, zur Erinnerung: In der Post-Willkommenskultur gilt das zu Unrecht gewährte Asyl als Kapitalverbrechen.

Bereits im Sommer 2018 hatten Prüfungen ergeben, dass seit dem Jahr 2000 lediglich 165 von 18.315 positiven Bescheiden in Bremen widerrufen werden mussten. Bis heute schrumpft diese Zahl weiter, weil diese Widerrufe wiederum von den zuständigen Verwaltungsgerichten widerrufen werden. Viele der vermeintlich falsch ausgestellten Positiv-Bescheide stellen sich nach erneuter Rechtsprechungen dann doch als rechtens heraus.

Die Bremer Außenstelle deshalb als die bundesweit »am besten funktionierende Behörde« zu bezeichnen, wie Stefan von Borstel, Sprecher des BAMF es nun tat, ist natürlich übertrieben. Schließlich bleibt sie die Filiale einer Behörde, die rigoros abschiebt, und in zehntausenden Fällen beim Ausstellen von negativen Asylbescheiden, bei der Erteilung des Schutzstatus und bei anderen inhaltlichen Entscheidungen unsauber und zu Ungunsten der Betroffenen urteilt. Zehntausendfach: In diesem Bereich bewegen sich etwa die vor Gericht angefochtenen Fälle, in denen der Klage gegen Asylbescheide recht gegeben wurde – und die Dunkelziffer ist selbstverständlich höher. »Schlampereien« dieser Art und die Abschiebungen lösen allerdings keine Skandalwelle aus.

Drei Jahre nach dem »Willkommenssommer« waren auch Berichte geflüchteter JesidInnen vergessen, die seit 2014 Opfer von Morden, Entführung und Vertreibung durch den IS geworden waren. Das schiere Ausmaß der Barbarei, und vermutlich die Tatsache, dass die Täterschaft einer islamistischen Terrormiliz zuzuordnen war, ließ die deutsche Volksseele kurzzeitig erweichen. 2018 war der Normalzustand zurückgekehrt. Der vermeintliche Asylbetrug war eine Gelegenheit, mit der erstarkten Rechten zusammenzurücken.

JesidInnen gehörten auch zu jenen, die von der Bremer Außenstelle unter der damaligen Leiterin Ulrike Bremermann positive Asylbescheide erhielten. 2018 galt Bremermann dann als die Drahtzieherin des »Asyl-Skandal« und als endgültiger Beweis für das Scheitern von Merkels »Wir schaffen das«. Bis heute ist deshalb in Artikeln von »Ulrike B.« die Rede, obwohl die Rechtmäßigkeit ihrer disziplinarischen Ablösung inzwischen mehr als fraglich ist. Mit ihrem Anwalt hat sie Strafanzeige gegen Medien und die Bremer Staatsanwaltschaft erstattet, die bei der Aufbauschung des Falls nicht zuletzt die Persönlichkeitsrechte von Bremermann verletzt hatten. In ihrer Verdachtserhebung erklärten sich die Staatsanwälte die hohe Zahl der von Bremermann erteilten Asylgewährungen für MandantInnen des jesidischen Anwaltes Irfan Cakar durch ein einseitiges Liebesverhältnis ihrerseits. Die rassistisch-sexistische Komponente dieser Unterstellungen ist offensichtlich. Und natürlich waren die Zeitungen – von der Bild bis ZEIT – eifrig dabei, um über diesen »Verdacht« zu berichten.

Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt in der Sonderkommission »Antrag«, die mit 36 Personen die größte ist, die in Bremen je existierte. Der personelle Aufwand sei alternativlos, meint deren Sprecher Frank Passade. Ein Hinweis für die Soko »Antrag«: Das Delikt des Diskursschadens ist umfänglich vollbracht, und zwar seitens der genannten MissetäterInnen in Politik, Staatsanwaltschaft und Medien. Ein Ausgleich des Schadens ist nicht erfolgt, denn die derzeitigen Dementis (»War doch nicht so«) setzen der Wucht des Skandals von 2018 nichts entgegen. Na egal, sind ja nur Geflüchtete. Also ab zu den Akten.

Um was ging es anderes, als auf Schwächere einzuschlagen in einer Zeit, in der Deutschland das Ende seiner Großzügigkeit (= Grundgesetz einhalten) beschlossen hatte? Statt mit Kapitalverbrechen und den Autoritären legt man sich in Deutschland eben lieber mit Schwächeren an.

die redaktion