Zwangsarbeiter - Gib Dich zufrieden und halt stille!

Zur geplanten Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

* Mike Schürg, Berlin, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Andrea Nahles

Verheißungsvoll schrieb sich die Bundesregierung in den Koalitionsvertrag: "Die Rehabilitation und die Verbesserung der Entschädigung für Opfer nationalsozialistischen Unrechts bleibt fortdauernde Verpflichtung."

Mehr als ein Jahr ziehen sich nun die Verhandlungen über die ZwangsarbeiterInnenentschädigungen hin. Die Bemühung um eine schnelle Einigung, die in der Logik moralischer Verantwortung und als Zeichen von Menschlichkeit wünschenswert gewesen wäre, hat sich zu einem zähen Ringen um Geld entwickelt.

Ein dunkles Kapitel der Wiedergutmachung

Der Umgang mit Ansprüchen von ZwangsarbeiterInnen gehört nach 1945 zu den dunklen Kapitel der deutschen "Wiedergutmachung". Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass es wahrscheinlich kaum größere Unternehmen gegeben hat, die keine Zwangsarbeiter beschäftigten, gingen diese im Rahmen der "Wiedergutmachung" leer aus. Sie waren nach deutschem Recht nicht als NS-Verfolgte eingestuft, Ansprüche wurden als verjährt angesehen oder es wurde für ausländische Zwangsarbeiter auf eine Regulierung der Forderungen nach Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland verwiesen.

Erst der Druck von Außen durch Sammelklagen aus Amerika gegen deutsche Firmen und der Präzedenzfall der Schweizer Banken im Jahr 1998 hat zu einem Sinneswandel deutscher Unternehmer geführt.

Eine Stiftung musste her, die sämtliche Forderungen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen, unabhängig davon, ob deren ehemalige "Arbeitgeber" Stiftungsmitglied sind oder nicht, in einem geregelten Verfahren "abwickelt". Dass diese Idee nicht nur aus einer neu gewonnen Erkenntnis der Verantwortung eines Unternehmens für die Geschichte geboren wurde, ist schnell ersichtlich - das Eigeninteresse der Unternehmer liegt auf der Hand:

* Individuelle Entschädigungsforderungen an die Unternehmen entfallen. Erstritten vor amerikanischen Gerichten erreichen diese oft utopische Summen - ein Urteil zugunsten der Zwangsarbeiter hätte zu Rückgriffen auf Eigentum Deutscher Unternehmen in den USA führen können (Daimler Chrysler etc.).

* Angekündigte Boykotte und ein damit einhergehender Imageverlust können vermieden werden.

* Zeit- und geldraubende Gerichtsverfahren entfallen.

Die (leider auch nicht immer im alleinigen Interesse der ZwangsarbeiterInnen, oft marktschreierisch) agierenden US-Anwälte hatten also mit Ihren Aktionen Erfolg. Die Bundesregierung initiierte Gespräche mit den Amerikanern, mit Israel und der Industrie, um nach Lösungen zu suchen, die alle Seiten zufrieden stellen. Dass die deutschen Unternehmer dabei nicht unter die Räder kommen würden, dafür sprechen schon die Namen der beiden bisherigen Verhandlungsführer auf deutscher Seite: Bodo Hombach und Otto Graf Lambsdorff.

Eine Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

Vorläufiges Ergebnis dieser Gespräche ist ein Gesetzentwurf, den die Bundesregierung unter Leitung des Bundesministeriums der Finanzen (spricht ebenfalls für sich) zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vorgelegt hat.

Leider reflektiert dieser Gesetzentwurf weniger die im Koalitionsvertrag formulierte Verpflichtung zur Rehabilitation und Entschädigungsverbesserung für die Opfer des Nationalsozialismus, als vielmehr die Erkenntnis, dem Wohl der deutschen Unternehmen auch in diesem Zusammenhang gerecht werden zu müssen. Dies ist bekanntlich kein Einzelfall bei der Auslegung des Koalitionsvertrages.

Allen deutschen Unternehmen wird nach diesem Entwurf Rechtssicherheit und -frieden gewährt. Auch denen, die sich selbst finanziell nicht an der Stiftung beteiligen werden. Einer großen Zahl ehemaliger ZwangsarbeiterInnen wird dieses nicht eingeräumt. Der Gesetzentwurf schließt sie von den Anspruchsberechtigten aus.

Dies geschieht erstens durch die Definitionen, die zu einer Leistungsberechtigung führen. Im Sinne der ZwangsarbeiterInnen wurden hier zwar in der aktuellsten Ausgabe des Entwurfs (22.02.2000) Verbesserungen erreicht (Erweiterung des ursprünglich auf die Grenzen von 1937 definierten Deportationsgebietes), trotzdem sind die Bedingungen, die zu einer Leistungsberechtigung führen, zu restriktiv formuliert. Lediglich Konzentrationslager sind explizit als Haftstätten, die die höchste Leistungsberechtigung begründen, anerkannt. Häftlinge von Ghettos und anderen Haftstätten müssen die Vergleichbarkeit der Haftbedingungen nachweisen. Das Kriterium der Haft ist eine kaum zu überwindende Hürde bei der Antragsstellung, da die Quellenlage einen lückenlosen Beweis selten zulässt.

Zum zweiten sind ganze Gruppen bei der Antragsstellung zumindest stark benachteiligt, weil sie über keine Vertretung im Stiftungskuratorium verfügen. Dazu gehören z.B. die sog. displaced persons und die westeuropäischen nichtjüdischen KZ-Insassen.

Drittens ist zu befürchten, dass eine sehr kurze Antragsfrist (8 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes) automatisch viele Überlebende ausschließt. Die Opfer leben über die ganze Welt verteilt und sind selten registriert oder organisiert. Viele hätten keine Chance, den Antrag rechtzeitig zu stellen.

Viertens soll der Antragstellende laut Gesetzentwurf im Antragsverfahren unterschreiben, dass er "auf jede darüber hinausgehende Geltendmachung von Forderungen gegen die öffentliche Hand... für Zwangsarbeit und für Vermögensschäden sowie auf alle Ansprüche gegen deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht unwiderruflich verzichtet. Weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischen Unrecht sind ausgeschlossen." Hier wird völlig übersehen, dass weitere Initiativen zugunsten Überlebender Gegenstand der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung sind. Bevor diese umgesetzt würden, hätten die Überlebenden bereits auf jede Leistung daraus verzichtet und noch bevor der Ausgang des Verfahrens überhaupt feststeht, hätten sie sich generell aller Ansprüche an die deutsche Wirtschaft entledigt.

Während also den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen strikte Vorschriften gemacht werden, ist diese Rigidität gegenüber den Unternehmen nicht zu erkennen.

Warten aufs Geld ... und den Tod

Es ist äußerst zweifelhaft, ob die zugesagten 5 Milliarden der Unternehmen (von denen diese wiederum nur die Hälfte zahlen - der Rest wird von der Steuer zurückerstattet) nach jetzigem Stand überhaupt zusammenkommen.

Erstens haben von den mindestens 2000 Unternehmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, bisher nur knapp 200 ihre Beteiligung an der Stiftung verbindlich zugesagt. Zweitens müssen diese Betriebe laut Stiftungsinitiative lediglich ein Promille ihres Jahresumsatzes in die Stiftungskasse zahlen. Kombiniert man beide Zahlen, so könnten die Unternehmen zur Zeit etwa 2,8 Milliarden DM in die Stiftungskasse zahlen (nach Berechnungen des Historikers Mark Spoerer).

Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung tritt laut Gesetzentwurf jedoch erst in Kraft, wenn die zugesagten 5 Milliarden der Stiftung in vollem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Somit ist mit weiteren Verzögerungen im ohnehin zu lange andauernden Verhandlungsprozess zu rechnen.

Will die Bundesregierung ihren Zielen im Koalitionsvertrag gerecht werden, ist sie dringend gefordert, endlich im Sinne der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen zu handeln.

Es sollte ernsthaft überlegt werden, Unternehmen, die sich nicht an der Stiftung beteiligen, von dem Schutz vor weiteren Klagen auszunehmen. Selbst der Präsident des DIHT, Hans Peter Stihl, legt der Politik ein Handeln in diese Richtung nahe, indem er zusätzliche Maßnahmen von der Politik fordert, die die Firmen dazu bringen, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Im Sinne der Verantwortung der gesamten Wirtschaft sollte über eine Ausweitung der Stiftungsinitiative auch auf die Betriebe, die keine Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, nachgedacht werden.

Im Vergleich zu den Schweizer Banken kommen auch die deutschen Großbanken, die meist die Profiteure von geraubtem jüdischem Besitz waren, zu gut weg. Auch den Banken sollte demnach eine stärke Beteiligung nahegelegt werden.

Des weiteren müssen die Kriterien, die eine Entschädigungsleistung begründen,, weiter abgeschwächt werden. Das Kriterium der Haft sollte in keinem Fall für die Auswahl der von der Stiftung zu berücksichtigenden ZwangsarbeiterInnen herangezogen werden.

Schnelle, unbürokratische Hilfe ist gefordert. Ein Inkrafttreten des Gesetzes erst zum Zeitpunkt der Bereitstellung aller Mittel ist im Sinne der NS-Verfolgten nicht wünschenswert.

Die Aufgabe individueller Rechte der Überlebenden kann nur durch deren individuelle Erklärung erfolgen und dies nicht bei Antragstellung, sondern erst vor der ersten vom Überlebenden gewünschten Auszahlung. Grundsätzlich sollte dem Überlebenden das Recht zustehen, eine solche Erklärung erst abzugeben, wenn ihm die Höhe der Zahlungen aus Stiftungsmitteln bekannt ist. Nur so bleibt den Überlebenden die Chance, zwischen rechtlicher Durchsetzung ihrer Ansprüche und Verzicht hierauf zugunsten einer Zahlung aus der Stiftung abzuwägen.

Bei alledem ist Eile geboten. Denn Woche für Woche sterben Hunderte von denen, um die es bei den Entschädigungen geht. Um die Interessen der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen wieder in den Vordergrund der Verhandlungen zu rücken, ist eine Initiative junger Bundestagsabgeordneter (Dietmar Nietan, Christoph Moosbauer, Simone Violka, Michael Roth, Andrea Nahles - alle SPD - und Christian Simmert - Bündnis90/Die Grünen) entstanden. Auf parlamentarischem Weg soll so der Druck auf die Unternehmen und auf die Bundesregierung erhöht werden, ihrer moralischen und politischen Verantwortung gerecht zu werden. Außerparlamentarische Unterstützung erfährt diese Gruppe u.a. durch die Bemühungen von Hans Jochen Vogel, der sich als Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V." lange bereits intensiv für die Interessen der ZwangsarbeiterInnen eingesetzt hat.

Hervorhebungen:

Allen deutschen Unternehmen wird nach diesem Entwurf Rechtssicherheit und -frieden gewährt. Einer großen Zahl ehemaliger ZwangsarbeiterInnen wird dieses nicht eingeräumt. Der Gesetzentwurf schließt sie von den Anspruchsberechtigten aus.

Eile ist geboten. Denn Woche für Woche sterben Hunderte von denen, um die es bei den Entschädigungen geht.