Vom Frankfurter Kreis zum Forum Demokratische Linke 21

Im Folgenden dokumentieren wir einen Brief, den Andrea Nahles und Detlev von Larcher im Juli 2000 an die Mitglieder des Frankfurter Kreises geschickt haben.

Die spw-Redaktion untersützt die Bemühungen zu einer Neuformierung der Linken in der Sozialdemokratie und fordert die LerserInnen der spw herzlich auf, sich ebenfalls daran zu beteiligen.

spw-Redaktion

Detlev von Larcher, MdB, war Sprecher des Frankfurter Kreises, Andrea Nahles, MdB, ist Vorsitzende des Vereins "Demokratische Linke 21"

Zwei Jahre sozialdemokratisch geführte Bundesregierung haben uns bisher nicht immer begeistert. Eine nüchterne Halbzeitbilanz fällt dennoch unterm Strich akzeptabel aus. Freilich muß man sich dazu auch vor Augen halten, wie die Politik mit Stoiber, Merkel und Möllemann aussähe. Daß die SPD mehr als das kleinere Übel zu bieten hat, muß allerdings jenseits der Spar- und Neue-Mitte-Rhetorik sichtbarer werden, sonst werden sich Resignation und Wahlenthaltung bei unseren Leuten fortsetzen, sonst werden wir bei der jungen Generation weiter Zustimmung verlieren.

Die Linke in der SPD ist hier gefragt. Ohne uns gäbe es nicht das 100.000-Dächerprogramm, ohne uns nicht das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien. Ohne unser beharrliches Drängen innerparteilich und im Sinne der Doppelstrategie in den Initiativen nicht die Ökosteuer und nicht die CO 2 Reduzierung, nicht die Programme zum Umwelt- und Naturschutz, nicht die strengeren Auflagen für die Industrie. Ohne uns kein Jump-Programm zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsnot (das freilich nicht ewig laufen kann und auch keine umlagefinanzierte Ausbildungsreform ersetzt). Auch die Steuerpolitik dieser Bundesregierung ist ein linkes Projekt, zumindest was die Einkommensteuerreform angeht - sie macht Schluß mit der Umverteilung von unten nach oben und dreht den Prozeß um - und sogar die Grundzüge der Unternehmensteuerreform wurden links erdacht, leider dann aber mit neoliberalen Elementen versetzt (und daß wir uns in der Frage der Vermögen- und Erbschaftsteuer - noch - nicht durchsetzen konnten, ist mehr als ein großes Ärgernis).

Natürlich zeigt zugleich auch das aktuelle Beispiel des Ausstiegs aus der Kernenergie, der trotz alledem als Erfolg der Linken bezeichnet werden muß, wie mühselig dies ist. Seit gut 30 Jahren fordern wir ihn. In weiteren 20 Jahren wird er vollendet sein. Daß viele junge Leute auf eine Politik keine Lust haben, die so lange braucht, kann man gut verstehen. Könnte das auch etwas mit der Vergreisung der SPD zu tun haben?

Trotz aller Unzulänglichkeiten und Mißerfolge sagen wir: Es lohnt sich bei den Linken in der SPD mitzumachen. Wer zukunftsträchtige Projekte entwerfen und durchsetzen will, kann sich nur in unseren Reihen organisieren. Dazu machen wir nun ein konkretes Angebot mit dem Forum Demokratische Linke 21.

Keine Anpassung an neoliberale Normen

Der überall zu beobachtende Prozeß, der die Welt den neoliberalen Normen anpaßt, stellt die sozialen Erfolge, die die Sozialdemokratie und die Arbeiterbewegung in jahrzehntelangem Kampf in den europäischen Ländern errungen haben in Frage.

Wir linken Sozialdemokraten finden uns nicht damit ab,

· daß der globale Kapitalismus ungeheure Reichtümer produziert, aber gleichzeitig weltweit wachsende Ungleichheit und Elend herrschen,
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· daß die Regime des Ostblocks von demokratischen Bewegungen überwunden wurden, das Kapital sich jedoch mehr und mehr demokratischer Kontrolle entzieht,
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· daß sich die Ökonomie globalisiert, aber die Politik noch zu sehr national und schwach bleibt,
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· daß sich die Produktivität des Wirtschaftens permanent erhöht, aber zu Massenarbeitslosigkeit, Sozialkonkurrenz und Umweltzerstörung führt,
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· daß sich die Chancen für Kommunikation, Verständigung und Kooperation verbessern, aber Konflikte wieder verstärkt mit Waffengewalt ausgetragen werden,
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· daß Europa der größte Binnenmarkt der Welt ist, jedoch gegenüber den USA politisch ein Zwerg bleibt,
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· daß Europa sich öffnen will für neue nationale Mitgliedschaften, sich aber als Festung abschottet gegen die Probleme von Not, Flucht und Vertreibung in der ganzen Welt,
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· daß Sozialdemokraten die Regierungen in Europa dominieren, aber daß dennoch das neoliberale Weltbild ihre politische Praxis von Haushalts-, Währungs-, Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik zu oft zu prägen scheint.
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Reformimpuls und neuer Gesellschaftsvertrag

Linke Sozialdemokraten haben sich für einen neuen reformerischen Impuls in der europäischen und globalen Politik einzusetzen. Die sozialdemokratische Antwort auf den globalisierten Kapitalismus muß die Stärkung der europäischen und internationalen Demokratie sein und die Weiterentwicklung des europäischen Sozialstaatsmodells mit seiner Fähigkeit zu ökonomischer Prosperität, ökologischer Nachhaltigkeit, wissenschaftlichem Fortschritt, sozialer Sicherheit und Vollbeschäftigung. Es geht um die Formulierung eines neuen Gesellschaftsvertrages für Deutschland und Europa.

· gegen die Resignation setzen wir unseren Willen der Veränderung der Gesellschaft, der sich auch in sozialen Bewegungen widerspiegelt,
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· gegen den Verlust politischer Kompetenz und Perspektive setzen wir den Dialog mit Wissenschaft, Gewerkschaften, Bewegungen und Kultur,
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· gegen die Passivität und Schwäche der Politik setzen wir die Arbeit an Kampagnen und Initiativen für soziale Verbesserungen im europäischen Raum.
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Im Unterschied zum Neoliberalismus wissen wir, daß Freiheit nicht durch ökonomische Freiheit erfüllt ist sondern als menschliche Freiheit erst in sozialer Sicherheit verwirklicht werden kann.

Im Unterschied zur Theorie des Dritten Weges definieren wir Gleichheit nicht reduziert als bloße Chancengleichheit, sondern auch als Schaffung von sozialen und ökonomischen Mindeststandards für alle. Wachsende Unterschiede zwischen Reichtum und Elend sind keine ökonomische Stimulanz sondern Zeichen gesellschaftlichen Verfalls.

Im Unterschied zum Konservatismus wissen wir, daß die Zukunft der einen Welt nicht im Nationalismus und Standortwettbewerb liegt, sondern in einer Kultur der Aufklärung und der Prinzipien des Internationalismus, der Kooperation und Solidarität der Staaten, Völker und Individuen.

Die Aufgabe von linken Sozialdemokraten und Sozialisten ist es, eine gesellschaftliche Alternative zum modernen "Turbokapitalismus" zu entwickeln und durchzusetzen. Und durchsetzen heißt für uns zuerst, diese Alternative in der eigenen Partei mehrheitsfähig zu machen. Und dies nicht nur mit innerparteilicher Überzeugungsarbeit, sondern auch durch die Kooperation und gemeinsame Aktionen mit sozialen Bewegungen und Initiativen.

Neuer politischer Zyklus der Parteilinken

Mit der SPD-Grundsatzprogrammdebatte beginnt die Partei die Aufarbeitung der vergangenen und aktuellen Umbrüche und die Suche nach einem nachhaltigen Konzept für das kommende Jahrzehnt. Gleichzeitig wird zur Mitte der Legislaturperiode die Weichenstellung für das Wahlprogramm 2002 eingeleitet und versucht, Parteiarbeit und Parteiapparat zu demokratisieren und zu modernisieren. Die Mitte bzw. das Zentrum der Partei organisiert sich neu.

Mit der Berliner Tagung des Frankfurter Kreises vom 16.-18.6.2000 ging ein langer politischer Zyklus der Arbeit von Linken in der SPD zu Ende, ein neuer Abschnitt beginnt nun. Es ist an der Zeit für die Linke, sich auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen. Positionen und Strategie gehören auf den "Zukunfts-TÜV".

Bislang war die Parteilinke gut für die Produktion von Visionen, gut für das soziale Gewissen, gut für die Mobilisierung der Anhängerschaft. Gleichzeitig wurde ihr die Doppelrolle von Sündenbock und Dummem August aufgedrängt: Ihr wurde zugemutet, mehr oder minder diszipliniert viel schlucken zu müssen, in ihren Reihen dafür für Akzeptanz zu sorgen, während sie abwechselnd dem Vorwurf ausgesetzt wurde, entweder völlig machtlos zu sein oder aber für alle Miseren in der SPD hauptverantwortlich zu sein.

Aus diesem Theaterstück wird die neue SPD-Linke aussteigen. Sie kann nicht alleine der Garant des Sozialen in der SPD sein, so sehr sie es möchte. Dafür muß das Zentrum sorgen. Die sattsam bekannte Arbeitsteilung: Die Linke kritisiert, die anderen machen pragmatische Politik, wird aufgekündigt. Die Linke wird zukunftsorientierte, praktische Lösungen entwickeln, die anderen dürfen kritisieren.

Das bedeutet keineswegs den Verzicht, die Dinge beim Namen zu nennen, sondern nur den Verzicht auf die Illusion, alleine das Unglück der Welt beheben zu können.

Die Linke ist bereit, mit den sozialen Bewegungen außerhalb der Parteistrukturen eng zu kooperieren. Für ein Bündnis mit der Mitte steht sie zur Verfügung.

Die Linke in der SPD wird den Begriff der Moderne wieder besetzen, den andere zu Unrecht für sich in Anspruch genommen haben. Sie wird den Anschluß suchen an die aktuellen Debatten in der Gesellschaftswissenschaft und Ökonomie.

Sie wird sowohl Zukunftsdiskurse entwickeln als auch mittelfristige Reformprojekte identifizieren. Unsere Botschaft: Politikwechsel ist machbar.

Die Linke wird sich am SPD-Programmprozeß beteiligen - Die Botschaft lautet hier: Es geht um die Alternative: soziale und demokratische Zivilisierung des globalen Kapitalismus oder technokratische Anpassung mit Sozialrhetorik.

Die Linke wird eine neue Plattform entwickeln und sich um die Kernaufgabe kümmern: Wie sieht der Gesellschaftsvertrag der Zukunft aus?

Organisation und Aufgaben

Mit der Einrichtung des Forums Demokratische Linke 21 geht der Frankfurter Kreis in einem neuen organisatorischen Zusammenhang auf, um die neuen programmatischen und politischen Aufgaben effektiv umsetzen zu können. Büro, Hauptamtlichkeit, professionelle Kommunikationsstrukturen sind dafür unerläßlich und werden jetzt aufgebaut.

Dem Vorstand des Forums Demokratische Linke 21 gehören an: Andrea Nahles (Vorsitzende), Detlev von Larcher (stellv. Vorsitzender) sowie Rudolf Borchert MdL, Konrad Gilges MdB, Gernot Grumbach, Dr. Klaus Hahnzog MdL , Benjamin Mikfeld, Thomas Sauer MdB, Dr. Joachim Schuster MdL, Dr. Elke Seidel, Claudia Walther. Die Kooptierung weiterer Mitglieder aus Berlin und Ostdeutschland ist vorgesehen. Nach einem Jahr wird satzungsgemäß ein neuer Vorstand durch die Mitglieder des Forums gewählt.

Zur solidarischen Abstimmung wird ein erneuerter Koordinierungskreis aus: Parlamentarischer Linker, Forum DL 21, der Parteivorstands- und Parteiratslinken sowie den Jusos eingerichtet.

Arbeitsteilung: Dieser KO-Kreis führt die Arbeit des Frankfurter Kreises in folgenden Punkten fort: Er ist zuständig für die Vorbereitung der Parteitage und allgemeine Politikplanung. Die PL ist hauptverantwortlich für die Tagespolitik. Der neu gegründete Verein "Forum DL 21" ist zuständig für Parteireform, Programmkommission, Zukunftsdiskurse und Campaigning und die Nachfolge der Frühjahres- und Herbsttagungen des Frankfurter Kreises.

Nahziel ist: Schaffung von Kampagnenfähigkeit, Ausbau der publizistischen Wirkung (Internet, eigene programmatische Publikationen, etc.), Entwicklung neuer Aktionsformen, die Vernetzung mit Partnern (über Förderkreis, Foren, Veranstaltungen/Kongresse), die Entwicklung von effektiven Strukturen der Nachwuchsförderung und die Einrichtung eines Berliner Forums DL 21 (Veranstaltungen, Seminare, "Events") Im September legt der Vorstand des Forum DL 21 eine neue inhaltliche Plattform zur Diskussion vor.

Das Forum wird sehr eng mit dem ebenfalls neu gegründeten Verein Soziale Republik Europa zusammenarbeiten, einem Zusammenschluß von linken SozialdemokratInnen auf der Ebene der Sozialdemokratischen Partei Europas SPE.

Wir bitten darum, durch eine Mitarbeit und Mitgliedschaft in unserem Forum Demokratische Linke 21 dazu beizutragen, daß wir die personellen, finanziellen und organisatorischen Ressourcen bekommen, um spannender, überzeugender, stärker und schlagkräftiger zu werden.

Der Verein ist nur der Rahmen und das Instrument dafür. Wir werden dadurch nicht bürokratischer, sondern transparenter, weil wir mehr informieren und kommunizieren können. Wir werden demokratischer, weil wir besser beteiligen und organisieren und weil die Mitglieder wählen können. Regional werden wir auch stärker, weil wir einen Teil unserer Mittel und Prioritäten für die Arbeit vor Ort und in den Bezirks- und Landesgliederungen verwenden wollen.

Infos: http://home.t-online/home/detlev.larcher

Marginalien:

Linke Sozialdemokraten haben sich für einen neuen reformerischen Impuls in der europäischen und globalen Politik einzusetzen.

Es geht um die Formulierung eines neuen Gesellschaftsvertrages für Deutschland und Europa.

Die Linke wird zukunftsorientierte, praktische Lösungen entwickeln, die anderen dürfen kritisieren.

Die Linke in der SPD wird den Begriff der Moderne wieder besetzen, den andere zu Unrecht für sich in Anspruch genommen haben.