Zur Entwicklung der Landwirtschaft in den neuen Ländern

in (09.09.2000)
Die Landwirtschaft hat sich in beiden Teilen Deutschlands nach dem II. Weltkrieg unterschiedlich entwickelt, die der DDR war seit 1960 durch Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) dominiert. 1989, unmittelbar vor der Wende bestanden 3.844 LPG (1.162 LPG Pflanzen- und 2.682 LPG Tierproduktion), die einschließlich der individuellen Hauswirtschaften der Genossenschaftsmitglieder 87,4 vH der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LF) bewirtschafteten.1) Den verbleibenden Teil der Fläche nutzten größtenteils Staatsgüter (genannt VEG für Volkseigene Güter) und zwar 1989 7,2 vH der LF, ein Rest von ca. 5,4 vH der LF gehörte Kleinstparzellen von Städtern oder befand sich in Kirchenbesitz.2)
Während alle volkseigenen Betriebe als Staatsbetriebe (das galt auch für die VEG, aber auch für Stadtwerke oder kreisgeleitete Betriebe, da es in der DDR weder kommunales noch Landeseigentum gab, die Länder 1952 aufgelöst wurden) mit dem Untergang der DDR des Eigentumssubjekts verlustig gingen, konnten die LPG, ein entsprechender Wille ihrer Mitglieder vorausgesetzt, erst einmal weiter existieren. Sie mußten sich jedoch nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz in Rechtsformen umwandeln, wie sie in den alten Ländern durch Handelsgesetzbuch und Genossenschaftsgesetz vorgeschrieben waren. Bei dieser Umwandlung haben die ostdeutschen Bauern in freier Selbstbestimmung Formen gemeinschaftlicher Zusammenarbeit favorisiert, so daß, vereinfacht gesagt, die LPG die DDR überlebten. Aus ihnen
Tabelle 1
Betriebsstruktur in den neuen Ländern, 1998 1)

Formen

Zahl der
Betriebe

durchschnittl Fläche je Betrieb in ha

Anteil an der LF in ha

Einzelunternehmen

25.925

49,3

22,8

Personengesellschaften

3.064

416,7

22,8

Gesellschaft bürgerlichen Rechts

2.541

350,0

15,9

KG einschl. GmbH & Co KG

364

1.114,8

6,8

Sonstige

150

20,7

0,1

Juristische Personen des privaten Rechts

2.942

1.032,4

54,2

Genossenschaften

1.218

1.432,3

31,2

GmbH

1.560

773,5

21,5

Aktiengesellschaften

58

1368,6

1,4

Andere2)

106

63,5

0,1

Juristische Personen des öffentl. Rechts3)

66

134,2

0,2

    1) Nur Betriebe über ein ha LF
    2) Aus ehem. VEG hervorgegangene Stadtgüter und aus den 169 ZBE (zwischenbetrieb-liche Einrichtungen) hervorgegangene landwirtschaftliche Gewerbebetriebe sowie LPG in Liquidation
    3.) Lehr- und Versuchsanstalten, die in der DDR VEG-Status hatten.
    Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Agrarbericht 1999, Materialband, Drucksache 14/348, S. 11

entstanden in formwechselnder Umwandlung3) Formen von Gemeinschaftsunternehmen als Mehrfamilienbetriebe wie Genossenschaften e.G., GmbH oder GmbH & Co. KG oder als einfachste Form einer Zusammenarbeit die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), wobei die Auswahl der konkreten Rechtsform, ob z.B. Genossenschaft oder GmbH, mehr zufällig, mitunter auch unter dem Einfluß des jeweiligen juristischen Beistands, oft aus den alten Bundesländern, geschah. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Betriebsstruktur in den neuen Bundesländern, woraus sich ergibt, daß etwas mehr als die Hälfte der juristischen Personen hinsichtlich Zahl und Anteil an der bewirtschafteten Fläche auf Agrargenossenschaften (mit leicht sinkender Tendenz) entfällt.
Inzwischen ist eine Reihe von ostdeutschen Agrarbetrieben, vorwiegend in der Rechtsform von juristischen Personen, wenn sie mit hohen Altschulden aus DDR-Zeiten4) belastet waren, in Konkurs gegangen, anderenorts hat sich die Zahl der juristischen Personen durch Ausgründungen spezialisierter Betriebsteile vermehrt. Schließlich haben Bauern besonders auf den guten Böden in Sachsen-Anhalt ihre Felder an Unternehmer aus den alten Bundesländern oder den Niederlanden verpachtet oder meistens verkauft, die als sog. Tiefladerbauern5) wirtschaften. Dennoch bleibt, daß die anfangs ungeliebten und mitunter sogar gehaßten LPG später von den ostdeutschen Bauern in starkem Maße akzeptiert wurden, die mehrfachen Medienkampagnen gegen die sog. roten Barone ins Leere liefen, die Vermögensauseinandersetzungen6) in den meisten Fällen im gegenseitigen Einvernehmen abgeschlossen wurden.
Die Ursachen für die Besonderheiten im Transformationsprozeß ostdeutscher Agrarstrukturen liegen sicher in der Scheu nicht weniger Bauern vor einem Neubeginn in ungewisser Zukunft bei keineswegs agrarfreundlicher Umwelt. Aber sie wurzeln vor allem in der Entwicklung der LPG selbst. Dazu gehörten
- die Erhaltung des bäuerlichen Privateigentums am Grund und Boden in den LPG;
- das Angebot verschiedener Typen von LPG an die Bauern mit unterschiedlichem Grad vergesellschafteter Produktion;
- die Verabschiedung von dogmatischen Zwängen des sowjetischen Modells, als sich sozialer Konfliktstoff in ostdeutschen Dörfern anhäufte7), bei gleichzeitiger Übernahme geeigneter sowjetischer Reformschritte wie z.B. der Verkauf der Technik der nach sowjetischem Vorbild geschaffenen Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) an die LPG;
- positive Erlebnisse der Bauern in der LPG selbst, insbes. in jener Zeit, als die LPG nach ihrer Gründung in den 60er Jahren "erwachsen" wurden. Eine hervorragende Rolle spielte dabei die Einführung des neuen ökonomischen Systems der Leitung und Planung auch in der Landwirtschaft. Dadurch konnten auch spätere Rückschläge in den 70er Jahren z.B. durch die schematische Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion verkraftet wurden.
Anders verlief die Entwicklung in Ostdeutschlands Industrie und Bauwesen. Dort wurden gerade anfangs nach dem Volksentscheid in Sachsen 1946, an dem 93,7 vH8) der stimmberechtigten Bürger teilnahmen, von denen 77,6 vH in freier und geheimer Abstimmung für die Enteignung der Betriebe der Nazi- und Kriegsverbrecher votierten, große Hoffnungen in die volkseigenen Betriebe gesetzt. Aber 44 Jahre später überließ eine neue Generation ohne große Widerstände diese Betriebe der Treuhand als Verhandlungsmasse für die Einführung der DM, selbst wenn das mit der Zeit immer mehr Menschen bereuen.
Die Problematik
Die ostdeutschen Bauern brachten also etwas Eigenständiges in die deutsch-deutsche Vereinigung ein. Allein mit über 1.000 Produktivgenossenschaften bereicherten sie das deutsche Genossenschaftswesen, wie es von Schulze-Delitzsch und Raiffeisen nach den Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstinitiative und Selbstverwaltung initiiert wurde, was in der Diskussion über alternative Wirtschaftsformen noch zu wenig Beachtung findet.
Weil ein flächendeckendes Netz von Agrarunternehmen erhalten blieb, liegt auch heute noch der Beitrag der ostdeutschen Landwirtschaft am Brutto-inlandsprodukt der gesamtdeutschen Landwirtschaft mit 17 bis 18 vH höher als beim verarbeitenden Gewerbe, das im Osten nur 6 vH des Bruttoinlands-produkts des verarbeitenden Gewerbes von Deutschland insgesamt erbringt.9) Andererseits ist der Anteil der ostdeutschen Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt der gesamtdeutschen Landwirtschaft wiederum niedriger als der Anteil an der landwirtschaftlichen Fläche, der für die neuen Bundesländer 32 vH beträgt. Eigene Berechnungen haben ergeben, daß sich seitdem kaum die Relation BIP Verarb. Gewerbe 10)
Tabelle 2
Entwicklung von Hektarerträgen, Viehbeständen und Milchleistung in der deutschen Landwirtschaft

 

Ost

West

Gesamt

 

1985-1989

1998

1985-1989

1998

1985-1989

1998

Hektarerträge in dt.

           

Getreide

44,7

60,1

54,1

65,2

50,8

63,3

Kartoffeln

245,0

355,7

357,5

387,6

280,4

381,4

Zuckerrüben

308,7

444,7

515,0

535,9

440,6

511,6

Raps

27,6

34,2

31,4

33,0

30,3

33,6

             

Vieh (Stück je 100 ha)

1989

1998

1989

1998

1989

1998

Rinder

92,8

49,6

122,5

105,4

.

.

Schweine

194,7

58,6

186,5

186,6

.

.

             

Milchleistung je Kuh in kg

4.1141)

6.317

4.8532)

5.565

4.6441)

5.717

1) 1989 2) 1990

    Quelle: Statistisches Bundesamt. Tabellensammlung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern. Ausgabe 1/1999, S. 48 und S. 50; Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 239; Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1995, S. 148; Bauernzeitung Nr. 2/2000, S. 51

Die ostdeutsche Landwirtschaft wird heutzutage trotz deutlich gestiegener Hektarerträge pflanzlicher Kulturen wegen der seit der Wende dramatisch reduzierten Tierbestände weit weniger intensiv als die westdeutsche betrieben, eine maßgebliche Ursache auch dafür, daß gegenüber 1989 nur noch 20 vH der Bauern ihren Arbeitsplatz behielten. Insgesamt wurden 1998 in Ostdeutschland gegenüber 1989 nur noch ca. 30 vH der Schweine und etwas weniger als die Hälfte der Rinder gehalten11). Der Viehbesatz je 100 ha LF ging in Ostdeutschland wegen des starken Rückgangs der landwirtschaftlich genutzten Fläche um fast 10 vH12) nicht ganz so stark zurück, wobei sich z.B.
Tabelle 3
Ausgewählte Kennzahlen testierter Agrarunternehmen im Wirtschaftsjahr 1997/98

Kennzahl

Einzelunter-nehmen1)

Personen-
Gesellsch.

Juristische Personen
GmbH Genoss. Insgesamt2)

AK3) je 100 ha

3,4

1,8

2,2

2,4

2,3

VE4) je 100 ha

150,7

63,3

79,3

75,3

76,3

Getreide dt je ha

64,8

61,3

52,9

55,5

55,4

           

Vermögen DM je ha

24.808

7.986

5.429

6.395

6.226

darunter: Boden

15.793

3.070

350

518

503

Eigenkapital DM je ha

21.233

5.105

2.495

3.930

3.577

           

Verbindlichkeiten DM je ha

3.255

2.653

2.323

1.807

1.983

darunter: gegenüber Banken

2.793

2.186

1.121

1.085

1.114

Nettoinvestitionen DM je ha

245

170

6

- 18

- 26

           

Umsatz DM je ha

4.405

2.692

2.700

2.613

2.647

Gewinn DM je ha

1.168

730

46

3

15

Einkommen5) DM je ha

1.314

949

921

990

968

Einkommem5) DM je AK

38.185

52.065

41.170

41.717

41.704

           

Rentabilität in vH des

         

Eigenkapitals

-0,2

4,5

2,0

0,3

0,6

Gesamtkapitals

0,4

4,2

2,7

1,3

1,7

    1) Betriebe im Haupterwerb
    2) einschl. GmbH & Co. KG, AG und e.V.
    3) AK=Vollbeschäftigte Arbeitskräfte (Teilbeschäftigte umgerechnet)
    4) VE=Vieheinheiten (Rinder über 2 Jahren und Milchkühe gelten als eine VE, Mastschweine über 50 kg als 0,16 VE).
    5) Einkommen ist gleich Gewinn vor Steuern und Personalaufwand vor Abzug privater Steuern, Beiträgen zur Sozialversicherung, Berufsgenossenschaft usw. Es liegt damit wesentlich über dem verfügbaren Einkommen.
    Quelle. Agrarbericht der Bundesregierung 1999, Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Materialband, Drucksache 14/348, S. 51

der Schweinebesatz in den alten Bundesländern überhaupt nicht verringerte, obwohl er 1989 nur wenig niedriger als in der DDR war.
Der extensive Entwicklungstrend der ostdeutschen Landwirtschaft wird auch aus Tabelle 3 deutlich. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es juristische Personen de facto nur in der ostdeutschen Landwirtschaft gibt, während die Angaben über die Einzelunternehmen durch die westdeutschen dominiert werden. Die günstigen Daten der Personengesellschaften resultieren daraus, daß sie sich besonders in den neuen Bundesländern auf geförderten Marktfruchtanbau konzentrieren.
Die Ursachen dieser weitgehend extensiven Entwicklung der ostdeutschen Landwirtschaft seit 1989 sowie ihrer im Verhältnis zu den westdeutschen Betrieben wesentlich geringeren Umsätze je Hektar liegen in erster Linie darin, daß unmittelbar nach der Währungsunion der Binnenmarkt für viele ostdeutsche Produkte wegbrach. Die Handelsketten aus den alten Bundesländern hatten die Kaufhallen und Warenhäuser der staatlichen Handelsorganisation (HO bzw. Centrum) sowie große Teile des konsumgenossenschaft-lichen Handels übernommen. Weil diese vorwiegend die Erzeugnisse ihrer Stammlieferanten aus den alten Ländern listeten, wurden deren Kapazitäten besser ausgenutzt. Die ostdeutschen Erzeugnisse dagegen waren vielfach nicht mehr in den Regalen präsent. Sie konnten also auch nicht gekauft werden. Es kam in den alten Ländern zu dem bekannten vereinigungsbedingten Aufschwung und zwar auf Kosten der ostdeutschen Hersteller.13) Auch andere EU-Staaten wie Belgien und die Niederlande profitierten davon, indem ihre Agrarexporte in die Bundesrepublik anwuchsen.
Einerseits war verständlich, daß infolge jahrzehntelanger Abschottung der DDR gegenüber dem Westen in der Bevölkerung ein regelrechter Hunger nach Westwaren bestand. Andererseits wäre es, ausgehend von der Erkenntnis, daß solche Nachfrage wie ein Strohfeuer auch wieder erlischt, man nach einer gewissen Zeit Altbekanntes und Altbewährtes wieder entdeckt, Aufgabe der Politik gewesen, mäßigend einzugreifen, damit es nicht zur unumkehrbaren bzw. lange nachwirkenden Vernichtung von Produktionskapazitäten und damit Arbeitsplätzen kommt. Gerade angesichts der Schwierigkeiten, jetzt wieder Vertriebslinien für ostdeutsche Produkte am Markt zu installieren, wird deutlich, welche Chancen bei der Wiedervereinigung vergeben wurden. Und die privaten ostdeutschen Einzelhändler, die noch am ehesten am Verkauf der Landesprodukte interessiert waren, konnten wegen ihres geringen ökonomischen Gewichts (nur knapp 14 vH Anteil am Lebensmittel-umsatz14)) diese Entwicklung auch nicht verhindern.
Von Dohnanyi, Sonderbeauftragter der Treuhandnachfolgerin BvS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) für ostdeutsche Unternehmen, gesteht jetzt Fehler z.B. bei der Privatisierung der staatlichen ostdeutschen Handelskette HO ein, wie überhaupt die Treuhand im Privatisierungsprozeß die Marktfrage unterschätzt habe. Die Märkte wären im Kalten Krieg voneinander getrennt gewachsen, so daß der Mauerfall den ostdeutschen Unternehmen die Märkte entrissen habe. Aber, so von Dohnanyi weiter, "Markt ist ein wesentlicher, ja: der wesentliche Bestandteil jedes Unternehmens. Markt ist eine unsichtbare Investition, ist Kapital, ist Firmenwert, Besitz und Macht. Markt ist, was den Ostfirmen am schmerzhaftesten fehlt."15) Leider waren solche Erkenntnisse und Warnungen in seinem Brief an die "deutschen demokratischen Revolutionäre" nicht enthalten. Darin hatte er gegen derartige Befürchtungen des saarländischen Ministerpräsidenten Lafontaine polemisiert16). Und man kann auch bei Karl Marx nachlesen, daß "der Verkauf der schwierigste Teil seiner (des Wertes - H.L.) Metamorphose ist.... Als Geld befindet sich der Wert in seiner stets umsetzbaren Form. Als Ware muß er erst durch Verwandlung in Geld diese Gestalt unmittelbarer Austauschbarkeit und daher stets schlagfertiger Wirksamkeit erhalten."17)
Mögliche politische Alternativen
Solange zu Lasten der ostdeutschen Landwirtschaft ein Marktungleichgewicht besteht, wobei der Absatz auch für westdeutsche Landwirte angesichts der übermäßigen Marktmacht der großen Handelsketten immer mehr zum Problem wird, sollten nicht auch noch seitens der Politik zusätzliche Erschwernisse für die Landwirtschaft im allgemeinen und die ostdeutsche im besonderen installiert werden. Natürlich kann Politik keine Märkte kaufen und der Einfluß der Bundesregierung auf die Entwicklung der Landwirtschaft wird auch deswegen geringer, weil die Zuständigkeit hinsichtlich vieler Fördermittel und Beihilfen immer mehr auf die Europäische Kommission in Brüssel verlagert wird. Desto mehr muß die Bundespolitik den ihr verbliebenen Entscheidungsspielraum nutzen, um Benachteiligungen der deutschen Landwirtschaft zu verhindern bzw. auszugleichen. Der ist übrigens ist keineswegs gering.
Er besteht erstens in Sachen Regelungen über das Bodeneigentum und den Grundstücksmarkt, zweitens auf dem Gebiet der Steuerpolitik, wobei es generell um eine agrarfreundlichere Besteuerung geht, die auch die Lage der westdeutschen Bauern erleichtert, und drittens hinsichtlich der Behandlung sogenannter Altlasten wie z.B. der schon erwähnten Altschulden.
Auf diesen wichtigen Feldern kann die Bundesregierung die Stabilität der einheimischen Agrarunternehmen mit all ihren positiven vor allem beschäftigungspolitischen Auswirkungen befördern, wenn sie die in § 2 Landwirtschaftsanpassungsgesetz festgeschriebene Chancengleichheit für Betriebe aller Rechtsformen ihrer Agrarpolitik zugrunde legt. Das schließt ein, sich von ideologisch determinierten Leitbildern zu verabschieden und auf zusätzliche Belastungen der juristischen Personen zu verzichten.
Die Verteidigung der Bodenreform ist inzwischen nicht nur ein Anliegen der Bauern, werden doch durch ihre ständige Infragestellung auch Leute verun-sichert, die nicht mehr in der Landwirtschaft beschäftigt sind.
Das Bundesverfassungsgericht ebenso wie die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg haben mehrere Klagen der Nachkommen der durch die Bodenreform enteigneten Großgrundbesitzer (Landbesitzer über 100 ha) gegen die Bodenreform und einstweilige Verfügungen gegen die Flächenerwerbsverordnung des "Entschädigungs- und Ausgleichsleistungs-gesetzes" (EALG)18) abgelehnt. Diese gaben sich jedoch damit nicht zufrieden und bemühten die EU-Kommission in Brüssel, die wegen der Möglichkeit des verbilligten Flächenerwerbs durch Ortsansässige Einspruch gegen das EALG erhob, so daß der Verkauf der von der "Bodenverwaltungs- und -verwertungsgesellschaft mbH" (BVVG)19) verpachteten ehem. volkseigenen Flächen (1 Mio. ha LF und 600.000 ha Wald) gestoppt wurde. Obwohl sich die Verknüpfung des Flächenverkaufs mit der Entschädigung der sog. Alt-eigentümer als problematisch erwies, war das EALG ein Kompromiß zwischen den Interessen der Betroffenen, der die juristischen Personen in der ostdeutschen Landwirtschaft als Hauptnutzer der BVVG-Flächen eher benachteiligte als bevorzugte.
Gerade sie sind wegen des hohen Anteils an Pachtland (über 95 vH, auch ihre Mitglieder/Gesellschafter wollen ihren privaten Grund und Boden nur verpachten) zur Sicherung der Bodenbewirtschaftung und Zusammenführung von Gebäude- und Bodeneigentum am Kauf von ehemaligen BVVG-Flächen interessiert. Auf der Tagesordnung steht deshalb eine Präzisierung des Treuhandauftrages vom 17.6.1990 über die privatwirtschaftliche Nutzung volkseigenen Vermögens, die die drei möglichen Optionen, nämlich Verpachtung, Bestellung von Erbbaurechten und Verkauf gesetzgeberisch verankert. Damit würden der Landkauf durch Ortsfremde und die Bodenspekula-tion in den neuen Ländern erschwert. Zugleich erhielte der Staat z.B. in Gestalt der Kommunen durch die Verpachtung eines größeren Teils der BVVG-Flächen bis hin zu Erbpachtregelungen eine beständig fließende Einnahmequelle. Selbst wenn solch pragmatische Lösungen Visionen von sozialer Gerechtigkeit zu widersprechen scheinen, sind sie einem sonst unumkehrbaren Ruin der ostdeutschen Landwirtschaft vorzuziehen. Das auch deshalb, weil in Ostdeutschland, abgesehen von niedrigen Hürden des Grundstücksverkehrsgesetzes der Bodenmarkt praktisch offen ist. Da die Bodenpreise im Westen 4 bis 5 mal höher liegen als im Osten, die Pachtpreise nur das 2 bis 2,5-fache betragen, kann, wer jetzt Boden kauft, damit künftig profitabel spekulieren.
Die jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung zur sogenannten Öko-steuern und Haushaltsanierung belasten einseitig sowohl ost- als auch westdeutsche Bauern, obwohl in beiden Teilen Deutschlands die Bauern am unteren Ende der Einkommensskala stehen und durch die Agenda 2000 weitere Einbußen kommen. Außerdem liegt Deutschland beim Betriebseinkommen landwirtschaftlicher Haupterwerbsbetriebe im Vergleich mit den EU-Mitgliedsländern im Mittelfeld (an siebter Stelle).
Nach einem Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung wird von einer höheren Nettobelastung der deutschen Landwirtschaft von jährlich 900 Mio. DM ausgegangen. Das bedeutet Einkommensverluste für den einzelnen Bauern und seine Familie zwischen 6.000 und 14.000 DM im Jahr oder monatlich bis zu 25 vH weniger Einnahmen, was keiner anderen Berufsgruppe zugemutet wird. Nach Umfragen der Deutschen Bauernzeitung rechnen z.B. Agrargenossenschaften mit jährlichen Einkommenseinbußen von 300.000 DM an aufwärts.
Diese Belastungen treten vor allem deshalb auf, weil bei den sogenannten Ökosteuern und der Verminderung von Subventionen die soziale Komponente fehlt. Das betrifft auch die Einführung einer betrieblichen Obergrenze von 3.000 DM je Unternehmen bei der Gasölbeihilfe, was bedeutet, daß diese von gegenwärtig 835 Mio. DM jährlich ab 2001 auf 375 Mio. DM sinkt.
Da Rationalisierung in der Landwirtschaft immer mit Mechanisierung verbunden ist und somit höheren Kraftstoffverbrauch bedingt, haben Großbetriebe wegen größerer Rationalisierungsmöglichkeiten kein größeres Einsparpotential an Energie und Treibstoffen. Eine im Gegenzug inoffiziell angekündigte Initiative in Sachen Altschulden ostdeutscher LPG-Nachfolger ist deshalb makaber, weil erstens von der Obergrenze der Gasölbeihilfe auch nichtverschuldete Betriebe betroffen sind. Zweitens hatte das Bundesverfassungsgericht ohnehin die Bundesregierung mit einer Überprüfung der wirtschaftlichen Situation altschuldenbelasteter Betriebe beauftragt, damit ihre Existenz gesichert bleibt. Vielmehr wäre ein ermäßigter Steuersatz für den in der Landwirtschaft verbrauchten Diesel und damit dessen Verbilligung um bis zu 50 Pfennig je Liter an Stelle der Gasölbeihilfe ein möglicher Weg, um einseitige Belastungen der Landwirtschaft zu verhindern.
Die von der Bundesregierung geplanten Senkungen der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuersätze, wobei die Gewerbesteuer weiter als Betriebsausgabe abzugsfähig bleibt, geht an den meisten bäuerlichen Wirtschaften vorbei, sie sind in der Regel nicht gewerbesteuerpflichtig. Die Alternative, besonders im Osten, Besteuerung als Kapitalgesellschaft, ist ungünstig, weil sie dann gewerbesteuerpflichtig würden. Damit zahlt sich die Wahlmöglichkeit erst ab einem persönlichen Einkommensteuersatz von mehr als 37 vH aus (Summe von 25 vH Körperschaftsteuer und rund 12 vH Gewerbesteuer). Eine wirksame Entlastung, wäre die Anrechnung der Grundsteuer auf die Einkommensteuer sowie eine Verlängerung des bis 2000 befristeten Steuerabzugsbetrages nach § 34 e EStG, wie das auch der Deutsche Bauernverband vorschlägt.
Schließlich werden die Bauern durch die steigenden Benzinpreise im besonderen Maße belastet. Auf dem Lande ist heutzutage der Pkw unverzichtbar, ein Ausweichen auf öffentliche Verkehrsmittel wie in der Großstadt ist kaum noch möglich.
Nachbemerkung
Alles in allem bleibt die Frage, warum im Unterschied zu Frankreich und anderen westeuropäischen Staaten die Bauern in Deutschland immer neue Belastungen tragen müssen. Aus zwei Gründen ist die nicht gerade agrarfreund-liche Politik der Bundesregierung zu hinterfragen, wobei sowohl der ökologische als auch der konventionelle Landbau förderungswürdig sind.
Erstens partizipieren von der leistungsfähigen deutschen Landwirtschaft am wenigsten die Bauern. Der Anteil der landwirtschaftlichen Erzeugererlöse an den Verbrauchsausgaben für Nahrungsmittel inländischer Herkunft ist ständig gesunken, von 44 vH Anfang der 80er Jahre im früheren Bundesgebiet auf 26,2 vH im Wirtschaftsjahr 1998/99.20) In einem Brötchen steckt z.B. noch Getreide für einen Pfennig. Dennoch sind gerade wegen der niedrigen Erzeugerpreise die Lebensmittel in der Bundesrepublik gegenüber ihren westeuropäischen Nachbarn ausgesprochen billig, so daß trotz wachsender Arbeitslosigkeit und Armut in Deutschland niemand hungern muß.
Zweitens gehört Deutschland zu den wenigen Ländern in der Welt, wo dank günstiger klimatischer Bedingungen (genügend Wasser ohne Gefahr von langen Trockenperioden, kaum Bodenerosion, ausgewogenes Klima ohne Gefahr von strengen Frösten und sengender Hitze) und einer über Generationen gewachsenen Kulturlandschaft Landwirtschaft mit hoher Ertragssicherheit und Effektivität betrieben werden kann. Gerade angesichts des verschärften Kampfes um das Wasser in verschiedenen Regionen der Welt und der großen Umweltschäden durch ehrgeizige Bewässerungsprojekte (es sei nur an die weitere Austrocknung des Aralsees in Mittelasien erinnert) sowie der Vernichtung des tropischen Regenwaldes durch Brandrodung zur Gewinnung neuer landwirtschaftlicher Flächen ist nicht nur die weitere Strangulierung bäuerlicher Wirtschaften abzulehnen, sondern auch der ständige Rückgang der landwirtschaftlichen Fläche.21) An erster Stelle steht deren Versiegelung zugunsten großer Einkaufszentren in der Nähe der Städte, wobei durch die Deindustrialisierung im Osten gerade innerhalb der Städte große Freiflächen entstanden sind, die dafür hätten genutzt werden können.
Angesichts einer - um es vorsichtig auszudrücken - keineswegs agrarfreundlichen Politik in Berlin und Brüssel ist es desto notwendiger, daß die Bauern in Ost und West trotz unterschiedlicher Rechtsformen und Wirtschaftsweise mit einer Stimme sprechen. Für die ostdeutschen Betriebe kommt es mehr denn je darauf an, die spezifischen Vorzüge der Genossenschaften wie auch anderer Publikumskapitalgesellschaften zu nutzen, um eine noch breitere Akzeptanz im öffentlichen Leben zu erreichen. Diese Vorzüge liegen vor allem in der Dreieckskonstellation von Landverpächter, Mitglied bzw. Gesellschafter und Mitarbeiter dergestalt, daß möglichst viele Bauern in allen drei Funktionen wirksam werden können. An Stelle oft empfohlener arbeitsplatzreduzierender Rationalisierung kommt es vielmehr auf den Erhalt von Arbeits- und Ausbildungsplätzen durch kluge Nutzung aller gesetzlichen Möglichkeiten sowie die Erschließung zusätzlicher Geschäftsfelder etwa durch Eigenvermarktung an.

1 Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 212

2 Ebenda, a.a.0.

3 Das Wirtschaftsrecht unterscheidet zwischen formwechselnder und übertragender Umwandlung. Während eine Gesellschaft bei formwechselnder Umwandlung lediglich die Rechtsform ändert ohne ihre Identität einzubüßen - man spricht vom identitätswahrenden Formwechsel - , wechselt bei der übertragenden Umwandlung der Rechtsinhaber, da die bisherige Gesellschaft aufgelöst und deren Vermögen einschließlich der Verbindlichkeiten auf ein anderes Rechtssubjekt übertragen wird.

4 Mehr als die Hälfte der LPG waren mit Bankkrediten von insgesamt 15,2 Mrd. DDR-Mark, gleich 7,6 Mrd. DM belastet. Sie wurden oft auch für Aufgaben im kommunalen Bereich verwandt, die nicht nur den Bauern, sondern der Allgemeinheit zugute kamen. Andere dienten dem Bau überdimensionierter Stallanlagen, zu denen manche Genossenschaft, wenn sie nicht wirtschaftsstark war, leicht gedrängt wurde. Solches nicht betriebsnotwendiges Vermögen konnte nach der Wende kaum veräußert werden.

5 Sie haben nicht den besten Ruf, weil sie nur zur Bestell- und Erntezeit auf ihrem auf Marktfruchtbasis spezialisiertem neu eingerichtetem Betrieb im Osten erscheinen.

6 Lt. Landwirtschaftsanpassungsgesetz vom 29.6.1990 (von der letzten DDR-Volkskammer verabschiedet) bzw. in der schon vom Bundestag novellierten Fassung vom 25. April 1991 mußten die LPG bei ihrer Umwandlung ihr Vermögen den einzelnen Mitgliedern zuordnen, also personifizieren. Zugleich ermöglichte es das Gesetz, ausgeschiedenen LPG-Mitgliedern, umgewandelte Vermögensanteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten.

7 Wurde auf Anregung der II. Parteikonferenz der SED 1952 auf dem Höhepunkt stalinistischer Deformationen sog. Großbauern (das waren Bauern, die über 20 ha LF bewirtschafteten) die Aufnahme in LPG verwehrt, so wurde dieser Beschluß schon nach dem 17. Juni 1953 unterlaufen und dann Ende 1954 offiziell aufgehoben. In der Folgezeit wurden sog. Großbauern wegen ihres Wissens oft sogar als Vorsitzende der LPG gewählt.

8 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für angewandte Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsfortschritte in Ostdeutschland, Dritter IWH-Bericht, Halle/Saale 1995, S. 16 ff.

9 Vergleiche hierzu den Beitrag zur Industrie im selben Heft

10 BIP Verarb. Gewerbe bedeutet: Anteil des Bruttoinlandsprodukts des ostdeutschen verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt des gesamtdeutschen verarbeitenden Gewerbes, BIP der Landwirtschaft: Anteil des Bruttoinlandsprodukts der ostdeutschen Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt der gesamtdeutschen Landwirtschaft, LF: Anteil der landwirtschaftlichen Fläche in den neuen Bundesländern an der der Bundesrepublik insgesamt.

11 Statistisches Bundesamt, Tabellensammlung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Ausgabe 1/1999, S.50

12 Berechnet nach Ebenda, S. 44

13 Ausführliche Darstellung siehe MEMORANDUM '99, Köln 1999, S. 208 ff.

14 Siehe Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 271

15 Rede von Dr. Klaus von Dohnanyi anläßlich des Symposiums "Zwischenbilanz Aufbau Ost" am 19.9.1996 in Berlin.

16 Dohnanyi, Klaus von: Brief an die Deutschen Demokratischen Revolutionäre 1990, München, S. 128 ff.

17 Karl Marx, Das Kapital, Zweiter Band, In: Marx/Engels, Werke Bd. 24, Berlin 1969, S. 128/129

18 Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage vom 27.09.1994

19 Sie war 1992 als eine der Töchter und spätere Nachfolgerin der Treuhandanstalt (THA) gegründet worden. Sie wurde zum 01.01.1996 ein reines Bundesunternehmen und zwar als eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der THA-Nachfolgerin, der "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben" (BvS); für den Verkauf von Industrieflächen sowie allen potenziellen Gewerbe- und Wohnungsbauflächen über 5.000 m2 ist dagegen allein die ebenfalls bundeseigene "Treuhand Liegenschaftsgesellschaft mbH" (TGL) zuständig.

20 Siehe Bauernzeitung Nr. 2/2000, S. 25 und vgl. Materialband zum Agrarbericht 1999 der Bundesregierung, a.a.0., S. 89

21 Noch wird über die Hälfte des Bodens der Bundesrepublik von der Landwirtschaft genutzt. Es ist jedoch besorgniserregend, daß die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland durch unumkehrbare anderweitige Nutzung von 18,5 Mio. ha 1980 (DDR und BRD zusammengenommen) auf 17,3 Mio. ha 1998 zurückgegangen ist, darunter in den neuen Ländern von 6,2 auf 5,6 Mio. ha (berechnet nach Stat. Jahrbuch der DDR 1990, S. 211 und Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1999, S. 147).