Grundzüge der Unternehmensentwicklung in Ostdeutschland

Die Zahl der Unternehmen bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Auf gut eine halbe Million wird der gesamte Bestand geschätzt. Großunternehmen fehlen weitgehend.

Die Zahl der Unternehmen bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Auf gut eine halbe Million wird der gesamte Bestand geschätzt. Großunternehmen fehlen weitgehend. Laut Jahreswirtschaftsbericht gibt es 530.000 Klein- und Mittelunternehmen in den neuen, fünfmal so viele in den alten Bundesländern. Im Bereich Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe entfielen 1998 nur 15 vH der Betriebe und 9 vH der Beschäftigten auf die neuen Länder. Der Gründungsboom der ersten Hälfte der neunziger Jahre ist vorbei. Nun wird der Überschuß der Neugründungen gegenüber den Unternehmensaufgaben im Gegensatz zur Entwicklung in den alten Ländern sogar merklich geringer. In Ostdeutschland steigt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen immer noch an, während sie in Westdeutschland seit drei Jahren sinkt.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die ostdeutsche Unternehmenslandschaft grundlegend verändert. Aus einer eher großbetrieblich strukturierten Wirtschaft mit Schwergewicht Industrie ist ein vorwiegend kleinbetrieblich dominierter Wirtschaftsraum mit schwacher industrieller Basis geworden. Vom Sachverständigenrat wurde in seinem jüngsten Gutachten festgestellt, daß die "transformationsspezifischen Nachteile des Wirtschaftsstandortes Ost" inzwischen in den Hintergrund getreten sind. Wenn es dort aber weiter heißt, die "noch" existierenden Probleme seien nunmehr "struktureller Art", so sollte hinzugefügt werden, daß die Politik im Transformationsprozeß eben diese gravierenden Strukturprobleme wesentlich mit verursacht hat.
Hauptverantwortlich dafür steht die Politik der Treuhandanstalt, der gigantischen Staatsholding, in die das gesamte ehemalige DDR-Volksvermögen zum Zwecke seiner schnellstmöglichen Entflechtung und Privatisierung eingebracht wurde. Erhalt, Sanierung und Konsolidierung von Unternehmen gehörte weder zu den Zielen noch zu den Aufgaben. Solche strukturpolitischen Aspekte fanden als Politik der sogenannten "industriellen Kerne" erst dann ansatzweise Eingang in die Tätigkeit der Treuhand, als die Strukturen überwiegend schon zerstört waren. Die Halbherzigkeit der dann tatsächlich initiierten Maßnahmen konnte nur wenig Erfolg versprechen.1)
In der ersten Phase der Treuhand-Aktivitäten wurden zahlreiche Betriebe und Betriebsteile der großen Kombinate entflochten und verkauft oder wegen Unwirtschaftlichkeit stillgelegt. Ganze Wirtschaftszweige, Branchen und Standorte wurden auf ein Minimum geschrumpft, das regionale und überregionale Beziehungsgeflecht der Unternehmen wurde aus gewachsenen Zusammenhängen gerissen. Standortstrukturen lösten sich auf. In der "Sanierungsphase", zum Teil noch von der Treuhand, zum Teil von neuen Eigentümern eingeleitet, wurde in den Unternehmen dann vor allem rationalisiert. Gleichzeitig entstanden zahlreiche neue, besonders kleine und ganz kleine Unternehmen vorwiegend in Handel, Dienstleistungen u.a. Bereichen. Auf diesen Grundlagen begann sich die neue Unternehmenslandschaft Ostdeutschlands mit neuen Größen-, Branchen- und Standortstrukturen und mit neuen Eigentumsverhältnissen herauszubilden. Die so entstandenen Potentiale reichen bei weitem nicht aus, um die Verluste der vergangenen Jahre zu kompensieren.
Eigentumsstruktur "westlastig"
Bis Ende 1998 wurden von der Treuhandanstalt 23.610 Unternehmen und Unternehmensteile privatisiert, reprivatisiert, liquidiert und aufgelöst. Ein geringer Bestand befindet sich noch bei der Nachfolgeeinrichtung Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS). Ganz offensichtlich gelangten die wertvollsten Teile des ehemaligen Volkseigentums über die Treuhand mehrheitlich in den Besitz von kapitalkräftigen Gruppen aus den alten Bundesländern und dem Ausland. "Bei der Privatisierung größerer Unternehmen sind praktisch nur Investoren aus dem Westen zum Zuge gekommen", wurde im 19. Anpassungsbericht festgestellt.2)
Nunmehr existiert eine maßgebliche Schicht potenter neuer Eigentümer, die ihre Unternehmensbasis in den alten Bundesländern oder im Ausland hat und von dort aus das in Ostdeutschland erworbene Kapitaleigentum verwertet. Aus einer Untersuchung des DIW geht zwar hervor, daß Anfang 1998 rund 77 vH der privaten Unternehmen in der Industrie als "eigenständig" gelten konnten, d.h., keinem Unternehmensverbund angehörten. Das ist aber nicht unbedingt mit ostdeutschem Eigentum gleichzusetzen. 23 vH der Unternehmen wurden westdeutschen und ausländischen Eigentümern zugeordnet. In den "eigenständigen" Unternehmen sind 49 vH der im Unternehmenssektor Beschäftigten tätig.3)
Eine andere Untersuchung für den gesamten Unternehmensbereich kam zu ähnlichen Ergebnissen. Danach befinden sich 68 vH der Betriebe (ohne öffentliche Betriebe) mit 46 vH der Beschäftigten in ostdeutschem Eigentum. Westdeutschen und ausländischen Eigentümern gehört nur ein Neuntel der Betriebe, aber mit einem Fünftel der Beschäftigten.4) Würde man die kleinen Existenzgründungen mit 1-4 Beschäftigten - also knapp die Hälfte aller Betriebe - aus der Rechnung entfernen und würden die unterschiedlichen Betriebsgrößen innerhalb der Branchen nach Eigentümern geordnet, wäre das Bild für ostdeutsche Eigentümer wesentlich ungünstiger. Laut DIW sind Industrieunternehmen in der Größenklasse von 1-9 Beschäftigte zu 91 vH "eigenständig", diejenigen ab 500 Beschäftigte aber nur noch zu 13 vH, sie gehören fast vollständig zu westdeutschen und ausländischen Unternehmen.
Von der Treuhand an Westeigentümer verkaufte Betriebe sind im Durchschnitt größer als die nicht unter Treuhand-Verwaltung geratenen. Vor allem sind sie erheblich größer als die seit 1990 neu gegründeten Betriebe. Doch gerade die Neugründungen befinden sich vorwiegend (etwa drei Viertel) in ostdeutschem Eigentum. Beim Vergleich der Zahl der Beschäftigten je Betrieb nach Eigentümergruppen fallen die Unterschiede noch stärker ins Gewicht. Für Ostdeutsche (ohne öffentliche Eigentümer) ergibt sich im Durchschnitt ein Besatz von 10, für Westdeutsche von 27 und für Ausländer von 36 Beschäftigten je Betrieb5)
Unternehmen, die ihren Weg über die Treuhand nahmen, waren hinsichtlich ihrer Liquidität und ihrer Kapitalausstattung zunächst besser gestellt als neu gegründete. Die Übernahme durch potente Westunternehmen konnte sich auch durch Einbindung in funktionierende Unternehmensnetzwerke als vorteilhaft erweisen. Untersuchungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) weisen allerdings darauf hin, daß von Ostunternehmen eingebrachte Produktions- und Marktstrukturen häufig gar nicht in das Profil des übernehmenden Unternehmens paßten und über kurz oder lang eliminiert wurden. Zahlreiche privatisierte Treuhand-Unternehmen hatten zudem eine stark osteuropäische Marktausrichtung. Als ihr Markt zusammenbrach bzw. von wettbewerbsfähigeren Westunternehmen bedient wurde, sind sie nicht selten geschlossen oder weiter veräußert worden.
Bei den wenigen großen Neugründungen westdeutscher und ausländischer Konzerne in Ostdeutschland ist sowohl das Kapital als auch das Geschäftsvolumen erheblich größer als das ostdeutscher Unternehmen. Laut IWH haben Unternehmen ostdeutsche Eigentümer im Produzierenden Gewerbe einen Anteil am gesamten ostdeutschen Geschäftsvolumen von 42 vH und am Stammkapital von 22-29 vH. Unternehmen westdeutscher und ausländischer Eigentümer haben dagegen Anteile von 52 bzw. 51-58 vH.6) Formale Kapitalbeteiligungsverhältnisse geben jedoch nicht immer ausreichend Auskunft über den tatsächlichen Status von Eigentum und Verfügung. Bei einer Reihe der als ostdeutsch eingestuften Betriebe handelt es sich um solche mit sowohl ostdeutschem als auch westdeutschem Kapital. Rechtlich unabhängige Unternehmen können in ihrer Finanz- und Geschäftspolitik eng an größere Unternehmen gebunden, von ihnen abhängig sein, ohne daß die Kapitalverteilung das ausweist. Internationale Untersuchungen belegen, daß Abhängigkeitsformen ohne Kapitalbeteiligung an Bedeutung gewinnen.
Wenig Großunternehmen
Auf den ersten Blick ist die Betriebsgrößenstruktur zwischen Ost- und Westdeutschland ähnlich. Der Anteil der Klein- und Kleinstbetriebe mit 1-19 Beschäftigten ist mit 87 vH identisch und die nächst höheren Größenkategorien weichen nur geringfügig voneinander ab.
Mit tieferer Gliederung wird deutlich, daß in Ostdeutschland die ganz kleinen Betriebe mit höchstens vier Beschäftigten den Hauptteil der Betriebe ausmachen, während dies in Westdeutschland erst auf die nächst höhere Gruppe von Betrieben mit 5-19 Beschäftigten zutrifft. Die Gliederung der Beschäftigten nach Betriebsgrößenklassen zeigt für Ostdeutschland in der untersten Kategorie einen um ein Drittel höheren Anteil als in Westdeutschland auf. Nach neueren Untersuchungen verschiebt sich die Verteilung der Beschäftigten in Ostdeutschland in den letzten Jahren weiter in Richtung kleinerer Betriebe. In Betrieben ab 100 Beschäftigte verringert sich dagegen der Anteil an allen Beschäftigten. Im Osten sind in Betrieben ab 500 Beschäftigte 16, im Westen aber 24 vH aller Beschäftigten tätig.7)
Der Mangel an Großunternehmen ist offensichtlich. Ostdeutsche Großunternehmen haben im Durchschnitt auch weniger Beschäftigte und weniger Umsatz als die in Westdeutschland. Mit Ausnahme von Jenoptik - dem einzigen originär ostdeutschen Industriekonzern - handelt es sich dazu fast ausnahmslos um Tochtergesellschaften westdeutscher und ausländischer Konzerne, die nur sehr geringe Anteile an den Gesamtaktivitäten der jeweiligen Konzerne ausweisen und für den jeweiligen Gesamtkonzern meist von marginaler Bedeutung sind.8)
Tabelle 1
Betriebe und Beschäftigte nach Betriebsgrößenklassen in den neuen und alten Bundesländern im Jahre 1998 (Basis sozialversicherungspflichtig Beschäftigte; Anteile in vH)

Betriebsgrößenklasse

Betriebe

Beschäftigte

 

Neue Länder

Alte Länder

Neue Länder

Alte Länder

1 bis 4 Beschäftigte

47

39

9

6

5 bis 19 Beschäftigte

40

48

24

24

50 bis 99 Beschäftigte

11

10

29

24

100 bis 499 Beschäftigte

2

2

22

22

ab 500 Beschäftigte

0

0

16

24

    Quelle: Söstra-Erhebung im Rahmen des IAB-Betriebspanels Ost dritte Welle, in: IAB-werkstattbericht, Nürnberg, Nr. 4 vom 12.4.1999, S. 17

Anfang der neunziger Jahre wurde der schon deutlich sichtbare Dependenzcharakter der ostdeutschen Wirtschaft und ihrer Unternehmen zwar von Treuhand und Bundesregierung noch vehement dementiert. Inzwischen hat sich die Feststellung: "Was den neuen Ländern bestenfalls bleibt, sind Filialen und verlängerte Werkbänke der Konzerne", im Kern bestätigt.9) Dabei kann es sich durchaus um technologisch anspruchsvolle Tätigkeiten und um Betriebe mit hoher Produktivität handeln, wie das Opel-Montagewerk in Eisenach beweist. Die Tätigkeiten von Konzerntöchtern werden in der Regel aber an den globalen strategischen Konzepten für den gesamten Konzern gemessen und darin eingepaßt. Ihr dadurch meist spezielles Tätigkeitsprofil macht die Kooperation mit kleinen und mittleren Unternehmen der Region häufig überflüssig oder läßt sie unter diesem Aspekt am Mangel an paßfähigen Zulieferern scheitern. Nicht selten werden hochspezialisierte Zulieferer deshalb bei Ansiedlungen mitgebracht.
Besonders prekär wirkt sich das Fehlen von Großunternehmen in der Industrie und darin in Wachstumsbranchen aus. Ansiedlungsimpulse, die von ihnen auf kleine und mittlere Unternehmen verschiedenster Tätigkeitsbereiche ausgehen, die zum Entstehen einer regional effektiveren Unternehmensinfrastruktur beitragen und beschäftigungsfördernd wirken können, fehlen generell. Im Verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands gibt es nur noch 25 Betriebe mit 1.000 und mehr Beschäftigten. Davon sind 18 im Bereich Investitions-güter und 7 in der Grundstoffverarbeitung angesiedelt; nicht eines jedoch im Verbrauchsgüter produzierenden Gewerbe. Im Bauwesen wurden 14 Betriebe gezählt.10)
Im Verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands sind nur 19 vH der Gesamtbeschäftigten tätig, in Westdeutschland dagegen 27 vH; im Bauwesen sind es im Osten 12 und im Westen 6 vH.11) Die Abnahme der durchschnittlichen Betriebsgröße ist in der Industrie sehr deutlich. Das wirkt sich besonders ungünstig auf die Entwicklung derjenigen Branchen aus, die wie Chemie, Maschinenbau, Metallerzeugung usw. auf überregionale Absatzmärkte ausgerichtet sind. Westdeutsche Industriebetriebe sind im Durchschnitt doppelt so groß. Auch infolge der ungünstigen Größenstruktur betragen die Umsätze je Beschäftigten in den neuen Bundesländern nur rund 70 vH des westdeutschen Niveaus.
Wirtschaftliche Entwicklungen hängen in Ostdeutschland stärker als anderswo von einzelnen Konzernentscheidungen ab. Eine einzige Großinvestition kann beispielsweise die ganze Branchenenentwicklung befördern, ein Des-investment entzieht ihr die Entwicklungsgrundlage.12) Laut Monopolkommission ist der Konzentrationsgrad nach Umsatz und Zahl der Beschäftigten im Straßenfahrzeugbau, in der Elektroindustrie, Mineralölindustrie und Chemie der BRD am höchsten. Durch die schmale Unternehmensbasis in Ostdeutschland dürfte das Branchengewicht der führenden Konzerne hier höher sein als in Westdeutschland, wo in den meisten dieser Branchen mehrere große Gruppen sowie leistungsstarke Mittelunternehmen existieren. Das trifft gleichermaßen für die Energiewirtschaft, den Handel, das Kredit- und Versicherungswesen u.a. Branchen zu.
Die Entwicklung in den neuen Bundesländern macht zugleich deutlich, daß nur dort, wo sich wettbewerbsfähige Großunternehmen mit hinreichend diversifizierter Tätigkeit angesiedelt haben, auch die Standorte expandieren können. Nur dort, wo industrielle Unternehmen mit Kernproduktionen vor-
Tabelle 2

Die umsatzgrößten Industrie- und Energieunternehmen in Ostdeutschland 1998

 

Umsatz (Mio. DM)

Beschäftigte (Tausend)

Haupt-branche

Hauptsächliche Kapital-eigner

         

VW Sachsen GmbH (Mosel)

6.360

6.501

Automobile

Volkswagenwerk

Vereinigte Energiewerke AG-VEAG (Berlin)

6.360

6.000

Energie

RWE 26,25%, Preussenelektra (VEBA) 26,25%, Bayernwerk (VIAG) 22,5%

Verbundnetz Gas AG - VNG (Leipzig)

3.558

1.132

Energie

Ruhrgas 35%, Wintershall 15%, Verbundnetz Gas 15%, BEB Erdgas und Erdöl 10%, Statoil (Norw.) British Gas, Preussenelektra (VEBA)

Jenoptik AG (Jena)

3.125

8.540

Systemtecnik, Optoelektron.

Thüringen 18,9%, 4 Banken 40,3%

Adtrans Deutschland GmbH (Henningsd.)

2.500

6.400

Bahntechnik

DaimlerChrysler

Energie Sachsen Brandenburg AG-ESB (Chemnitz)

2.500

3.400

Energie

RWE, Bayernwerk (VIAG), Kommunen

Energie Nord AG - Edis (Fürstenwalde)

2.395

2.978

Energie

 

Opel Eisenach GmbH (Eisenach)

2.200

1.950

Automobile

Opel (General Motors - USA)

Fujitsu Computer GmbH (Sömmerda)

2.050

580

Computer

Fujitsu (Japan)

Buna Sow Leuna Olefinverband - BSL (Schkopau)

1.900

2.500

Erdölchemie

Dow Chemical (USA) 80%, BvS 20%

Lausitzer Braunkohlen
AG - Laubag (Senftenberg)

1.800

7.700

Braunkohle

Rheinbraun (RWE)
39,5%, Preussenelektra (VEBA) 30%, Bayernwerk (VIAG) 15%, RWE 5,5%

Thüringer Energie AG - Teag (Erfurt)

1.608

1.611

Energie

 

EKO Stahl GmbH (Eisenhüttenstadt)

1.600

2.700

Stahl

Cockerill Sambre (Usinor - Frankreich)

emzett-Gruppe (Berlin)

1.582

1.039

Nahrungsm.

 

Mitteldeutsche Erdölraffinerie GmbH - MIDER (Leuna)

1.300

570

Erdölraffiner.

Elf-Aquitaine (Frankreich)

f6Zigarettenfabrik Dresden GmbH

1.261

522

Tabakwaren

Philipp Morris (USA)

Mitteldeutsche Energieversorgungs AG - Meag (Halle)

1.120

1.263

Energie

VEW 52,5%, Isarwerke 11,9%, Kommunen 35,6%

DWA AG (Berlin)

1.100

5.100

Schienenfahrzeugbau

Bombardier (Kanada)

Quelle: Zusammengestellt nach Pressemeldungen und nach Angaben von Hoppenstedt-Firmenverzeichnis neue Bundesländer

handen sind, etablieren sich Zulieferer und Dienstleister. Nur dann kommt es zur Herausbildung eines breiten Unternehmensgeflechts mit größeren Potentialen im Zentrum sowie kooperierenden kleinen und mittleren Unternehmen im Umfeld.13)
Mittelstand mit nachlassender Dynamik
Der große Schub für das Wirtschaftswachstum, der vom raschen Aufbau eines leistungsstarken mittelständischen Unternehmenssektors kommen sollte, blieb aus, obwohl Ostdeutschland auf Grund der vorhandenen materiellen und Qualifikationspotentiale, der relativ hohen Standortdichte, der günstigen Lage und umfangreicher Förderung besonders gute Voraussetzungen dafür bescheinigt wurden. Trotzdem scheint Ostdeutschland auf den ersten Blick mittelständischer strukturiert zu sein als Westdeutschland. Der Anteil der Betriebe mit 1-499 Beschäftigten beträgt in beiden Landesteilen jeweils 99,7 vH, der Anteil der darin Beschäftigten in Westdeutschland 74,9 vH, in Ostdeutschland 80,4 vH. 14)
Entscheidend für den wirtschaftlichen Stellenwert des mittelständischen Sektors ist jedoch seine Größen- und Branchenstruktur, seine finanzielle und Marktsituation, sein technologisches Niveau und der Platz im gesamten Standortgefüge der Wirtschaft. Und hier werden substantielle Defizite sichtbar. Schon die Wege und Motive, die in die ostdeutsche Selbständigkeit führten, waren durch die spezifischen Bedingungen der Transformation geprägt und unterschieden sich insofern von Existenzgründungen unter "normalen" marktwirtschaftlichen Bedingungen, daß es sich zum einen um mehr oder weniger große Potentiale handelte, die sich aus den Kombinaten ausgründeten, zum anderen dadurch daß die Gründung eines MBO oder MBI häufig die einzige Alternative zur Stillegung des Betriebes oder Betriebsteiles durch die Treuhand bzw. den neuen Eigentümer war. Die ostdeutschen Existenzgründer können sich nicht mit den in westlichen Marktwirtschaften über einen langen Zeitraum organisch gewachsenen Unternehmen messen, die in ihren Regionen solide verwurzelt und mit den dort ansässigen Großunternehmen traditionell verflochten sind.
In den lange vernachlässigten Dienstleistungsbereichen entstanden besonders viele neue, aber sehr kleine Unternehmen. In der Industrie - hier sind die Unternehmen etwas größer - finden sich nur knapp drei vH aller mittelständischen Unternehmen. Doch auch die größeren Unternehmen sind weniger im Mittelfeld als vielmehr meist an der unteren Peripherie der Größengruppe zu finden. Dort, wo die Effektivitätsgrenze hin zu Großunternehmen fließend ist - also etwa über 250 Beschäftigten -, sind in Ostdeutschland weniger Potentiale vorhanden. Die überproportional vertretenen Kleinst- und kleinen Unternehmen können sich meistens kaum als effektive Kooperationspartner für Großunternehmen erweisen.
Ostdeutsche Klein- und Mittelunternehmen sind besonders liquiditäts- und kapitalschwach. Sie haben nach wie vor wenig Eigenkapital, müssen aber, um auf dem Markt bestehen zu können, einen ständig wachsenden Kapitalvorschuß für Anlagen, Produktentwicklung, Marketing usw. aufbringen. Ihre Schwierigkeiten, Bankkredite zu erhalten, sind besonders groß, da die von den Kreditinstituten geforderten Sicherheiten und Bürgschaften oft nicht verfügbar sind. Schließlich haben sie auch immense Marktprobleme, die teils aus den für sie völlig abgebrochenen Marktbeziehungen resultieren, teils aus der Tatsache, daß sie auf ein westdeutsch dominiertes festgefügtes Marktgeflecht stoßen, in das hineinzukommen kaum gelingt. Selbst von ihren regionalen Hausmärkten, vielfach dem einzigen Absatzgebiet, werden sie nicht selten verdrängt.15)
Eine beachtliche Zahl an Klein- und Mittelunternehmen ist zwar entstanden. Die Herausbildung effektiver Strukturen und der Aufbau von Marktpositionen gelang jedoch nur selten. Hinzu kam, daß die neuen Selbständigen Ostdeutschlands, die mit Schulden, fehlenden Auftraggebern und Abnehmern und wenig Erfahrung auf einen von überlegenen Unternehmen beherrschten Markt traten, sich zu einem Zeitpunkt dem Wettbewerb stellen mußten, an dem ein zyklisches Tief die mittelständischen Unternehmensstrukturen auch in Westdeutschland und in ganz Europa unter Druck setzte. Während die Gründungsphase durch Fördermaßnahmen breit unterstützt wird, stößt die Realisierung der nachfolgenden kostenaufwendigeren, aber weniger geförderten Konsolidierungs- und Wachstumsphase auf größte Schwierigkeiten. Die Mittelstandsausschüsse von BDI und DIHT kamen nicht umhin, schon in ihrer "Leipziger Erklärung" vom Herbst 1997 festzustellen, daß die Entwicklung des ostdeutschen Mittelstandes Gefahr läuft, den Anschluß an die Entwicklung in den alten Bundesländern zu verlieren.16)
Dafür steht auch die Entwicklung der Firmenpleiten. Von den knapp 27.400 Unternehmensinsolvenzen in der Bundesrepublik entfielen 1999 bei jährlich gestiegenen Anteilen 47 vH auf die neuen Bundesländer. Das Insolvenzgeschehen hat sowohl durch seine höhere Dynamik als auch durch die große Zahl von betroffenen Unternehmen und Beschäftigten (1999 = 180.000) ein außerordentlich große negative Wirkungen. Die Zahl der Firmenpleiten erreichte 1999 das Achtfache der von 1992 und die Insolvenzhäufigkeit (Insolvenzen je 10.000 Betriebe) liegt mit 150 mehr als zweimal so hoch wie in den alten Bundesländern.17)
Die bisherige Entwicklung des ostdeutschen Unternehmenssektors belegt, daß Mittel, Wege und Zeithorizonte der Umstrukturierung unzureichend, inkonsequent und unrealistisch auch von der rot-grünen Bundesregierung angegangen werden. Dabei ist aus Westdeutschland - man denke an das Ruhrgebiet - hinreichend bekannt, daß neue wettbewerbsfähige Produktions- und Unternehmensstrukturen in altindustriellen Räumen sich trotz Fördermittel weder innerhalb weniger Jahre herausbilden können noch im Selbstlauf ohne hinreichend konzeptionell untersetzte Strukturpolitik entstehen. Blind auf die Kräfte des Marktes zu vertrauen führt, wie sich in Ostdeutschland zeigt, zu irreparablen Schäden und zu Rückschritten in der wirtschaftlichen Entwicklung.
Die Herausbildung einer diversifizierten und wettbewerbsfähigen Unternehmenslandschaft ist in den Ansätzen steckengeblieben. Der Unternehmenssektor Ostdeutschlands weist gravierende Defizite auf und ist so nicht geeignet, ein solides Fundament für einen selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung abzugeben. Dazu bedarf es kontinuierlicher Wirtschaftsförderung über einen langen Zeitraum, die an einem entwicklungspolitischen Leitbild orientiert wird, und die stärker als bisher in realisierbare und zukunftsfähige Konzepte für Regionen, Standorte und Branchen eingepaßt wird.

1 Auf die Tätigkeit der Treuhandanstalt wird hier nicht näher eingegangen, da zahlreiche, auch kritische Literatur darüber existiert.

2 Vgl. Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsfortschritte in Ostdeutschland, 19. Bericht, DIW Berlin, IfW Kiel, IWH Halle, IWH-Forschungsreihe, Halle, Nr. 5/1999

3 Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische ....., a.a.O.

4 Angaben basieren auf der Hochrechnung der Söstra-Erhebung im Rahmen des IAB-Betriebspanels Ost dritte Welle, in: IAB-werkstattbericht, Nürnberg, Nr. 4 vom 12.4.1999

5 Söstra-Erhebung im Rahmen des IAB-Betriebspanels Ost, a.a.O., S. 4

6 Vgl. Wirtschaft im Wandel, Halle, Nr. 1/1998

7 Söstra-Erhebung im Rahmen des IAB-Betriebspanels Ost, a.a.O.

8 Beispielsweise beträgt der ostdeutsche Anteil am Weltumsatz des Volkswagenkonzerns rund 2 Prozent und gut 1 Prozent der weltweit Beschäftigten. Bei Opel Eisenach sind die entsprechenden Anteile 7 bzw. 4 Prozent am Opel Konzern. Im BASF-Werk Schwarzheide sind knapp 2 Prozent der weltweit im Konzern Beschäftigten und rund 3 Prozent der in der BRD Beschäftigten tätig. In der Siemens Tochtergesellschaft Simec in Dresden sollen etwas über 3 Prozent des gesamten Konzernpersonals tätig sein.

9 Wirtschaftswoche, Nr. 52 vom 19.12.1996

10 Söstra-Erhebung im Rahmen des IAB-Betriebspanels Ost, a.a.O., S. 7

11 Ebenda.

12 Der Siemens-Konzern hatte in Ostdeutschland den ganzen Starkstromanlagenbau der ehemaligen DDR sowie zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen in den Bereichen Nachrichtenwesen, Transformatorenbau, Sicherungstechnik u.a. übernommen, wovon sich der Konzern inzwischen weitgehend wieder trennen will. Mit der Gründung von Simec entstand dagegen das bisher größte Elektronikunternehmen in Ostdeutschland. Opel und Volkswagen sind die einzigen großen Autohersteller. Ihre Großinvestitionen in Mosel und Eisenach haben dazu geführt, daß sich der Anteil der konjunkturanfälligen Kfz-Branche an der Produktion des ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbes im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt hat. In der stark geschrumpften chemischen Industrie haben BASF in Schwarzheide und Dow Chemical im ehemaligen Chemiedreieck Sachsen-Anhalts durch Großinvestitionen Monopolstellungen erlangt.

13 Als Prototyp für einen solchen prosperierenden modernen Industriestandort, der vor allem großbetrieblich dominiert wird, und der sich relativ rasch entwickelt hat, kann Dresden gelten. Mit Siemens, Motorola (USA) und AMD (USA) errichten allein drei international führende Elektronikkonzerne in Dresden Chipfabriken. In der Region wird das Entstehen von unmittelbar 8.000 Arbeitsplätze dadurch erwartet. Neben diesen Konzernen haben sich ABB mit 1.600 Beschäftigten, GEC Alsthom (Frankreich) mit 600 Beschäftigten, Daimler-Benz mit über 500 und Linde mit fast ebenso vielen Beschäftigten, ein US-amerikanisches Konsortium unter Führung der Gruppe STD-Holdings mit knapp 1.500 Beschäftigten sowie weitere US-amerikanische und japanische Unternehmen sowie zahlreiche KMU angesiedelt (zusammengestellt nach verschiedenen Pressemeldungen).

14 Söstra-Erhebung im Rahmen des IAB-Betriebspanels Ost, a.a.O., S. 10

15 Beispielsweise ist es üblich, daß ein großer Teil der regionalen Bauaufträge von größeren Tochtergesellschaften westdeutscher Konzerne akquiriert und an Subunternehmen in den alten Bundesländern weiter vergeben wird. Als "große Illusion" erwies sich die Belieferung der ostdeutschen Niederlassungen großer westdeutscher Lebensmittelketten und Baumärkte mit Erzeugnissen der regionalen Anbieter.

16 Vgl. Berliner Zeitung vom 4. und 5.10 1997

17 Insolvenzen, Neugründungen, Löschungen; Eine Untersuchung zur Unternehmensentwicklung der Creditreform Wirtschafts- und Konjunkturforschung, Neuß 1999