Halbzeit! Eine friedenspolitische Zwischenbilanz

Statt "Waffen für die Welt" nun "restriktiv" gehandhabter Rüstungsexport?

Die Meldung kam überraschend: "Der Bundessicherheitsrat hat der Lieferung von 1.200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien zugestimmt.

In streng vertraulicher Sitzung entschied das Gremium am 28. Juni unter
Vorsitz von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit drei zu zwei Stimmen
gegen das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium für die
Exportgenehmigung." (1) Die kritische Öffentlichkeit hatte sich zuletzt
sehr auf ein anderes Geschäft konzentriert: Die von der Türkei im Herbst
letzten Jahres geäußerte Absicht, nach einer Testphase möglicherweise bis
zu 1.000 Kampfpanzer vom Typ Leopard-2 anzuschaffen. Dass in der
Zwischenzeit eine Reihe anderer, durchaus sehr heikler
Rüstungslieferungen stattfanden, ist darüber etwas untergegangen. Dabei
handelte es sich bei diesen Lieferungen - bzw. den erteilten Genehmigungen
für demnächst anstehende Exporte - sowohl um Geschäfte, die noch unter
der bei Rüstungsexportentscheidungen skrupellos agierenden
Kohl-Kinkel-Regierung genehmigt worden waren, sowie um einige, die in
den letzten zwei Jahren durch gewunken wurden.

Die Lieferung eines Leopard-2-Kampfpanzers - wenn auch zunächst nur zu
"Testzwecken" - war tatsächlich der entscheidende Schritt, mit dem sich
für alle deutlich sichtbar eine ganz erhebliche Kluft auftat, zwischen den vor
der Wahl getroffenen Absichtserklärungen und in SPD- und
Grünen-Parteiprogrammen festgehaltenen Grundsätzen einerseits und der
Politik der neuen Bundesregierung andererseits. (2) Hier ist von großer
Bedeutung: Im Zusammenhang mit der Entscheidung erklärte die
SPD/Grüne Bundesregierung, auch sie habe - wie schon die
Vorgängerregierung - keine Erkenntnisse darüber, dass die bereits im Besitz
der türkischen Armee befindlichen 400 Leopard-1-Panzer und andere
deutsche Waffen gegen die kurdische Bevölkerung des NATO-Landes
eingesetzt wurden. Da stellt sich die zugegebenermaßen eher rhetorisch
gemeinte Frage: Gedächtnisschwund in der Hauptstadt? Schließlich hatten
ehemalige Oppositionspolitiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wegen
des wiederholt belegten Einsatzes deutscher Waffen gegen die kurdische
Zivilbevölkerung 1994 eine Anzeige wegen "Beihilfe zum Völkermord"
gegen den damaligen Außenminister Klaus Kinkel mitunterstützt! (3)
Folgerichtig charakterisierten im Herbst 1999 diverse Zeitungen diese
Rüstungsexportpraxis mit dem Tenor: Die rot-grüne Bundesregierung hat
die Lügen der alten Bundesregierung "geerbt". (4)Zu Oppositionszeiten
hatte Rudolf Scharping unmissverständlich erklärt: "Im Übrigen habe ich
nicht verstanden, dass die Bundesregierung Waffen in die Türkei
liefert, von denen man ja nicht ausschließen kann, dass mit ihrer Hilfe
Frauen und Kinder zusammengeschossen werden. Das ist eine
gottserbärmliche Politik. Wir sind der Auffassung, dass die
Waffenexporte schlicht eingestellt werden sollten und dass es eine
absolut restriktive Handhabung geben muss." Die "gottserbärmliche
Politik" scheint bei dem NATO-Partner Türkei, der nachweislich seit
Jahren unter klarem Vertragsbruch deutsche Waffen einsetzt - was an sich
ein sofortiges Waffenembargo zur Folge haben müsste - "automatisch"
Bestandteil der deutschen Rüstungsexportpolitik zu sein, unabhängig von der
politischen Zusammensetzung der Bundesregierung: "Automatisch" kann
hier auch mit den offiziell gerne benutzten Begriffen "Bündnistreue",
"strategische Interessen" oder "Lastenteilung in der NATO" übersetzt
werden.

Immerhin gewann mit der Leopard-2-Entscheidung die Diskussion darüber,
wie die von den Regierungsparteien SPD und Bündnis90/Die Grünen im
Koalitionsvertrag vereinbarte Neufassung der Richtlinien für den
Rüstungsexport konkret ausgestaltet werden sollen, erheblich an Fahrt. Am
19. Januar 2000 wurden vom Bundeskabinett die von einer Arbeitsgruppe
erarbeiteten Richtlinien verabschiedet.

Was ist neu an den nun gültigen Richtlinien? Angekündigt wird die Vorlage
eines jährlichen Rüstungsexportberichts, in dem die Bundesregierung die
Exportgenehmigungen - in Abkehr zur bisherigen Praxis - auch
aufgeschlüsselt darstellen will. Damit wird der alten Forderung vieler
Anti-Rüstungsexport-Initiativen entsprochen, mehr Transparenz in das
"Geschäft mit dem Tod" zu bringen. Allerdings werden
Rüstungsexportentscheidungen weiterhin in dem geheim tagenden
"Bundessicherheitsrat" beschlossen. Verschiedene NGOs haben eine
Initiative gestartet, die sich dafür ausspricht, auch hier mehr Transparenz
herzustellen. (5) Neu ist auch der unmittelbare Bezug zur Situation im
möglichen Empfängerland. Der liest sich so: "Der Beachtung der
Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird (...)
besonderes Gewicht beigemessen. Genehmigungen für Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich
nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur
internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für
Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen
Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden."

Die verabschiedeten Richtlinien thematisieren auch den Endverbleib von
Kriegswaffen: "Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern werden nur erteilt, wenn zuvor der
Endverbleib dieser Güter im Empfängerland sichergestellt ist."

Insgesamt wird aber der Kriegswaffenexport in NATO- und EU-Staaten,
sowie in einige der "NATO-gleichgestellte Länder" weiter nicht
eingeschränkt.

Entsprechend kritisch fielen die Stellungnahmen von
Anti-Rüstungsexport-Initiativen aus, die feststellen, dass es zwar eine Reihe
von Verbesserungen gibt, dass aber auch die neuen Richtlinien nicht
unbedingt zu dem gewünschten und erhofften Rückgang an
Waffenausfuhren führen. Gerade hinsichtlich der Ausdehnung der NATO
und der EU nach Ost- und Südosteuropa sei die Formulierung der
grundsätzlichen Nichteinschränkung Grundlage für einen weiterhin
umfangreichen Rüstungsexport.

Die Befürchtung der Anti-Rüstungsexport-Initiativen und der sich noch
friedenspolitisch engagierenden Gruppen, dass die von der neuen Regierung
noch zu Oppositionszeiten geforderte Änderung der Rüstungsexportpolitik
nach der Bundestagswahl keinen Niederschlag findet, wurden in der Praxis
durchweg bestätigt. Bisher sind nur sehr wenige sich anbahnende
Geschäfte bekannt geworden, die nicht den "Segen" des
Bundessicherheitsrates erhielten. Vielmehr haben sowohl die Bestellungen
Südafrikas zur Realisierung eines in der Geschichte des Landes
beispiellosen Aufrüstungsprogramms, als auch die von einigen Ländern
Lateinamerikas geäußerten Wünsche nach Waffen "made in Germany"
sowie viele Bestellungen von Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, hier
vor allem des NATO-Partners Türkei, fast ausnahmslos grünes Licht aus
Berlin erhalten. Im Falle Südafrikas mit dem Argument, wenn die alte
Regierung viele Waffenlieferungen an das Apartheid-Regime genehmigt
habe, könne die neue Regierung nicht einer demokratischen Regierung ihre
Wünsche ausschlagen. Eine ähnliche Argumentation bei den
lateinamerikanischen Ländern. Nachdem die Zeit der Militärdiktaturen
vorbei sei, könnten hier Waffenlieferungen nicht blockiert werden. Bei den
Ländern des Nahen und Mittleren Ostens wird von einen stattgefundenen
Demokratisierungsprozess gesprochen, dem die deutsche
Rüstungsexportpolitik Rechnung tragen müsse. Alles keine überzeugenden
Argumente, so werden denn in den offiziellen Darstellungen auch immer
wieder die strategischen Interessen des Westens oder die angeblich mit den
Rüstungsexporten verbundene Sicherung von Arbeitsplätzen in der
Bundesrepublik als zusätzliche Begründungen herangezogen.

In Zahlen liest sich das Ganze so: Nach Angaben des
Friedensforschungsinstituts SIPRI, das den Ex- und Import konventioneller
Großwaffen untersucht, nimmt die Bundesrepublik unter den weltweit
größten Waffenlieferanten 1999 den vierten Rang ein. Mit
Rüstungsexporten im Wert von 2,7 Milliarden Mark lag Deutschland hinter
den USA, Russland und Frankreich, und noch vor Großbritannien, auch
unter einer SPD-Grünen Bundesregierung in der Spitzengruppe der
Rüstungsexporteure. (6) Da Frankreichs Exporte zuletzt rückläufig waren,
könnte in der nächsten SIPRI-Statistik - sollte sich diese Tendenz
verfestigen - die Bundesrepublik sogar an dritter Stelle auftauchen. Das
entspricht sicher nicht dem, was sich viele Anhänger und Parteigänger der
SPD und der Bündnisgrünen noch vor zwei Jahren vorgestellt haben. Klar
ist: Das Volumen der deutschen Rüstungsexporte wird, "restriktiven
Bestimmungen" und Verschärfungen zum Trotz, weiterhin auf hohem
Niveau bleiben. Der genaue Rang auf den von SIPRI erstellten Listen oder
in den Statistiken anderer Friedensforschungsinstitute ist dabei nicht
entscheidend. Wichtig ist viel mehr die in den vorliegenden Zahlen
abzulesende Tendenz, und die sah im aktuellen SIPRI-Bericht so aus, dass
zwei Länder erhebliche Steigerungsraten beim Rüstungsexport aufwiesen:
Russland und Deutschland. (7) Die sogar zur offiziellen Losung gewordene
Formel von der "Kontinuität deutscher Außenpolitik" (Minister Fischer)
bedeutet im Rüstungsexportsektor in der Praxis, dass oftmals die aus
friedenspolitischer Sicht konflikt- und krisenverschärfende Politik der
ehemaligen Kohl-Kinkel-Regierung fortgesetzt wird. (Beim Stichwort
"Waffenlieferungen an Saudi-Arabien" hätten an sich alle Alarmglocken
angehen müssen. Stattdessen ist zu befürchten, dass der eingangs
geschilderten Entscheidung - Panzerfäuste für die Saudis - weitere heikle
Geschäfte folgen. Und wieder einmal geht es dabei auch um Panzer).

Eine grundlegende Änderung der Rüstungsexportpolitik steht weiterhin aus.
Mit den im Bundessicherheitsrat vertretenen Ministern Müller und
Scharping und Kanzler Schröder wird sie - das lehrt uns die bisher
anzutreffende Praxis - lediglich graue Theorie bleiben. Da zur Zeit auch
nicht gerade eine machtvolle Friedensbewegung die Bundesregierung unter
Druck zu setzen und angesichts der tatsächlichen Rüstungsexportpraxis in
Erklärungsnöte zu stürzen vermag, und an der Basis der Regierungsparteien
nur wenige die Umsetzung "alter Überzeugungen und Grundsätze"
einfordern, bleibt - hinsichtlich der stattgefundenen Verschärfungen der
Rüstungsexportrichtlinien - nur eine sehr alte, leider immer wieder
zutreffende Erkenntnis: Papier ist geduldig.

Anmerkungen

1
Stern 6.7.00

2
In einem Antrag hatte sich die SPD-Fraktion 1991 gar dafür
ausgesprochen, in einer "künftigen deutschen Verfassung ein Verbot
von Waffenexporten in Staaten außerhalb der NATO zu
verankern". Bei den Grünen war das Verbot von Rüstungsexporten
lange Zeit fester Bestandteil des Parteiprogramms; mehr noch, die
Rüstungsproduktion sollte im Zuge eines vom Bund geförderten
Konversionsprogramms reduziert und langfristig zugunsten der
Produktion von sinnvollen Gütern eingestellt werden.

3
vgl.: junge welt 22.10.99

4
vgl.: taz 3.3.99 (Kommentar): "Aus den größten Kritikern der Elche
werden plötzlich selber welche. Klaus Kinkel wird auf jeden Fall
herzlich gelacht haben, als er lesen durfte, die Bundesregierung
habekeine Erkenntnisse darüber, dass aus Deutschland gelieferte
Waffen auch zur Aufstandsbekämpfung im Südosten der Türkei
eingesetzt würden. Das muss ihm doch bekannt vorkommen - das ist
doch von ihm! Hat man im Auswärtigen Amt etwa vergessen, die
Textbausteine auszutauschen?"

5
medico international u.a.: Freie Sicht auf dunkle Geschäfte. Ein Aufruf
für generelle Transparenz von Rüstungsexportvorhaben, denn: "die
weitreichende gesellschaftliche Bedeutung von Rüstungsexporten
duldet keine Geheimhaltung."

6
vgl. FR 15.6.00

7
taz, 16.6.00

Thomas Klein ist Soziologe, Freier Journalist und Autor. Er war
einige Jahre als Geschäftsführer im Rüstungsexport-Archiv Idstein und
bis vor kurzem als Presse- und Öffentlichkeitsreferent bei der
bundesweiten Kampagne gegen Rüstungsexport (Wiesbaden) tätig.