Das chinesische Akkumulationsmodell und die Hilflosigkeit der traditionellen Entwicklungstheorien

in (10.06.2000)

Nach dem Tod von Mao Zedong im Jahre 1976 begann in China der Reformprozess von einer Planwirtschaft in eine zunehmend über Geld gesteuerte Ökonomie.

Die Entwicklung ab Ende der siebziger Jahre ist vor dem Hintergrund der Kulturrevolution zu sehen, die mit dem Tode Maos endgültig abgeschlossenen war. Obgleich die Kulturrevolution zu Stagnation geführt hatte, war die ökonomische Situation in China keineswegs mit der labilen Lage der mittel- und osteuropäischen Transformationsländer Ende der achtziger Jahre zu vergleichen. Die Reformen entwickelten sich bis heute ohne wesentliche westliche Einflussnahme. China war bisher weder von Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds abhängig, noch griff es auf westliche Berater zurück, die ,,Transformationsentwürfe" für China entwickelten. Der Transformationsprozess ist somit ein weit gehend chinesisches Produkt. Die Entwicklung in China steht quer zu allen orthodoxen Entwicklungs- und Transformationsansätzen, die ihr Schwergewicht auf klare Eigentumsrechte, schnelle Privatisierung, Implementierung von Märkten auf allen Ebenen der Ökonomie und Ressourcenimport aus entwickelten Ländern setzen.

Die wichtigsten Reformschritte

In der VR China war vor 1978 die Mengenplanung der Ökonomie weitaus flacher als in den mittel- und osteuropäischen Planwirtschaften. So umfasste der sowjetische Mengenplan 25 Millionen Güter, der chinesische dagegen nur 1200 Positionen. Preise wurden in China wie in allen Planwirtschaften umfassend staatlich festgesetzt. Das Bankensystem übernahm die passive Funktion der Finanzierung des von der Planbehörde festgelegten Mengenplanes einschließlich der geplanten Investitionstätigkeit. China war 1978 durch die Dominanz des primären Sektors gekennzeichnet, der durch die Landwirtschaft dominiert wird (vgl. Tabelle 1). Bis heute ist dieser Sektor ein nahezu unerschöpfliches Reservoir für Arbeitskräfte, jedoch gleichzeitig eine Gefahr eskalierender offener Arbeitslosigkeit. Produziert wurde in China auf dem Land in Produktionskollektiven, die nicht in einen strikten Mengenplan einbezogen waren. Auch gab es in China schon 1978 eine große Anzahl von kleinen Staatsunternehmen und Kollektivbetrieben, die lokalen Gebietskörperschaften gehörten, von diesen gegründet wurden und ausschließlich für den lokalen Bedarf produzierten. In Russland lebten beim Beginn des Transformationsprozesses Anfang der neunziger Jahre dagegen drei Viertel der Bevölkerung in Städten, und 95% der Beschäftigten arbeiteten in staatlichen Unternehmen. Schließlich war die für Planwirtschaften typische Überbetonung des industriellen Sektors in den mittel- und osteuropäischen Planwirtschaften aufgrund des unterschiedlichen Entwicklungsstandes der Ökonomien weitaus stärker ausgeprägt als in China (vgl. Sachs, Woo 1999). Insgesamt waren aufgrund dieser Faktoren die Bedingungen für eine Reform der Planwirtschaft in China günstiger als in den Planwirtschaften im Einflussbereich der Sowjetunion. Allerdings hat China den Nachteil, mit der Transformation gleichzeitig eine nachholende Entwicklung zu initiieren.

Tab. 1: Die volkswirtschaftlichen Sektoren in der VR China

      Anteil der Beschäftigen in % und am BIP in %

 

Primärer Sektor

Sekundärer Sektor

Tertiärer Sektor

 

Beschäftigte

BIP

Beschäftigte

BIP

Beschäftigte

BIP

1978

70,5

28,1

17,3

48,2

12,2

23,7

1985

62,4

28,4,

20,8

43,1

16,8

28,5

1988

59,3

25,7

22,4

44,1

18,3

30,2

1993

56,4

19,9

22,4

47,4

21,2

32,7

1998

49,8

18,4

23,5

48,7

26,7

32,9

Quelle: China Statistical Yearbook 1999, No. 18, China Bureau of Statistics, People's Republic of China

Insbesondere in der Sowjetunion bzw. deren Nachfolgestaaten wurde eine Schockstrategie gewählt. In China war zu keinem Zeitpunkt ein ,,Big bang" als Transformationsstrategie auch nur in der Diskussion. Charakteristisch für die chinesische Entwicklung sind graduelle institutionelle Veränderungen und eine große Experimentierfreudigkeit, in der als falsch erachtete Entwicklungen auch wieder zurückgedrängt wurden.

Eingeleitet wurde die Reformpolitik unter der Federführung von Deng Xiaoping im Jahre 1978. Die ersten Schritte der Reform waren auf den Agrarsektor begrenzt. So wurden die existierenden landwirtschaftlichen Produktionskollektive durch ein Pachtsystem ersetzt, das bis heute Gültigkeit hat. Verpachtet wurde das Land von lokalen Gebietskörperschaften, wobei die Pächter entweder eine feste Pacht oder aber oftmals eine ertragsabhängige Pacht - im Rahmen eines ,,Crop-Sharing" - bezahlen mussten. Durch diesen Schritt erhöhte sich die Produktivität und die Produktion von Nahrungsmitteln schlagartig. Offensichtlich war es gelungen, im Bereich der Agrarwirtschaft durch Einführung marktwirtschaftlicher Anreizstrukturen die ökonomische Situation deutlich zu verbessern. Hunger ist in China seit diesen Reformen kein relevantes Thema mehr. Gleichwohl ist die Landwirtschaft in China nach wie vor durch eine sehr niedrige Produktivität gekennzeichnet, da nach einem Sprung bis etwa Mitte der achtziger Jahre die Produktivität in der Landwirtschaft nur noch sehr langsam ansteigt.

Die positive Entwicklung der Landwirtschaft ist für China von hoher Bedeutung, da die Landwirtschaft zu Beginn der Reformen der wichtigste ökonomische Sektor war. Obwohl der primäre Sektor 1978 über 70% aller Beschäftigten auf sich vereinigte, betrug der Anteil des Sektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) im gleichen Jahr nur rund 28% (vgl. Tabelle 1). In Anbetracht der geringen Produktivität des landwirtschaftlichen Sektors verdeutlichen diese Zahlen die extrem niedrigen relativen Preise landwirtschaftlicher Produkte, die sich wiederum in extrem niedrigen Einkommen der im primären Sektor Beschäftigten niederschlagen. Analysiert man die Entwicklung der Beschäftigung und Wertschöpfung der verschiedenen volkswirtschaftlichen Sektoren nach 1978 ergibt sich ein doppeltes Resultat.

Die deutliche relative Zunahme bei Beschäftigung und Wertschöpfung im sekundären Sektor (im wesentlichen Industrie) und tertiären Sektor (im wesentlichen Dienstleistungen) verdeutlicht die schnelle Entwicklung von China von einem der ärmsten Entwicklungsländer der Welt zu einem Land, das die Chance hat, mittelfristig an die industrialisierten Länder anzuschließen. Bis heute hat sich das Einkommensgefälle zwischen den Beschäftigten im primären Sektor und den restlichen Beschäftigten nicht grundlegend verändert. 1998 absorbierte der primäre Sektor 49,8% der Beschäftigten, sein Anteil am BIP machte jedoch nur 18,4% aus. Hinter diesen Zahlen verbergen sich drastische Unterschiede im Lebensstandard zwischen Land und Stadt und zwischen verschiedenen Provinzen (vgl. unten).

Die in Planwirtschaften übliche staatliche Festsetzung der Preise wurde in China in vielen kleinen Schritten beseitigt. Begonnen wurde mit der Freigabe einiger Preise im September 1982, abgeschlossen wurde der Liberalisierungsprozess der Preise erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. Die graduelle Reform des Preissystems wurde auf zwei Ebenen parallel vorangetrieben. Erstens wurden immer mehr Waren aus der planwirtschaftlichen Preisbindung herausgelöst. Zuerst wurden Marktpreise für einige Konsumgüter eingeführt, dann für Lebensmittel. Schon 1985 wurden 75% der Agrarprodukte und 70% des Einzelhandelsumsatzes auf der Grundlage von Marktpreisen abgewickelt. Bei den Produktionsmitteln betrug der Anteil der Marktpreise an allen Preisen 1985 rund 40%. Zweitens wurden den staatlichen Unternehmen für ein bestimmtes Produktionsvolumen planwirtschaftliche Preise vorgeschrieben, während die Produktion, welche über die von der Planbehörde bestimmten Menge hinausging, auf dem freien Markt verkauft werden durfte. Durch die gradualistische Liberalisierung der Preise kam es nicht zu einer sprunghaften Erhöhung des Preisniveaus am Beginn des Reformprozesses, obwohl auch in China - wie in vielen anderen Transformationsländern - ein Geldüberhang existierte, der bei einer schnellen Freigabe der Preise einen starken Preisniveauschub bewirkt hätte (vgl. Li Pengcheng 1995, Naugthon 1999). Ab Mitte der achtziger Jahre kann in China auf den Gütermärkten trotz verschiedener protektionistischer Abschottungen von Provinzen von einem deutlich zunehmenden Konkurrenzdruck ausgegangen werden, dem auch die staatlichen Unternehmen ausgesetzt sind.

Reformen im Bereich industrieller Produktion wurden nicht gleichzeitig in allen Teilen Chinas durchgeführt. Vielmehr blieben die Reformschritte zunächst schwerpunktmäßig auf die Küstenprovinzen beschränkt, die bewusst als Vorreiter einer umfassenderen Reform dienen sollten. In den Küstenprovinzen wurden Sonderwirtschaftszonen geschaffen, die weitergehende Deregulierungen und administrative Freiheiten ermöglichten. Als erfolgreich erachtete Reformschritte wurden von den Sonderwirtschaftszonen auf Provinzen und die Gesamtökonomie übertragen (vgl. Li Pengcheng 1995). Sonderwirtschaftszonen hatten auch den Zweck, Auslandschinesen (einschließlich Personen und Unternehmen aus Hongkong und Taiwan) und Ausländer zu Direktinvestitionen in China zu bewegen. Bis heute existieren dort teilweise Arbeitsbedingungen, die dem Modell des Manchester-Kapitalismus gleichen. Allerdings sind die Löhne in Unternehmen mit ausländischen Beteiligungen in der Regel höher als in chinesischen Unternehmen.

Die Reform der nichtagrarischen Sektoren in der Ökonomie begann Mitte der achtziger Jahre. Im Vergleich zu mittel- und osteuropäischen Transformationsländern stand die Privatisierung der Staatsunternehmen nicht auf der Tagesordnung. Eine Privatisierung wurde bewusst unterlassen, da ein Element der in der VR China bis heute angestrebten ,,sozialistischen Marktwirtschaft" ein großer staatlicher Unternehmenssektor sein soll. Jedoch wurde im Verlauf der Reformen die Mengenplanung schrittweise reduziert, da die staatlichen Unternehmen immer größere Teile ihrer Produktion auf dem freien Markt veräußern durften. Heute gibt es in der VR China keine direkte Mengensteuerung von Unternehmen und somit auch keine Planbehörde im Sinne einer Planwirtschaft mehr. Ersetzt wurde die Mengenplanung durch Subventionen der öffentlichen Haushalte und vor allem durch einen Kreditplan, der über die Aufteilung des gesellschaftlichen Kreditvolumens auf Regionen, Branchen und Unternehmen die ökonomische Entwicklung massiv beeinflusste.

Nicht nur die Umwelt der staatlichen Unternehmen hat sich verändert, sondern es wurde versucht, auch die internen Strukturen der Staatsunternehmen zu reformieren. Die Anreizstrukturen des Managements sollten mit dem Ziel einer größeren Produktivität modifiziert werden. Durchgesetzt haben sich in den achtziger Jahren Verträge zwischen dem Management der Staatsunternehmen und den Verwaltungseinheiten auf Zentral-, Provinz-, Kreis- oder Gemeindeebene, die als Eigentümer der Unternehmen fungierten. Als wichtigster Punkt wurde in den Verträgen die Höhe der Abführung von Überschüssen festgelegt, jedoch auch die geplanten Investitionen oder die Gehälter des Managements (vgl. Hua Sheng, Du Haiyan 1990, Lau 1999). Gleichzeitig wurde durch ein Bonussystem ansatzweise eine leistungsabhängige Entlohnung der Arbeitnehmer zu implementieren versucht. Bonuszahlungen wurden in ihrer Höhe bald so relevant wie die Normalentlohnung. Die Lohnspreizung (einschließlich der Gehälter der Manager) blieb gering, jedoch stieg mit der Hierarchie im Unternehmen die Möglichkeit der Verfügung über größere Betriebswohnungen, Dienstautos, Auslandsreisen, etc.

Zugelassen wurden in der VR China schon am Beginn des Transformationsprozesses Neugründungen von Unternehmen, die sich auf den Güter- und auch Arbeitsmärkten rein

marktwirtschaftlich verhalten konnten und mussten. Bereits 1978 gab es Kollektivbetriebe, die etwa 22% des BIPs produzierten. Nach 1978 entwickelte sich bei diesem Unternehmenstypus eine regelrechte Gründerwelle. Der Anteil der Produktion der Kollektivbetriebe am BIP erreichte 1985 rund 32%. Die städtischen und ländlichen Kollektivbetriebe sind teilweise genossenschaftlich organisiert, jedoch zum größten Teil Unternehmen, die von lokalen Gebietskörperschaften (insbesondere Städten und Kreisen) gegründet und in der Regel nach dem Crop-Sharing-Prinzip verpachtet wurden. Die Eigentumsverhältnisse in Kollektivbetrieben sind für westliche Maßstäbe diffus, da dieser Unternehmenstypus sich im historischen Prozess in Richtung Privatunternehmen entwickelt hat, ohne dass jedoch das Eigentum formal in Privateigentum umgewandelt worden wäre. Positiv auf diesen Unternehmenstypus wirkte sich auch die Dezentralisierung aus, die nach 1978 auf allen administrativen Ebenen eingeführt wurde. So hatten lokale Gebietskörperschaften schon aus fiskalischen Gründen ein Motiv, Kollektivbetriebe zu fördern und diese bei ihren Abgaben gleichzeitig nicht zu überfordern. Bei den Kollektivbetrieben wurde somit ein ähnlicher Prozess in Gang gesetzt wie beim Pachtsystem im Agrarbereich (vgl. Krug 1997).1 Die Kollektivbetriebe belegten zunächst Nischen, die von den Staatsunternehmen nicht abgedeckt waren. Trotz ihrer geringen Kapitalausstattung, ihres Charakters als Klein- und Mittelbetriebe, ihres geringen Zugangs zu offiziellen Kreditmärkten und ihrer meist rückständigen Technologie waren sie so erfolgreich, dass sie selbst im Bereich der industriellen Produktion an Boden gewannen. Der Anteil der Kollektivbetriebe an der industriellen Produktion wuchs bis 1996 auf über 40% (vgl. hier und folgend für die Industrie People's Bank 1999).

Seit 1985 spielen chinesische Privatunternehmen und Joint Ventures eine immer größere Rolle.2 Die Privatunternehmen spielen zwar im Kleinhandwerk, Kleinhandel und ähnlichen Sektoren eine große Rolle, sind jedoch in der industriellen Produktion bisher bedeutungslos. Joint Ventures sind dagegen nahezu ausschließlich im industriellen Sektor angesiedelt. Während der achtziger Jahre war der Anteil der Joint Ventures an der industriellen Produktion gering und insbesondere auf den Export orientiert. Anfang der neunziger Jahre nahm die Bedeutung der Joint Ventures deutlich zu und erreicht derzeit rund 30% der Industrieproduktion. Der Hintergrund dieser Entwicklung ist in einer deutlichen Erhöhung der ausländischen Direktinvestitionen zu sehen, die nach der berühmten Reise von Deng Xiaoping ,,in den Süden" erfolgte, welche den Beginn einer verstärkten außenwirtschaftlichen Öffnung Chinas markierte. China ist nach den USA mit einem jährlichen Volumen von über 35 Mrd. US-Dollar ab Mitte der neunziger Jahre der zweitgrößte Empfänger von Direktinvestitionen der Welt (vgl. Priewe 1997). Die letzten Jahre ist allerdings kein weiterer Anstieg der Direktinvestitionen in China zu verzeichnen. Ab Anfang der neunziger Jahre produzieren Joint Ventures verstärkt für den chinesischen Markt. Insgesamt zeigt die Entwicklung in der VR China eine beständig sinkende Rolle der Staatsunternehmen an der Wertschöpfung. Ihre Produktion lag 1998 nur noch bei rund 25% am BIP, allerdings bei rund 40% an der Industrieproduktion.

Der chinesische Transformationsprozess wurde durch strikte außenwirtschaftliche Regulierungen abgesichert. Der grenzüberschreitende Kapitalverkehr ist bei Kapitalexporten wie auch -importen reglementiert. Kapitalimporte sind genehmigungspflichtig und nehmen in erster Linie die Form von ausländischen Direktinvestitionen an, die wiederum nur in spezifischen Branchen und in spezifischen Rechtsformen erlaubt sind. Eine Kreditaufnahme etwa von inländischen Unternehmen im Ausland ist bis auf große Ausnahmen untersagt. Kapitalexporte sind in aller Regel verboten. Bis in die neunziger Jahre hinein wurde der Außenhandel durch Import- und Exportlizenzen für wenige Unternehmen sowie über hohe Zölle reguliert (vgl. Naughton 1996). Langsam wurde die Anzahl der Import- und Exportlizenzen erhöht und das Prozedere beim internationalen Handel vereinfacht, jedoch bestehen nach wie vor eine Unzahl nichttarifärer Handelshemmnisse von monopolisierten Vertriebskanälen bis zu spezifischen Normen. Zwar wird der anstehende Beitritt Chinas zur WTO zur Absenkung der Zölle führen, von einem Übergang zu einem Freihandelsregime wird jedoch aller Voraussicht nach noch lange keine Rede sein können. Erst recht gilt dies für die Einführung einer vollständigen Konvertibilität der chinesischen Währung. Auch das Finanzsystem ist in China bisher strikt reguliert. Dominiert wird das Bankensystem durch vier große staatliche Geschäftsbanken, die 1998 trotz eines Bedeutungsverlustes noch rund 76 % aller Kreditforderungen von Banken (und einen ähnlich hohen Anteil aller Einlagen des Publikums) in China hielten (vgl. Peoples Bank of China 1999). Neben diesen Großbanken existieren vier spezielle staatliche Förderbanken, Genossenschaftsbanken und Banken von lokalen Gebietskörperschaften. Private Banken (einschließlich ausländischer Banken) sind bedeutungslos. Daran dürfte sich auch nach einem Beitritt Chinas zur WTO nicht sehr viel ändern, obwohl dann ein erleichterter Zugang ausländischer Banken möglich ist. Bis Ende der neunziger Jahre erfolgte die Vergabe der Kredite nach der Logik einer Kreditrationierung. Die Zentralbank setzte im Rahmen ihres Kreditplanes den Verleih- und Einlagenzinssatz der Banken und das maximale Kreditvolumen fest. Die Kreditallokation der Banken wurde von der Zentralregierung, den Provinzregierungen sowie den lokalen Administrationen massiv beeinflusst, um Investitionsvorhaben ausgewählter Staatsunternehmen zu finanzieren und/oder Staatsunternehmen mit Verlusten am Leben zu erhalten. Eine genaue Abschätzung des politischen Einflusses auf die Kreditvergabe der Banken ist nicht möglich, da informelle Beziehungen zwischen lokalen Behörden, Banken und Managern in den Staatsbetrieben gerade in China eine große Rolle spielen und darüber keine makroökonomischen Daten existieren. Nach Schätzungen von Lardy (1998: 86f.) betrugen die sogenannten politischen Kredite Anfang der neunziger Jahre rund 40% aller Kredite der vier Großbanken. Dazu kommen, quantitativ allerdings weniger wichtig, noch Subventionen aus öffentlichen Haushalten, so dass die Finanzierung der Staatsunternehmen als hochgradig politisch gesteuert angesehen werden muss. Kollektiv- und Privatbetriebe waren vom offiziellen Kreditsystem weitgehend abgeschnitten und mussten Investitionen über erwirtschaftete Überschüsse oder den informellen Kreditmarkt finanzieren.3 Erst während der letzten Jahre wird versucht, den Spielraum der Banken für eine marktmäßige Kreditvergabe zu erhöhen.

1 Auch im landwirtschaftlichen Pachtsystem entwickelten sich die Eigentumsstrukturen diffus und näherten sich Privateigentum an. Beispielsweise sind Erbpachten mit sehr langer Laufzeit üblich, wobei der Pächter dann auch das Recht hat, seine Pachtrechte selbst zu verpachten oder zu veräußern.

2 Bis vor kurzem war es für ausländische Investoren in der Regel nur möglich, in der Form von Joint Ventures in China zu investieren, wobei Unternehmensanteile von Ausländern von über 50% ausgeschlossen waren. Unternehmen, die mehrheitlich ausländischen Investoren gehören, spielen bis jetzt faktisch keine Rolle. Allerdings kann sich dies zukünftig schnell ändern.

3 Der informelle Kreditmarkt (Kreditbeziehungen innerhalb von Familien, Kredite von illegalen Privatbankiers etc.) ist sehr entwickelt. Investitionen finanziert über den informellen Markt sollen etwa 50% der Investitionsfinanzierung des offiziellen Bankensystems ausmachen (vgl. Naughton 1998).

Die Börse, die in China im Jahre 1988 mit dem Beginn des Handels mit Staatspapieren im Sekundärmarkt und 1990 mit der Schaffung eines Aktienmarktes in Shanghai gegründet wurde, ist durch Spekulation geprägt und stellt eine Art Kasino dar. Inzwischen sind knapp 1000 Staatsunternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt worden, wobei ausschließlich Minderheitsanteile an Private emittiert werden. Der Aktienmarkt zwischen In- und Ausländern ist strikt getrennt, so dass Ausländer ihre Anteile an chinesischen Unternehmen nicht ohne politische Entscheidung der Führung in Peking erhöhen können. Insbesondere der Markt für Inländer ist durch hohe Volatilität und eine der weltweit höchsten Umschlagshäufigkeiten von Aktien gekennzeichnet (vgl. Naughton 1998). Da der Staat Mehrheitseigentümer ist, dienen Aktienemissionen primär als zusätzliche Finanzierungsquelle für Unternehmen. Ein Einfluss der privaten Aktienhalter auf die Staatsunternehmen ist bisher nicht zu beobachten, so dass allenfalls von einer formellen Teilprivatisierung gesprochen werden kann.

Neben den Banken hat sich eine große Zahl von anderen Finanzintermediären meist in der Form von Investmentfonds gebildet, die einerseits als Entwicklungsfonds von Provinzen konzipiert sind, andererseits auch von Banken gegründet wurden. Solche Fonds unterliegen nicht der Kreditrationierung, sie dienten so zur Umgehung des Kreditplans. Zur Schließung dieses Schlupflochs und nach einer Reihe illegaler Geschäfte der Banken wurde 1993 nach einer Phase ungezügelter Kreditexpansion das Universalbankensystem beseitigt und ein Trennbankensystem geschaffen, das Banken grundsätzlich das Halten von Unternehmensanteilen untersagt (vgl. F. Zhaobai, C. Tinggui 1999).

Zusammenfassend kann die Entwicklung in China als ein langsames Herauswachsen aus der planwirtschaftlichen Mengensteuerung im Rahmen eines weiterhin engen politisch regulierten Institutionengeflechts interpretiert werden. Bei der Steuerung der Investitionstätigkeit erhielt der Kreditplan als indirektes Instrument eine wichtige Funktion. China zeigt zudem, dass es möglich ist, im Rahmen eines ,,dual-track systems" einen staatlichen Unternehmenssektor, der insbesondere die Großindustrie umfasst, mit spontanen Marktkräften bei Klein- und Mittelunternehmen positiv zu verbinden (vgl. Naugthon 1999). Größer könnte der Unterschied zur Entwicklung in Russland und den meisten Ländern der ehemaligen Sowjetunion nicht sein, die in der ersten Phase der Transformation eine Liberalisierung des Preisbildungsmechanismus durchführten, sofort die Planbehörde eliminierten, äußerst schnell auch den internationalen Handels- und Kapitalverkehr liberalisierten und möglichst schnell, meist durch unentgeldliche Vermögensübertragung an Private, den planwirtschaftlichen Unternehmenssektor privatisierten.

Die ökonomische Dynamik der letzten Jahrzehnte

Die VR China hat seit dem Beginn ihres Reformprozesses eine enorme ökonomische Dynamik erlebt. Mit Wachstumsraten des realen BIPs von durchschnittlich annähernd 10% war China eine der am schnellsten wachsenden Ökonomien der Welt.1 Während sich das reale Sozialprodukt in Russland, dem zweiten großen Land im Prozess der Transformation, von 1989 bis 1999 mehr als halbierte, wuchs es in China im gleichen Zeitraum um etwa das 2,3fache. Selbst Polen, Ungarn oder die Tschechische Republik mussten nach dem Beginn der Reformen Anfang der 90er Jahre Wachstumseinbrüche um 20% hinnehmen und konnten erst gegen Ende der neunziger Jahre ihr Produktionsniveau von 1989 wieder erreichen (vgl. Herr, Tober 1999).

Beim Pro-Kopf-Einkommen liegt China bisher noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds lag das chinesische Pro-Kopf-Einkommen im Jahre 1995 bei 13,3% des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der Industrieländer, 1985 lag die Relation allerdings noch bei 7,3%.2 Diese positive Entwicklung in China ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass während der vergangenen zwei Jahrzehnte in der Weltwirtschaft insgesamt die Polarisierung zwischen armen und reichen Staaten zugenommen hat. Sollte das reale Wachstums in China und in den Industrieländern auf dem Niveau des vergangenen Jahrzehnts verharren, würde China in 16 Jahren ein Pro-Kopf-Einkommen realisieren, das dann der Hälfte des Niveaus in den Industrieländern entsprechen würde. Zum Vergleich: Indien hatte 1995 ein Pro-Kopf-Einkommen in Höhe von 6,95 % der Industrieländer. Bei den Wachstumsraten des vergangenen Jahrzehnts würde Indien 112 Jahre benötigen, um 50% des Pro-Kopf-Einkommen der entwickelten Länder zu erreichen (vgl. IMF 1997).

Gleichwohl ist die VR China im internationalen Vergleich ökonomisch noch weit von einer Supermacht entfernt. In US-Dollar bewertet lag das chinesische Sozialprodukt im Jahre 1998 mit Hongkong bei 53% und ohne Hongkong bei rund 45% des deutschen Sozialproduktes. Setzt sich der Wachstumsprozess in China und in den entwickelten Industrieländern mit einer ähnlich hohen Geschwindigkeit wie in den vergangenen 20 Jahren fort, dann rückt China mit seinem Sozialprodukt innerhalb der nächsten 20 Jahre in den Kreis der mittleren Industrienationen und wird das Sozialprodukt Deutschlands knapp überholt haben (vgl. Herr, Kunze 2000).

Nach dem Beginn des Reformprozesses durchlebte China zwei Inflationswellen, nämlich in den Jahren 1988/89 und 1993/95 mit Inflationsraten bis um 15% bzw. 20%. Die Inflationsprozesse wurden einerseits kostenseitig durch eine Lohn-Preis-Spirale (Löhne einschließlich hoher Bonuszahlungen), andererseits durch eine das Angebot übersteigende hohe Nachfrage auf den Gütermärkten vorangetrieben. In beiden Perioden versagte der Kreditplan, da das Wachstum des Kreditvolumens jeweils über der geplanten Expansion lag. Jedoch ist es der Wirtschaftspolitik in beiden Perioden gelungen, die Inflationsraten durch eine verschärfte Kreditrationierung (bei nur vergleichsweise geringer Erhöhung der Verleihzinssätze der Banken) auf ein niedriges Niveau zurückzuführen. Dies gelang ohne eine Rezession, die in westlichen Industrieländern üblicherweise mit einer Bekämpfung von Inflationen verbunden ist. Im Jahre 1989 wurde nach der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens der gesamte Reformprozess kurzfristig zurückgedreht; die Inflationsbekämpfung in den Jahren 94/95 war mit einer Reform des Finanzsystems verbunden, die eine bessere Kontrolle der Banken erlaubte. Es gab in diesen Phasen in China ähnliche ökonomische Probleme wie in der Endphase der Sowjetunion, da sich auch in China Banken und andere Finanzintermediäre aufgrund ihrer erhöhten Autonomie der Steuerung der Zentrale entzogen und die ebenfalls autonomen Unternehmen möglichst viel Kredite aufnehmen wollten. In beiden Fällen geschah dies teilweise aufgrund illegaler Praktiken, teils aufgrund noch existierender Anreizstrukturen und Verhaltensweisen der Akteure aus der Zeit der Planwirtschaft.

China konnte das enorme Wachstum des Sozialproduktes insgesamt mit relativer monetärer Stabilität verbinden, so dass die Akzeptanz der chinesischen Währung (des Renminbi) bei der Bevölkerung nie in Gefahr kam. Nahezu alle mittel- und osteuropäischen Transformationsländer mussten dagegen am Ende der Planwirtschaft bzw. in der ersten Phase der Transformation hohe Inflationsraten mit ihren zerstörerischen Wirkungen auf das Vertrauen der Bevölkerung in das inländische Geld hinnehmen. In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion betrugen die jährlichen Inflationsraten teilweise mehrere tausend Prozent.

Welche Ursachen hat die hohe Wachstumsrate in China, die selbst in Phasen der Inflationsbekämpfung nur leicht abflachte und nie negativ wurde? Der wichtigste Grund ist eine extrem hohe Investitionstätigkeit, die es erlaubt, in China von einem investitionsgetriebenen Wachstumsprozess zu sprechen. Die Anlageinvestitionen in Prozent am BIP lagen in China in den achtziger Jahren bei 30% und stiegen in den neunziger Jahren nochmals um einige Prozentpunkte an (vgl. People's Bank of China 1999). Im internationalen Vergleich ist eine solche Investitionsquote äußerst hoch. In den meisten entwickelten Industrieländern liegt die Quote in den letzten Jahrzehnten bei 20% (vgl. Eatwell 1996). In Russland sanken die Bruttoanlageinvestitionen von einem Wert von 100 im Jahre 1990 auf einen Wert von unter 25 bis Mitte der neunziger Jahre, in der VR China stieg im gleichen Zeitraum der entsprechende Index von 100 auf über 250 (vgl. Herr, Tober 1999).

Die überschäumende Investitionstätigkeit muss aus den spezifischen institutionellen Gegebenheiten in China erklärt werden (vgl. Herr, Priewe 1999). Bei chinesischen Staatsunternehmen konnte während der beiden letzten Jahrzehnte ein enormer Investitionshunger festgestellt werden, der typisch für alle Planwirtschaften war und der sich in China nach 1978 trotz der Reformen nicht geändert hat. In Planwirtschaften versuchen Unternehmen möglichst viele Mittel für Investitionszwecke zu erlangen, um das Unternehmen gedeihen und wachsen zu lassen und dadurch Vorteile für das Management und die Beschäftigten zu erreichen. Die Investitionstätigkeit in Planwirtschaften war unabhängig von der Überschuß- oder Verlustsituation des Unternehmens und hing von der Mengenplanung der Planbehörde ab, die dann auch für die entsprechende Finanzierung der Investitionen sorgte. Kredite nahmen in Planwirtschaften somit eine passive Rolle ein. Kornai (1986) hat aufgrund dieser Finanzierungslogik Planwirtschaften korrekt durch eine ,,weiche Budgetrestriktion" charakterisiert. In China wurde während der ersten Phase der Transformation die Mengenplanung noch aufrechterhalten, so dass während dieses Zeitraums die planwirtschaftliche Investitionslogik unangetastet blieb. Auch nach dem Abbau der Mengenplanung blieb das Investitionsverhalten der Staatsunternehmen im Kern unverändert. Investiert wurde nicht aufgrund des Profitmotivs, vielmehr wurde von Staatsunternehmen versucht, möglichst viel Mittel insbesondere vom Bankensystem zu erhalten, um Investitionen durchzuführen. Dabei handelte es sich nicht ausschließlich um Investitionen im üblichen Sinn, da finanzielle Mittel auch für den Bau von Wohnungen, Kindergärten, Krankenhäusern etc. für die im Unternehmen Beschäftigten verwendet wurden. Außerdem bestand für die Staatsunternehmen kein Konkursrisiko, da Verluste durch das Bankensystem nach planwirtschaftlicher Logik weiter finanziert wurden. Damit entsprachen das Investitionsverhalten sowie die Finanzierung der Staatsunternehmen noch weitgehend den Funktionsbedingungen der Planwirtschaft, wobei das Management am Wohlergehen der Belegschaft, dem Wachstum des Unternehmens, am politischen Ansehen im Investitionsstandort u.ä. mehr interessiert war als an der Erwirtschaftung eines Profits. Von einer ,,harten geldwirtschaftlichen Budgetrestriktion" auf Mikroebene, die ein Konkursrisiko von Unternehmen einschließt und die Finanzmittel nur an als profitabel erachteten Unternehmen bereitstellt, konnte in China keine Rede sein. Vielmehr gab es ein Gerangel der Staatsunternehmen um den Kreditkuchen, den die Zentralbank im Rahmen ihrer Kreditrationierung bereitstellte und der gemessen an den Wünschen der Unternehmen immer zu gering war. Die Aufteilung des Kreditkuchens erfolgte nur partiell nach marktwirtschaftlichen Kriterien, da die Kreditvergabe durch politische Entscheidungen auf den verschiedenen administrativen Ebenen in China stark beeinflusst wurde. Allerdings wurde das Investitionsniveau durch das von der Zentralbank gesetzte Kreditvolumen gesteuert. Die Zentralbank konnte über ein geringeres Wachstum der Kreditvolumens Inflationen bekämpfen und sich sicher sein, dass bei einer Ausweitung des volkswirtschaftlichen Kreditrahmens die Investitionen sofort wieder hochschnellen. Die Allokation der Kredite wurde dagegen zu einem beachtlichen Teil aufgrund der Existenz sogenannter politischer Kredite politischen Kriterien unterworfen (vgl. oben). Es wäre verfehlt, bei den politischen Krediten bzw. der politisch beeinflussten Investitionstätigkeit von einem stringenten industriepolitischen Konzept zu sprechen. Vielmehr war es das Ziel von Provinzen, Städten, Kreisen etc. möglichst viel am Investitionskuchen zu ergattern. Eine der negativen Folgen dieses Investitionsverhaltens war, dass jede Provinz und selbst jeder Kreis versuchte, möglichst alle Industrien bei sich anzusiedeln. Das Resultat war eine Industrieentwicklung mit der Dominanz kleinerer und mittlerer Unternehmen ohne Aufbau einer effizienten Arbeitsteilung auf nationaler Ebene (vgl. die Beiträge von Lau und Shi in diesem Heft).

Die Kollektiv- und Privatbetriebe investierten ebenfalls in hohem Maße und versuchten in der existierenden ,,Goldgräberstimmung" schnell zu wachsen. Eine Begrenzung fand die Investitionstätigkeit dieser Unternehmen primär in den Gewinnen, die reinvestiert wurden, und in dem begrenzten Zugang zum offiziellen Kreditmarkt. Dieses verhaltenstheoretisch begründbare Investitionsverhalten läßt sich auch in anderen asiatischen Ländern feststellen. Als sich in den neunziger Jahren Unternehmen und Banken in Thailand, Südkorea etc. aufgrund der Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs direkt im Ausland verschulden konnten, nutzten sie dieses offene Fenster am Kreditmarkt, um ihre sowieso hohe Investitionstätigkeit weiter zu erhöhen. Risikoerwägungen spielten dabei eine untergeordnete Rolle, was sich dann angesichts der aufgebauten hohen Schulden in Auslandswährung nach den Währungskrisen im Jahre 1997 als fatal erwies (vgl. Wade 1998).

Das investitionsgetriebene Wachstum in der VR China kann nicht primär auf ausländische Direktinvestitionen zurückgeführt werden. In den achtziger Jahren spielten Direktinvestitionen eine geringe Rolle und sprangen nicht über 6% aller Bruttoinvestitionen in China. In den neunziger Jahren erhöhten sich die Direktinvestitionen und erreichten Werte von 10-15% der jährlichen Bruttoinvestitionen. Im vergangenen Jahrzehnt kann die hohe Investitionsquote in China somit zu einem Teil durch ausländische Investitionen erklärt werden. Dieser Einfluss sollte nicht überschätzt werden. Der größte Teil der Direktinvestitionen in China stammt aus Hongkong, 1996 beispielsweise 48,8% und 1997 rund 40% aller Direktinvestitionen.3 Die Herkunft der Direktinvestitionen aus Hongkong ist unklar. Ein Großteil dürfte aus umgeleiteten Mitteln aus der VR China stammen, da Chinesen spezifische Vergünstigungen für ausländische Investoren - wie etwa Steuerbefreiungen - ausnutzen wollen. Zudem muss immer unklar bleiben, wieweit Direktinvestitionen inländische Investitionen ersetzten oder zu letzteren addiert werden können. Die Bedeutung der Direktinvestitionen liegt nicht in der Erhöhung der ohnehin hohen Investitionsquote Chinas, sondern ist in erster Linie in dem Import von Technologien und Managementfertigkeiten zu sehen.

Von hohen Zinssätzen wurden Investitionen in China nicht gebremst. Ganz im Gegenteil, die Realzinssätze waren für Kredite an Unternehmen in manchen Perioden deutlich negativ, nämlich Ende der achtziger Jahre und Mitte der neunziger Jahre. Somit wurde die Inflationsbekämpfung nicht, wie in Marktwirtschaften üblich, durch eine geldpolitisch erzeugte Erhöhung der Verleihzinssätze an Unternehmen durchgesetzt, sondern durch eine Rationierung des Kreditvolumens bei teilweise negativen Realzinssätzen. Die Zentralbank passte bei ihrer Geldpolitik jedoch die Depositenzinssätze so an, dass auch bei hohen Inflationsraten die Realzinssätze für Bankeinlagen der Haushalte keine negativen Werte annahmen und es so auch nicht zu einem Abzug von Spareinlagen kam (vgl. People's Bank of China 1999).

Anders als in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist es in China gelungen, eine Konstellation zu erreichen, die sich selbst stabilisierte. Hohe Investitionen der Staatsunternehmen, die noch partiell wie unter der Planwirtschaft agierten, führten zu einer hohen Einkommensschöpfung und in deren Gefolge zu hohem Konsum und hohen Ersparnissen. Das hohe Wachstum stabilisierte das Vertrauen in die Zukunft und stimulierte zusätzlich die Investitionstätigkeit des wachsenden Sektors der Nicht-Staatsunternehmen.

Die nächsten Jahre: Eine kritische Phase im Transformationsprozess

Die Entwicklung in China während der letzten beiden Jahrzehnte muss insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion als außerordentlich erfolgreich angesehen werden. Jedoch war, wenig überraschend, keine der Entwicklungsphasen nach 1978 problemlos. Nach 1978 spitzte sich die ökonomische Lage Ende der achtziger Jahre zum ersten Mal (auch politisch mit der Niederschlagung der ,,Demokratiebewegung" 1989dramatisch zu, und eine ganze Reihe von Reformschritten wurde als Reaktion auf diese Lage zurückgedreht. Derzeit befindet sich China erneut in einer kritischen Phase des Transformationsprozesses. Folgend sollen die schwierigsten eher kurzfristigen und danach die strukturellen Probleme der weiteren Entwicklung in China angesprochen werden.

Die Zuspitzung kurzfristiger Probleme

Der staatliche Unternehmenssektor stellt das Zentrum der derzeitigen ökonomischen Probleme dar, denn während der neunziger Jahre wurden die Staatsunternehmen zunehmend an die Wand gedrückt. Ihr Anteil am BIP und an der Industrieproduktion sank deutlich, und sie verloren zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des chinesischen Marktes. Obwohl es profitable Staatsunternehmen gibt, realisiert der Sektor der Staatsunternehmen zunehmend geringere Profite und in den letzten Jahren auch Verluste (vgl. Herr, Priewe 1999). Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Staatsunternehmen liegt teilweise an deren vergleichsweise rückständigen Produktivität (vgl. Sachs, Woo 1999: 32f.). Allerdings muss verdeutlicht werden, dass ein Teil der großen und mittleren Staatsunternehmen während der letzten Jahrzehnte deutliche Produktivitätserhöhungen realisierte und sich diesbezüglich mit den Kollektivunternehmen messen kann. Die Hauptprobleme konzentrieren sich auf die kleineren Staatsunternehmen, die Größenvorteile ungenügend ausbeuten können und in direkter Konkurrenz zu Kollektiv- und Privatunternehmen stehen (vgl. Lo 1999).4 Hinzu kommt als wesentlicher Punkt, dass die Staatsunternehmen bis in die jüngste Zeit das soziale Netz in China zu tragen hatten.5 Sie konnten keine Arbeitskräfte entlassen, obwohl die verdeckte Arbeitslosigkeit bei Staatsunternehmen schon Mitte der neunziger Jahre deutlich über 20% gelegen haben dürfte (vgl. Lin Lean Lim, Sziraczki, Zhang Xiaojing 1996). Die Staatsunternehmen sind im Kern bis heute Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, da sie für Wohnraum, für Kinder- und Altenbetreuung, für Rentenzahlungen, sowie für Schulen und Krankenhäuser u.ä.m. zu sorgen haben.6 Kollektiv- und Privatbetriebe haben dagegen keine derartige Kostenbelastung. Gegenüber Joint Ventures haben Staatsunternehmen den Nachteil, in der Regel mit einer älteren Technologie zu arbeiten, mit einem weniger qualifizierten Management auskommen zu müssen etc. Dazu kommen andere Vergünstigungen der Joint Ventures wie beispielsweise Steuererleichterungen. Im Verlauf der neunziger Jahre zeigte sich immer deutlicher, dass die bisherige Reform der Staatsunternehmen und die Unternehmensverfassung generell ungenügend waren und sich die Probleme dieses Sektors zunehmend zuspitzten.

1 Die Weltbank berechnet eine im Durchschnitt um etwa 2% niedrigere Wachstumsrate in China, da sie einen anderen Deflator als die chinesischen Statistiker verwendet (vgl. World Bank 1997).

2 Vgl. IMF (1997, S. 80f.). Die Berechnung erfolgt auf Grundlage eines Wechselkurses, der Kaufkraftparitäten unterstellt. Nimmt man den aktuellen Wechselkurs, ist das chinesische Pro-Kopf-Einkommen noch deutlich geringer.

3 Dazu addieren sich Direktinvestitionen aus Macao, die 3,1% aller Direktinvestitionen im Jahre 1996 ausmachten. Taiwan ist ebenfalls einer der größten Investoren in der VR China. Zu den Zahlen in diesem Abschnitt vgl. Herr, Priewe (1999) und das Handelsblatt vom 4.11.1999.

4 Die chinesische Statistik weist folgende industrielle Staatsunternehmen mit unabhängigem Rechnungswesen auf: 4000 große Staatsunternehmen mit 43% aller in industriellen Staatsunternehmen Beschäftigten, 10 500 mittlere Staatsunternehmen mit einem Beschäftigungsanteil von 26% und 65 000 kleine Staatsunternehmen mit einem Beschäftigungsanteil von 31% (vgl. Herr, Priewe 1999).

5 Das chinesische Sozialsystem der Planwirtschaft war um Staatsunternehmen, öffentliche Verwaltungen, das Militär, die Hochschulen etc. gruppiert, die jeweils sozialstaatliche Funktionen übernahmen. Der Teil der Bevölkerung, der nicht in diesen Bereichen beschäftigt war, kam nicht in den Genuss sozialstaatlicher Fürsorge. Schon während der Zeit der Planwirtschaft gab es eine große Zahl von Wanderarbeitern auch im Bereich der industriellen Produktion, die keinerlei soziale Absicherung hatten. Die in der Landwirtschaft Beschäftigten waren beim sozialen Netz sowieso auf die Familien angewiesen.

6 Die Weltbank schätzt, dass solche Leistungen über 50% der Bruttolohnkosten ausmachen (vgl. World Bank 1997).

Die Krise des staatlichen Unternehmenssektors zeigt sich in der Krise des chinesischen Finanzsystems. Die Lage der Staatsbetriebe, die sich während des letzten Jahrzehnts kontinuierlich verschlechterte, hat zu einem steigenden und hohen Anteil zweifelhafter bzw. uneinbringlicher Forderungen des Bankensystems geführt. Da Lieferungen innerhalb des staatlichen Unternehmenssektors in großem Umfang nicht bezahlt wurden, existieren zwischen den staatlichen Unternehmen zudem hohe uneinbringliche Forderungen. Der Anteil notleidender Kredite der Banken wird auf 20-30% der Kreditforderungen des chinesischen Bankensystems geschätzt. Unbekannt ist der Anteil notleidender Kredite bei den Nicht-Bank-Finanzintermediären. Insbesondere bei den Ländlichen Kreditgenossenschaften dürfte das Portfolio noch schlechter sein als bei den vier großen staatlichen Banken (vgl. Feng Zhaobai, Cao Tinggui 1999; Naughton 1998). Das bedeutet, dass die notleidenden Kredite der staatlichen Großbanken bei vorsichtiger Schätzung rund 20% des chinesischen BIPs betragen.1 Die Klassifizierung notleidender Kredite ist in China noch sehr grob und die administrative Kontrolle der Banken gering. Es ist somit zu befürchten, dass der Anteil schlechter Kredite weitaus höher liegt, da es im Einzelfall schwierig ist, einen Kredit zu klassifizieren und in China die Überwachung der Banken vergleichsweise schwach ausgebildet ist. Würden die Banken die notleidenden Kredite abschreiben, müssten sie nach westlichen Maßstäben Konkurs anmelden, da ihr Vermögen faktisch weitaus geringer ist als ihre Verbindlichkeiten.

Bisher agieren die Banken in China nicht nach der Logik von Geldwirtschaften, da sie verlustbringende staatliche Unternehmen und mit ihnen das soziale Netz finanzieren und vor dem Zusammenbruch bewahren. Faktisch übernahmen die Banken nach 1978 fiskalische Funktionen und ein Teil der uneinbringlichen Bankkredite ist nichts anderes als verdeckte Staatsschuld. Das Problem der Banken wird noch dadurch verstärkt, dass in verschiedenen Perioden die Einlagenzinssätze deutlich über den Verleihzinssätzen lagen, was zusätzlich zur Zerstörung des Eigenkapitals der Banken beitrug. Solange der Staat für die notleidenden Kredite der Staatsunternehmen garantiert und die Verluste des Bankensystems finanziert, kann auch ein hoher Bestand notleidender Kredite ohne Gefahr für das Bankensystem und die Gesamtökonomie mitgeschleppt werden. Allerdings ist eine beständige Erhöhung des Anteils notleidender Kredite am Kreditvolumen und am BIP langfristig nicht ohne die Destabilisierung der Ökonomie möglich. Zudem sind mit einem hohen Bestand notleidender Kredite eine ganze Reihe von Ineffizienzen verbunden (vgl. Herr 2000).

Die Instabilitätspotentiale im Bereich der Staatsunternehmen und des Finanzsystems haben die Regierung in Peking zum Handeln gezwungen. Seit etwa Mitte der 90er Jahre wird mit steigender Intensität versucht, den staatlichen Unternehmenssektor weiter zu reformieren. Den Staatsunternehmen wird seit kurzem erlaubt, Arbeitskräfte zu entlassen und Sozialstandards abzubauen. Beispielsweise werden Arbeitskräfte zum Kauf der bisher betriebseigenen Wohnungen gedrängt. Gleichzeitig wird ein soziales Netz auf überbetrieblicher Ebene aufgebaut, welches jedoch noch in den Kinderschuhen steckt. So hat die Regierung begonnen, Lasten der staatlichen Unternehmen für die Altersrente zu übernehmen, was wiederum notwendig wurde, um Arbeitskräfte der Staatsunternehmen zu entlassen. Große Hoffnungen setzt die chinesische Führung auf die Fusion von Staatsunternehmen, die Verluste realisieren, mit anderen Staatsunternehmen, die sich in einer Gewinnsituation befinden. Sehr vielversprechend erscheint eine solche Strategie allerdings nicht, da Fusionen ausschließlich nach industriepolitischen Gesichtspunkten durchgeführt werden sollten und nicht aufgrund der Gewinn- und Verlustsituation von Unternehmen. Als ernsthaftes Hindernis bei der Restrukturierung der Staatsunternehmen erweist sich der Provinzegoismus, der den in verschiedenen Industrien notwendigen Auf- und Ausbau von Unternehmen mit nationaler Bedeutung erschwert. Seit kurzem steht die Liquidierung und Privatisierung von kleinen und mittleren Staatsbetrieben auf der Tagesordnung. Zudem steht China vor einer Massenprivatisierung, da Gebietskörperschaften aller Ebenen verlustbringende Staatsunternehmen aus fiskalischen Gründen abstoßen. Bei den Kollektivbetrieben steht die Schaffung auch formal privaten Eigentums an. Nur ein Kern von Schlüsselunternehmen soll mittelfristig unter staatlicher Obhut verbleiben und in der Form von Aktiengesellschaften geführt werden. Deren Überwachung soll nicht mehr durch Verträge zwischen dem Management und den aus der Planwirtschaft bekannten Fachministerien erfolgen, sondern von staatlichen Holdings übernommen werden (vgl. Lau in diesem Heft).

Gleichzeitig wird verstärkt versucht, das Finanzsystem marktwirtschaftlicher zu gestalten. Insbesondere soll bei der Kreditvergabe der Banken die Budgetrestriktion gegenüber Unternehmen gehärtet werden. Verlustbringende Unternehmen können dann nicht mehr davon ausgehen, automatisch auf weitere Kredite hoffen zu können. Konkurse von Unternehmen sollen möglich sein. Diese Reformschritte bedeuten nun nicht, dass sogenannte politische Kredite eliminiert werden sollen. Das Ziel ist es vielmehr, insbesondere den vielfältigen Einfluss lokaler Administrationen auf die Kreditvergabe lokaler Zweigstellen der staatlichen Großbanken zu unterbinden und zu einer rationaleren Allokation politischer Kredite zu kommen. Das Problem notleidender Kredite soll so gelöst werden, dass jede der vier großen staatlichen Banken ein spezielles staatliches Institut zugeordnet bekommt, welches die notleidenden Kredite der jeweiligen Bank aufnehmen und verwalten soll. Hoffnungen werden darauf gesetzt, dass durch eine (Teil-)Privatisierung der Staatsunternehmen große Teile der notleidenden Kredite getilgt werden können. Letztlich werden jedoch, wie in allen Transformationsländern, diese Kredite beim Staat hängen bleiben und die Staatsschuld erhöhen. Die Staatsschuld ohne die notleidenden Kredite der Banken liegt unter 35% am BIP, so dass eine vollständige Übernahme der notleidenden Kredite der Banken durch den Staat die Staatsschuld auf etwa 60% am BIP erhöhen würde (vgl. Herr 2000). In Deutschland liegt die Staatsverschuldung ebenfalls bei 60%.

In erster Linie aufgrund der unumgänglich gewordenen weiteren Reform des staatlichen Unternehmenssektors befindet sich China in einer Phase vergleichsweise niedrigen Wachstums. Nach der Bekämpfung der Inflationswelle 1993-95 stieg die Wachstumsrate nicht wie in früheren Zeiten wieder an, sondern zeigt einen fallenden Trend. Die Ursache dieser Entwicklung liegt in einem für China neuen Problem, nämlich einer ungenügenden gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage. Die restriktivere Kreditpolitik vor allem gegenüber verlustbringenden Staatsunternehmen hat die Investitionsnachfrage reduziert. Gleichzeitig hat der Abbau des unternehmensbezogenen sozialen Netzes bei bislang ungenügendem sozialen Netz auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Konsumnachfrage belastet. Es kommt zu Angstsparen der Bevölkerung, die sich von der Gefahr von Armut im Alter sowie einer ungenügenden Absicherung bei Krankheit und Arbeitslosigkeit bedroht sieht. Zwar hat die Regierung mit Nachfrageprogrammen insbesondere im Bereich der Infrastruktur versucht, das Wachstum des Sozialproduktes zu stabilisieren, jedoch konnte nur ein noch stärkeres Fallen der Wachstumsrate verhindert werden. Als weiter destabilisierendes Element der gegenwärtigen Entwicklung muss die deflationäre Entwicklung angesehen werden, die China ab 1997 ergriffen hat. Die Deflation hat die Nachfrage zusätzlich belastet. Erwarten Wirtschaftssubjekte nämlich sinkende Preise, dann besteht ein Anreiz, den Kauf von Konsumgütern und auch Investitionen in die Zukunft zu verschieben. Gleichzeitig führen Deflationen selbst bei niedrigen Nominalzinssätzen zu einer hohen Realverzinsung. Die Folge hoher Realzinssätze ist ein hoher realer Schuldendienst der Unternehmen. Gibt es in einem Land notleidende Kredite, wie in China, kann dieses Problem durch hohe Realzinssätze eskalieren.

Von der Wachstumsabschwächung nach 1996 sind die Kollektivbetriebe am härtesten betroffen. Da sie weder von staatlichen Subventionen noch durch die Kreditpolitik der staatlichen Banken geschützt sind, ist ihr Anteil an der wertmäßigen Industrieproduktion nach 1996 um annähernd 20% zurückgegangen. Bei einer mengenmäßigen Betrachtung haben die Kollektivbetriebe dagegen ihren Anteil weitgehend gehalten (vgl. People's Bank of China 1999). Offensichtlich mussten diese Unternehmen überproportional hohe Preissenkungen bei ihren Produkten hinnehmen. Bei einer weiteren Wachstumsabschwächung ist ein massenhafter Zusammenbruch dieser Unternehmen nicht auszuschließen.

Insgesamt hat und soll die neue Reformwelle die Anreizstrukturen für die Unternehmen und Banken in Richtung marktwirtschaftlicher Bedingungen ändern. Mit der Härtung der Budgetrestriktion für Unternehmen und der Schaffung eines (neben dem Bereich politischer Kredite) nach Marktprinzipien funktionierenden Bankensektors verändert sich auch das Investitionsverhalten der Unternehmen sowie die Kreditvergabepraxis der Banken und anderer Finanzinstitutionen. In den Jahren nach 1998 hat China zum ersten Mal seit Beginn der Transformation erlebt, dass es zu einer Investitionsschwäche kommen kann, wenn die Unternehmen bei ihren Investitionsvorhaben vorsichtig agieren und die Banken zwecks Verbesserung ihres Kreditportfolios ihre Kreditvergabespielräume nicht ausschöpfen. Im Zuge der derzeitigen Reformbemühungen dürfte China endgültig ,,aus dem Plan herauswachsen". Damit läuft auch das spezifische Wachstumsmodell der chinesischen Ökonomie zwischen Markt und Plan aus. Soll die ökonomische Dynamik der Vergangenheit auch in der Zukunft erhalten bleiben, steht China vor dem Problem, ein neues Wachstumsmodell zu implementieren. Aber selbst wenn dies gelingt, werden Marktmechanismen soweit gestärkt, dass die für kapitalistische Ökonomien typischen Krisenerscheinungen zukünftig auch in China auftreten dürften.

Strukturelle Probleme der chinesischen Ökonomie

China ist von drei strukturellen Problemen betroffen, welche die zukünftige Entwicklung belasten. Das erste Problem besteht darin, dass die fiskalische Potenz und damit auch die Ausgaben der öffentlichen Haushalte in China sehr niedrig sind. Betrugen die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben 1980 noch um die 25% an BIP, so sanken diese Quoten ab Mitte der neunziger Jahre auf etwas mehr als 10%, um dann unter 15% zu verharren. Zum Vergleich, in Deutschland liegen die Einnahmen der öffentlichen Haushalte einschließlich der gesetzlichen Sozialversicherungen bei knapp 50% am BIP. Die fiskalische Krise in China liegt in erster Linie an der ungenügenden steuerlichen Erfassung des Privatsektors sowie des Sektors der Kollektivunternehmen. Die Hauptsteuerlast trugen in China traditionell die staatlichen Unternehmen. Die Krise des Steuerstaates hängt somit unmittelbar mit der Krise der staatlichen Unternehmenssektors und der ungenügenden Verbreiterung der Steuerbasis angesichts dieser Entwicklung zusammen. Dazu kommen Konflikte der Steueraufteilung zwischen den Provinzen und der Zentralregierung, die darin eskalierten, dass der Zentralstaat in den Provinzen ein vollständig unabhängiges System der Steuereintreibung mit eigenen Finanzämtern, eigener Steuerpolizei etc. etablierte.

Für ein unterentwickeltes Land wie China ist die derzeitige fiskalische Potenz denkbar gering. Damit leidet China wie die meisten Transformations- und Entwicklungsländer an einem ungenügend ausgebauten Steuersystem. Zwar kann das Bankensystem für fiskalische Zwecke instrumentalisiert werden, jedoch behindert dies den Aufbau eines funktionalen Finanzsystems und kann zu den Problemen führen, die China mit dem staatlichen Banken- und Unternehmenssektor derzeit hat.

Oben wurde ausgeführt, dass die Staatsschuld einschließlich der notleidenden Kredite der großen Staatsbanken rund 60% am BIP beträgt. Addiert man die faulen Kredite im restlichen Kreditsystem sowie die von den Unternehmen übernommenen Rentenverpflichtungen hinzu, kommt man auf eine Staatsverschuldung von rund 100% am BIP (vgl. Economist 2000). Angesichts der geringen Steuereinnahmen am BIP ist eine solche Schuldenquote als hoch einzuschätzen. Letztlich kann China die sich abzeichnende Krise des Steuerstaates nur durch einen massiven Ausbau eines marktwirtschaftlichen Steuersystems überwinden.

Das zweite strukturelle Problem besteht in China darin, dass die Schaffung von Vollbeschäftigung auf absehbare Zeit auch nicht annähernd möglich ist und eine drastische Zunahme von Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit mit allen negativen Folgen nicht zu verhindern sein wird. Das alte unternehmensbezogene Sozialstaatsmodell zerbricht und in absehbarer Zeit wird ein soziales Netz auf überbetrieblicher Ebene nur in der Form einer Mindestversorgung und dann auch nur für einen Teil der Bevölkerung aufgebaut werden können. Das Grundproblem ist die Arbeitslosigkeit. Die versteckte Arbeitslosigkeit in Staatsunternehmen und in der Landwirtschaft ist in China äußerst hoch, während die Möglichkeiten der Produktivitätserhöhung selbst mit einfachen Mitteln gigantisch sind. Je mehr Unternehmen einer marktwirtschaftlichen Anreizstruktur ausgesetzt sind, desto stärker werden sie Potentiale zur Produktivitätserhöhung auch nutzen. Die in China ablaufende Privatisierungswelle sowie die Restrukturierung der Staatsunternehmen dürfte zu einem drastischen Anstieg der offenen Arbeitslosigkeit führen. Daraus folgt, dass selbst ein Fortbestehen der sehr hohen Wachstumsraten der letzten Jahrzehnte das Problem hoher Arbeitslosigkeit und Verarmung von Teilen der Gesellschaft schwerlich verhindern können. Zuspitzen würde sich die Lage, wenn China auch nur von einer milden Rezession betroffen wäre.

Ein drittes strukturelles Problem besteht in China in dem enormen Entwicklungs- und Wohlfahrtsgefälle zwischen Stadt und Land. Tabelle 2 zeigt, dass sich das Stadt-Land-Gefälle seit 1978 nur minimal eingeebnet hat. Auch 1998 realisiert die Stadtbevölkerung mehr als das 2,5fache Einkommen der Landbevölkerung. Da Industrieunternehmen überwiegend in Ballungszentren angesiedelt sind und diese wiederum schwerpunktmäßig in den Küstenregionen liegen, ist China durch sehr große Unterschiede beim Industrialisierungsgrad und dem Pro-Kopf-Einkommen zwischen den verschiedener Provinzen gekennzeichnet. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Jahre 1998 entsprach in China 735 US-Dollar, was etwas unter dem Niveau Indonesiens liegt. Allerdings verdeckt diese Durchschnittszahl die gigantischen Unterschiede innerhalb Chinas. Die ärmste Provinz, Guizhou, realisierte 1998 nur ein Pro-Kopf-Einkommen in Höhe von 280 US-Dollar, was dem Niveau Bangladeschs oder des Yemen entspricht. In Shanghai lag das Pro-Kopf-Einkommen mit 3400 US-Dollar auf dem Niveau der Türkei oder Süd-Afrikas (vgl. Economist 2000a).

Tab. 2: Regionale Unterschiede in China zwischen Stadt und Land

Jahr

Städtische Haushalte

Ländliche Haushalte

Einkommensverhältnis Stadt / Land

Jährl. Nettoeinkommen pro Person in Yuan

Index

1978 = 100

Jährl. Nettoeinkommen pro Person in Yuan

Index

1978 = 100

1978

343,4

100

133,6

100

2,57

1985

739,1

160,4

397,6

268,9

1,86

1988

1181,4

182,5

544,9

310,7

2,17

1993

2577,4

255,1

921,6

346,9

2,80

1998

5425,1

329,9

2162,0

456,8

2,51

Quelle: China Statistical Yearbook 1999, No. 18, China Bureau of Statistics, People's Republic of China

Aus den angesprochenen Unterschieden ergeben sich eine Reihe von Problemen, die aus vielen Entwicklungsländern bekannt sind. Das schon existierende Millionenheer von Wanderarbeitern aus ländlichen Gebieten ohne jegliche soziale Absicherung wird in China weiter anschwellen. Die Landflucht wird unweigerlich zunehmen und zur Gefahr von Slums in den Großstädten und entwickelten Provinzen führen. Zwar versuchen Städte und entwickelte Provinzen Zuwanderungen durch Zuzugsperren und Arbeitsverbote abzuwehren, jedoch ist fraglich, ob diese Instrumente ausreichend wirken. Die Regierung in Peking versucht die letzten Jahre verstärkt, unterentwickelte Provinzen zu fördern, jedoch sind Erfolge bei der Entwicklung von rückständigen Regionen nicht einfach zu erreichen, da Marktkräfte zur Polarisierung der Entwicklung zwischen Regionen tendieren.2 Ein weiteres Problem besteht in China darin, dass die reichen Provinzen wenig Bereitschaft zeigen, einen wirksamen Finanzausgleich zwischen den Provinzen einzuführen und die fiskalische Kraft der Zentralregierung schwach ist.

Chinesischer Kapitalismus

China ist bei seinem Weg von der Planwirtschaft zur nach wie vor angestrebten ,,sozialistischen Marktwirtschaft" bei einer kapitalistischen Ökonomie angelangt. Der Privatsektor hat sich schon während der vergangenen Jahrzehnte dynamisch entwickelt. Beim staatlichen Unternehmenssektor werden durch die ablaufende Privatisierung und Restrukturierung die bisher noch existierenden Reste der ehemaligen Planwirtschaft eliminiert. Trotz der weitreichenden Änderungen im Unternehmenssektor spricht vieles dafür, dass bei der Reform des Finanzsektors China seine gradualistische Strategie beibehält. Das Finanzsystem dürfte somit noch längerfristig politisch strikt gesteuert und für industriepolitische Zwecke eingesetzt werden. Dies gilt auch für die externen ökonomischen Beziehungen, da gewisse Deregulierungen beim Handel zwar wahrscheinlich sind, jedoch nicht beim internationalen Kapitalverkehr. Insgesamt spricht vieles dafür, dass sich China die nächsten Jahre beschleunigt einem kapitalistischen Modell mit hohem Staatseinfluss annähert, das viele Elemente der japanischen Entwicklung in den fünfziger Jahren oder der frühen Entwicklung anderer erfolgreicher asiatischer Staaten wie Süd-Korea enthält. Auf dieser Basis kann es China gelingen, das auslaufende Akkumulationsmodell der vergangenen zwei Jahrzehnte, das durch ein ,,Herauswachsen aus dem Plan" gekennzeichnet und in vieler Hinsicht ,,vorkapitalistisch" war, durch ein neues Akkumulationsmodell zu ersetzten, das in erster Linie privatwirtschaftlich getragen ist.

Einen Automatismus gibt es bei Entwicklungsprozessen nicht. So kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass es China nicht gelingt, eine ausreichende privatwirtschaftlich getragene und vom Staat unterstützte Dynamik zu erzeugen. Unwahrscheinlich, jedoch nicht gänzlich auszuschließen ist, dass China die Flucht nach vorne antritt und die internen Finanzmärkte liberalisiert, eine vollständige Konvertibilität der Währung einführt und schnell auch alle großen Unternehmen weitgehend zu privatisieren versucht. In diesem Falle würde es sich der Gefahr aussetzen, destruktive Marktkräfte in Gang zu setzten, welche die Entwicklung nicht fördern, sondern stören. Offen ist auch die Frage, ob durch den unweigerlichen Aufbau von offener Arbeitslosigkeit und sozialer Differenzierung die derzeitige politische Stabilität unter der Dominanz der Kommunistischen Partei Chinas erhalten bleibt.

Selbst wenn es China gelingt, an den vergangenen asiatischen Erfolgsmodellen nachholender Entwicklung anzuknüpfen, gibt es doch wichtige Eigenheiten des chinesischen Weges. Erstens dürfte es in China weniger als in den ,,alten" asiatischen Entwicklungsmodellen möglich sein, hohe Arbeitslosigkeit und teilweise extreme soziale Ungleichheit zu verhindern. Dies kann Auswirkungen auf das politische System haben. Zweitens setzt China bei seiner Entwicklung auf ausländische Direktinvestitionen, während es beispielsweise in Japan in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch keine ausländischen Direktinvestitionen gab und der Technologieimport über eine geschickte Wirtschaftspolitik erfolgte. Auch Süd-Korea verhinderte bis zur Asienkrise 1997 einen relevanten Anteil ausländischen Eigentums an seinem Unternehmenssektor. Ein hoher Anteil ausländischer Unternehmen kann die politische Steuerung des Unternehmenssektors nach der Logik asiatischer Erfolgsmodelle schwächen und China schneller und tiefer in den internationalen Güter- und Kapitalmarkt einbinden als für die Entwicklung günstig ist.

China und das Waterloo der orthodoxen Entwicklungstheorien

China passt nicht ins Bild der orthodoxen Vorstellung von ökonomischer Entwicklung, die ihr Augenmerk auf die Verbesserung der Allokation der Ressourcen, auf Nettoressourcenimporte und bei Transformationsländern auf schnelle Privatisierung setzt.3 Dies soll im Folgenden diskutiert werden

Effiziente Allokation der Ressourcen und Entwicklung

Eine verbesserte Allokation von Ressourcen in unterentwickelten Ländern, so das Argument der orthodoxen Theorie, führt zu effizienterer Produktion und erhöht das Wachstum und den Lebensstandard der Bevölkerung. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die schnelle Einführung von Märkten in möglichst vielen Bereichen vorgeschlagen. Das auf effizienter Allokation basierende Argument basiert auf der Tiefenstruktur neoklassischen Denkens. Im Kern sieht das neoklassische Paradigma das gegenwärtige Wirtschaftssystem als universelle Tauschwirtschaft, wobei die Wirtschaftssubjekte eine exogen vorgegebene Anfangsausstattung an physischen Ressourcen einschließlich ihrer Arbeitskraft erhalten. Geld ist zumindest längerfristig unwichtig, eben neutral. Der ökonomische Prozess dreht sich dann darum, durch Tausch dieser Anfangsbestände das individuelle Nutzenniveau zu erhöhen. Produktion entspricht nach dieser Sicht nur einem indirekten Tausch. Steht die Allokation der Ressourcen im Vordergrund, dann ergeben sich bezüglich des Verständnisses von Entwicklungsprozessen zwei Missverständnisse. Erstens steht nicht die Produktion von Ressourcen im Zentrum der Betrachtung, sondern der Tausch der gegebenen Ressourcen. Entwicklung ist jedoch gerade die Organisation der Produktion von Ressourcen. Zweitens ist die Betrachtung statisch. Entwicklung ist jedoch immer ein dynamischer Prozess.

1 Das Problem der notleidenden Kredite ist in der VR China nicht dramatischer als in vielen anderen Transformationsländern. So betrug der Anteil notleidender Kredite am Kreditvolumen der Banken im Jahre 1997 in Albanien 49%, in der Tschechischen Republik 29% oder in Rumänien 57% (EBRD 1998, S. 133).

2 Nicht nur Deutschland nach der Vereinigung kann hier als instruktives Beispiel gelten.

3 Mit orthodoxen Vorstellungen werden hier einfache neoklassische Konzepte gemeint, die in der Politikberatung eine große Rolle spielen.

In China kann während der vergangene Jahrzehnte von einer effizienten Allokation der Ressourcen keine Rede sein. Die chinesische Entwicklung verdeutlicht, dass entgegen der orthodoxen Annahmen zwischen Entwicklung und effizienter Allokation keine eindeutige Beziehung existiert. Hohes Wachstum und Entwicklung kann - wie in China - mit einer ineffizienten Allokation einhergehen. Eine effiziente Allokation kann dagegen, wie westliche Länder zeigen, auch bei geringem Wachstum auftreten. Zwischen dem Niveau der Korruption, die eine spezifische Form potentieller Ineffizienz darstellt, und der Entwicklung eines Landes besteht ebenfalls keine eindeutige Beziehung. In den asiatischen großen und kleinen Tigerländern war die Entwicklungsdynamik vor 1997 über eine lange Zeit trotz - mit westlichen Augen betrachtet - hohem Korruptionsniveau hoch, so dass die krisenhafte Entwicklung nach 1997 nicht, wie verschiedentlich versucht, mit Korruption erklärt werden kann.

Das Beispiel China bestätigt die keynesianische Position, die hervorhebt, dass makroökonomische Bedingungen das Wachstum steuern und die Allokation der Ressourcen auf der Mikroebene dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Auf keinen Fall ist von einer verbesserten Allokation automatisch ein höheres Wachstum zu erwarten. Methodisch zeigt die analytische Trennung zwischen Allokation und Wachstum bzw. Allokation und Entwicklung, dass eine Mikrofundierung der Makroökonomie nicht möglich ist und auf mikroökonomischer Ebene im Rahmen allgemeiner neoklassischer Modelle nur minimale Aussagen über die Makroökonomie gemacht werden können.1

Die Investitionstätigkeit als das Rückgrat von Entwicklung hängt von spezifischen historischen Bedingungen ab, beispielsweise von dem Verhalten der Investoren (das wiederum stark von Erwartungen geprägt ist), von dem Verhalten der Gläubiger des Unternehmenssektors, der Verfügbarkeit finanzieller Mittel, von der Wirtschaftspolitik oder den Institutionen eines Landes.2 In China haben diese Faktoren in den vergangenen zwei Jahrzehnten in einer äußerst spezifischen Weise zusammengewirkt, die ökonomische Entwicklung möglich machte. Es wäre falsch, das chinesische Entwicklungsmodell umstandslos auf etwa die Länder der ehemaligen Sowjetunion übertragen zu wollen; ebenso falsch wäre es, wenn China beginnen würde, etwa die vergleichsweise erfolgreiche polnische, tschechische oder ungarische Entwicklung zu kopieren.

Gibt es keine eindeutige Verbindung zwischen effizienter Allokation und Entwicklung, dann hat dies weitreichende Konsequenzen für die Entwicklungspolitik. Zwar ist eine Verbesserung der Effizienz allein schon aus ökologischen Gründen immer gut und wünschenswert, jedoch reicht dies zur Erzeugung von Entwicklung nicht aus. Entwicklung bedarf eines ganzen Sets makroökonomischer Bedingungen, die einen Einkommensbildungsprozess anzuregen vermögen. ,,Animal spirits" (Keynes 1936: 161) sowie Schumpeters dynamische Unternehmen und deren Finanzierung (vgl. Schumpeter 1926) spielen dabei ebenso eine Rolle wie eine staatliche Unterstützung von Entwicklungsprozessen.

Ressourcenimport und Entwicklung

Aufbauend auf neoklassischen Vorstellungen ergibt sich das Desiderat von Nettoressourcenübertragungen in unterentwickelte Länder, um in letzteren Entwicklungsprozesse anzustoßen und zu beschleunigen. Ressourcenströme von entwickelten Ländern in unterentwickelte ergeben sich nach dieser Argumentation durch das Wirken der Märkte. Die Kapitalverwertung ist in Ländern mit relativem Kapitalmangel (unterentwickelte Länder) relativ hoch und in Ländern mit relativ hohem Kapitalbestand (entwickelte Länder) relativ gering. Das Profitmotiv bewirkt, dass Kapital von Ländern mit reichlicher Kapitalausstattung in Länder mit Kapitalmangel fließt und es so zu einem Ausgleich der Verwertungsrate von Kapital und auch der Reallöhne kommt.3 Länder mit relativ geringer Kapitalausstattung sind aufgrund des Nettoressourcenimports durch Leistungsbilanzdefizite charakterisiert. Den Leistungsbilanzdefiziten stehen saldenmechanisch zwingend ausländische Ersparnisse und Nettokapitalimporte gegenüber. Nettokapitalimporte erhöhen wiederum die Nettoschuldnerstellung eines Landes bzw. bauen dessen Nettogläubigerstellung ab. Hinter der obigen Argumentation versteckt sich eine spezifische Theorie nachholender Entwicklung: Länder mit relativem Kapitalmangel sollen die inländischen Ersparnisse durch ausländische Ersparnisse aufstocken und dadurch ihre Investitionen erhöhen. Die ,,Kapitallücke" der unterentwickelten Länder wird durch Ersparnisse der reichen entwickelten Länder geschlossen. Unterstellt ist somit ein Kausalprozess, der von Ersparnissen zu Investitionen führt. Mit Hilfe der ausländischen Ersparnisse gelingt es den unterentwickelten Ländern dann, so die Argumentation, an die entwickelte Welt anzuschließen. Verbunden ist der von der Neoklassik vorgeschlagene Entwicklungsprozess mit dem längerfristigen Aufbau einer außenwirtschaftlichen Verschuldung von Entwicklungsländern. Erst wenn ein erfolgreicher Entwicklungsweg beschritten wurde wird sich das Leistungsbilanzdefizit in einen Leistungsbilanzüberschuss verwandeln. Die während der Entwicklungsphase aufgebauten Auslandsschulden werden dann schrittweise abgebaut und das Land wird letztlich zu einem entwickelten Gläubigerland.4

China hat seinen Entwicklungsprozess mit einem mittelfristig ausgeglichenen Leistungsbilanzsaldo verbinden können, da es gelang, Leistungsbilanzdefizite in einzelnen Jahren wieder schnell zurückzuführen. Selbst die Bruttoauslandsverschuldung Chinas ist relativ gering und entspricht in etwa den Reserven der chinesischen Zentralbank in Höhe von knapp 150 Mrd. US-Dollar (vgl. FAZ-Informationsdienst 1999). China ist somit ein klares Beispiel für den Fall, dass sich ein selbst sehr unterentwickeltes Land ohne Nettoressourcenimport erfolgreich entwickeln kann.

Bemerkenswert ist, dass China die in der Tendenz ausgeglichene Leistungsbilanz mit einem hohen Niveau ausländischer Direktinvestitionen verbinden konnte. Die Kombination hoher Direktinvestitionen mit tendenziell ausgeglichener Leistungsbilanz wurde saldenmechanisch durch den Aufbau von Devisenreserven der chinesischen Zentralbank ermöglicht, die einen staatlich induzierten Kapitalexport betrieb.5 Durch diese Politik wurde eine Überbewertung der chinesischen Währung mit anhaltenden Leistungsbilanzdefiziten verhindert.6 Zudem wurden in China durch Kapitalverkehrskontrollen hohe Kapitalzuflüsse in der Form von Bankkrediten und Portfolioinvestitionen verhindert. Gerade solche Kapitalzuflüsse können ein Land marktmäßig in eine Überbewertungssituation mit Defiziten in der Leistungsbilanz führen.

Entwicklungsstrategien, die auf Nettoressourcenimporte und damit letztlich auf Auslandsverschuldung setzen, haben grundlegende Mängel und sind vor allem für die dann verschuldeten Länder extrem risikobehaftet. Länder können mit Ressourcen ,,vollgestopft" werden, ohne dass sich ein Entwicklungsprozess vollzieht. China ist auch ein Beispiel dafür, dass Entwicklung kein Problem mangelnder Ressourcen ist, sondern Entwicklungsprozesse bei der Produktion von Ressourcen, insbesondere bei der Investitionstätigkeit, ansetzen. Ersparnisse ergeben sich dann endogen aus der hohen Investitionstätigkeit, die einen Einkommensbildungsprozess anstößt. Es gibt dann keine Notwendigkeit auf ausländische Ersparnisse zurückzugreifen. So ist die Sparquote in China sehr hoch. Ausländische Ersparnisse waren nicht notwendig, die äußerst hohe Investitionsquote in China zu erreichen. Es müssen in einem Land, das eine marktwirtschaftliche Entwicklung anstrebt, Bedingungen geschaffen werden, welche die Marktkräfte und dabei wiederum insbesondere die Investitionstätigkeit entfalten. Mit Ressourcen hat das herzlich wenig zu tun.

Unbestritten bleibt, dass Technologieimporte die Entwicklung unterstützen, jedoch hat dies nichts mit der Notwendigkeit ausländischer Ersparnisse zur Unterstützung inländischer Entwicklungsprozesse zu tun. Denn Technologieimporte können von einem Land durch Exporte selbst einfacher Güter ohne Leistungsbilanzdefizite realisiert werden.

Das Hauptproblem einer Entwicklungsstrategie über Leistungsbilanzdefizite ist der damit verbundene Aufbau einer außenwirtschaftlichen Schuldnerstellung. Dadurch erweist sich diese Strategie als ein Spiel mit dem Feuer. Entwicklungsländer können sich nicht in eigener Währung verschulden, sondern müssen eine Verschuldung in Fremdwährung akzeptieren. Kräftige Abwertungen können gerade in Entwicklungsländern niemals ausgeschlossen werden, da diese Länder in aller Regel mit Instabilitäten zu kämpfen haben, die sie eben als Entwicklungsländer charakterisieren. Abwertungen bei Verschuldung in fremden Währungen haben den gleichen Effekt wie Deflationen bei nationaler Betrachtung. Beides führt zur Erhöhung der realen Schuldenlast und als Folge zu massiven Liquiditäts- und Solvenzproblemen der Schuldner. Abwertungen bei hoher Verschuldung eines Landes in Fremdwährung sind noch zerstörerischer als Deflationen, da die Zentralbank des abwertenden Landes wenig Mittel hat, eine sich ausbreitende Liquiditätskrise zu bekämpfen. Werden nämlich Banken und Unternehmen, die in fremder Währung verschuldet sind, massenhaft zahlungsunfähig, kann die inländische Zentralbank nicht die Funktion als Lender of Last Resort übernehmen, da sie nicht das Medium schaffen kann, das die Liquiditätsprobleme der Schuldner lindern könnte7.

Privatisierung versus harte Budgetrestriktion

Für Transformationsländer ergibt sich aus der orthodoxen Theorie die Forderung einer schnellen Privatisierung schon am Beginn des Transformationsprozesses. Die Idee ist, dass eine schnelle Privatisierung zu eindeutigen Eigentums- und Verfügungsrechten führt und dies wiederum die Voraussetzung für eine effiziente Allokation der Ressourcen ist.8 Der zentrale Unterschied zwischen einer Plan- und einer Marktwirtschaft wird damit am Eigentum festgemacht. Planwirtschaften werden mit gesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln verbunden, Marktwirtschaften mit Privateigentum an Produktionsmitteln. Kornai (1986) hat Planwirtschaften durch eine weiche und Marktwirtschaften durch eine harte monetäre Budgetrestriktion charakterisiert. Nimmt man diesen Gedanken auf, dann bedeutet der Übergang von einer Plan- in eine Marktwirtschaft die Schaffung einer harten monetären Budgetrestriktion. Die Eigentumsform ist dabei sekundär. Russland ist ein Beispiel dafür, dass eine schnelle Privatisierung keine positiven Entwicklungen anstoßen muss. Die Privatisierung in Russland begann im Herbst 1992 mit der Ausgabe von kostenlosen Vouchern (Gutscheinen auf Aktien) an die Bevölkerung und leitete dadurch eine Privatisierungswelle mittels Verschenkung von Staatsvermögen an Private ein (vgl. zu den folgenden Angaben EBRD 1998).9 Im Juli 1994 war die Voucher-Privatisierung abgeschlossen. Der noch existierende Rest der Staatspapiere wird seitdem schrittweise zu verkaufen versucht. Zwischen 1992 bis 1994 schnellte der Anteil der Privatproduktion am BIP in Russland von faktisch Null auf 50% hoch und erreichte 1997 schon 70%. Auch Banken wurden in Russland schnell privatisiert, so dass der Anteil der staatlichen Banken am Kreditvolumen aller Banken 1997 auf unter 30% gefallen ist. Die Privatisierung hat in Russland nichts gebracht. Sie hat noch nicht einmal eine mikroökonomisch monetäre Budgetrestriktion geschaffen, denn Konkursverfahren sind in Russland nach wie vor ,,ineffective" (EBRD 1998: 187). Selbst die Gütermärkte funktionieren in Russland unvollkommen, da Subsistenz- und Tauschwirtschaft sowie Dollarisierungsprozesse die Ökonomie zersetzen. Russland hat schnell privatisiert ohne die Rahmenbedingungen schaffen zu können, die zu einer monetären harten Budgetrestriktion führen. In China ist es gelungen, durch Kreditrationierung (bis vor kurzem mittels eines expliziten Kreditplans) eine harte monetäre makroökonomische Budgetrestriktion zu etablieren, welche die Mengenplanung ersetzen konnte. Sicherlich ist eine Setzung einer makroökonomischen Budgetrestriktion über Kreditrationierung primitiv (und ineffizient) und nicht mit den Vermögensmärkten in entwickelten Marktwirtschaften zu vergleichen. Aber es hat funktioniert, da China hohe Inflationsraten immer wieder zurückführen konnte. Dazu kommt, dass in China auf den Gütermärkten eine Konkurrenzsituation geschaffen wurde, der sich alle Unternehmen stellen müssen. Bemerkenswert am Beispiel China ist zudem, dass die monetäre Budgetrestriktion auf Makroebene mit einer für einzelne Unternehmen weichen Budgetrestriktion auf Mikroebene verbunden war. Trotz der Finanzierung von Verlusten der Staatsunternehmen durch die Banken gab es jedoch Grenzen der weichen mikroökonomischen Budgetrestriktion, da Staatsunternehmen mit Verlusten mit anderen Unternehmen um den gegebenen Kreditkuchen streiten mussten. Zweifelsfrei wäre es günstiger gewesen, wenn China die mikroökonomische Budgetrestriktion schon früher stärker gehärtet hätte. Der derzeitige Stau bei der Reform des staatlichen Unternehmenssektors hätte so vermieden werden können.

China begann erst in der jüngsten Zeit mit der Privatisierung staatlicher Unternehmen, hat es jedoch geschafft, eine makroökonomische monetäre Budgetrestriktion aufzubauen und zu verteidigen. Es ist derzeit dabei, die mikroökonomische Budgetrestriktion für Unternehmen langsam zu härten, allerdings mit einigen Risiken (vgl. oben). China zeigt, dass gänzlich ohne Privatisierung der staatlichen Unternehmen, die aus der Planwirtschaft hervorgingen, und ohne klare Eigentumsverhältnisse eine zwanzigjährige positive Entwicklungsdynamik möglich ist. Es zeigt auch, dass Privatisierung in die Endphase der Transformation gelegt werden kann, während in der ersten Phase der Transformation eine harte mikro- und makroökonomische monetäre Budgetrestriktion im Vordergrund der Wirtschaftspolitik stehen sollte.

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1 Zur Darstellung des keynesianischen Pradigmas jenseits der sogenannten neoklassischen Synthese, die von Joan Robinson weniger freundlich als Bastardkeynesianismus bezeichnet wurde, vgl. Heine, Herr (1999).

2 Es gibt keine allgemeingültige überhistorisch geltende Investitionsfunktion, die immer vom gleichen Set unabhängiger Variablen abhängt. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass subjektive Erwartungen der Investoren bei der Investitionsentscheidung eine wichtige Rolle spielen und subjektive Erwartungen eine allgemeine Erwartungshypothese verunmöglichen.

3 Hinter dieser Annahme steht die Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung, die postuliert, dass die Verwertung von Kapital von der physischen Grenzproduktivität der Kapitalgüter abhängt, wobei bei gegebenem Arbeitskräfteeinsatz und zunehmenden Kapitalbestand die Grenzproduktivität der Kapitalgüter und die Kapitalverwertung sinken. In unterentwickelten Ländern ist die Profitrate damit relativ zu den Reallöhnen hoch, in den entwickelten Ländern gilt der umgekehrte Fall. Die gesamte Argumentation steht allein schon deshalb auf schwankendem Boden, weil sie nur bei der Existenz eines Kapitalgutes gilt. Bei Kapitalheterogenität wird die Beziehung zwischen Kapitalbestand und Profitrate unbestimmt (vgl. zur Diskussion dieser Problematik Heine, Herr 1999).

4 Die bekannteste Formulierung der oben skizzierten Theorie stammt von Chenery, Strout (1966), vgl. jedoch beispielsweise auch IMF (1997, S. 78ff.). Zur Darstellung und Kritik dieser Entwicklungsstrategie vgl. Riese (1986); Heine, Herr (1999).

5 Devisenreserven eines Landes werden nahezu vollständig zinsbringend im Ausland angelegt und erzeugen damit Zinseinnahmen der Zentralbank, die dann in der Regel an die öffentlichen Haushalte abgeführt werden.

6 Die gleiche Politik wurde von der Bundesbank während der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders betrieben, um ungenügende private deutsche Kapitalexporte zur Finanzierung der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse zu finanzieren und eine Aufwertung der D-Mark mit negativen Folgen auf die Exporte zu verhindern.

7 Es gibt somit eine Reihe guter Argumente, warum unterentwickelte Länder ohne eine Phase von Leistungsbilanzüberschüssen sofort auf Exporterfolge und Leistungsbilanzüberschüsse oder zumindest ausgeglichene Leistungsbilanzsalden setzten sollten. Jede Phase von Leistungsbilanzüberschüssen kann zu einer Schuldenfalle mit hohen ökonomischen Kosten für das verschuldete Land führen. Es gibt eine Reihe von Ländern, die das Modell einer exportorientierten Entwicklung ohne Außenverschuldung erfolgreich praktiziert haben. Zu nennen sind Japan und die Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren. Zu nennen ist beispielsweise auch Taiwan, das trotz seiner ehemaligen Rückständigkeit seine Entwicklung ohne Leistungsbilanzdefizite beschreiten konnte.

8 Privatisierung war in vielen Transformationsländern ein politisches Projekt zur endgültigen Absicherung auch der politischen Revolution. Politisches Interesse und orthodoxe Vorstellungen über die positiven ökonomischen Wirkungen von Privatisierung gingen in etlichen Transformationsländern Hand in Hand und haben zu teilweise extrem schneller Privatisierung geführt, insbesondere in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

9 Bei der Ausgabe der Voucher wurde ein kleine Bearbeitungsgebühr verlangt.