Editorial

"Macht - Recht - Gewalt", so der Schwerpunkt dieses Heftes.
Vor zwei Jahren, am 24.03.1999, begann die NATO ihren Angriffskrieg
gegen Jugoslawien. Lassen Sie uns kurz gemeinsam zurückdenken, wie wir,
jede/r von uns den Beginn der NATO-Bombardierungen Jugoslawiens -
erstmals mit voller Beteiligung der Bundeswehr - erlebt haben. Dieser
Krieg war und ist ein einschneidendes Ereignis gewesen, er hat die
Republik verändert. Bis heute ist er allerdings nicht richtig
aufgearbeitet. Erst jetzt - nach der öffentlichen Wahrnehmung möglicher
Folgen des Einsatzes von "Uran-Munition" und dem WDR-Film "Es begann mit
einer Lüge" - läuft die Debatte auch in den Massenmedien vorsichtig an.
Die Lügen und Tatsachenverdrehungen der NATO und des damaligen Kriegs-
und heutigen Verteidigungsminister Rudolf Scharping sind endlich in den
Schlagzeilen.
Ein zweiter Minister hat wesentlich zur Akzeptanz des NATO-Krieges
beigetragen: Joschka Fischer. Er ist in der Kritik wegen seiner
militanten Vergangenheit. Der Steine werfende Fischer wird benutzt, um
die gesamte 68er-Bewegung zu diskreditieren. Aus dem konservativen Lager
kommen Rücktrittsforderungen, doch die dominanten Medien der Republik
nehmen Fischer auffallend in Schutz. In der FAZ findet sich eine
Erklärung hierfür: "Den Fotos des Prüglers muss man die Fotos des
Außenministers gegenüberstellen. Nicht daß Fischer Gründe gehabt haben
mag - und welche mögen das gewesen sein? -, birgt, um ein Modewort der
Achtundsechziger zu zitieren, einen "Choc" der Erkenntnis, sondern die
Tatsache, daß dieser Motorrad-Prügler fünfundzwanzig Jahre später als
deutscher Außenminister einen Krieg mitbefehligen wird - eine äußere
militärische Intervention, die ohne ihn und seine Geschichte vermutlich
zu einem bürgerkriegsähnlichen Notstand im Innern geführt hätte."
Dies muss korrigierend ergänzt werden: Fischer hat sich hier einer
Geschichte bemächtigt (oder sie wurde ihm zugeschlagen), die nie seine
war. Fischer war nie Pazifist, nie Militärkritiker, stand nie für die
Friedensbewegung. Er hat jedoch diese Geschichte zur Kriegsbegründung
instrumentalisiert und damit einen großen Teil derjenigen mundtot oder
sprachlos gemacht, deren Geschichte die Friedensbewegung wirklich war.
Joschka Fischer war schon immer ein Militanter, damals als
"Strassenkämpfer" und 1999 als kriegrechtfertigender und zustimmender
Außenminister. Nur heute sind die Auswirkungen um ein vielfaches
verschärfter. Fischers angebliche Geschichte wurde benötigt um die
"Heimatfront" zu verunsichern und still zu halten. "Es war doch gerade
das Spezifische dieser Biographie, die dazu verhalf, den inneren Frieden
zu bewahren, als im Kosovo militärisch eingegriffen wurde." (FAZ) Im
Klartext: Fischer (und Co.) waren die deutsche Notwendigkeit, um
kriegsfähig zu werden und nun zu sein.
Apropos "kriegsfähig": Eine "Konsequenz" der europäischen Regierungen
aus der deutlichen militärischen Dominanz der USA beim NATO-Krieg sind
nun eine Militarisierung der Europäischen Union und ein europäisches
Aufrüstungsprogramm für den Weltraum.
Strukturelle Gewalt ist m.E. das richtige Stichwort für die derzeit
eskalierende Situation in Israel und den besetzten palästinensischen
Gebieten. Alles sieht danach aus, daß der "low intensity conflict" zum
Krieg wird. Eine Kritik aus der hiesigen Friedensbewegung und kritischen
Friedensforschung an der "Belagerung" (so der neue US-Aussenminister
Colin Powell) besetzter palästinensischer Gebiete und ihrer
BewohnerInnen durch israelisches Militär und den regelmäßigen
Völkerrechtsbrüchen der israelischen Regierungspolitik ist überfällig.
Klare Worte dazu - wie z.B. die Forderung nach vollständigem
israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten - findet in diesem Heft
Uri Avnery, der bekannte israelische Publizist und Mitglied der
Friedensgruppe Gush-Shalom.
Während ich diese Zeilen schreibe, hat der neue US-Präsident George W.
Bush einen "Bombeneinstand". Ziele in der Nähe von Bagdad wurden von den
USA und Großbritannien angegriffen, mit der scheinheiligen Begründung
der Verletzung der (völkerrechtswidrigen) Flugverbotszone. Dass
Russland, China, die arabischen Staaten, und viele andere, darunter
Frankreich, den Luftangriff scharf kritisieren, ist völlig berechtigt.
Das Verhalten der deutschen Regierung dazu - namentlich von Fischer und
Schröder - ist nur noch jämmerlich zu nennen. "Wir haben die USA nicht
zu kritisieren", ein neues Unwort des Jahres?
"Die Welt" schreibt zu den Bombenangriffen auf den Irak: "Der Angriff
als erste sichtbare Regierungshandlung setzt ein Signal, das alle
verstehen sollen". Weiter heißt es: "Man muss auf allerhand gefaßt sein,
denn es geht nicht nur um den Irak: Die Weltpolitik nimmt eine neue
Wendung."
Wie man sieht, eine gefährliche Wende hin zu einer "Machtpolitik pur".
Hier ist Protest und Widerstand notwendig. War sonst der NATO-Krieg
gegen Jugoslawien nur der Vorbote zukünftiger Kriege?

Tobias Pflüger