Verfassungsgericht rügt Praxis des Asylbeauftragten

Es geschieht nicht häufig, daß Gerichte ein Urteil dazu nutzen, eine für rechtswidrig erachtete Behördenpraxis zu rügen, die nicht unmittelbar Gegenstand des jeweiligen Gerichtsverfahrens ist. Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat im Dezember 2000 eine solche Gelegenheit ergriffen und dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten eine hörbare Ohrfeige verpaßt.

Der Asylbeauftragte ist eine dem Bundesinnenministerium unterstehende Behörde, die als juristisches Korrektiv gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fungieren soll und gegen dessen Entscheidungen klagen kann. In der Praxis nutzt der Asylbeauftragte diese Möglichkeit seit Jahren nahezu ausschließlich und bis vor kurzem auch mit Rückhalt der jeweiligen Innenminister, um gegen Bescheide vorzugehen, die die Anerkennung von Asyl oder Duldung des Aufenthaltes aussprechen. So auch in dem Verfahren eines kurdischen Ehepaares aus der Türkei, dem Abschiebungsschutz nach §§ 51, 53 Ausländergesetz gewährt worden war. Der entsprechende Bescheid war dem Asylbeauftragten zunächst am 14. Dezember 1994 formlos zugestellt, von diesem aber offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen worden. Nach einer erneuten, diesmal förmlichen Zustellung am 21. Dezember 1995 erhob der Asylbeauftragte umgehend Klage gegen die Gewährung des Abschiebungsschutzes.

Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt, weil es für die Berechnung der Klagefrist nur die zweite förmliche Zustellung berücksichtigte. Die Zustellung ein Jahr zuvor, deren Zugrundeliegen u.U. zu einem Abweisen der Klage wegen Verwirkung hätte führen können, ließ das Gericht trotz entsprechenden Vorbringens des Ehepaars außer Betracht. Das BVerfG hob das Urteil deshalb wegen Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör auf.

In dem Verfahren führte der Asylbeauftragte aus, nach der Praxis des Bundesamtes würden anerkennende Bescheide immer förmlich und unter Beifügung der Akten zugestellt, damit ggf. schnell ein Einschreiten zum Nachteil der AsylbewerberInnen möglich sei. Dagegen würden ablehnende Bescheide des Bundesamtes lediglich formlos zugestellt und nur unter besonderen Umständen überhaupt zur Kenntnis genommen. Da in dem konkreten Fall von dieser Praxis abgewichen worden sei, hätte der Asylbeauftragte die Anerkennung nicht zur Kenntnis nehmen müssen.

Das Amtsverständnis, das sich hinter dieser jahrelangen und massiv zum Nachteil der AsylbewerberInnen gereichenden Behördenpraxis verbirgt, ist offensichtlich selbst der Kammer des BVerfG so sehr aufgestoßen, daß sie am Ende des Beschlusses mit deutlichen Worten darauf hinweist, "die zu beobachtende einseitige Praxis des Bundesbeauftragten, nur zu Lasten der Asylbewerber gegen ganz oder teilweise stattgebende behördliche oder gerichtliche Entscheidungen vorzugehen (...), [werde] dem gesetzgeberischen Auftrag nicht gerecht".

Quelle: BVerfG, 2 BvR 143/98, vom 19.12.2000, www.bverfg.de/entscheidungen/