Die produktiven Kräfte des Kapitalismus und das Programm der PDS

Die Analyse der historischen Entwicklungsprozesse kapitalistischer Produktivkraftentwicklung als notwendige Voraussetzung einer sozialistischen Programmdiskussion.

Geht man von einer marxistischen Sicht auf die Geschichte und ihre Epochen aus, so bilden die gesellschaftlichen Produktivkräfte das revolutionäre, vorwärtstreibende Element. Ausgerechnet in dieser, für eine Prognose über künftige Gesellschaft offensichtlich bedeutsamen Frage scheint es aber - wenn man dem anregenden Beitrag von Dietmar Wittich in UTOPIE kreativ, Nr. 128 (Juni 2001) folgt - konfuse Vorstellungen zu geben. Das allerdings wäre nicht verwunderlich. Es ginge dabei eindeutig um eine Erblast stalinistischen Denkens. Der Diktator selbst ließ die führenden Wissenschaftler, die sich in der jungen Sowjetunion mit der Geschichte der Produktivkräfte befaßten, kurzerhand umbringen, wie vor einiger Zeit in UTOPIE kreativ zu erfahren war. In der DDR gehörte die Wirtschaftsgeschichte nicht einmal zum gesicherten Bestand der Ausbildung von marxistischen Historikern. Die sehr lange, nur beiläufig betriebene, lediglich aus privater Initiative erwachsene Beschäftigung speziell mit der Geschichte der Produktivkräfte wurde hier zwar nicht blutig, aber ebenfalls schamlos unterdrückt, sobald sie zu Ergebnissen kam, die dem herrschenden Regime nicht ins Konzept paßten, mochten sie für den sozialistischen Versuch noch so wichtig sein.

Die Produktivkräfte in ihre Komplexität verstehen

Das brisanteste Problem bestand darin, wie die gesellschaftlichen Antriebe der Produktivkraftentwicklung in ihrer Wirksamkeit im Kapitalismus verstanden wurden und werden. Hier liegt aus meiner Sicht auch der Schlüssel für ein brauchbares Programm einer Partei wie der PDS. Geht es doch beim Sozialismus, was immer im einzelnen darunter verstanden werden mag, vor allem darum, die Entfaltung der produktiven Kräfte der Gesellschaft zu optimieren. Und das, so meinen manche Linke, sei an wenigstens teilweise gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln gebunden.

Die Anerkennung von Profitstreben und Konkurrenz als erstrangige Triebkräfte im Kapitalismus versteht sich von selbst. Beide sind zu beachten, auch wenn sie im folgenden Text nicht weiter erörtert werden. Daneben nahm Marx aber schon seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts das Ringen der Arbeiter um die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen als in bestimmter Hinsicht noch wirksameren Faktor wahr. Am ausführlichsten äußerte er sich dazu im ersten Band seines Hauptwerkes. "Sobald die allmählich anschwellende Empörung der Arbeiterklasse den Staat zwang, die Arbeitszeit gewaltsam zu verkürzen und zunächst der eigentlichen Fabrik einen Normalarbeitstag zu diktieren, von diesem Augenblick also, wo gesteigerte Produktion von Mehrwert durch Verlängerung des Arbeitstags ein für allemal abgeschnitten war, warf sich das Kapital mit aller Macht und vollem Bewußtsein auf die Produktion von relativem Mehrwert durch beschleunigte Entwicklung des Maschinensystems" (Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, in: MEW, Bd. 23: 432). Und ein paar Seiten weiter heißt es: "Man könnte eine ganze Geschichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloß als Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeitermeuten ins Leben traten" (MEW, Bd. 23: 459).

Die stalinistischen Regimes hatten mit der Beseitigung des Gewinnstrebens und der Entmündigung der Gewerkschaften faktisch alle bisherigen gesellschaftlichen Triebkräfte, die gemeinsam gigantische wissenschaftlich-technische Entwicklungen hervorgebracht hatten, ausgeschaltet, ohne sie durch neue ersetzen zu können. Echte gesellschaftliche Triebkräfte wirkten in diesen Staaten nur indirekt, von außen. Entsprechend gestaltete sich ihr technisches Potential, besonders drastisch ablesbar an der späten UdSSR. Bei signifikanter Rückständigkeit in der Produktionstechnologie, bei Dienstleistungen, in Konsumgüterindustrie und Landwirtschaft verfügte sie lediglich für das Militär und benachbarte Bereiche über eine hochentwickelte Technik. Die zitierten Aussagen von Karl Marx veranschaulichen, daß der gesamte Kampf der Arbeiter, soweit er den Mehrwert beschneidet, das einzelne Kapital im Konkurrenzkampf dazu zwingt, diesen Verlust durch Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit, in der wertmäßig das Äquivalent für die Arbeitseinkommen geschaffen wird, auszugleichen. Lohnerhöhungen, Beiträge zu Sozialversicherungen der Arbeiter und Angestellten, Maßnahmen für den Arbeitsschutz, die Ausschaltung besonders niedrig bezahlter Lohnarbeit und ähnliches können ebenfalls, weil sie den Mehrwert verringern, in diese Richtung wirken. Ganz gefährlich kann es für die Existenz als Unternehmer werden, wenn abhängig Beschäftigte um politische Ziele kämpfen, die den Fortbestand des Kapitalverhältnisses überhaupt in Frage stellen. Das erfordert gegebenenfalls sehr schnell entsprechende Zugeständnisse an Arbeiter und Angestellte.

Alle Formen des Kampfes der Arbeiter und Angestellten für ihre sozialen Interessen tragen im Kapitalismus außerordentlich dazu bei, die Entwicklung der Produktionstechnik im weitesten Sinn, die zunehmend naturwissenschaftlich fundiert werden mußte, zu fördern. Dieser Kampf steckt seit der industriellen Revolution sozusagen den Rahmen, das Feld ab, auf dem Profitstreben und Konkurrenz wirken.

Soziale Kämpfe als Meilensteine der Produktivkraftentwicklung

Verfolgt man die Geschichte der sozialen Kämpfe, so tritt ihre Wirkung auf die Entfaltung produktiver Kräfte offen zutage. Waren es zunächst die englischen Arbeiter, die vor allem Druck auf die Verkürzung des Arbeitstages und die Limitierung von Frauen und Kinderarbeit ausübten, wirkte in den USA das entstehende Proletariat vor allem durch seine Knappheit. Der Mangel an Lohnarbeitern führte dort zu besonders hohen Löhnen, die die Unternehmer zu technischen Neuerungen drängten, um Arbeitskräfte einzusparen. Die Produktivkraftentwicklung auf dem europäischen Kontinent wurde insbesondere über die Konkurrenz der englischen Exporte angestoßen.

In Deutschland, das für einige Zeit Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zum Zentrum der Arbeiterbewegung wurde, erkämpften vor allem zielstrebige Gewerkschaften und die deutsche Sozialdemokratie soziale Neuerungen, die ihrerseits in andere europäische Länder ausstrahlten. Das gilt insbesondere für die unter der Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht erzwungene Sozialgesetzgebung Bismarcks, deren Beiträge Arbeiter und Unternehmer gemeinsam zu fast gleichen Teilen trugen. Bis um 1900 erreichten die deutschen Arbeiter außerdem steigende Reallöhne und von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis um 1913 einen merklichen Rückgang der Arbeitszeit in der Industrie. Außerdem forderte die deutsche Arbeiterbewegung über Jahrzehnte als einzige gesellschaftliche Kraft eine Verbesserung der Volksbildung.

Parallel dazu vollzog die deutsche Industrie einen enormen Aufschwung insbesondere im Maschinenbau und in den jungen, in besonderem Maße naturwissenschaftlich fundierten Zweigen. Die deutsche elektrotechnische, feinmechanisch-optische und die chemische Großindustrie sowie der Maschinenbau erlangten nicht nur Weltgeltung, sondern Deutschland löste England, das zuvor jahrzehntelang, viele Jahre mit geradezu riesigem Vorsprung, die Hauptquelle des technischen Fortschritts gewesen war, als Vorhut bei der Entwicklung der Produktivkräfte ab.

Soziale Verbesserungen stimulieren die Entfaltung produktiver Kräfte

Marxistische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen dem Erkämpfen sozialer Verbesserungen und der Beschleunigung des technischen Fortschritts sind außerordentlich rar. Dafür bot offensichtlich die stalinistische Sicht der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte kaum Raum. Vom so gut wie völligen Fehlen dieses Ansatzes zeugen aus der DDR insbesondere die achtbändige Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (1967) und, das ist besonders bedauerlich, die drei, im übrigen sehr faktenreichen Bände Produktivkräfte in Deutschland (1800 - 1945) (1988).

Die achtbändige Ausgabe erscheint bei allen nützlichen Aussagen aus dieser Sicht als Torso, ohne marxistische Füße, geschrieben mit einem fest verbundenen Auge. Für den Dreibänder wurde diese Fragestellung sogar grundsätzlich ausgeschlossen. Schriften, die unter der Regie der Bundesanstalt für politische Bildung zur Geschichte der Tarifautonomie verfaßt wurden, deuten solche Zusammenhänge schon für das 19. Jahrhundert immerhin an.

Generell weisen die folgenden Vorgänge darauf hin. Im Gegensatz zur Industrie des Landes blieb das technische Niveau der deutschen Landwirtschaft, wo es kaum effektive Kämpfe um die Verkürzung des Arbeitstages, höhere Löhne und andere soziale Fortschritte gab, hinter führenden Ländern auf diesem Gebiet - das waren damals besonders die USA - zurück. Ein Hauptziel der Mächtigen des deutschen Kaiserreiches lief zu dieser Zeit mit ihrem Streben nach Vorherrschaft in der Welt objektiv darauf hinaus, die damals noch weitgehend wehrlosen Arbeitskräfte in Kolonien auszubeuten.

In den USA wirkte der Mangel an Arbeitskräften im Verhältnis zur Nachfrage seitens der Industrie, des Verkehrswesens und auch der Landwirtschaft noch lange weiter. Dazu kam schließlich auch dort die Aktivität von Gewerkschaften. Es ist daher kein Zufall, daß gerade die USA zum Ausgangspunkt eines wissenschaftlichen Arbeitsstudiums wurden. Diese Studien führten zum Taylor-System (der Zerlegung von manuellen Arbeiten in Einzelvorgänge, die jeweils besonderen Arbeitskräften zugewiesen wurden) und für die Montage von vielseitig zusammengesetzten Erzeugnissen unter anderem zum Ford-System mit dem Fließband als Kernstück. Im Maschinenbau begann die Ablösung des Werkstattprinzips durch die Fließfertigung. Anstatt bestimmte Arbeitsmaschinen in bestimmten Räumen (Werkstätten) aufzustellen, wurde damit begonnen, sie entsprechend der Abfolge der Arbeitsgänge bei der Herstellung der einzelnen Erzeugnisse anzuordnen.

Natürlich griff das Kapital zu diesen Mitteln, wie Marx das grundsätzlich gezeigt hat, um den relativen Mehrwert durch Intensivierung der Arbeit zu erhöhen und Arbeitszeit einzusparen. Lenin nannte das Taylor-System eine Methode "raffiniertester" Ausbeutung, sah aber zugleich seinen rationellen, generell nützlichen Kern. Aus der Sicht der Nachgeborenen ergibt sich, daß diese Arbeitsstudien und ihre ersten Folgen Ausgangspunkte wesentlicher Fortschritte der gesellschaftlichen Produktivkräfte waren. Sie führten vor allem zu zunehmend einfacheren Arbeitsgängen und so an deren Mechanisierung und spätere Automatisierung heran.

In Deutschland wurde die kapitalistische Praxis jener Arbeitsstudien relativ schlagartig nach 1918 übernommen. Den Anstoß dazu gaben die Zerrüttung der Wirtschaft im Ersten Weltkrieg, die von den Westmächten diktierten Nachteile Deutschlands auf dem kapitalistischen Weltmarkt in dieser Zeit und noch mehr die Novemberrevolution. Um angesichts des russischen Oktober von 1917 den Fortgang der Revolution in Deutschland zu verhindern, wurden im Eilverfahren längst überfällige Forderungen breiter Bevölkerungsschichten verwirklicht - vor allem wurde, und das ist im vorliegenden Zusammenhang besonders wichtig, über Nacht der von den Arbeitern seit Jahrzehnten, und inzwischen auch von Angestellten geforderte Achtstundentag gesetzlich festgeschrieben. Nun wird auch für Deutschland in den Quellen der Geschichtsschreibung der Kampf von Arbeitern und Angestellten als mächtiger Antrieb der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus unmittelbar offensichtlich.

Sehr viele Unternehmen wandten sich aus existentiellen Gründen gegen die kürzere Arbeitszeit, besonders Firmen mit technisch bedingt durchgehendem Betrieb wie Hüttenwerke, wo noch zehn und sogar zwölfstündige Schichten von Teilen der Belegschaften gefordert wurden. Nach dem Abklingen der revolutionären Nachkriegskrise fanden sie auch offiziell Gehör. Ab 1924 mußte wieder mehr als die Hälfte der deutschen Arbeiter in der Industrie "bei grundsätzlicher Beibehaltung des Achtstundentags" länger arbeiten, teilweise bis 1928, dem Vorabend von Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Begründet wurde dies mit technischen Neuerungen in den Betrieben, die für die kürzere Arbeitszeit erst erbracht werden müßten. Tatsächlich waren jene Jahre, insbesondere die Periode der kapitalistischen Rationalisierung von 1924 bis 1928/29, nicht nur durch mehr oder weniger ausgeklügelte Lohnsysteme gekennzeichnet, sondern ebenso durch wissenschaftlich-technische Fortschritte, die die Produktivität der Arbeit steigerten. Sie waren jetzt vor allem verbunden mit dem Siegeszug der elektrischen Antriebe, der weiteren Chemisierung, neuen Stahlsorten für eine effektivere Metallverarbeitung beim Drehen und Fräsen usw.

Alles das spricht von rasanten Fortschritten der Produktivkräfte in der ganzen Zeit des Industriekapitalismus, an deren Triebkräften die Arbeiter und mit ihrer Entstehung als soziale Schicht auch die Angestellten als selbständiger Faktor unübersehbar beteiligt waren. Sie steckten wirklich das Feld ab, auf dem Profitstreben und Konkurrenzkampf wirken. Und, das ist in der laufenden Programmdiskussion besonders beachtenswert, diese Fortschritte, gerade oder auch solche, die unmittelbar im Zusammenhang mit Forderungen und Kämpfen von Arbeitern und Angestellten durchgesetzt werden mußten, wurden mit Hilfe des bürgerlichen Staates verwirklicht, von einem wirksameren Arbeitsschutz seit 1833 in England über die Einführung des Zehn-Stunden-Tages 1847, die deutsche Sozialgesetzgebung Bismarcks bis zum Acht-Stunden-Tag in Deutschland 1918.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand dieser Prozeß seine Fortsetzung namentlich unter dem Eindruck des außerordentlichen Beitrags der Sowjetunion zur Befreiung Europas vom deutschen Faschismus und auch Ostasiens vom Terrorregime Japans. Dazu kam die relativ schnelle Erholung der Sowjetunion von ihren riesigen Verlusten an Menschen und ökonomischem Potential. Mit Unterstützung der Sowjetunion erreichte die nationale Befreiungsbewegung ihren Durchbruch. Das hat die Welt tiefgreifend verändert.

Daß neue gesellschaftliche Entwicklungen nach 1945 eine bisher unbekannte Schubkraft auf die Produktivkräfte ausübten, zeigt nicht nur der technologische Aufschwung Japans und der Bundesrepublik, hier ebenso nicht von ungefähr verbunden mit wesentlichen Ergebnissen gewerkschaftlicher Kämpfe. In sehr großen Teilen der übrigen Welt vollzogen sich entsprechende Wandlungen. Die in Ländern wie den USA, der BRD oder England heute sehr gern gesehene, ja umworbene Tätigkeit zehntausender Fachleute aus Indien, China oder Pakistan spricht Bände. Welch ein Aufbruch in der Welt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, und zwar an der Wurzel des historischen Geschehens, beim Fortschritt der Produktivkräfte.

Die produktive Wirkung destruktiver Kräfte

Mancher wird an dieser Stelle einwenden, daß die Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus nicht zuletzt durch Entwicklungen im militärischen Bereich vorangetrieben wird, die aus der imperialistischen Konkurrenz kapitalistischer Staaten erwachsen. Das ist wahr. Die tiefste Ursache des modernen Militarismus besteht darin, daß mit steigender Produktivität der Arbeit vorwiegend zugunsten des relativen Mehrwerts der Anteil der notwendigen Arbeitszeit für Löhne und Gehälter an der gesamten Arbeitszeit zurückgeht. Damit geht aber zugleich der weitaus größte Teil der kaufkräftigen Nachfrage nach Angeboten für den friedlichen Bedarf im Verhältnis zum Gesamtumfang der Produktion zurück. Teile des Kapitals drängen daher verstärkt in solche Bereiche, als deren Abnehmer der von Steuern lebende Staat fungiert. Die höchsten Profite, allerdings nur für wenige Unternehmen, verspricht dabei ein Einstieg in die Rüstung.

Darin besteht die grundsätzliche, am tiefsten greifende Ursache für die heute noch immer wahnwitzig hohen Rüstungsausgaben. Solange jedoch die Produktion von zivilen Gütern den Profit sicherstellt, ist die Bedeutung der Rüstungsindustrie eher gering. In der Zeit der industriellen Revolution in England und noch lange darüber hinaus spielte die Rüstung für den technischen Fortschritt so gut wie keine Rolle. Die Erfindung des Maschinengewehrs zum Beispiel erfolgt erst viele Jahrzehnte nach der des ihm gut vergleichbaren mechanischen Webstuhls. Die Produktion und der Absatz nicht irgendwelchen Kriegsgeräts, sondern billiger Massenware, war der Hebel, mit dem das Aufkommen des Maschinenbaus in Bewegung gesetzt wurde. "Kattun" als Zauberwort der industriellen Revolution verweist zugleich auf die entscheidende Rolle der Kaufkraft der Masse der Bevölkerung im Verhältnis zum Wert der gesamten Produktion für eine nicht vom Militarismus dominierte Wirtschaft.

Seit dem ausgehenden 19. und ganz offensichtlich im 20. Jahrhundert wurden hingegen die Rüstung, vor allem die direkte Kriegsvorbereitung und Kriege selbst zum Ausgangspunkt technischer und wissenschaftlich-technischer Neuerungen, eingeschlossen sogar das Aufkommen neuer Konsumgüter wie zum Beispiel synthetischer Faserstoffe. Auch die Anfänge des Computers oder der Beginn der Spektroskopie im Zusammenhang mit dem Bau der Atombombe gehören hierher.

Können Destruktivkräfte eingedämmt werden?

Bei der Rüstung handelt es sich demnach um einen Antrieb der Produktivkraftentwicklung, der im fortgeschrittenen Industriekapitalismus generell wirkt. Wenn dem so ist, gehört dann in das Programm der PDS nicht grundsätzlich und auf einen Vorzugsplatz die Forderung, das kapitalistische Gesellschaftssystem auszuschalten, wenigstens zu einem bestimmten Teil?

Darauf kann zunächst geantwortet werden, Arbeiter und Angestellte tragen durch ihre berufliche Tätigkeit und ihre sozialen und politischen Kämpfe im Kapitalismus objektiv wesentlich dazu bei, daß sich der Drang zur (Hoch)Rüstung verstärkt. Sollte es ihnen dann nicht auch möglich sein, die damit verbundenen Gefahren, auch Rüstungen und imperialistische Kriege, im Rahmen des Kapitalismus abzuwenden? Möglichkeiten, beide Weltkriege dieses Jahrhunderts zu verhindern, waren durchaus gegeben. Sie bestätigen auch in der Frage Krieg oder Frieden, daß der Kampf von Arbeitern und Angestellten das Feld absteckt, auf dem Profit und Konkurrenz agieren können. Wenn ihre Organisationen allerdings versagten, hatten das ungezügelte Rüstungskapital und extrem konservative politische Kräfte die Chance, größtes Unheil heraufzubeschwören. Sie taten das in Deutschland zweimal, auch auf die Gefahr hin, das eigene Volk und sich selbst in die Katastrophe zu stürzen.

Trotz des in den industriell entwickelten Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg erneut starken relativen Rückgangs der Kaufkraft sind seitdem weitgehend neue, günstigere Bedingungen dafür entstanden, diese Auseinandersetzungen in humanere Bahnen zu lenken und zu entsprechenden Ergebnissen zu gelangen. Schon die Verhinderung eines weiteren Weltkrieges nach 1945 spricht dafür. Sie hat es zudem ermöglicht, die internationale Öffentlichkeit für grundlegende soziale Ungerechtigkeiten wie das Nord-Süd-Gefälle und Gefahren wie die Umweltverschmutzung, die Verdrängung gesünderer Lebensmittel durch minderwertige gerade in entwickelten Ländern, ähnliche Vorgänge im Arzneimittelsektor und natürlich für den Rüstungswahnsinn zu sensibilisieren. Zu den positiven Ergebnissen dieses Prozesses gehören die erfolgreichen Schritte zu wirksamen Verträgen zur Begrenzung der strategischen Rüstungen zwischen der Sowjetunion/ Rußland und den USA.

Daß es in Europa nicht gelang, den sogenannten realen Sozialismus von Grund auf zu reformieren, ist bedauerlich. Es gelang aber in Asien. Die Volksrepublik China muß mit der massenhaften Rückkehr privater Handwerker, Dienstleister der verschiedensten Art, Unternehmer und der Einbeziehung auch sehr großen privaten Kapitals in ihr gesellschaftliches System sowie der massenhaften Ausgabe von Kleinaktien keineswegs zum Kapitalismus zurückkehren wie das westliche Medien hilflos verkünden, schon gar nicht zu einer derart aggressiven und militanten Variante, wie sie besonders in Deutschland ausgeprägt wurde und sich heute in den USA gebärdet. Die in China seit Deng eingeschlagene Richtung entspricht vielmehr den hier angesprochenen Lehren der Geschichte seit der industriellen Revolution. Sie macht für die Entwicklung der Produktivkräfte des Landes alle gesellschaftlichen Triebkräfte wirksam, die seitdem gewirkt haben.

Zu dieser heute sehr wahrscheinlich hoffnungsvollsten Potenz für weitere gesellschaftliche Fortschritte kommt das selbständige Drängen der Völker und Staaten Süd und Vorderasiens, Lateinamerikas und Afrikas, sich endlich gleichberechtigt und frei von Demütigungen und finanzieller Abhängigkeit entwickeln zu können. Das ist nur im Frieden möglich. Und dieser weltweite Aufbruch, den es in solcher Breite, Bewußtheit und auch Organisiertheit bisher nicht gegeben hat, besitzt alle Voraussetzungen dafür, sich weiter durchzusetzen.

Programmatisches Fazit

Der PDS muß es an ihrem Platz vor allem darum gehen, namhaft zu sozialen, kulturellen und zivilisatorischen Fortschritten und zum Frieden in der Welt beizutragen. Alle diese Ziele sind nicht voneinander zu trennen. In der Bundesrepublik bedarf es dazu keiner neuen Verfassung. Vielmehr geht es hier darum, die vorhandene zu verteidigen und ihre konsequente Einhaltung insbesondere gegen politische Gesetzesbrecher und Rüstungsprofiteure durchzusetzen. Diese Verfassung gibt auch genügend Spielraum dafür, Kapital und Arbeitskräfte, die für das allgemeine Wohl nicht nur sinnlos, sondern regelrecht unmenschlich zur Produktion von Rüstungen eingesetzt sind, in gesellschaftlich nützliche Bereiche umzuleiten, selbst im Interesse der Eigner solchen Kapitals. Nur muß beharrlich darum gerungen und wenn nötig gekämpft werden! Das lehrt die ganze Geschichte des so hoffnungsvoll und so mörderisch abgelaufenen 20. Jahrhunderts. Wissen über die angesprochenen Zusammenhänge gehört zweifellos zu den Voraussetzungen dafür zu verhindern, daß der zunehmend gewaltigere Strom produktiver Potenzen immer wieder fehlgeleitet wird und bei vermeintlich passenden Gelegenheiten verheerend über die Ufer tritt.