Editorial

Editorial Heft 242

Als eine US-Firma die Klonung eines menschlichen Embryos bekanntgab, war der diskursive Teufel los. ‘Der erste geklonte menschliche Embryo stellt die MachtfrageÂ’, tönte Frank Schirrmacher im FAZ-Feuilleton, das er, auf dem Höhepunkt des Spekulationsfiebers am ‘Neuen MarktÂ’, nach ‘schlangenhaftem Abstreifen der alten DiskurshautÂ’ (Raulff) zum ‘Organ der neoliberalen RevolutionÂ’ gemacht hat, wo ‘die Durchkapitalisierung des Internet und der Gentechnologie als neue Gründerzeit gefeiertÂ’ wird. Seither wird das gefährliche Feuer dort zugleich geschürt und eingesperrt, letzteres zunehmend unterm Eindruck der Krise und Kritik am Experimentieren mit Stammzellen menschlicher Embryos.
Obwohl es jetzt um therapeutisches Klonen ging, das es einer künftigen reproduktiven Medizin ermöglichen soll, aus körpereigenen Zellen des kranken Individuums Gewebe zu züchten, erging sich Schirrmacher in düsteren Andeutungen: ‘Nicht nur Afghanistan ist eine Wüste.Â’ Das verknüpfte die Terroranschläge vom 11. September mit dem Widerstand gegen das Experimentieren mit menschlichen Stammzellen: ‘Während die Zivilisationen des Westens (!) in Afghanistan einen Krieg führen, um zu verteidigen, was sie sind, wurden in ihren Laboratorien Dinge erforscht, die imstande sind, unser moralisches und soziales Weltbild zu überrollen. Es könnte sein, dass manche von uns aus dieser wissenschaftlich-technischen Revolution so erwachen, wie die Taliban in der Moderne erwacht sindÂ’. Diese Rhetorik wird von ihrem Ungedachten wie von einem schlechten Gewissen umgetrieben. Was Sartre vom Menschen sagte, er sei, was er nicht ist, und sei nicht, was er ist, gilt gewiss vom Feuilleton der FAZ. Es ist zugleich die Klage über die Folgen im Organ der Ursache und die anfeuernde Begleitmusik zum Beklagten. Es ist, was Marx vom Kleinbürger gesagt hat, ein zusammengesetzter Widerspruch. Es praktiziert eine bizarre Zusammensetzung, aber nicht, wie in Gramscis Analyse des Alltagsbewusstseins, in Folge einer hinterrücks erfolgenden Vergesellschaftung, sondern als strategisches Rezept derselben, nicht passiv, sondern aktiv. Als rings in Europa Hunderttausende von Tierkadavern brannten, wurde hier unter der Flagge des Lebensschutzes das Dogma verteidigt, im Moment der Befruchtung einer menschlichen Eizelle geschehe das Schöpfungswunder der Person. Ein paar Seiten oder Tage weiter las man das Gegenteil.
Was man nicht nur in der FAZ nicht liest, ist die Zusammensetzung der zerstückten Wirklichkeit über die Segmente von Wissenschaft, Technik, Moral, Religion und Kunst hinaus. Aktuellen Aspekten dieser Aufgabe widmet sich das vorliegende Heft. Geburt des Biokapitalismus, an Foucaults Geburt der Klinik anklingend, meint die sich beschleunigende ‘Verschmelzung von Biowissenschaft und InformatikÂ’ (Haraway), doch als Dimension des transnationalen High-Tech-Kapitalismus.
II
Das Feld der Technikkritik wird von rechts und von links besetzt. Linke Kritik richtet sich gegen die kapitalistische Indienstnahme von Technik mit nachfolgender Ressourcen- und Naturzerstörung -- dieses Engagement war das Gründungsmotiv der Grünen vor gut zwanzig Jahren; die "moralische Rechte" kämpft gegen "Eingriffe in die Natur"; sie hat eine lange Tadition und hat in den letzten 30 Jahren des 20. Jh. zunehmend in Anti-Abtreibungs- und Sexualkampagnen einen historischen Block gebildet, der bei der Grenzbestimmung des sich ausbreitenden Biokapitalismus auf eine Weise mitredet, die den Vordergrund spektakulär beherrscht oder allenfalls mit der Kriegsberichterstattung teilt, während im Hintergrund bas in der technischen Modifikation des Lebens Anlage suchende Kapital eine Zukunftsweiche nach der andern stellt. -- In den Vereinigten Staaten gehört jene moralische Rechte zu George Bushs Wählerpotenzial und ließ von daher eine der ersten politischen Entscheidungen für oder gegen Stammzell-Forschung zu einer existenziellen Prüfung werden, deren Meisterung in der Offensive bestand, zugleich die große Anzahl weltweit vorhandener Stammzelllinien zu veröffentlichen und dieses "Kapital" wiederum als Möglichkeit zur Absage an weitere Forschungsexpansion zu nutzen.
Die Gegenposition wird ebenfalls von entgegengesetzten Bestrebungen vertreten. Hoffnung auf Befreiung von schweren Krankheiten, Hunger, Hinausschiebung des Todes kann in Dienst genommen werden von einer Art Fundamentalaffirmation der Ausschöpfung technischer Möglichkeiten. Von einer gesicherten Ernährung der Menschheit bis hin zur Herstellung "fehlerloser" Kinder werden an die Entzifferungen von Genomen hohe Erwartungen geknüpft. Wie bei der Informationstechnologie vermischen sich spekulative Phantasien und Science-Fiction in einer neuen Gründerzeitstimmung. Biowissenschaften entwickeln sich innerhalb von Kooperations- und Konkurrenzverhältnissen von öffentlicher und halbprivater Grundlagenforschung. Damit wird das Feld, auf dem um Resultate "allgemeiner" Arbeit in Form gesellschaftlich zugänglichen Wissens gestritten wird, um eine Reihe von Rechtsproblemen (insbesondere im Patentrecht) erweitert.
Die Kräfteverhältnisse bei der Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse privilegieren marktförmige und wachstumsversprechende Formen der Bearbeitung ökologischer Probleme. Dies hat sich bereits bei der Abfallentsorgung gezeigt und gilt auch für die Zertifikatlösungen im Rahmen der Klimaverhandlungen. Umweltpolitische Regelungen müssen dabei nicht im Widerspruch zu neoliberaler Hegemonie stehen, vielmehr kann ihre spezifische Form als Element staatlicher Wettbewerbspolitik zur ökologischen Modernisierung (Mikroben zur Ölvertilgung, Reduktion chemischer Schädlingsbekämpfung usw.), zur Entwicklung neuer Produkte und zur Erschließung neuer Märkte wirken.
Während in den Sozialwissenschaften mit jeder Form von Determinismus aufgeräumt worden ist bis hin zur Verkündung der Unmöglichkeit, gesellschaftstheoretische Aussagen im Großen machen zu können, entsteht auf der anderen Seite bei den Biowissenschaften ein genetischer Determinismus, der insbesondere in seiner vulgarisierten Form eine ganze Reihe sozialer Problematiken durch Verknüpfung mit genetischer Ausstattung neuerlich zu naturalisieren versucht. Er pathologisiert unangepasstes Verhalten und individualisiert gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit und Krankheit.
III
Angst macht dumm, gilt auch im Verhältnis zur Biotechnologie. Wir leben mit einer Vielzahl biotechnischer Eingriffe in menschliches Leben, angefangen von Impfungen gegen Seuchen, Indienstnahme von tierischen Hormonen bis hin zu Transplantationen und seit Jahrzehnten mit "künstlich" gezeugten Kindern. -- Millionen jährlich verhungernder und an heilbaren Krankheiten sterbender Kinder der sog. Entwicklungsländer können die Bevökerung der kapitalistischen Zentren und ihre Regierungen ebensowenig zu einem Kurswechsel bewegen, wie es Organraub, also die Ausweidung lebendiger Menschen zugunsten reicher Kranker tut. Aber eben diese Bilder besetzen als medial vermittelte das Imaginäre, das bei der Diskussion um die Stammzellforschung sich nun desto empörter auflehnt, je mehr es sich ans Elend der übrigen Welt gewöhnt hat.
Die Empörung heftet sich an das emotional aufgeladene Wort "Embryo", das die Möglichkeit, ein erwachsener Mensch werden zu können, verspricht. Die mit jener Nachricht von der Klonung verbundene Beschwörung therapeutischer Zwecke konnte nicht mehr als Weiterentwicklung der Transplantation von Haut von einer gesunden Stelle zu einer kranken beim selben Patienten aufgefasst werden. Die Dazwischenkunft des Wortes Embryo für die Möglichkeit der Zellen, zu wachsen und sich zu verwandeln, mobilisiert die Bilder von Menschen als Ersatzteillagern, gefolterten Kindern, skrupelloser Nutzung, Gewalt, die im Bewusstsein abgelagert sind, ohne in ihrem realen Kontext zum Aufruhr bewegt zu haben. Sie verbinden sich mit dem allgemeinen Nicht-wirklich-Wissen, wie Embryos zustandekommen, unter welchen Zufällen, Gewalt, Nicht-wollen, Auslieferung, die vornehm als "Wunder", als "Fügung", "Schöpfung" hingenommen werden.
Gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Kämpfe um den Einsatz von Biotechnologien finden global statt: gegen den Zwang zur Nutzung gentechnisch-veränderten, hybriden Saatguts durch das transnationale Agrobusiness; gegen die Patentierung heimischer Pflanzen durch Konzerne aus den Industriestaaten; gegen übereilte Freilandversuche mit transgenen Pflanzen und die genetische Manipulation von Lebensmitteln; gegen den Einsatz genetischer Tests von Kranken und Arbeitnehmern; gegen genetische Auslese und Euthanasie; gegen Experimente an Embryonen. Die Kämpfe reichen von lokalen Protesten bis zu Auseinandersetzungen innerhalb der WTO.
Einer der zentralen Kritikpunkte der Demonstranten in Seattle 1999 waren die Bestrebungen der USA, eine weite Auslegung des TRIPS-Abkommens zum Schutz geistigen Eigentums auf dem WTO-Gipfel durchzusetzen. Veränderungen an der Natur werden danach als patentierbare ‘ErfindungenÂ’ interpretiert, die ein Eigentumsrecht an Organismen begründen. Dass die Durchsetzung eines einheitlichen internationalen Patent- und Eigentumsrechts einen Schub der privaten Aneignung natürlicher Ressourcen durch die biotechnologische Industrie zur Folge haben wird, war auch auf dem World Social Forum im brasilianischen Porto Alegre Hauptthema. Mit dem jüngsten Expansions- und Innovationsschub des Biokapitalismus ist zugleich eine neue Generation der Kritik entstanden.
Am Konflikt um die Produktion preiswerter Aids-Medikamente in Südafrika wurde allgemein sichtbar, dass die auf Patentrechte gestützten Profitinteressen westlicher Pharmakonzerne für die Mehrheit der Weltbevölkerung nicht bezahlbar sind. Deutlich wurde aber auch, dass es möglich ist, diese Eigentumsrechte durch moralischen und politischen Druck zu begrenzen. Dabei wird selbstverständlich die Existenz solcher Medikamente ebenso wie ihr Forschungsweg als Fortschritt für die Menschheit unterstellt.
Mögen die unheimlichen Phantasmen, die sich an die Entwicklung der Biotechnologien heften, z.T. irrational sein -- grundlos sind sie keineswegs. Die Fusion biotechnischer Forschung mit Verwertungsinteressen verleiht dem Bio-Kapitalismus tatsächlich Potenziale zu einer noch unheilvolleren Dystopie, als alle seine Vorgänger. Jede bloß moralistische Bekämpfung, die sich der kritischen Analyse derjenigen Macht verweigert, welche die Entwicklung im Griff hat, trägt nur dazu bei, die Irrationalität des Ganzen zu steigern. Ohne Kritik der politischen Ökonomie keine Kritik der gezielten Entwicklung und des Einsatzes neuer Biotechnologien. Es gilt, die falsche Alternative von pauschaler Feindschaft oder Gefolgschaft durch analytische Unterscheidungsfähigkeit und politisch-gesellschaftlich reflektierte Parteinahme zu ersetzen. Dies ist eine Gratwanderung. Sowohl der magere Forschungsstand, was langfristige Folgen genetischer Veränderungen angeht, wie auch die Eingriffstiefe vieler biotechnologischer Vorhaben und vor allem die über den Weltmarkt vermittelte Auftreffstruktur schränken die aktuellen Möglichkeiten verantwortbaren Einsatzes dieser Techniken stark ein. Indem eine Kritik der politischen Ökonomie des Biokapitalismus die Gebrauchswerte und Produktivkräfte wenigstens analytisch aus ihrem kapitalistischen Dasein befreit, trägt sie dazu bei, die mit deren Entwicklung entstehenden sozialen Fähigkeiten der Individuen sowie die praktischen Möglichkeiten einer demokratisch-partizipativen Technologienutzung herausarbeiten.
IV. Zu den Beiträgen
Wolfgang Fritz Haug fragt zunächst nach dem Zusammenhang der Terroranschläge vom 11. September und der militärischen Antwort der USA mit der kapitalistischen Globalisierung. In seinem zweiten Beitrag zu Fragen einer Kritik des Biokapitalismus versucht er, in Auseinandersetzung mit Elisabeth Lists Grenzen der Verfügbarkeit, begriffliche Zugänge zu einem alternativen Naturverhältnis freizulegen, die nicht in die ideologischen Fallen eines "linken Konservatismus", spiritualistischer Ganzheitsideologien oder moralistischer Pauschalablehnung der neuen Produktivkräfte gehen. -- Der britische Biologe Steven Rose nimmt von naturwissenschaftlicher Seite die Konstitution der "Biowissenschaften" unter die Lupe, deren Verknüpfung von Naturwissenschaft und Ökonomie eine erneute Ideologisierung des Biologischen und Biologisierung der Ideologie gefördert haben, wie sie u.a. Stephan Geene, Michael Weingarten, und Bärbel Mauss analysieren. -- Susanne Bauer untersucht am Beispiel der Umweltmedizin, wie öffentliche Fürsorge auf individuelles "Risikomanagement" reduziert wird. Wenn eine je individuelle genetische Disposition je nach verfügbarem Einkommen mehr oder weniger "optimiert" wird, sind soziale Bedingungen kaum mehr als gesundheitspolitische Faktoren erkennbar. Ulrich Brand und Christoph Görg beschreiben die Etablierung neuer Patentrechte als staatliche Absicherung des Biokapitalismus und Element eines entsprechenden Akkumulationsregimes. Diese Regelwerke zielen auch darauf, die Verfügung und das bisher exklusive Wissen der indigenen Bevölkerungen kapitalistisch anzueignen. Wie multinationale Konzerne versuchen, diese ‘BiopiraterieÂ’ im Namen des ökologischen Handelns durchzusetzen, zeigt Gian Carlo Delgado Ramos am Beispiel Mexikos. -- Hilary Rose schildert am Beispiel Islands einen besonders medienwirksamen Fall der staatlich gestützten Verwertung menschlicher Bioinformation. -- Martha Gimenez untersucht, wie die kommerzielle Leihmutterschaft tradierte Vorstellungen von Familienstrukturen verändert und eine neue Form der Ausbeutung proletarischer Frauen durch wohlhabende Familien und Einzelpersonen installiert.
Während der Zusammenhang zwischen weltweit expandierendem Kapitalismus und den Konflikten um die politische Regulierung der Biotechnologie in der globalisierungskritischen Bewegung diffus präsent ist, geht es in der in Deutschland geführten Diskussion um Gentechnik bestenfalls darum, was Menschen als solchen "ethisch" erlaubt ist. Über diese blickverengende Ethik des Biokapitalismus reflektiert Tilman Reitz; ihre Institutionalisierung schildert Susan Wright; die Chancen ihrer devianten Besetzung erzählt Judith Butler.
Wie Möglichkeiten der Biotechnologie einmal sozialutopisch aufgenommen worden sind, wo heute weithin spontane Ablehnung regiert, lässt sich an dem kurzen Auszug aus Marge Piercys Frau am Abgrund der Zeit, einem Kultbuch der zweiten Frauenbewegung, ablesen. Kai Kaschinski und Christoph Spehr erkunden die soziologische Phantasie zeitgenössischer Science Fiction im Blick auf die Verarbeitung und Extrapolation der Entwicklung des High-tech- und Biokapitalismus.