Brief aus Kalifornien

in (01.02.2002)

"Kultureller Imperialismus" - dieser Begriff ist jetzt bei uns aufgekommen, ins Spiel gebracht von einem führenden Drehbuchautor in Hollywood. Er antwortet auf einen Appell des US-amerikanischen ...

... Präsidenten Bush (ironisch George W. Rex genannt), der die Fimmogule gebeten hatte, mit patriotischen Bildergeschichten den "Krieg gegen den Terrorismus" psychologisch zu unterstützen. Expräsident Bill Clinton, der neulich hier in Santa Barbara vor Wirtschaftsbossen referierte, bezifferte die US-Staatsausgaben für die Kriegsführung auf 1,1 Milliarden Dollar pro Tag. Dagegen nimmt sich das Honorar, das Clinton für seine Reden nimmt, bescheiden aus: 100 000 bis 200 000 Dollar pro Auftritt. Er brauche das Geld, um seine Familie materiell abzusichern, falls ihm etwas zustoße, erklärte der Expräsident.
Sorgen machen sich auch andere Menschen, und dabei geht es um weitaus geringere Beträge. Ich traf Alice Davenport, Studentin an der Universität von Kalifornien. "Ich habe Schwierigkeiten, noch einen Teilzeitjob zu finden, um mein Studium zu finanzieren", berichtete sie. Und: "Ich hoffe, mein Vater wird seinen Arbeitsplatz über die Zeit der Rezession hinweg behalten." Drei andere Studierende, die Alice begleiteten, haben dieselben Probleme. Und wissen alle nicht, was nach dem Studienabschluß wird. "Afghanistan ist weit weg", sagten sie.
Die Rezession dauert länger als vorhergesagt. Die Kriegskosten vergrößern die soziale Unsicherheit. Sozialleistungen werden reduziert. Und die Privatisierung des Gesundheitswesens steigert die Kosten, die von den Kranken aufzubringen sind - Goldminen für die Pharmakonzerne wie Bayer und Merck. Wer Geld von der Krankenversicherung benötigt, muß viel Geduld haben, angeblich ist das Versicherungspersonal mit den Ansprüchen der Opfer vom 11. September überlastet. Meine Enkelin, die - als Therapeutin in einem Krankenhaus - einen schweren Arbeitsunfall erlitten hat und jetzt mit 60 Prozent ihres Gehalts auskommen muß, wartete mehr als einen Monat auf die Entscheidung der Krankenkasse, ob sie spezielle Behandlungen und Injektionen bekommen darf. Denn die Versicherungsgesellschaften entscheiden, nicht die Ärzte und Patienten. 43 Millionen US-Amerikaner sind (im Gegensatz zu mir: Ich habe zwei Versicherungen, eine staatliche und eine private) überhaupt nicht versichert, darunter auch einige Millionen Kinder. In Zeiten der Rezession wird das zu einem existenziellen Problem. Aber Millionäre - das kann ich beruhigend anmerken - werden medizinisch bestens versorgt.
Der ENRON-Bankrott hat auch Kalifornien nicht unbeschadet gelassen, mehrere Pensionsfonds sind davon betroffen. Vielleicht werden wir demnächst Näheres über die politischen Verbindungen von ENRON erfahren, über die Zuwendungen an 181 Kongreßabgeordnete und fast zwei Drittel der Senatoren und vor allem über die Rolle dieses Großunternehmens bei der Wahlkampagne von George W. Bush.
Gouverneur Gray Davis präsentierte eine Erfolgsmeldung: Der Bundesstaat Kalifornien ist in der Weltrangliste der stärksten Wirtschaftsterritorien vom siebten auf den fünften Platz vorgerückt. Dabei hat Kalifornien aber ein Haushaltsdefizit von 5,6 Milliarden Dollar, und der Gouverneur muß jetzt zwölf Milliarden Dollar Staatsanleihen auftreiben, um den darbenden Schulen und Hochschulen zu helfen und um die Lücken der Elektrizitätsversorgung zu schließen (über die folgenschweren Stromausfälle in Kalifornien habe ich ja in einem früheren Brief berichtet).
Immerhin haben nun - Karl May würde staunen - Winnetous Nachfahren vom Indianerstamm der Chumash den Kapitalismus für sich entdeckt. In der Nähe von Santa Barbara haben sie einen Glücksspielpalast (mit angeschlossenem Chumash-Museum) eröffnet; von den Erträgen soll die soziale Lage der Stammesbrüder und -schwestern verbessert werden. Wenn nur nicht infolge der Rezession der Tourismus am Boden läge.