Abwicklung der Arbeitsämter

in (16.02.2002)

Für Verwaltungsprofis gibt es einen heimlichen Lehrplan: Wer sich darauf versteht, dem eigenen Amt den Anschein großer Betriebsamkeit zu verschaffen, hat gute Aussichten auf Beförderung. ...

... Es kommt darauf an, das persönliche Tätigkeitsprofil anzureichern, neue Zuständigkeiten zu konstruieren, sich als unentbehrlich darzustellen. Die Zahl der Untergebenen ist zu mehren, das bringt Chancen, als Vorgesetzter die nächste Stufe in der Hierarchie zu erklimmen.
Solche Praktiken haben im Öffentlichen Dienst eine lange Erfolgsgeschichte. Besonders eindrucksvoll treten sie in der Militärbürokratie auf. Gelegentlich mucken die Rechnungshöfe auf, und gewohnheitsmäßig verlangt die Öffentlichkeit nach Kontrolle, Sparsamkeit und Rationalisierung der Verwaltung.
Erstaunlich ist, auf den ersten Blick, wieso dann die zu Tage getretenen bürokratischen Schäden in der deutschen Arbeitsverwaltung als Sensation dargestellt werden und mit welcher kritischen Begeisterung sich die veröffentlichte Meinung der Affären in der Bundesanstalt für Arbeit angenommen hat. Kann es sein, daß nun endlich bürgerschaftliches Selbstbewußtsein frischen Wind in die Behördenlandschaft bringt? Wird der Anspruch auf Selbstverwaltung, der sich mit der Bundesanstalt in Nürnberg verbindet, in Zukunft ernst genommen? Schön wäre es, aber es ist nicht so. Bei näherem Hinschauen zeigt sich: Den Wortführern der Kampagne gegen die Arbeitsverwaltung geht es nicht darum, daß deren Klienten besser bedient werden. Vielmehr nehmen sie Fehlleistungen dieser Behörden zum Vorwand, um einen auf längere Sicht angelegten sozialen Krieg zu eröffnen. Der hat zum Ziel, öffentliche Dienstleistungen für Arbeitsuchende oder neu zu Qualifizierende abzuschaffen und der kollektiven Arbeitslosenversicherung den Garaus zu machen.
Wozu, fragen die "Modernisierer" in der SPD und den Grünen ebenso wie in den Unionsparteien, braucht es überhaupt eine öffentliche und unentgeltliche Arbeitsvermittlung, wenn doch private Firmen zwischen Anbietern und Nachfragern von Arbeitsplätzen kommerziell vermitteln können? Wozu braucht es öffentliche Dienstleistungen, um ArbeitnehmerInnen neu zu qualifizieren, wenn doch Umschulung und Weiterbildung, privatunternehmerisch betrieben, Profit bringen? Und weshalb soll eine solidarische, beitragsgedeckte Arbeitslosenversicherung noch bestehen bleiben, wo doch private Versicherungsgesellschaften neue, lukrative Geschäftsfelder suchen?
Die FDP hat diese Kampagne auf den institutionellen Punkt gebracht: Sie fordert, das Arbeitsministerium aufzulösen und Restaufgaben dem Wirtschaftsministerium anzuvertrauen. Das ist konsequent, denn dem Neoliberalismus muß jeder regulierende Eingriff in das Arbeitsmarktgeschehen, sei es durch Selbstverwaltung von Solidarsystemen oder durch staatliche Sozialpolitik, als systemwidrig erscheinen.
Walter Riester mag sich ärgern, daß die "Modernisierer" seine Tätigkeit für überflüssig halten, aber der Angriff auf die gesamte Arbeitsverwaltung und auf die kollektive Arbeitslosenversicherung, der nun eingeleitet ist, läßt sich als "riestergefördert" erkennen: Der Einstieg in den Ausstieg aus dem solidarischen Rentensystem bietet eine Vorlage für den Abbau der solidarischen Arbeitslosenversicherung - des Kernbereichs öffentlicher Arbeitsverwaltung.
Daß der Angriff auf die Bundesanstalt für Arbeit auch den Einfluß der Gewerkschaften schmälern soll, liegt auf der Hand.
Die ArbeitnehmerInnen und ihre Organisationen haben keinen Grund, Bernhard Jagoda und seine Gehilfen zu verteidigen und bürokratische Unsitten zu rechtfertigen. Aber diese oder jene Behördenleiter sind, vom Neoliberalismus her gesehen, auch gar nicht die eigentlichen Angriffsziele. Die Kampagne gegen "Nürnberg" hat Größeres im Sinne. Nicht etwa eine kundenfreundliche Reform der Arbeitsverwaltung, sondern die restlose Privatisierung aller Risiken für ArbeitnehmerInnen auf dem Arbeitsmarkt. Die Vereinigten Staaten lassen grüßen.
PS: Wie nicht anders zu erwarten, äußerte der sozialdemokratische Bundeskanzler, aus Lateinamerika zurückkehrend, sogleich seine Sympathie für die Idee, daß private Unternehmen bisherige Aufgaben der Arbeitsverwaltung an sich ziehen. Besonderen Gefallen dürfte er an der Vorstellung finden, daß die Bundesanstalt für Arbeit demnächst im Zuge ihrer Rationalisierung das lästige Zählen von Arbeitslosen, das Bekanntgeben unschöner Quoten aufgibt.