Kleinwaffen in alten und neuen Kriegen

in (22.07.2002)

Als Kleinwaffen gelten nach UN-Definition solche Waffen, die in von einer Person getragen und bedient werden können: einerseits Handfeuerwaffen wie Revolver, Selbstladepistolen, Karabiner, ...

... Gewehre, Maschinenpistolen, Sturmgewehre und leichte Maschinengewehre, andererseits leichte Waffen wie schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Handgranaten, rückstoßfreie Gewehre, tragbare Luftabwehrraketen und Antipanzergeschütze, Mörser mit einem Kaliber unter 100 mm und Minen (Paes 2000: 3).[1] In den letzten Jahren sind die Produktionszahlen für diese Waffen zurückgegangen und im Rahmen des (legalen) internationalen Waffenhandels machen sie, zusammen mit Munitionslieferungen, nach einer konservativen Schätzung nicht mehr als 5% der Umsätze der Branche aus.[2] Eine quantité négligeable also und zudem eine Entwicklungsrichtung, die Friedensfreunde mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen könnten? Doch gerade in den letzten Jahren haben Kleinwaffen einen Aufmerksamkeitsschub erfahren: Sie wurden zum Thema von sozialwissenschaftlichen Forschungen und von Dokumentationen, bildeten neue Aktivitätsfelder von NGOs und stellten 2001 den Gegenstand einer eigenen UNO-Konferenz dar. Gleichzeitig haben Politologen und Friedensforscher einen Typus “neuer Kriege” diagnostiziert, in denen nicht-staatliche Akteure und die Verwendung dieser Waffen eine besondere Rolle spielen sollen: “Kleinwaffen – ‚perfekt‘ für die neuen Kriege” heißt es etwa in einer Veröffentlichung des Bonn International Center for Conversion (BICC), und ähnlich argumentiert Mary Kaldor in ihrem Buch Neue und alte Kriege (Paes 2000: 3, Kaldor 2000: 153). Auch haben UNICEF ebenso wie Menschenrechts- und Friedensgruppen wiederholt darauf hingewiesen, daß die Verbreitung solcher Waffen mit dem bedrückenden Phänomen der “Kindersoldaten” einhergeht (Gebrewold 1999: 2, UNICEF 1999). Es wird hervorgehoben, daß in 46 der 47 größeren bewaffneten Auseinandersetzungen, die weltweit zwischen 1990 und 1998 gezählt wurden, Kleinwaffen die bevorzugten Kampfinstrumente darstellten (Gebrewold 1999: 2 f). Nach Schätzungen von UNICEF kamen in den 1990er Jahren mindestens 3 Millionen Menschen, d.h. 90% aller Kriegstoten, durch solche Waffen ums Leben – wesentlich mehr als durch Panzer, Raketen oder andere Großwaffen, wobei es sich bei den Opfern überwiegend um Zivilisten handelt, die meisten von ihnen Frauen und Kinder (Paes 2000: 4).

Die neuerdings konstatierte Brisanz des Problems hat schließlich auch dazu geführt, daß das unabhängige Graduate Institute of International Studies in Genf im letzten Jahr erstmalig einen Small Arms Survey veröffentlichte, die bis dato fundierteste Zusammenstellung von Informationen und Daten zur aktuellen Produktion, Verbreitung und Verwendung von Kleinwaffen (Graduate Institute... 2001). All das wirft die Frage auf, ob die Problematik der Kleinwaffen tatsächlich neu oder aber vielleicht lediglich zu bestimmten Zeiten in unterschiedlichem Maß wahrgenommen worden ist, und in welcher Weise sie mit dem Phänomen der “neuen Kriege” zusammenhängt. Was im Rahmen der jüngsten Publizitätswelle als Charakteristikum des letzten Jahrzehnts erscheinen konnte, hat eine Vorgeschichte, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht.

Der Tod als Maschinist

“Welch ein Wunderwerk der Technik solch ein Maschinengewehr! Man läßt es schnurren und schon spritzt es die Kugeln dichter als der Regen fällt... Es ist auf die Mitte der Leiber eingestellt und bestreicht die ganze Schützenlinie auf einmal. Es ist als ob der Tod die Sense auf das alte Eisen geworfen hätte, als ob er nun ein Maschinist geworden wäre.” (Lamszus 1920: 14). Diese Begeisterung für die neue technische Errungenschaft, geäußert von einem Hamburger Volkschullehrer im Jahr 1912, wurde zu dieser Zeit von den wenigsten westeuropäischen Militärs geteilt, und das, obwohl es bereits seit fünf Jahrzehnten Patente auf Maschinengewehre gab, diese bei diversen Gelegenheiten probeweise vorgeführt worden und auch bereits in mehreren Kriegen zum Einsatz gekommen waren, so insbesondere im amerikanischen Bürgerkrieg und im russisch-japanischen Krieg von 1904-5. Die Befürworter der Waffe machten geltend, daß der automatische Betrieb eine gänzlich neue Effizienz – bereits in den 1860er Jahren 200 Schuß pro Minute – mit sich brachte, was somit eine schlagende Überlegenheit der Armee bewirken mußte, die sich zu dieser Innovation entschloß. Ob in Frankreich, Großbritannien oder im Deutschen Reich – die jeweiligen Offizierskorps blieben ihr gegenüber dennoch äußerst reserviert, da für ihre zumeist adligen Mitglieder der Erfolg einer Schlacht nach wie vor in erster Linie von einer glanzvollen Kavallerie-Attacke abhing. Krieg war für sie eine Frage der persönlichen Tapferkeit, des Kampfes Mann gegen Mann, des Siegeswillens der Kämpfenden, des bewährten Einsatzes von Kanonen, Mörsern und Musketen. Auf “Manneszucht” kam es also an und diese schien sich nicht durch eine mehr oder weniger wahllos feuernde Maschine ersetzen zu lassen (vgl. Ellis 1975: 47 ff, Storz 1994: 252 ff). Gleichwohl wurden Maschinengewehre bereits vor dem Ersten Weltkrieg auch von europäischen Mächten in kriegerischen Auseinandersetzungen angewendet, allerdings nur außerhalb Europas: unter anderem von den Briten gegen die Zulus in Südafrika, gegen die Matabele in Betschuanaland sowie gegen Araber in Ägypten und im Sudan, von den Deutschen gegen die Hereros und Namas in Südwest-Afrika und gegen die Hehe in Tanganjika. Hier, wie in weiteren Kolonialkriegen, galten grundsätzlich andere Maßstäbe. Da man von der fraglosen Überlegenheit der eigenen weißen Rasse ausging, kämpfte man in diesen Fällen nicht gegen als gleichrangig angesehene Gegner. Diesen gegenüber, die meistens bis dahin kaum jemals einfache Gewehre gesehen hatten, geschweige denn über solche verfügten, galt jedes Mittel als angemessen, um ihnen die Werte der westlichen Kultur und Zivilisation einzubleuen (vgl. Ellis 1975: 79 ff).

Am Beginn des Ersten Weltkriegs spielte die Ausstattung mit Maschinengewehren bei sämtlichen europäischen Kriegsgegner nur eine untergeordnete Rolle, doch änderte sich das, sobald man die – trotz der Erfahrungen in den Kolonialkriegen – bisher unterschätzte ungeheure Wirksamkeit der neuen Waffe erfuhr, wenn ein Dutzend Soldaten mit Hilfe von nur zwei halbautomatischen Gewehren zwei Bataillone des Gegners in Schach halten konnten. Dies war der Auftakt zu den ungeheuren Menschenverlusten, die dem Krieg bereits in den ersten Monaten ihren eigenen Stempel aufdrückten. In den Erinnerungen eines deutschen Infanteristen, der im August 1914 an der “Schlacht von Lothringen” beteiligt war, heißt es: “... Aus undurchdringlicher Deckung kommen die feindlichen Geschosse. Ein überwältigendes Infanterie-, Maschinengewehr- und Artilleriefeuer hält uns nieder. Schwächer und schwächer wird das eigene Infanteriefeuer. Als es in der weiten, langgesteckten Schützenlinie ganz ruhig wird und auch das feindliche Feuer nachläßt, springe ich in die Höhe und rufe den Kameraden zu, aufzustehen. Ich will sehen, wie viele noch kampffähig sind. Wehmütig sagt mir der Hornist, der wie ein Schatten an meiner Seite geblieben ist: ‚Herr Leutnant, es ist niemand mehr da!‘ Und wirklich steht auf der ganzen Frontlinie niemand mehr auf. Nur drei Mann sind noch heil geblieben, alles andere ist tot oder verwundet.” (zit. bei Storz 1994: 252) Die Konsequenz aus diesen Erfahrungen hieß für die am Krieg beteiligten Armeen: nachrüsten. Das vorher so abwertend behandelte Maschinengewehr wurden nun verstärkt weiterentwickelt – im Deutschen Reich kam zum Beispiel seit 1916 das MG 08/15 zum Einsatz – , massenhaft produziert und verwendet, was entscheidend dazu beitrug, daß die militärischen Auseinandersetzungen zunehmend zur Materialschlacht und zum Stellungskrieg wurden, in dem beide Seiten sich in Schützengräben eingruben. Nach Einschätzung des britischen Premierministers Lloyd George gingen etwa 80% der Kriegstoten auf den Einsatz der neuen Feuerwaffen zurück (Ellis 1975: 142).

Die Militärs zogen aus diesem Weltkrieg die Lehre, daß insbesondere alle technischen Weiterentwicklungen zu fördern und zu nutzen waren, mit denen man sich der Effizienz der automatischen Schußwaffen und Schnellfeuergeschütze durch Panzerung entziehen konnte. Außerdem wurde allerorten die Motorisierung von Infanterie und Artillerie sowie der Ausbau der Luftwaffe als eigenständiger Teilstreitkraft gefördert. Insofern hatte die Infanterie gegenüber dem Ersten Weltkrieg ihre herausragende Bedeutung verloren, wenngleich sie an Schlagkraft durch die Verwendung von Selbstladegewehren, Maschinenpistolen, Granat- und Minenwerfern erheblich zunahm. Außerdem standen inzwischen leichtere Varianten von Maschinengewehren zur Verfügung (Wörterbuch zur deutschen Militärgeschichte 1985: 308 f, 520 f). In Berichten, Erinnerungen und Romanen über den Ersten Weltkrieg wurde der Einsatz der halbautomatischen Waffen später immer wieder thematisiert und die Schrecken dieses Krieges wurden außer mit den neuartigen Giftgasangriffen gerade mit ihnen in Verbindung gebracht. Demgegenüber bezogen sich populäre wie wissenschaftliche Darstellungen des Zweiten Weltkriegs lange Zeit überwiegend auf die Auswirkungen von Großaktionen wie Panzervorstöße (Einmarsch in Polen) oder Luftschlachten (Luftkrieg über England, Bombardierungen deutscher Städte).

Insofern blieb die anhaltende militärische Bedeutung der Kleinwaffen auch nach dem Ersten Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis lange Zeit weitgehend ausgeblendet. In der Tat hatte ihr Einsatz ab 1939 in hohem Maß mit den Seiten des Krieges zu tun, die im Widerspruch zu dem jahrzehntelang in der Bundesrepublik gepflegten Bild der “sauberen Wehrmacht” standen, die Krieg nach herkömmlichen Standards geführt hätte. Erst vor wenigen Jahren wurde dieser Mythos auch für eine breite Öffentlichkeit durch die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung Verbrechen der Wehrmacht massiv in Frage gestellt und rief entsprechend kontroverse Reaktionen hervor. Die Ausstellung wurde bekanntlich 1999 zurückgezogen, nachdem sich herausstellte, daß ein – wenn auch relativ kleiner – Teil der präsentierten Fotos derartigen Geschehnissen irrtümlich zugeordnet worden waren. Die inzwischen neu konzipierte Ausstellung dokumentiert, ebenso wie dies bereits ältere, aber bis dahin wenig rezipierte militärgeschichtliche Veröffentlichungen taten, daß Erschießungen, an denen neben Angehörigen der SS, des Sicherheitsdienstes und der Polizei immer wieder auch Soldaten der Wehrmacht beteiligt waren, zum militärischen Alltag gehörten. Ihre Opfer waren hunderttausende Partisanen, jüdische Männer, Frauen und Kinder, sonstige Zivilisten im Rahmen von “Vergeltungsmaßnahmen” sowie in der Sowjetunion politische Funktionäre. Ein Beispiel für zahllose weitere dieser Art stellt das Vorgehen in der nahe Kiew gelegenen Stadt Lubny dar: “Im Oktober 1941 forderte die zuständige Ortskommandatur I/922 mit Plakatanschlägen dazu auf, daß sich die Juden der Stadt und aus der Umgebung zwecks ‚Umsiedlung‘ am 16. Oktober sammeln sollten. Wer diesem Aufruf nicht folgte, dem drohte die sofortige Erschießung. Die zusammengetriebenen Juden wurden unter Bewachung zur Exekutionsstätte gebracht, sie mußten sich entkleiden und wurden von Angehörigen des Sonderkommandos 4a erschossen. Anschließend meldete das Kommando den ‚störungslosen‘ Verlauf und bezifferte die Anzahl der Opfer auf 1.865 Personen.” (Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.) 2002: 166)

Kleinwaffen in Kriegen nach 1945

Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg behielten Kleinwaffen ihre Bedeutung innerhalb der neuen Konzepte der Kriegsführung, wenngleich sie in der öffentlichen Wahrnehmung abermals ins Hintertreffen gerieten, da diese sich zunehmend auf die extrem kostspieligen und technisch hochkomplexen militärischen Großprojekte wie atomare Raketen, neue Typen von Kampfflugzeugen, später zusätzlich Laserwaffen richtete. Militärisch schien eine Phase des “Rüstungsbarocks” (wie Mary Kaldor es 1981 in einem Buchtitel formulierte) angebrochen zu sein. Was für die einen ein beruhigendes “Gleichgewicht des Schreckens” begründete, erschien anderen als Bedrohung, der gelegentlich apokalyptische Züge verliehen wurden. Die Konzentration des Interesses auf Großwaffen ließ Rüstungsbefürworter wie -kritiker, abgesehen von den engeren Expertenzirkeln, lange Zeit reale Entwicklungen übersehen, bei denen Tod und Verderben massenhaft als Folge der Verbreitung und Verwendung von Waffen auftraten, die technologisch viel weniger anspruchsvoll waren, etwa automatische Gewehre in der Art der sowjetrussischen Kalaschnikow, des US-amerikanischen M 16 oder des deutschen G 3. Die neuen Generationen von Sturmgewehren zeichneten sich gegenüber früheren Modellen dadurch aus, daß sie kleiner und leichter waren, aus relativ wenigen austauschbaren Teilen bestanden und bedienungsfreundlicher wurden.

Trotz MIG 21 und 23, trotz Starfighter, Pershing 1 A und Tornado – die Bedeutung der Infanterie wurde in den NATO-Planungen der 1960er Jahre wieder verstärkt, als man “begrenzte Kriege” mit und ohne Atomwaffeneinsatz anvisierte. Im Rahmen der “flexiblen Militärstrategie” entwickelte sie sich zu einer “Vielzweck-Waffengattung” in verschiedenen neuen Formen zur Unterstützung anderer Waffengattungen, so als mechanisierte Infanterie oder als Luftlande-Infanterie, als Panzergrenadiere oder als Jäger (Wörterbuch zur deutschen Militärgeschichte 1985: 309). Dies blieben nicht nur militärische Konzepte, sondern Handfeuerwaffen wurden bei regulären wie irregulären Kampfhandlungen tatsächlich immer wieder verwendet. Wenn die USA während des Vietnamkrieges zwischen 1964 und 1975 auch dreimal so viele Bomben abwarfen wie während des Zweiten Weltkriegs auf Europa, so beschränkte sich die Kriegführung keineswegs auf den Einsatz von Großwaffen, wie etwa das Massaker von My Lai im Jahr 1968 deutlich belegt: “Am Morgen des 16. März marschierte eine amerikanische Infanterieeinheit in das aus vier Weilern bestehende Bauerdorf My Lai ein. Doch von den Guerilleros des Vietcong, die die Aufklärung gemeldet hatte, fanden die GIs keine Spur. Darauf begannen die Soldaten unter dem Kommando von Lieutenant William Kelly mit der systematischen Ermordung der Zivilbevölkerung. Das Gemetzel steigerte sich zu einer Blutorgie, der schätzungsweise 500 Frauen, Kinder und alte Männer zum Opfer fielen. Im Dorf befanden sich nur zwei Vietcong, die beide in ihren Verstecken überlebten. Kelly und seine Leute trieben die Einwohner aus ihren Häusern, erschossen sie mit Maschinengewehrsalven oder ließen Handgranaten in den Erdlöchern detonieren, die der Bevölkerung gegen die pausenlos im Einsatz stehende amerikanische Luftwaffe und Artillerie Schutz bieten sollte.” (Bless 1998, vgl. auch Derrière, 30.8.2001). Danach wurde auf allen Stufen der militärischen Hierarchie versucht, diesen Vorfall zu vertuschen und erst die Recherchen eines US-amerikanischen Journalisten sowie die Aussagen eines Helikopter-Piloten, der das Massaker aus der Luft beobachtet und versucht hatte, ihm Einhalt zu gebieten, führten später zur Verhandlung vor einem Kriegsgericht, bei der von allen Beteiligten lediglich Kelly verurteilt und geraume Zeit später von Präsident Nixon begnadigt wurde (ebd.).

Wenig öffentliche Aufmerksamkeit – jedenfalls in westlichen Ländern – erweckte gleichfalls der 1980 ausbrechende und acht Jahre andauernde erste Golfkrieg zwischen Iran und Irak, der nicht nur mehr als eine Million Tote forderte, sondern auch deutliche Züge eines “entgrenzten”, nicht auf Kampfhandlungen zwischen regulären Soldaten beschränkten, Krieges trug, und zwar durch den massenhaften Einsatz von Kindersoldaten. Was heutzutage vielfach als neue Erscheinung gilt, die charakteristisch für die Bürgerkriege und das Auftreten von Warlords im letzten Jahrzehnt sein soll, hat somit ebenfalls historische Vorläufer. Als der Krieg in sein drittes Jahr ging, wurden auf iranischer Seite erstmals Kinder und Jugendliche eingezogen, denen man verhieß, sie würden auf dem Schlachtfeld des Propheten ansichtig werden. Manche waren zu klein und schmächtig, um die Waffen, die man ihnen in die Hand drückte, auch nur zu halten oder zu tragen. Aber häufig hatten die Militärs mit ihnen ohnehin anderes vor, als sie schießen zu lassen, sondern sie schickten sie anstelle von Minenhunden über die verminten Felder Chusistans, um auf diese Art der iranischen Armee den Weg in den Irak freizumachen. Einer dieser Kindersoldaten schrieb später darüber: “Seit jenem schwarzen Tag, an dem über tausendfünfhundert Kinder zwischen zwölf und fünfzehn Jahren auf einem Minenfeld ihr Leben geopfert haben, damit die Panzer und Lastwagen der Armee vorrücken konnten, habe ich nicht mehr geweint. Viele Tränen habe ich vergossen in diesem Inferno, stumme Tränen, als man mich schlug, Tränen der Freude beim Anblick des Propheten zu Pferde, Tränen der Trauer um meine in der Schlacht gefallenen Kameraden, deren Leben ich manchmal nur für wenige Stunden geteilt habe. Heute hab ich keine Tränen mehr zu weinen.” (zit. in: Gesichter des Krieges 1991: 11 f)

“Neue Kriege?”

Was haben die genannten Beispiele für die Verwendung von Handfeuerwaffen in Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts mit der aktuellen Debatte um “neue Kriege” zu tun? Bereits Carl von Clausewitz hat um 1820 zwischen “großen” und “kleinen” Kriegen unterschieden. Unter “großen Kriegen” verstand man seither solche zwischen Staaten, wobei ausschließlich reguläre Streitkräfte zum Einsatz kommen und vereinbarte Regeln gelten sollen. Nach den Erfahrungen des dreißigjährigen Krieges waren die sich herausbildenden Nationalstaaten zunehmend an einer Einhegung des Kriegsgeschehens interessiert, indem durch die Einführung stehender Heere nunmehr deutlich zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterschieden wurde (vgl. Hoch 2001: 17 ff). Wesentliches Merkmal war somit, daß ein immer stärker zentralisierter Staat als “Monopolist des Krieges” auftrat, also gegen selbsternannte Kriegsherren, ränkesüchtige Provinzfürsten oder marodierende Banden vorging und den Bereich des Militärischen als ein ihm allein zustehendes Aktionsfeld reklamierte: “Zur Verstaatlichung des Krieges, die für die alten Kriege typisch war, hatte auch die Zivilisierung der Krieger gehört, die durch ein umfängliches Exerzierreglement, die Kasernierung der Truppen sowie die geregelte Versorgung und Entlohnung der Soldaten sichergestellt wurde. Mit der Professionalisierung des Kriegerstandes und der Entwicklung eines eigenen Ehrenkodex´ gingen die Zeiten des Mordens und Plünderns, wie Grimmelshausen sie in seinem Simplicissimus beschrieben hat, zu Ende.” (Münkler 2001: 586)

Dagegen versteht man unter “kleinen Kriegen” (mittlerweile auch unter dem Etikett low-intensity conflicts bekannt) seit von Clausewitz solche, in denen nicht-staatliche Akteure beteiligt sind. Als ihre Merkmale gelten, daß sie nicht zwischen, sondern innerhalb von Staaten stattfinden, daß gegenseitig anerkannte Regeln fehlen, und die Auseinandersetzungen sich zudem nicht auf militärische Ziele beschränken müssen, sondern ebenso gut auf zivile Ziele wie Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen gerichtet sein können. Sie sind es, die für eine Reihe von Theoretikerinnen und Theoretikern als der nunmehr vorherrschende Typus der Kriege in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts angesehen werden, als “neue Kriege”, die “durch das Verschwimmen der Grenzen zwischen Krieg (üblicherweise als politisch motivierte Gewalt zwischen Staaten oder organisierten politischen Gruppen definiert), organisiertem Verbrechen (privat motivierte, normalerweise auf finanziellen Gewinn abzielende Gewalttaten privat organisierter Gruppen) und massiven Menschenrechtsverletzungen (von Staaten oder politisch organisierten Gruppen gegen Individuen begangene Gewalttaten) geprägt sind.” (Kaldor 2000: 8). An die Stelle der Staaten als Hauptakteure in den “großen” Kriegen seien also nicht-staatliche Akteure getreten, und zwar “... neben klassischen Befreiungsbewegungen und Guerillaorganisationen Strukturen der organisierten Kriminalität, private military companies sowie private Sicherheits- und Nachrichtenorganisationen.” (Hoch 2001: 19). In diesem Zusammenhang ist von einer wachsenden Privatisierung des Krieges die Rede, womit gemeint ist, daß das beschriebene staatliche Gewaltmonopol, wie es sich in den letzten Jahrhunderten tendenziell in den meisten Ländern herausgebildet hat, zunehmend infrage gestellt wird und Konkurrenz von marktförmigen Organisationen bekommt, die meist jenseits der Legalität operieren bzw. deren Geschäft überhaupt die Illegalität ist. Inbegriff dieses neuen Typs von Akteuren ist der Warlord, der “Unternehmer, militärischer Befehlshaber und politischer Führer in einer Person ist” (Strutynski 2001: 6) Als Beispiele für die “neuen Kriege” der letzten Jahrzehnte werden genannt: für Afrika Sierra Leone, Kongo und Sudan, für Lateinamerika Kolumbien, für Südostasien und den Pazifik die Philippinen und die Salomonen, Indonesien und Fidschi, für Europa der Kosovo, Südserbien und Mazedonien (vgl. Strutynski 2001: 1). Als typische Vertreter der Warlords und ihrer Gefolgschaften figurieren der serbische Berufsverbrecher Raznjatović und seine “Schwarzen Tiger” oder die “Kriegsveteranen” Mugabes in Zimbabwe – wobei die Hitliste der Prominenz mittlerweile zweifellos von Bin Laden angeführt wird (vgl. Eppler 2001).

Einige Sozialwissenschaftler sehen die Herausbildung neuer politischer und militärischer Strukturierungen bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und verweisen auf die große Zahl der Kolonial- und Befreiungskriege seit den 1950er Jahren, wobei deren Akteure allerdings vorrangig politische Ziele hatten (Hoch 2001: 19). Andere setzen den Übergang von den “alten” zu den “neuen” Kriegen rund um das Jahr 1990 und betonen die Neuartigkeit ethnischer Konflikte wie sie etwa für die gewalttätigen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien charakteristisch waren (Kaldor 2000: 52 ff).

Die exemplarisch angeführten Erfahrungen mit der Verwendung von Kleinwaffen in früheren Kriegen lassen es allerdings fraglich erscheinen, ob tatsächlich trennscharf zwei Phasen unterschieden werden können: die frühere der “großen” Kriege (wann immer man diese auslaufen läßt, ob 1945 oder 1990) und die neuere der “kleinen” Kriege. Denn auch früher gab es bereits parallel zu den Kriegen zwischen Staaten solche, in denen sich Staaten und nicht-staatliche Akteure gegenüberstanden, wie in den Kolonialkriegen vor 1914. Die damit verbundenen strategischen und taktischen Herausforderungen mögen aus der Sicht der Militärs oft wenig reizvoll gewesen sein und in den Augen der Offizierselite mag es sich hierbei nicht um “richtige” Kriege gehandelt haben, bei denen Schneid und Heldenhaftigkeit unter Beweis gestellt werden konnten – aus der Perspektive der betroffenen Völker waren diese Militäraktionen jedoch alles andere als peripher, sondern in ihren Folgen für sie ungleich dramatischer, wenn die tendenzielle Auslöschung des eigenen Stammes drohte, wie im Fall des Massenmordes an den Hereros in Deutsch-Südwestafrika (1904-1907), dem mehr als 60.000 Menschen zum Opfer fielen (Gesellschaft f. bedrohte Völker 2000). Auch die Ereignisse im Rahmen des deutschen Krieges gegen die Sowjetunion und aus dem amerikanischen Krieg in Vietnam belegen, daß die Kriegsführung von Nationalstaaten nicht zwangsläufig auf “reguläre” Kämpfe, bei denen bestimmte international anerkannte Regeln respektiert werden, begrenzt sein mußte. Gerade das Beispiel des deutschen Vorgehens gegen die Sowjetunion zeigt, daß diese Regeln ganz bewußt mißachtet werden konnten. So setzte die Wehrmachtsführung mit dem “Kriegsgerichtsbarkeitserlaß” und dem “Kommissarbefehl” bereits im Vorfeld “zentrale Bestandteile des damals geltenden Kriegsvölkerrechts außer Kraft und schuf damit wesentliche Voraussetzungen für einen bisher beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieg”, also für die von Hitler geforderte “unerhörte Härte” zur Beseitigung des “jüdischen Bolschewismus” (Hamburger Institut für Sozialforschung 2002: 37). Auch das Maß an Zivilisiertheit des Militärs taugt wenig, um “alte” und “neue” Kriege säuberlich voneinander zu unterscheiden, wie Mary Kaldor es unternimmt, wenn sie als Besonderheit “des neuen Modus der Kriegsführung” Vorgehensweisen anführt, “die gemäß den klassischen Regeln der Kriegsführung geächtet waren und im Kriegsrecht des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts kodifiziert wurden – Greueltaten an Nicht-Kombattanten, Belagerungen, die Zerstörung historischer Bauten und Denkmäler usw.” (Kaldor 2000: 18). Ebendies waren auch Merkmale der deutschen Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg (und fallweise auch derjenigen der Allierten, insbesondere im Zusammenhang mit den Bombardierungen deutscher Großstädte). Tatsächlich legen die Theoretiker der “neuen Kriege” ein gewisses Unbehagen an den Tag, wenn es um die Einordnung der “totalitären” Kriege des 20. Jahrhunderts geht, denen sie innerhalb der “alten Kriege” doch einen Sonderstatus zubilligen möchten (Kaldor 2000: 42 ff, Hoch 2001: 23). Allerdings ist dann zu fragen, welchen Sinn die genannte Dichotomie hat, wenn die epochalen Großereignisse des 20. Jahrhunderts in ihr als Ausnahmen vom allgemeinen Muster verbucht werden müssen.

Das Beispiel des Iran-Irak-Krieges weist schließlich darauf hin, daß auch das Phänomen der Kindersoldaten, das mit den “neuen Kriegen” in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht wird, seine staatlich initiierten Vorläufer hat. Seit 1996, als der UNO erstmals ein Expertenbericht dazu vorgelegt wurde, hat das Thema mittlerweile zu Recht erhebliche Resonanz gefunden. Für die 1990er Jahre wird geschätzt, daß in Ländern wie Liberia, El Salvador, Afghanistan und Äthiopien Kinder und Jugendliche mindestens 10% der kämpfenden Truppen einer oder mehrerer Konfliktparteien bildeten. Meist wurden sie mit mehr oder weniger gewaltsamen Mitteln zum Dienst mit der Waffe gebracht, und die Erfahrungen, die sie dabei sammelten, ließen sie vielfach zu einer “verlorenen Generation” werden. Der Kontext, in dem diese Kinder und Jugendlichen das Handwerk des Krieges lernten, war von einem Mangel an Alternativen geprägt, wenn Bildungsmöglichkeiten ebenso beschränkt wie Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung hoch waren, so daß das Tragen eines Gewehrs zu einem Mittel der Demonstration von Männlichkeit und von Anerkennung in der Gesellschaft wurde – das einzige, das ihnen offenstand (vgl. Solms 1999: 214 ff, Lock 1999: 4). Dennoch: eine völlig neuartige Erscheinung ist auch diese Ausweitung des Begriffs “Kombattanten” nicht.

Aus all dem ergibt sich, daß die Kontinuitätslinien zwischen den “alten” und “neuen” Kriegen sehr viel stärker sind, als oftmals angenommen wird: Bereits in den “alten” Kriegen sind wesentliche Züge zu erkennen, die manchen Theoretikern als distinktives Merkmal der “neuen” gelten – das “irreguläre” Kriegsgeschehen, das Agieren jenseits anerkannter Regeln in bezug auf die Zivilbevölkerung und auf die Behandlung von Kriegsgefangenen, die Ausdehnung des Begriffs Kombattanten auf Minderjährige. Auf einer anderen Ebene ist hingegen tatsächlich ein neuartiger Charakter des militärischen Geschehens der letzten Jahrzehnte zu erkennen. Er liegt, bedingt durch die starke Präsenz nicht-staatlicher Akteure, in der Revolutionierung der ökonomischen Basis.

Ökonomie der Bürgerkriege

Warlords gingen häufig aus Oppositionsbewegungen gegen Kolonialregime hervor und wurden ursprünglich von einer der beiden Großmächte unterstützt. Daneben waren mehr oder weniger korrupte Regierungen in Ländern der sogenannten DrittenWelt Adressaten für Waffen, Hilfe bei der militärischen Ausbildung oder Geldzahlungen. Die Unterscheidung zwischen Warlords und Regierungen ist hierbei nicht trennscharf, da Gewaltunternehmer oder bewaffnete Oppositionsgruppen gelegentlich so erfolgreich waren, daß sie Regierungsfunktionen übernehmen konnten, wie es Charles Taylor in Liberia gelang oder auch den Taliban in Afghanistan. Ein wichtiger Einschnitt bedeutete für sie alle jedoch die Wende von 1990. Mit dem Ende des “Kalten Krieges” (jedenfalls in weiten Bereichen der Erde) verloren die Großmächte das Interesse an derartigen Stellvertretern und stellten die bis dahin großzügigen Transfers weitgehend ein. Seither sind wichtige Merkmale solcher “Gewaltunternehmer” wie auch korrupter Regierungen, daß sie nicht nur ihre politischen, militärischen und ökonomischen Ziele unabhängig von demokratischen politischen Prozeduren bestimmen, sondern mangels des Zugriffs auf eigene Steuergelder (oder weil diese nicht ausreichen) selbst für die Finanzierung ihrer Aktivitäten aufkommen müssen, etwa durch Drogen-, Waffen- oder Edelsteinhandel, durch das Eintreiben von Schutzgeldern, durch Raub und Plünderungen oder Überweisungen aus der Diaspora.

Die neuen Strukturen der Ökonomie der Bürgerkriege wurden bisher am umfassendsten in dem gleichnamigen Sammelband von Jean und Rufin (1999) untersucht, wobei der Ausgangspunkt dieser Studien in den Erfahrungen von Mitgliedern internationaler Hilfsorganisationen lag, denen bei ihren Interventionen in Bürgerkriegen wiederholt Grenzen ihres Handelns deutlich wurden. Humanitäre Hilfe – deren Bedeutung in den 1990er Jahren stark zugenommen hat – ist unter Konfliktbedingungen eine “Ressource, die die politischen und wirtschaftlichen Akteure sich anzueignen versuchen, um sie für ihre Ziele zu nutzen.” (Jean 1999: 459). Gravierender noch als der Umstand, daß korrupte Funktionäre häufig Teile der Lieferungen für sich abzweigen, ist dabei jener, daß dies auch die kriegführenden Gruppen und Regierungen selbst in erheblichem Umfang praktizieren oder Schutzgelder einfordern: “So gesehen hat die humanitäre Hilfe den Effekt, Kriegswirtschaften zu alimentieren, die andernfalls geschlossen wären.” (ebd.: 465) Neben Raub und Erpressung besteht eine weitere wichtige Form, die sich in den letzten Jahrzehnten schrittweise entwickelt hat, in der Teilnahme an der organisierten Kriminalität. Es kann sich dabei um Waren handeln, deren Produktion und Verbreitung international verboten ist, etwa Drogen. Oder aber um den Handel mit bestimmten Gütern, der gegen internationale Regelungen verstößt, die Kontingente vorsehen, etwa Elfenbein oder Teakholz. Die dritte, häufig praktizierte Variante bezieht sich auf frei handelbare Waren wie Gold, Edelsteine oder Kautschuk: “Die Guerilla beutet deren lokale Vorkommen aus, wie auch eine Regierung es tun würde. Der einzige – und bedeutende – Unterschied liegt darin, daß sie dies ohne jede gesetzliche Beschränkung tut.” (Rufin 1999: 32). Eines der ältesten Beispiele für eine Schattenökonomie von hoher Komplexität stellen die Milizen im Libanon dar, die seit den 1970er Jahren kriminelle Geldbeschaffung in unterschiedlichsten Formen betrieben: von Entführungen mit Lösegelderpressungen über Autodiebstähle, Zigaretten-, Drogen-, Waffen- und Treibstoffschmuggel, bis hin zur Organisierung privater Wach- und Sicherheitsdienste, Versicherungsbetrügereien und Spekulationsgeschäften (Picard 1999).

In welchem Verhältnis wirtschaftliche und politische Motive bei solchen Strukturen stehen, ist in der neueren Diskussion umstritten und wohl auch im einzelnen unterschiedlich. Für Georg Elwert sind “Gewaltmärkte” der Gravitationspunkt für “als Bürgerkriege, Kriegsherrensysteme oder Räubertum bezeichnete Konflikte, bei denen das ökonomische Motiv des materiellen Profits dominiert.” (Elwert 1998: 265) Andere Beobachter heben die fallweise unterschiedliche Gewichtung der wirtschaftlichen, militärischen und politischen Ziele hervor: “Oft bleibt unklar: was Mittel ist und was Zweck. Handeln die Warlords in Westafrika mit Diamanten, um ihre verwilderten Söldner zufriedenzustellen oder spielen sie ‚Krieg’ um des Diamantenschmuggels willen?” (Eppler 2001).

Während auch Mary Kaldor die Bedeutung dieser Strukturen der informellen und kriminellen Ökonomie anführt, erscheint es dennoch zu kurz gegriffen, mit dem zutreffenden Verweis auf interne Verhältnisse die Gesamtproblematik auf den Begriff “Privatisierung der Gewalt” zu reduzieren: “Die Aushöhlung der Autonomie des Staates, in Extremfällen seine völlige Auflösung, bildet den Kontext, aus dem die neuen Kriege erwachsen.” (Kaldor 2000: 12, vgl. auch 161 ff). Die Regionen, die hier angesprochen werden, stellen keine autarken sozialen und ökonomischen Inseln dar. Vielmehr sind Kriegsökonomien sowohl was ihre Finanzierung als auch die von ihnen benötigten Waffenlieferungen angeht, in einem breiteren weltwirtschaftlichen Zusammenhang zu sehen, der bei dieser Fokussierung auf die Binnenverhältnisse weitgehend ausgeblendet bleibt: “Da Gewaltmärkte das landesinterne Institutionengefüge und Produktionspotential weitgehend zerstören, sind sie entscheidend von Abnehmern, Lieferanten, Banken und anderen Dienstleistungen außerhalb ihres Raumes abhängig.” (Elwert 2001: 15). Wenn etwa die Bürgerkriege in Angola und Sierra Leone überwiegend dadurch finanziert werden konnten, daß die Rebellen Diamantengebiete kontrollieren, so bedurfte es auch der Abnehmer für diese Diamanten, in diesem Fall den südafrikanischen Konzern De Beers, der den weltweiten Handel weitgehend kontrolliert und über den die Edelsteine den Weg in die legalen Kreisläufe fanden (vgl. Custers 2001). Als wesentlicher Hintergrund der unterschiedlichen Kriegsökonomien ist also die Verschränkung des regulären, des informellen und des kriminellen Sektors der globalen Wirtschaft zu sehen (vgl. Lock 2001: 20 ff).

Wenn staatliche Gewalt in bestimmten Regionen auch weitgehend erodiert ist, so trifft dies auf der militärischen Ebene keineswegs auf alle Staaten zu (aktuelle Gegenbeispiele: USA, NATO) und ebensowenig ist davon auszugehen, daß Staaten keinerlei Rolle bei den internationalen Waffentransfers spielen würden. In unterschiedlichem Maß und in unterschiedlichen Formen haben einzelne Regierungen in diese speziellen Warenströme eingegriffen (und tun dies bis heute). Staaten lieferten oder schenkten im Rahmen von Militärhilfe Waffen an andere Staaten und Geheimdienste statteten oppositionelle Bewegungen, die in ihre Kalküle paßten, mit dem nötigen Kriegsgerät aus. Regierungen konnten somit aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen selbst an Waffentransfers beteiligt sein (active involvement). Oder aber sie versuchten, durch eine mehr oder weniger restriktive Gesetzgebung Einfluß auf Ausmaß und Richtung privater Geschäfte zu nehmen (passive involvement). Insofern sind die aktuellen Gewaltmärkte nicht allein durch eine Tendenz von “Privatisierung” und “Entstaatlichung” zu erklären, sondern durch ein spezifisches Zusammenwirken von privaten und staatlichen Akteuren, das zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Formen angenommen hat. Dies ist am Beispiel der Kleinwaffen näher zu untersuchen.

Waffentransfers: Active involvement

Die Expertenmeinungen sind darüber geteilt, ob Kleinwaffen “ewig” hielten oder ob dies nur in einigen Fällen wie für das Kalaschnikow-Sturmgewehrs AK 47 gelte, das tatsächlich jahrzehntelang verwendbar sei (vgl. dazu Graduate Institute ... 2001: 81, Paes 2000: 35). Wenn also die vielfach betonte “Robustheit” von Kleinwaffen nicht überschätzt werden soll, bestehen gleichzeitig kaum Zweifel daran, daß die Mehrzahl von ihnen tatsächlich langfristig nutzbar sind, so daß frühere Waffenlieferungen der Großmächte seither vielfache Zirkulationsetappen durchlaufen haben. In Afrika haben sich große regionale Waffenbestände insbesondere in Südafrika und Mosambik, aber auch in Somalia und Äthiopien, deren Regierungen wechselweise vom Westen und vom Osten unterstützt wurden, angesammelt, wobei ein Großteil davon mittlerweile in Privathände gelangt sind: “Für die meisten Menschen am Horn von Afrika ist Waffenbesitz kein Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit” (Johnson 2001a: 4, vgl. auch GTZ 2001: 15).

Ähnlich verhält es sich mit den Waffen, die an zentralamerikanische Regierungen verteilt wurden, um dort gleichfalls den Kommunismus zu bekämpfen, so in Nicaragua und Guatemala. In El Salvador haben die erheblichen Waffenbestände aus der Zeit des Bürgerkriegs zusammen mit anhaltenden sozialen Spannungen dazu geführt, daß heutzutage mehr Menschen durch Schußwaffen ums Leben kommen, als dies während des eigentlichen Bürgerkriegs der Fall war (Lock 1999: 11). In Kolumbien wiederum finden viele dieser Waffen sich inzwischen in den Händen der kolumbianischen Drogenbarone bzw. der von ihnen befehligten Guerillas, die sich auf diese Art gegen militärische Operationen des von den USA beauftragten Söldner-Unternehmens MPRI zu Wehr setzen, da die USA mittlerweile den Kampf gegen den Kommunismus durch den Kampf gegen die Drogen ersetzt haben (Zelik 2001: 405).

Auch Kambodscha war lange Zeit Adressat umfangreicher Waffentransfers : “In Militärbaracken, Höhlen und Bauernhäusern lagern noch mindestens eine halbe Million Gewehre, Pistolen und Granaten amerikanischer, sowjetischer und chinesischer Herkunft, mit denen die Großmächte das kleine Land in Jahrzehnten des Krieges seit 1970 überschwemmten.” (Lietsch 2001: 4). Die Philippinen gehören zu den Ländern, die bevorzugt von den USA beliefert wurden und werden. Hier, wo die meisten Militärs schlecht bezahlt werden, hat sich ein schwunghafter Handel mit angehäuften Armeebeständen entwickelt, so daß sich unter anderem die Terrororganisation Abu Sayaf auch auf diese Art die nötigen Waffen verschafft: “... Soldaten und Offiziere der philippinischen Armee sind froh, sich mit dem Verkauf ihrer Pistolen und von Munition an immer neue Möchtegernkidnapper einen Nebenerwerb zu ihrem mageren Sold zu schaffen.” (Lietsch 2001: 4) Diese Verkäufe ergänzen die ohnehin schon bestehende anhaltende Zirkulation der Waffen zwischen Armeeeinheiten und Rebellengruppen, die bei Kämpfen von der anderen Seite erbeutet werden, um bei der nächsten Gelegenheit dieser gegenüber eingesetzt zu werden (Graduate Institute... 2001: 183). In den 1980er Jahren schließlich wurden die afghanischen Mujahedin vom US-amerikanischen CIA großzügig mit mehr als 1 Mio. Kalaschnikows samt Munition sowie mit Raketen ausgestattet, die von den Taliban im Herbst vergangenen Jahres gegen ihre früheren Bündnispartner eingesetzt werden konnten (Lock 1999: 1).

Insgesamt sollen die USA zwischen 1950 und 1975 mehr als 2 Mio. Gewehre an Alliierte verschenkt haben. Die östliche Großmacht stand dem in nichts nach: “Die Sowjetunion hat insbesondere ihren ‚Exportschlager‘ Kalaschnikow millionenfach an Streitkräfte und Guerillakämpfer in den Entwicklungsländern verkauft oder verschenkt.” (GTZ 2001: 13)

Waffentransfers: Passive involvement

Offiziell werden Kleinwaffen derzeit in mehr als 600 Unternehmen und in mindestens 95 Ländern hergestellt, wobei das Gesamtvolumen des Marktes in den letzten Jahren abgenommen hat. Gemessen an der Zahl der Beschäftigten wie auch an den Stückzahlen ist die Produktion zumindest bis Ende der 1990er Jahre ebenso geschrumpft wie in anderen Bereichen der Rüstungsindustrie, vor allem weil für die im Kalten Krieg involvierten Armeen die legitimatorische Grundlage entfiel, ihre bereits beträchtlichen Waffenarsenale weiterhin auszubauen. Es wird geschätzt, daß von 1980 bis 1998 jährlich weltweit 6,3 Mio. Kleinwaffen produziert wurden, im Jahr 2000 demgegenüber 4,3 Mio. In den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden militärische Kleinwaffen vor allem in staatlichen Betrieben der Sowjetunion und in privaten Unternehmen der USA produziert, außerdem in mehreren europäischen Ländern. Ein großer Teil der Produktion wurde exportiert und für die gängigeren Waffen Lizenzen zur Produktion in anderen Ländern vergeben. Trotzdem die Gesamtumsätze des Kleinwaffenmarktes zurückgingen, kam es zu einem Zuwachs an Firmen und Ländern, die in diese Art von Geschäften involviert sind. Als newcomer sind auf Länderebene im letzten Jahrzehnt vor allem Brasilien, China, Indien, Israel, Pakistan, Singapur, Südafrika und Taiwan zu nennen. Diese Entwicklungen haben die Entstehung eines Käufermarktes und eine wesentliche Verschärfung der Konkurrenz mit sich gebracht, der manche Firmen durch verstärkte Produktdifferenzierung, andere durch Dumping-Preise und durch die Suche nach neuen Abnehmern, also durch aggressive Verkaufspolitik, begegneten (vgl. Graduate Institute ... 2001: 7ff, 16, 48).[3]

Vom Produktionswert her noch bedeutender ist der Munitionsmarkt, und auch hier findet man ähnliche regionale Schwerpunkte. Wiederum dominieren Firmen in den USA und in der Russischen Föderation, außerdem gibt es bedeutende Produzenten in Norwegen, Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien und Großbritannien. Entscheidend ist nun, in welcher Weise Staaten legale Exporte definieren, sie fördern oder behindern und inwieweit sie illegale Exporte unterbinden – oder aber ihnen sogar Vorschub leisten. Trotz der in den letzten Jahren verstärkten Bemühungen, Kenntnisse über die entsprechenden Praktiken und ihre Ergebnisse zu erlangen, ist der Wissenstand nach wie vor äußerst lückenhaft.

Man geht davon aus, daß 80-90% aller Exporte einen legalen Ausgangspunkt haben. Von den 95 Staaten, in denen Waffen produziert werden, machen allerdings weniger als 2/3 Angaben über ihre entsprechenden Exporte (zu denjenigen, die solche Auskünfte ablehnen, gehören nicht nur Iran, sondern auch Norwegen und Frankreich) (Graduate Institute ... 2001: 145 f). Die vier größten Exporteure (deren jährliche Ausfuhr an Kleinwaffen mehr als 75 Mio. US $ beträgt) sind, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung: die USA, Deutschland, die GUS und Brasilien. Auf den nächsten Plätzen finden sich Österreich, Tschechien, Großbritannien, Südkorea, Polen und Schweden (ebd.: 148).

Durch das Bestehen von (im einzelnen unterschiedlichen) staatlichen Regelungen existiert ein Nebeneinander von legalen Exporten und einer Abstufung von illegalen Exporten (an denen durchaus auch Regierungen selbst beteiligt sein können – prominentestes Beispiel die Iran-Contra-Affäre in den USA). Nach der Definition der UNO sind illicit transfers solche, die im Gegensatz zu nationalem oder internationalem Recht stehen. Als “graue Märkte” werden dabei jene bezeichnet, auf denen dieses Recht umgangen wird oder Schlupflöcher ausgenutzt werden; als “schwarze Märkte” jene, auf denen in direktem Widerspruch zu solchem Recht gehandelt wird (wobei die Verletzung der Norm sich für die Akteure besonders profitabel gestalten kann, wenn etwa gegen ein Waffenembargo oder das Lieferverbot in eine Konfliktregion verstoßen wird, Graduate Institute... 2001: 165 f).

Es gibt einige Länder, die mittlerweile eine besondere Reputation als Drehscheiben für den Umschlag von der Legalität zur Illegalität erlangt haben, so insbesondere Israel, eines der bevorzugten Empfängerländer für US-Exporte und seinerseits Lieferant an Rebellengruppen in Sri Lanka und Sierra Leone sowie an die Drogenbarone in Kolumbien; außerdem die Philippinen, ebenfalls häufig Adressat von Exporten aus den USA, aber auch aus Großbritannien, Kanada und Südafrika; des weiteren Thailand, das von den USA, Kanada und Deutschland beliefert wird; schließlich Singapur, das legale Waffenlieferungen aus den USA bezieht. Besonders die Philippinen gelten ebenso wie Thailand und Singapur als Länder, in denen sich Schwarzmärkte zur Versorgung nahe gelegener Konfliktregionen etabliert haben (Graduate Institute ... 2001: 155).

Eine besondere Variante für derartige Vernebelungsaktionen der Lieferungen in Spannungsgebiete stellen Praktiken in mehreren afrikanischen Staaten dar. In rohstoffreichen afrikanischen Ländern nutzten dort agierende Rebellengruppen oder Warlords, wenn aufgrund anhaltender blutiger Konflikte ein UN-Waffen-Embargo bestand, gerne die Dienste der Regierungen benachbarter Länder. Diese erklärten sich vielfach bereit, als nominelle End-Destinationen von Waffenlieferungen aufzutreten, gegen entsprechende Zahlungen oder die Überlassung eines Teils der Militärgeräte jedoch als faktische Zwischenstationen zu fungieren. In dieser Weise wurden Lieferungen aus Bulgarien und der Slowakei an die RUF in Sierra Leone, die wichtige Diamantenminen kontrolliert, über Senegal abgewickelt, solche aus Libyen über Liberia, solche aus der Ukraine über Burkina Faso. In ähnlicher Weise unterstützten die Regierungen von Zaire und Togo Lieferungen aus Osteuropa an die UNITA in Angola und ließen sich dafür in Diamanten oder in bar bezahlen. Auch außerhalb von Afrika wurden derartige Gepflogenheiten festgestellt. So hat sich vor allem Pakistan als Relaisstation etabliert, und dies bereits im Zusammenhang mit den CIA-Transaktionen nach Afghanistan in den 1980er Jahren, wobei sich die Regierung ihre Makler-Dienste in Waffen bezahlen läßt, die auf regionale Märkte weiterverschoben werden, beispielsweise an indische Rebellengruppen (Graduate Institute... 2001: 171 ff). Einen Fall besonderer Art stellte im August 2000 die großspurige Ankündigung der peruanischen Regierung dar, einen Schmugglerring aufgedeckt zu haben, der noch in der DDR hergestellte AK-47 Kalaschnikows aus Jordanien an die kolumbianische FARC liefern wollte. Offizielle Destination war angeblich die peruanische Armee, doch stellte sich bald heraus, daß der peruanische Geheimdienst selbst den Deal über die 50.000 Sturmgewehre, der vermutlich mit Kokain bezahlt werden sollte, eingefädelt hatte. Die Affäre führte letztlich zum Rücktritt des peruanischen Präsidenten Fujimori im November (Graduate Institute ... 2001: 187).

Welche Rolle spielen nun staatliche Instanzen in Deutschland innerhalb dieses Karussells der Lieferungen, Verschiebungen und Umlenkungen? Wie kommt es, daß dem erstmals 1999 vorgelegten deutschen Rüstungsexportbericht zufolge Kleinwaffen- und Munitionslieferungen in 68 Länder außerhalb von EU und NATO stattfanden, wobei allein das Sturmgewehr G3 von Heckler & Koch in fast ebensovielen Ländern millionenfach verbreitet ist, und dies, obwohl die Bundesrepublik stets eine restriktivere Exportpolitik betrieben hat als etwa Großbritannien und Frankreich (vgl. Richter 2001)? Gesetzliche Grundlagen bilden das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), die beide aus dem Jahr 1961 stammen. Inzwischen bearbeitet das Bundesausfuhramt, als nachgeordnete Behörde des BMWi die Anträge der deutschen Industrie zum Export von Waffen. Grundsätzlich galt bisher, daß sämtliche Exporte von Rüstungsgütern genehmigungspflichtig sind, wobei Genehmigungen dann zu versagen sind, wenn “die Gefahr besteht, daß die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden”, oder wenn “Grund zu der Annahme besteht, daß die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde.” (zit. nach Strutynski 1996: 1) Es durfte also nicht an Staaten geliefert werden, gegen die ein Embargo verhängt wurde oder die sich im Kriegszustand befanden. Aus den letzten Jahrzehnten ist allerdings bekannt, daß deutsche Waffen dennoch auch solche Gebiete erreichten. Es sind vor allem drei Gründe auszumachen, die mögliche wohlmeinende Absichten der Eingrenzung von Rüstungsexporten wiederholt auf die Qualität von Sonntagsreden reduzierten. Zunächst, daß die Kennzeichnung eines Staates als “Spannungsgebiet” unterschiedlich interpretiert werden konnte, wie (bis zum heutigen Tag) an der vielfachen Gewährung von Rüstungsexporten für die Türkei oder Israel zu sehen ist. Der zweite Grund ist in den erwähnten Umweggeschäften zu sehen. Länder, an die geliefert wurde, mußten keineswegs die Enddestinationen darstellen, und die Wege, die Waffen danach zurücklegten, konnten immer verworrener werden, je häufiger sie von dort aus ihre zweiten, dritten oder vierten Verwendungen fanden. Schließlich ist als drittes die Bedeutung von Lizenzproduktionen zu nennen, deren Ausmaß in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen hat. Für deutsche Waffen wie etwa die Gewehre von Heckler & Koch wird angenommen, daß die meisten von ihnen, wenn sie in Kriegen des letzten Jahrzehnts eingesetzt wurden, entweder aus Militärhilfe oder aus Lizenzproduktionen stammten: “Die Lizenzvergabe ist für den Kleinwaffenbereich das größte Problem: Zwar haben die Lizenznehmer gegenüber der Bundesrepublik eine Endverbleibserklärung unterschrieben, die einen weiteren Export ausschließt, die Einhaltung dieser Vorschrift ist jedoch kaum zu überwachen.” (Paes 2000: 8).

Im Januar 2001 hat das Bundeskabinett neue Richtlinien für Rüstungsexporte verabschiedet, wonach erstmals auch die Menschenrechtssituation des Empfängerlandes zum Maßstab für eine positive Entscheidung gemacht wird. So begrüßenswert diese Absichtserklärung ist, so fraglich ist auch, ob sie aus den genannten und im Großen und Ganzen unverändert weiterbestehenden Gründen zu realen Veränderungen führen wird. Die Ankündigung, daß etwa in den kommenden Jahren bis zu 65.000 Heckler & Koch-Gewehre des neuen Typs 36E an das Königreich Nepal geliefert werden sollen, läßt wenig Gutes erwarten. Immerhin befindet sich das Land in einem Bürgerkrieg, in dem sich die autoritäre Regierung und die maoistische Guerilla UCP gegenüberstehen. Es war im übrigen ein Gewehr dieses Typs, mit dem der nepalesische Kronprinz bereits letztes Jahr seinen Vater, weitere Verwandte und schließlich sich selbst umbrachte. Das Gewehr hat demnach seine Feuertaufe dort bereits hinter sich (vgl. Pflüger 2000, Nassauer 2002).

Verbreitung und Zirkulation von Kleinwaffen

Eine Vorstellung von den weltweiten Beständen zu erhalten, stößt auf wesentlich größere Hindernisse, als sie im Fall von Großwaffen bestehen. So einfach es ist, sich auf Messen, in Fachjournalen und anhand von Firmenprospekten über die technischen Details älterer wie neuer Typen in allen ihren Varianten zu informieren, so schwierig ist es, Angaben über die quantitative Verbreitung der Waffen zu erhalten, da sich Herstellerfirmen hier meist äußerst reserviert verhalten, wie auch Regierungen wenig Ambitionen zeigen, entsprechende Daten zu sammeln oder zu veröffentlichen. In neueren Schätzungen wird davon ausgegangen, daß der Bestand an Feuerwaffen im Jahr 2001 weltweit mindestens 550 Mio. Stück betrug, was im Schnitt eine Waffe für jeweils elf Erdbewohner bedeutet, wobei solche im Besitz von Privaten unzureichend erfaßt werden und über den illegalen Besitz nur Vermutungen angestellt werden können. Von diesen rd. 550 Mio. Waffen gehören mehr als die Hälfte, nämlich rd. 305 Mio., in legaler Form Privatpersonen. Daß ein ganz erheblicher Teil davon bei US-Bürgern im Schrank liegt, überrascht sicherlich nicht besonders, doch ist hierbei auch anzumerken, daß viele Länder, in denen privater Besitz weitverbreitet ist, hierbei überhaupt nicht erfaßt sind, weil die Regierungen die Veröffentlichung entsprechender Daten bisher nicht für erforderlich hielten (so etwa Afghanistan, Jemen, Frankreich und die Schweiz). Ein weiterer großer Teil, nämlich rd. 226 Mio., sind regulären Streitkräften zuzuordnen, wobei diese Bestände in vielen Fällen weit über aktuelle Erfordernisse hinausgehen und nach wie vor Reserven enthalten, die diese um das doppelte oder dreifache übersteigen. Demgegenüber verfügen Polizeikräfte lediglich über rd. 18 Mio. Waffen, da hier üblicherweise kaum Reserven gehalten werden, und noch geringer fallen die Schätzungen über den Waffenbesitz von nicht-staatlichen Milizen, Guerilla- oder Rebellengruppen aus, bei denen derzeit rd. 1 Mio. Waffen vermutet werden (vgl. Graduate Institute ... 2001: 59 ff).

Betrachtet man – soweit Daten dazu bekannt sind – die Gesamtzahl der produzierten Waffen von 1945 bis Ende der 1990er Jahre, so ergibt sich folgende Reihung der am weitesten verbreiteten Handwaffen:

Waffe

Hersteller, Land

Lizenzproduktionen in ... Ländern

in Verwendung in ... Ländern

Produktion in Stück

Sturmgewehr

AK (Kalaschnikow)

Izhmash

(Rußland)

19

80

70-100 Mio.

Pistole

Makarow 9 mm

Izhmash

(Rußland)

5

14

20 Mio.

Sturmgewehr

M 16

Colt´s Manuf.

(USA)

4

67

> 7 Mio.

Sturmgewehr

G 3

Heckler & Koch

(Deutschland)

18

64

> 7 Mio.

Sturmgewehr

FN-FAL

FN Herstal

(Belgien)

15

94

5-7 Mio.

Maschinenpistole UZI

IMI

(Israel)

5

> 50

1-10 Mio.

Pistole

FN 9 mm Browning

FN Herstal

(Belgien)

7

64

1,3 Mio.

Gewehr

Glock 9 mm

Glock

(Österreich)

50

1 Mio.

Sturmgewehr

Galil

IMI

(Israel)

3

15

> 500.000

Maschinengewehr

7.62 MAG

FN Herstal

(Belgien)

8

> 90

150.000-200.000

Angaben nach Graduate Institute of International Studies (2001): 20

 

Hinter diesen aggregierten Daten verbergen sich Ströme innerhalb und zwischen diesen Sektoren, die der Logik des Bedarfs folgen: Ströme von Gebrauchtwaffen fließen im allgemeinen dorthin, wo sie gebraucht, bezahlt und genutzt werden. Neben den Lieferungen von Staaten an Regierungen und Bürgerkriegsparteien sowie den legalen und illegalen Exporten ist eine große Zahl von Kleinwaffen durch Hinterlassenschaften aus früheren Kriegen und Bürgerkriegen in Umlauf gekommen. So landete etwa ein großer Teil der von den USA in Vietnam hinterlassenen M 16-Sturmgewehre über Vermittlung Kubas bei der Befreiungsbewegung Guatemalas, die übrigen in anderen lateinamerikanischen Staaten (Graduate Institute... 2001: 169). Darüberhinaus haben die Großmächte in Ost und West selbst wie auch ihre Bündnispartner im Rahmen von NATO und Warschauer Pakt während des Kalten Krieges riesige Arsenale von Waffen und Munition angehäuft. In diesem Fall hat die politische Wende von 1990 eine entscheidende Weichenstellung bewirkt, da das Ausmaß der Bestände seither als überdimensioniert eingeschätzt und daher schrittweise abgebaut wurde. So sehr die meisten Regierungen Verschrottungsaktionen begrüßen, wenn sie andernorts stattfinden, so wenig konnten sich westliche wie östliche Regierungen zu solchen Maßnahmen im Hinblick auf die eigenen Bestände durchringen. Im Jahr 1991 verschenkte beispielsweise die deutsche Regierung 350.000 Kalaschnikow-Sturmgewehre, 440 Mio. Stück Munition, dazu noch Flugzeuge und Panzer, überwiegend aus den Beständen der NVA an die Türkei – eine “ganze Armeeausrüstung”, wie die FAZ damals feststellte. Weitere Kleinwaffen und Munitionsbestände landeten auf dunklen Wegen in Bosnien (GTZ 2001: 13, Lock 1999: 7, Lee 1999). In anderen Fällen erfolgte diese Reduzierung auch durch private Transaktionen ohne staatliche Genehmigung, wie im Fall der Lieferungen, die von 1992 bis 1996 im Wert von 1 Mia. US $ aus russischen Beständen an Armenien erfolgten. Häufig waren (und sind) die Waffendepots wegen der Erosion staatlicher Autoritäten unzureichend kontrolliert und gesichert, so daß kriminelle Gruppen sich dort ebenso für den eigenen Bedarf wie zur Weiterveräußerung bedienen konnten. Es wird vermutet, daß die russischen Armeedepots weltweit die größte Quelle an gestohlenen Militärgütern darstellt. Ähnliche Zustände sollen in Kasachstan herrschen (Gebrewold 1999: 4 f, Graduate Institute ... 2001: 178). In Albanien schließlich kam es dazu, daß die Bevölkerung 1997 im Zuge der Panik, die der Aufdeckung des Schwindels mit den Pyramiden-Investment-Fonds folgte, Polizeistationen und Armee-Depots stürmte. Dadurch kamen mehr als 650.000 Kleinwaffen in Umlauf, von denen viele später im Kosovo landeten. Dies erzeugte zusammen mit anderen Waffenströmen, die in die Region flossen, ein derartiges Überangebot an Waffen, daß Berichten zufolge verarmte Albaner in Mazedonien Kalaschnikow-Gewehre zum Preis von 25 US $ anboten (Paes 2000: 5, Graduate Institute... 2001: 177).

Der breite Strom der auf den Markt geworfenen Bestände wird vermutlich nicht so bald versiegen, da die meisten Armeen danach trachten, ihre Bestände von Zeit zu Zeit zu erneuern. So verlautete im letzten Jahr, die Bundeswehr plane in absehbarer Zeit die Ausmusterung von 400.000 G3-Gewehren, 50.000 Maschinenpistolen sowie sonstigen Pistolen. An eine Verschrottung der überzähligen Waffen war bisher nicht gedacht: “Der Verteidigungsminister ist knapp bei Kasse und sucht händeringend nach zahlungskräftigen Abnehmern für überflüssiges Kriegsmaterial. Die alten Gewehre und Pistolen können etliche Millionen Mark bringen.” (Richter 2001) In einer neueren Stellungnahme des Bundesverteidigungsministerium heißt es dazu sibyllinisch: “Ausgesondertes Material der Bundeswehr ist nach haushaltsrechtlichen Vorgaben mit dem größtmöglichen Nutzen zu verwerten...” Allerdings bestünde, so wird ohne genauere Terminierung verkündet, die Absicht, “eine Grundsatzregelung herbeizuführen, wonach Überbestände an Kleinwaffen generell nicht mehr veräußert, sondern vernichtet werden sollen.” (zit. in: Friedenspolitischer Ratschlag 2002)

Waffen als solche richten keinen Schaden an, wie die US-amerikanische Waffenlobby nicht müde wird zu versichern. Aber wenn sie in Spannungssituationen verfügbar sind, ob im privaten oder im öffentlichen Bereich, und wenn sich eine entsprechende Gewaltkultur herausgebildet hat, dann können sie ganz entscheidend zu dramatischen Eskalationen beitragen. Als ein Beispiel für viele sei der Genozid in Ruanda von 1994 angeführt. In den Medien hat sich damals eine Darstellung der Ereignisse durchgesetzt, bei der der “atavistische” Charakter dieser Massenmorde unter anderem dadurch belegt wurde, daß dabei vor allem mit Macheten, Äxten, Messern und anderen “primitiven”, nicht-industriellen, Waffen vorgegangen wurde. Diese Sichtweise trug dazu bei, die Bedeutung der vorherigen Waffenlieferungen herunterzuspielen. Tatsächlich war es der ruandischen Hutu-Regierung in den Jahren zuvor gelungen, Kleinwaffen in einem Umfang von mehr als 32 Mio. US $ zu erwerben, darunter Handgranaten, Munition, Sturmgewehre und Mörser aus Ägypten, Rußland, Frankreich und Südafrika. Bezahlt wurden diese Waffen überwiegend aus den finanziellen Zuwendungen im Rahmen eines IWF-Strukturanpassungs-Programms, das mit einer Schock-Therapie einherging, die in dem ohnehin armen Land zur Verschärfung der sozialen Spannungen beitrug. Die Waffen wurden nicht nur gehortet, sondern auch benützt – unmittelbar vor Ausbruch der Auseinandersetzungen waren nach Einschätzung der Angehörigen von Friedenstruppen 85 Tonnen Waffen im Land verteilt worden – , und Experten gehen davon aus, daß es ohne den Einsatz von automatischen Gewehren und Handgranaten nicht zu der ungeheuren Zahl von mehr als einer Million Toten in nur wenigen Monaten hätte kommen können (Graduate Institute ... 2001: 206).

Hoffnung auf nationale und internationale Regulierungen?

An Vorschlägen zur Begrenzung der Produktion und Zirkulation von Kleinwaffen fehlt es nicht. So wurde bereits des öfteren angeregt, als ersten Schritt den Informationsstand über die entsprechenden Daten zu verbessern, wobei vor allem die illegalen Transfers erfaßt werden müßten. In der Tat bemüht sich das eingangs genannte Graduate Institute of International Studies in Genf, in Anlehnung an ähnliche Aktivitäten der Stockholmer Organisation SIPRI für den Bereich der Großwaffen, solche Daten systematisch zu sammeln und aufzuarbeiten. (Der erstmals 2001 publizierte Small Arms Survey bildete daher eine der wichtigsten Informationsquellen des vorliegenden Beitrags). Allerdings stellen sich im Fall der Kleinwaffen besondere Probleme, da diese im allgemeinen sehr viel schwerer zu identifizieren sind. Als grundlegende Voraussetzung für eine bessere Erfassung der Export- und Importströme wurden daher Kennzeichnungssysteme gefordert, um eine Kontrolle der Verkäufe wie der sonstigen Zirkulation ermöglichen. Nach langen und kontroversen Auseinandersetzungen bezog sich auch das einzige greifbare Ergebnis der UN-Kleinwaffen-Konferenz von Juli 2001 auf diesen Punkt: Handelswege von Kleinwaffen durch die Markierung und Registrierung der Waffen transparenter zu machen, wobei der entsprechende Vorschlag zwar angenommen wurde, für die einzelnen Staaten aber nicht bindend ist (Presseerklärung... 2001).

Weitergehende Schritte zur Eindämmung der Kleinwaffenflut wären Beschränkungen von Produktion und Besitz dieser Waffen. In dieser Frage profilierte sich besonders die USA-Delegation bei der genannten Konferenz mit einer Hardlinerposition. Nicht nur den eigenen Bürgern seien Einschränkungen nicht zuzumuten, auch für die Regierung sollte weiterhin die (bisher ja ausgiebig genutzte und in den Folgen bekannte) Ermächtigung gelten, “legal Waffen an Freiheitskämpfer im Kampf gegen ein Terror- oder Völkermordregime zu liefern” (Johnson 2001b). So schrumpfte die wichtige Forderung einer Begrenzung legaler Exporte zum (wiederum unverbindlichen) Aufruf an die einzelnen Staaten zusammen, die Kontrolle ihrer Waffenexporte gesetzlich zu regeln (Presseerklärung... 23.7.2001).

Insofern fehlen allgemeine Regelungen und sie sind wohl auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, da von den großen Produzentenländern nicht nur die USA, sondern Rußland und China ebenfalls wenig Neigung zeigen, irgendwelchen Einschränkungen zuzustimmen. Dennoch sind in den letzten Jahren eine Reihe von regionalen Initiativen entstanden. Die inter-amerikanische Konvention, die sämtliche Länder des Nordens wie des Südens umfaßt, zielt auf die Kontrolle der illegalen Transfers ab, wurde jedoch von mehreren Staaten, insbesondere den USA, noch nicht ratifiziert. Demgegenüber wurden bei einer Konferenz mehrerer westafrikanischer Staaten, ECOWAS, auch die Frage aktueller Überschuß-Bestände einbezogen, außerdem ein Verhaltenskodex zum Handel mit Kleinwaffen und ein regionales Waffenregister beschlossen. Die Umsetzung hat sich allerdings als schwierig erwiesen und es gibt Hinweise auf Verstöße gegen das Moratorium bei Lieferungen an Sierra Leone. Immerhin haben einige westliche Lieferländer, darunter die Bundesrepublik, angekündigt, Exporte nur noch im Einklang mit dem Verhaltenskodex genehmigen zu wollen. In anderen Teilen Afrikas haben NGOs und Regierungen ebenfalls regionale Konferenzen initiiert, in denen ähnliche Zielsetzungen formuliert wurden. Im Vergleich dazu zeigten südost-asiatische Regierungen bisher bisher kaum Interesse, sich mit dem Problem überhaupt zu befassen. Schließlich hat die EU 1998 einen Code of Conduct beschlossen, nach dem für Waffenexporte allgemein gilt, daß ein Antrag in einem Land dann nicht ohne weiteres genehmigt werden darf, wenn er zuvor in einem anderen EU-Land abgelehnt wurde. Auch sonst wurden auf EU-Ebene eine Reihe von Erklärungen verabschiedet, in denen die Absicht bekundet wird, eine Verringerung der Bestände wie der Zirkulation von Kleinwaffen anzustreben. Für sämtliche genannten internationalen Übereinkünfte ist bisher gleichwohl fraglich, ob sie tatsächlich eine praktische Relevanz haben, die über den Status der Lippenbekenntnisse hinausreicht (vgl. Graduate Institute ... 2001: 252 ff).

Während keine der angeführten Regierungen ernsthafte Absichten zeigt, im eigenen Land stärkere Regulierungen durchzusetzen, finden punktuelle Maßnahmen der Reduzierung von Waffenbeständen in Krisengebieten, also Waffen-Einsammel- und Vernichtungs-Aktionen wie zuletzt im Jahr 2001 im Kosovo, stets große Zustimmung. Sie berühren den Gesamtbestand so gut wie nicht und führen im schlechteren Fall zu neuen Aufträgen für illegale Waffenhändler, im besseren Fall zu einer lokalen De-Eskalation. Wenn die Erfolge angesichts der Gesamtproblematik auch bescheiden wirken, so konnten Rückkaufprogramme (bei UN-Friedensmissionen), oder UNDP-Programme nach dem Muster “Waffen für Entwicklung” zumindest auf Dorfebene (z.B. in der albanischen Provinz Gramsch) begrenzt Ansätze für eine Umkehr der bisherigen Zerstörungslogik schaffen (GTZ 2001: 22 ff).

Allerdings ist mit Peter Lock zu fragen, ob es ausreichen kann, allein die Angebotsseite dieses Marktes anzusprechen (Lock 1999: 2). Denn angesichts fast unerschöpflich scheinender Bestände würden selbst Beschränkungen von Produktion und Handel (sollte es sie denn jemals weltweit geben) möglicherweise immer noch ausreichend Kriegsgerät übriglassen, um nachhaltig Unheil anzurichten. Dies legt nahe, verstärkt auch die Nachfrageseite in den Blick zu nehmen. Dazu gibt es eine Reihe von Vorschlägen der GTZ, die sich auf die Länder beziehen, in denen Kriegsökonomien bestehen. Ehemalige Kämpfer wurden demobilisiert und mit Hilfe konkreter Projekte reintegriert, indem ihnen Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten angeboten werden. UNICEF hat derartige Wiedereingliederungs-Programme bereits in Mosambik, Uganda, Ruanda, Sierra Leone und Kambodscha für ehemalige Kindersoldaten durchgeführt (GTZ 2001: 30 ff, UNICEF 2000). Schließlich wird von verschiedensten Seiten gefordert, Gewaltkulturen zu bekämpfen und Formen gewaltloser Konfliktaustragung zu fördern. Zweifellos müssen Regionen, in denen es Kriege und anhaltende Gewalt gibt, unterstützt werden, wenn sich Gruppierungen dort darum bemühen, auf einer zerrütteten Grundlage neue zivile Strukturen aufzubauen. Doch kann es mit dieser erweiterten Form von Sozialpädagogik allein nicht getan sein.

Derartige Projekte zur Förderung der Zivilgesellschaft könnten nur dann eine anhaltende Wirkung haben, wenn sowohl die Verfügbarkeit von Waffen eingeschränkt wie die tieferliegenden ökonomischen und sozialen Ursachen für gewaltvolle Auseinandersetzungen thematisiert würden. Die Rede von den Gewaltökonomien verführt allzu leicht dazu, diese als relativ isolierte, sich selbst perpetuierende Erscheinungen zu betrachten, als eine Horror-Gegenwelt zu jenen Ländern, in denen staatliche Gewalt in den letzten Jahrzehnten zwar auf manchen Gebieten als obsolet gilt und auch im militärischen und polizeilichen Bereich Konkurrenz durch private Dienste bekommen hat, das dominante staatliche Gewaltmonopol aber im Prinzip aufrecht erhalten bleibt. Doch die nicht-staatlichen und die staatlichen Akteure in verschiedenen Weltgegenden sind durch vielfache und enge Beziehungen miteinander verbunden – auf direkte Art durch Waffenlieferungen, auf indirekte durch die verschlungenen Wege der Güter, mit denen Kriegsökonomien sich finanzieren, wie durch Geschäfte mit Rohstoffen oder anderen wertvollen Handelswaren. Solche unheilvollen Verflechtungen zu kappen und sie durch Transaktionen zu ersetzen, die Entwicklungschancen für benachteiligte Weltregionen böten, wäre ein lohnenswertes Zukunftsprojekt. Für dessen Realisierung sieht es derzeit allerdings nicht besonders gut aus.

Literatur

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Elwert, Georg (1998): Wie ethnisch sind Bürgerkriege? Der Irrglaube, daß Bürgerkriege ethnische Wurzeln haben, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, Nr. 10, Okt., S. 265-267

Elwert, Georg (2001): Gewaltmärkte und Entwicklungspolitik, in: Wissenschaft & Frieden, H. 3: 12-16.

Eppler, Erhard (2001): Gehetzte Vorreiter, in: taz, 19.11.: 12

Friedenspolitischer Ratschlag (2002): Verteidigungsministerium: “Überbestände” an Kleinwaffen vernichten, www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Kleinwaffen/russmann.html

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[1] Die meisten Autoren gehen von dieser Definition aus, die in einem UNO-Dokument von 1997 (UN Panel of Governmental Experts on Small Arms, www.un.org/Depts/dda/CAB/rep52298.pdf,) getroffen wurde. Darin werden zusätzlich auch Landminen genannt, während sie in die Definition des Graduate Institute of International Studies nicht aufgenommen wurden. Ich schließe mich hier dem Vorgehen des Graduate Institute an. In der Tat erscheint es sinnvoll, die Frage der Landminen getrennt zu behandeln. Anders als bei den genannten Waffen sind hierbei zwei Umstände vorrangig: 1) Das Faktum der etwa 80 Mio. weltweit verlegten Minen, besonders viele davon in Afghanistan, in Bosnien und im Kosovo. Vordringlich geht es um die Räumung dieser Minen. 2) Die anhaltende Neuproduktion von Minen, die zwar 1997 durch das Abkommen von Ottawa zumindest für Anti-Personen-Minen eingeschränkt wurde, wobei allerdings wichtige Produktionsländer wie die USA, Rußland und China das Abkommen nicht unterzeichnet haben und andere die Konvention teilweise nicht einhalten (www.landmine.de). Demgegenüber steht bei den übrigen Kleinwaffen vor allem die nahezu unkontrollierte Zirkulation von Altbeständen im Mittelpunkt.

[2] Dies ist die Einschätzung des Graduate Institute (2001: 144). In anderen Quellen ist von einem Anteil von 10-20% am gesamten Waffenhandel bzw. am Handel mit konventionellen Waffen die Rede, und es wird eine Zunahme der Bedeutung dieses Anteils vermutet (Paes 2000: 6, Gebrewold 1999: 2). Das Graduate Institute ist in seinen Einschätzungen durchweg sehr vorsichtig, um sich nicht alarmistischen Meldungen anzuschließen, wie sie in Journalistenkreisen gelegentlich üblich sind.

[3] Die Informationen über produzierende Länder und Firmen bleiben selbst auf der offiziellen Ebene unzureichend. So fehlen in der weiter unten zusammengestellten Tabelle über die am weitest verbreiteten Waffen etwa Angaben zu den von den deutschen Firmen Rheinmetall und Heckler & Koch produzierten Maschinengewehren. Dazu kommen in mindestens 25 Ländern illegale Formen von Kleinwaffenproduktion, von der nur bekannt ist, daß es sie gibt, nicht aber, welches Ausmaß sie erreicht. Nach UN-Angaben existieren solche informellen Strukturen u.a. in China, Tschechien, Japan, Südafrika, den USA und Großbritannien (Graduate Institute... 2001: 20, 45.)