Und noch viel mehr V-Leute

in (11.09.2002)

Wer den Wahlkampfbroschüren der Regierenden glaubt, mag damit selig werden. Wer aber erfahren will, was sie wirklich planen, der lese die Haushaltsentwürfe. ...

... Was plant zum Beispiel der Bundesinnenminister? Welche innenpolitischen Vorhaben hinterläßt die Koalition von Sozialdemokraten und Grünen im Haushaltsentwurf 2003 dem künftigen Innenminister Schily oder Beckstein?
Schauen wir in den Abschnitt über das Bundeskriminalamt: 1999, im ersten Jahr von Rot-Grün, lag die Personalstärke des BKA schon bei 4518 Beschäftigten. Diese überdimensionierte Behörde, deren Existenz der Verfassungsregel wi-derspricht, daß Polizei eine Sache der Länder, nicht des Bundes ist, wurde nach dem 11. September 2001 in einem Tempo ausgebaut, daß jeder CSU-Innenpoli-tiker neidisch werden mußte. 4871 Beamte, Angestellte und Arbeiter sollen 2003 beim BKA beschäftigt sein, 353 mehr als im ersten Jahr dieser Regierung. Noch steiler stieg das Budget des Amtes: von 275 Millionen Euro (1999) auf 394 Millionen Euro (2003). Ein Plus von 43,3 Prozent. Von wegen "schlanker Staat"!
Zum Vergleich: Die Ausgaben des Bundes für soziale Sicherung wurden von 1999 bis 2003 um sechs Prozent erhöht. Der Etat des BKA wuchs also in vier Jahren Rot-grün sieben Mal so schnell wie die - hinter der Inflationsrate zurückbleibenden - Ausgaben für soziale Sicherung. Selbst die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung, angehoben durch Erlöse aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen, stiegen mit 24 Prozent (1999-2003) nur etwa halb so schnell wie die des BKA. Wenn das keine klaren Prioritäten sind!
Noch krasser entwickeln sich andere Einzelposten. Der Zuschuß für Europol wird sich 2003 mit 16,5 Millionen Euro gegenüber den acht Millionen im Jahr 2000 mehr als verdoppelt haben. Der BKA-Etat für Datenverarbeitungsgeräte und -programme steigt sogar von 7,4 Millionen Euro (2001) auf 47,2 Millionen Euro im nächsten Jahr, also auf mehr als das Sechsfache innerhalb von zwei Jahren. Lauschangriff ist offensichtlich teuer. Datenschutz wäre billiger.
Das für seine V-Leute-Skandale berüchtigte Bundesamt für Verfassungsschutz bekommt ebenfalls eine Steigerung seines Etats, von der alle Sozialpolitiker Innen und vor allem die auf Sozialleistungen Angewiesenen nur träumen können. Statt mit 114,7 Millionen Euro (1999) dürfen VS-Chef Fromm und seine Leute im nächsten Jahr mit 154 Millionen Euro rechnen, 34,3 Prozent mehr. Viele neue V-Leute können damit bezahlt werden - mit welchen Folgen für die innere Sicherheit, insbesondere für die persönliche Sicherheit von Flüchtlingen und MigrantInnen, zeigt ein Blick in die monatliche Statistik rechter Gewalt.
Der mit Abstand größte Zuwachs findet sich im Titel "Beschaffungen für die Bereitschaftspolizeien der Länder". Diese meist in Panzerkleidung auftretenden Einheiten sollen im nächsten Jahr 235 Prozent mehr bekommen. Statt 5,2 Millionen Euro (2002) will Schily ihnen nächstes Jahr 17,5 Millionen Euro zukommen lassen - neue schicke Panzerkleidung vermutlich, Wasserwerfer, Knüppel und NATO-Draht. Wie sich die jetzt Regierenden im Widerstreit von Innerer Sicherheit und Bürgerrechten auch künftig entscheiden wollen, ist damit vorgezeichnet.
Daß ihnen auch die Wünsche der Vertriebenenverbände besonders am Herzen liegen, hat die Debatte um das "Zentrum gegen Vertreibungen" gezeigt. Je weniger Ostvertriebene aus den Jahren 1944 ff. es noch gibt, desto teurer werden sie der SPD und den Grünen. Hier haben sich Schily und Schröder in den letzten Jahren eifrig um Vergangenheitsbewältigung bemüht. Schilys Entschuldigung bei dem rechtsextrem durchsetzten Bundesverband der Vertriebenen und dessen Präsidentin Erika Steinbach für den angeblich unberechtigten Vorwurf des Revanchismus scheppert noch im Ohr. Auch hier sollen den Worten neue, größere Taten folgen. Nächstes Jahr will Schily die Zuschüsse für den BdV von 25,98 Millionen Euro (2002) auf 29 Millionen Euro erhöhen. Zum Vergleich: Die Bundeszentrale für politische Bildung soll im nächsten Jahr wieder nur erbärmliche drei Millionen Euro für Aufklärungsarbeit gegen Rechtsradikalismus erhalten, für die Sicherung und Betreuung der Friedhöfe ehemaliger jüdischer Gemeinden sind wieder nur 2,8 Millionen Euro vorgesehen. Wenn ein Minister für Aufklärung gegen Rechtsextremismus ein Zehntel dessen bereitstellt, was er im gleichen Jahr einer Organisation zahlt, die dem Rechtsextremismus seit jeher als Nährboden dient - welches Fazit drängt sich da auf?

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion

erschienen in Ossetzky 18-2002