Haushaltspolitik nach der Bundestagswahl 2002

Was können und was könnten wir erwarten?

Die Handlungsfähigkeit eines jeden Staates wird maßgeblich durch seine Haushaltspolitik bestimmt. Die Verfügung über ausreichend Finanzmittel ist eine notwendige Bedingung dafür, ...

... dass der Staat aktiv seine Aufgaben gestalten und bewältigen kann. Staatliche Aufgaben und deren Finanzierung stellen immer einen Eingriff in das idealtypische freie Spiel der Marktkräfte dar. Der herrschende Mainstream in Wissenschaft und Politik problematisiert das Verhältnis von "Markt" und "Staat" zunehmend im Sinne eines Zuviel an Staat: Danach werden staatliche Aktivitäten - wenn sie über die Gewährleistung eines stabilen rechtlichen Rahmens und die Garantie des Privateigentums hinausgehen - weitgehend als hemmend für die ökonomische Entwicklung begriffen. Hinsichtlich dieses neoliberal geprägten Verständnisses der Funktion des Staates, wonach "Staatsversagen" gegenüber "Marktversagen" das größere Übel ist, unterscheiden sich mittlerweile die beiden großen Volksparteien und ihre jeweiligen potenziellen kleinen Koalitionspartner kaum noch.

"3 mal 40" - Das Wahlprogramm der CDU/CSU zur Finanzpolitik

Unter der plakativen Formel "3 mal 40" firmiert das finanzpolitische Wahlprogramm der CDU/CSU für die Bundestagswahl 2002: Der Spitzensatz der Einkommensteuer, die Staatsquote und der Beitragssatz in der gesetzlichen Sozialversicherung sollten auf jeweils unter 40 % gesenkt werden. Mit welchen konkreten Auswirkungen hätte bei einer Umsetzung dieser "3 mal 40"-Programmatik gerechnet werden müssen? Weitere Senkungen des Spitzensteuersatzes führen - abgesehen davon, dass sie aus verteilungspolitischen Gründen abzulehnen und auch vor dem Hintergrund des EU-Umfeldes keineswegs erforderlich sind (vgl. Schratzenstaller 2002) - zu Steuerausfällen, die durch Einsparungen aufgefangen werden müssten. Denn kompensierende Erhöhungen anderer Steuern sieht das CDU/CSU-Wahlprogramm nicht vor, und eine höhere Staatsverschuldung ist alleine schon durch den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) ausgeschlossen. Da die Konservativen die Ausgaben mit investivem Charakter stärken wollen (ein Schwerpunkt liegt auf einer "Existenzgründer- und Innovations-Offensive" für den Mittelstand in Ostdeutschland, ein weiterer auf einer besseren Finanzausstattung der Bundeswehr), müssten Sparprogramme zwangsläufig an nicht-investiven Ausgabenposten ansetzen, d.h. also an Sozial- und Personalausgaben: Entsprechende soziale Verschlechterungen sowie Einschränkungen personalintensiver öffentlicher Dienstleistungen (z. B. Gesundheitswesen, Pflege, Kinderbetreuung etc.) wären die Konsequenz. Das zweite Ziel bezieht sich auf die Reduzierung der Staatsquote, die in der von CDU/CSU verwendeten Definition (öffentliche Ausgaben inklusive der beitragsfinanzierten Sozialversicherungszweige) sowohl durch Kürzungen der staatlichen als auch der Ausgaben der Sozialversicherungsträger gesenkt werden kann. Nur nebenbei sei hier bemerkt, dass eine so definierte Staatsquote kein geeignetes Maß für das quantitative Ausmaß der staatlichen Aktivität ist, da sie die beitragsfinanzierten Ausgaben der Sozialversicherungsträger enthält. Mit Letzterem harmoniert das dritte Ziel, die Sozialbeitragsreduzierung auf unter 40 %. Dieses ist nur durch eine Einschränkung der beitragsfinanzierten Leistungen zu verwirklichen, wenn der Kreis der BeitragszahlerInnen bzw. die Bemessungsgrundlage nicht erweitert werden soll (was beides nicht auf der konservativen Agenda steht). Da die Substitution beitragsfinanzierter durch steuerfinanzierte Leistungen in der gesetzlichen Sozialversicherung aufgrund der geplanten Steuersenkungen und der zu erwartenden Sparprogramme nicht realisierbar ist, bleibt nur die weitere Privatisierung, also die Abwälzung sozialer Risiken auf die BeitragszahlerInnen und als Konsequenz der fortgesetzte Abbau der Umverteilungskomponenten in der Sozialversicherung. Als knappes Fazit lässt sich damit festhalten, dass eine Umsetzung des haushaltspolitischen Dreisprungs der Konservativen weitere Steuerentlastungen für Gutverdienende (nicht nur durch die Einkommensteuersenkung, sondern auch durch die Abschaffung der bislang nur ausgesetzten Vermögensteuer) implizieren würde, die durch Kürzungen im sozialen Bereich ausgeglichen werden müssten: Weitere Umverteilung von unten nach oben also. Allerdings muss die Realisierbarkeit der finanzpolitischen Vorschläge von CDU/CSU ernsthaft in Frage gestellt werden, da das Wahlprogramm einige durchaus ausgabenintensive Ankündigungen enthält. Allein die geplante Ersetzung des Kinder- und Erziehungsgeldes durch ein "Familiengeld" in Höhe von 600 EURO (300 EURO) für die ersten drei (ab dem 3. Lebensjahr) jedes Kind würde jährlich mindestens 30 Mrd. EURO kosten. Der angekündigte "Kinderbonus", der Eltern von Sozialversicherungsbeiträgen entlasten soll, würde Einnahmeausfälle in der Sozialversicherung von bis zu 2,6 Mrd. EURO bedeuten, die - da sie angesichts der angepeilten 40%-Zielmarke kaum aus Beitragserhöhungen finanziert werden können - aus dem allgemeinen Steueraufkommen gegenfinanziert werden müssten. Die Finanzierungsvorschläge von CDU/CSU, die hauptsächlich auf Privatisierungserlöse bauen, erweisen sich bei näherer Betrachtung als wenig tragfähig. Noch schneller als in der bayerischen Heimat von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, wo inzwischen der Bestand an privatisierbarem "Tafelsilber" gegen Null tendiert, wird eine derartige Finanzierungsstrategie auf Bundesebene an ihre Grenzen stoßen: Zumal die Aktiva im Bundesbesitz (z. B. Anteile an Telekom AG, Deutsche Bahn AG, Post AG) angesichts der derzeitigen Situation auf den Aktienmärkten, aber auch aufgrund verfehlter Unternehmensstrategien derzeit nur schwer und wenig gewinnbringend veräußerbar sein dürften. Rot-grüne Finanzpolitik - eine Alternative? Die Umsetzung der von den Konservativen anvisierten programmatischen Eckpunkte würde keineswegs eine Trendwende in der Finanzpolitik bedeuten. Vielmehr versprechen sie eine Fortsetzung der rot-grünen Haushaltspolitik zwischen 1998 und 2002 - allerdings mit einer Beschleunigung der eingeschlagenen Gangart. Die Kritik des weiterhin amtierenden Bundesfinanzministers Hans Eichel an der geplanten Senkung der Staatsquote beschränkt sich daher nur auf die Größenordnung: Er hält lediglich eine Rückführung der Staatsquote von aktuell 48,5 % auf 45 % bis zum Jahr 2005 für erreichbar. In der Einkommensteuer sieht die rot-grüne Einkommensteuerreform in ihrer letzten Stufe 2005 einen Spitzensatz von 42 % (derzeit 48,5 %) vor. Die Zielmarke von unter 40 % bei den Sozialversicherungsbeiträgen (aktuell: 41 %) haben sich beide Seiten gesetzt. Die Zielsetzungen gehen also jeweils in dieselbe Richtung - nur scheint Eichel die Finanzierungsrealitäten etwas stärker zu berücksichtigen. In einer Bewertung der steuerpolitischen Vorschläge von CDU/CSU hält denn auch das Bundesministerium der Finanzen zutreffender Weise fest: "In den Grundzügen setzt die [von CDU/CSU; M.S.] angekündigte ‚Große SteuerreformÂ’ auf Kontinuität in der Steuerpolitik. Sie hält an der Strategie der Steuer- und Unternehmenssteuerreform der Bundesregierung fest". (Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), 2002a). Die rot-grüne Koalition wiederum hat ihrerseits 1998 den von der konservativ-liberalen Vorgängerkoalition eingeschlagenen finanzpolitischen Weg konsequent weiter geführt. Verteilungspolitische Elemente sind zunehmend abgebaut worden, und auf Potenziale zur Gestaltung makroökonomischer Rahmenbedingungen, die eine sozial und ökologisch nachhaltige gesamtwirtschaftliche Entwicklung ermöglichen würden, wird weitgehend verzichtet. Zunehmende Ungleichverteilung der Steuerlast Unter Missachtung der den Wahlausgang 1998 entscheidend beeinflussenden Wahlkampfversprechen hat die rot-grüne Steuerpolitik die personelle und funktionale Ungleichverteilung des gesamten Steueraufkommens noch vertieft, die seit Beginn der 1980er Jahre - mit der Amtsübernahme einer konservativ-liberalen Regierungskoalition - voran schreitet (vgl. zum Folgenden Schäfer, 2001). Die durchschnittliche Lohnsteuerbelastung der Bruttolöhne- und -gehälter ist von 1980 bis 2000 von 15,8 % auf 19,4 % angestiegen. Diese zunehmende Steuerbelastung der abhängigen Arbeit wurde begleitet von einem Anstieg des Anteils der Sozialabgaben an den Bruttolöhnen und -gehältern von 12,8 % auf 16,1 %. Umgekehrt wurden, wenn auch mit einer wesentlich größeren Dynamik, im selben Zeitraum die Gewinn- und Vermögenseinkommen von direkten Steuern entlastet: Hatten diese 1980 noch eine durchschnittliche Steuerlast von 15,3 % zu tragen (nur unwesentlich weniger als die Bruttolöhne- und -gehälter), so wurde 2000 ein historisches Tief von 6,7 % erreicht. Die bis 2005 von Rot-Grün anvisierten Einkommensteuersenkungen - eine Kombination aus Erhöhung von Grundfreibetrag sowie Senkung des Eingangs- und insbesondere des Spitzensteuersatzes - führen zu einem aus der Perspektive steuerlicher Leistungsfähigkeit problematischen U-förmigen Entlastungsverlauf: Mit steigendem Einkommen sinkt zunächst die prozentuale Entlastung, um im Bereich sehr hoher Einkommen wieder anzusteigen (vgl. Seidel 2001). Einschränkung finanzpolitischer Handlungsspielräume Mit den umfangreichsten Steuerreformen in der Geschichte der Bundesrepublik hat die rot-grüne Bundesregierung die bereits von der Vorgängerregierung erodierten Handlungsspielräume der Finanzpolitik weiter beschnitten: Die Steuerausfälle werden für den Zeitraum 1999 bis 2003 auf über 98 Mrd. EURO geschätzt (vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), 2002b); dies entspricht immerhin knapp 4,3 % der gesamten Steuereinnahmen in diesem Zeitraum. Damit wurde das finanzpolitische Korsett noch enger geschnürt. Von den laufenden Steuersenkungen verursachte Haushaltslöcher können aufgrund der Vorgaben des SWP, der den EU-Mitgliedsländern einen Haushaltsausgleich bis 2004 vorschreibt, nicht mehr durch erhöhte Neuverschuldung gestopft werden. Der einzig mögliche Ausweg aus diesen hausgemachten finanzpolitischen Engpässen ist, da sämtliche Optionen zur Erhöhung der Einnahmen verbaut worden sind, die Senkung öffentlicher Ausgaben; die rot-grüne Koalition hat diesen Weg mit diversen Sparpaketen auch konsequent beschritten. Alarmierend ist, dass in den letzten Jahren innerhalb der Gebietskörperschaften eine Verschiebung von öffentlichen Aufgaben an die unterste Ebene und parallel die Schwächung von deren finanzieller Handlungsfähigkeit zu beobachten ist. Die rot-grünen Steuerreformen haben ein Problem verschärft, das seit Jahrzehnten virulent ist: Die Aushöhlung der finanziellen Basis der Kommunen, denen gleichzeitig von Bund und Ländern immer mehr öffentliche Aufgaben zugeschoben werden (vgl. Busch 2002, S. 7). Von der rot-grünen Steuersenkungspolitik sind die Kommunen - als letztes Glied in der Kette - am härtesten betroffen. Sie haben nicht nur mit direkten steuerreformbedingten Ausfällen bei Einkommensteuer- und Gewerbesteuer zu kämpfen, sondern die Länder geben darüber hinaus ihre Steuereinbußen an die Gemeinden weiter, indem sie Zuweisungen innerhalb des kommunalen Finanzausgleichs kürzen. Fatal für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist die fiskalische Austrocknung der Kommunen v.a. deshalb, weil diese mit knapp Zwei Dritteln den Großteil der öffentlichen Sachinvestitionen tätigen. In den vergangenen zehn Jahren ist das Volumen der kommunalen Investitionen nominal um 34 % gesunken, mit einer Erholung ist aufgrund der aktuellen Finanzprobleme nicht zu rechnen. Die öffentlichen Investitionen betragen mittlerweile noch 1,5 % des BIP (geschätzt für 2002) und befinden sich damit auf einem bislang unerreichten Tiefststand; 1970 hatten sie sich auf 4,6 %, 1992 vereinigungsbedingt immerhin noch auf 2,9 % des BIP belaufen (vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), 2002c). Diese Entwicklung war und ist nicht ohne nachhaltige negative Konsequenzen für Wachstum und Beschäftigung. Öffentliche Finanzierungsspielräume: Denkverbote und Tabus In welche Handlungsunfähigkeit die Finanzpolitik der vergangenen Jahre die öffentliche Hand manövriert hat und welche Denkverbote sich in der öffentlichen Diskussion mittlerweile verfestigt haben, hat sich in der Debatte um die Finanzierung der durch die Flutkatastrophe verursachten Schäden offenbart. Die Schuldenfinanzierungsspielräume sind, auch aufgrund der unfreiwilligen Verschuldung in Folge der reformbedingten Steuerausfälle, ausgereizt, wenn keine weitere Abmahnung aus Brüssel riskiert werden soll. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) von Ende August 2002 muss gegenüber der letzten Steuerschätzung vom Mai 2002 im laufenden Jahr mit steuerlichen Mindereinnahmen von ca. 10 Mrd. EURO gerechnet werden, was die Neuverschuldungsquote auf 3 % des BIP (die im Maastricht-Vertrag festgelegte Obergrenze) erhöhen wird. Steuererhöhungen sind nach vier Jahren Steuersenkungsrhetorik in der kollektiven Wahrnehmung derart tabuisiert, dass selbst die Verschiebung der ursprünglich für 2003 vorgesehenen zweiten Stufe der Einkommensteuerreform zur Finanzierung der Flutschäden als Steuererhöhung interpretiert wird und - unterstützt insbesondere vom konservativ-liberalen und vom Unternehmerlager - auf teils erhebliche Widerstände stößt. Erst recht gilt dies für die Erhöhung der Körperschaftsteuer um 1,5 Prozentpunkte auf 26,5 %, trotz deren zeitlicher Befristung. Aus der von Rot-grün maßgeblich vorangetriebenen Tabuisierung von Neuverschuldung und Steuererhöhungen ist eine absonderliche, um nicht zu sagen absurde Finanzierungsdiskussion hervorgegangen. Als Alternativen zu einer erhöhten Verschuldung und/oder zur Erschließung regelmäßig fließender zusätzlicher Steuerquellen sind eine Reihe von nicht-steuerlichen Vorschlägen zur Finanzierung des "Nothilfefonds Flutschäden" ins Spiel gebracht worden: U.a. die Auflösung der Devisenreserven und die Verwendung des Gewinns der Bundesbank sowie die Erhebung eines einmaligen "Notopfers", eine Abgabenart, die ältere BundesbürgerInnen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit in Erinnerung haben. Die Devisenreserven der Bundesbank sind (ganz abgesehen davon, dass sie aus rechtlichen Gründen frühestens 2004 angetastet werden dürfen) ebenso wenig wie die schwankenden und ohnehin zur Deckung der sonstigen Haushaltslöcher bereits verplanten Bundesbankgewinne eine dauerhafte und für die Behebung der Flutschäden ausreichende Finanzierungsquelle. Auch "Notopfer" sind für die ordentliche Finanzierung staatlicher Aufgaben in einem hoch entwickelten Industrieland, auch wenn es sich dabei um exogene Schocks handelt, kaum angemessen. Für den/die Einzelne/n ist der Unterschied zwischen zusätzlichen Steuern und Abgaben sowieso unerheblich, gezahlt werden muss so oder so. Und dass der einen, angeblich einmaligen oder zeitlich begrenzten, Abgabe die nächsten, oder eine Verlängerung bestehender Abgaben folgen, kann nicht ausgeschlossen werden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass der Geltungszeitraum des sogenannten Solidaritätszuschlags zur Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung die ursprünglich geplante Frist inzwischen überschritten hat. Mit einer einmaligen Abgabe unter dem Label "Notopfer" sind angesichts der Tabuisierung von Steuererhöhungen zwar eventuell weniger Widerstände verbunden. Wer jedoch Steuererhöhungen für ökonomisch schädlich hält, müsste nach der gleichen Argumentationslogik Abgaben für noch viel schädlicher halten, da sie einmalige, nicht langfristig planbare abrupte Eingriffe in die marktlichen Dispositionen des privaten Sektors darstellen. Einen ähnlichen Erfindungsreichtum hinsichtlich neuartiger Finanzierungsinstrumente hatte kurz zuvor die Debatte darüber hervorgebracht, wie die von der so genannten Hartz-Kommission vorgeschlagenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gegen zu finanzieren sind. Als Ersatz für eine reguläre steuer- oder schuldengedeckte Finanzierung wurde der Kunstbegriff des "Job Floater" kreiert, welcher ein von staatlichen Stellen (abwickelnde Institution ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau) ausgegebenes Wertpapier darstellt: (Zur allgemeinen Begriffsverwirrung trägt die irreführende Bezeichnung des geplanten festverzinslichen Wertpapiers als "Floater" bei, denn als "floating rate notes" werden Wertpapiere mit variablen Zinssätzen bezeichnet. Im US-amerikanischen Sprachgebrauch wird übrigens unter einem "Floater" eine zeitlich befristet beschäftigte Arbeitskraft verstanden.) Im Grunde bedeutet das nichts anderes als die Finanzierung über zusätzliche öffentliche Verschuldung im Umfang von bis zu 20 Mrd. EURO, versteckt allerdings in einem Schattenhaushalt und somit begriffsmäßig den Kriterien des SWP entzogen. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, SteuersünderInnen die fälligen Strafen zu erlassen, wenn sie ihre Kapitalanlagen aus dem Ausland zurückholten und in Deutschland in "Job-Floater" investierten. Auf die ökonomische Unsinnigkeit der Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder, das Geld liege in Liechtenstein nur herum und solle doch deshalb lieber in Dresden arbeiten, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Auch machte der Vorschlag die Runde, Zinseinkünfte von ZeichnerInnen dieser Papiere steuerlich zu begünstigen, um Anreize für potenzielle AnlegerInnen zu schaffen. Abgesehen von der Frage, ob mit diesem Instrument überhaupt die benötigten Finanzierungsmittel aufgebracht werden können, reißen mit dem "Job Floater" verbundene Steuerprivilegien neue Finanzierungslöcher auf und untergraben die Steuergerechtigkeit weiter. Diese Debatten weisen darauf hin, dass dem Staat zunehmend die Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben bestritten wird und dementsprechend seine Legitimation zur Erhebung von Finanzierungs-, insbesondere von Steuermitteln, zur Bewältigung dieser Aufgaben in Frage gestellt wird. Ein Staatsverständnis, wonach die öffentliche Hand bestimmte Aufgaben zu erledigen hat, an deren Finanzierung sich alle Mitglieder des Staates nach Maßgabe ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit beteiligen, verliert offenbar zunehmend an Konsensfähigkeit: Was nicht verwundern kann, wenn sich der Staat selbst zunehmend die Legitimation abspricht, den Steuersubjekten qua obligatorischer Steuerzahlung den ihnen zukommenden Finanzierungsbeitrag abzuverlangen und sich auf die Durchführung von Steuersenkungsprogrammen als die vordringlichste finanzpolitische Aufgabe konzentriert. In Widerspruch dazu steht, dass gleichzeitig die nur mit Hilfe staatlicher Intervention zu bewältigenden Aufgaben an Umfang gewinnen: Die Arbeitslosigkeit nimmt im langfristigen Trend zu. Die strukturpolitischen Probleme der deutschen Wiedervereinigung sind bei weitem noch nicht überwunden, im Gegenteil: Seit einigen Jahren vergrößert sich die Wohlstands- und Entwicklungslücke zwischen alten und neuen Bundesländern wieder. Der umweltpolitische Handlungsbedarf wächst, v.a. im Bereich von Energieerzeugung- und -nutzung, wenn wenigstens die international vereinbarten Klimaschutzziele erreicht und die drohende Klimakatastrophe abgewendet werden sollen. Im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich sieht sich die Gesellschaft mit wachsenden Herausforderungen konfrontiert. Dies führt für jede nun auf Bundesebene neu gewählte Regierung zu einem haushaltspolitischen Dilemma, das sich im Laufe der vergangenen beiden Dekaden zugespitzt hat. Denn mit Verweis auf die vorgeblich unvermeidbare Notwendigkeit von Steuersenkungen, Schuldenabbau und Haushaltskonsolidierung werden die staatlichen Einnahmenspielräume systematisch verengt. Gleichzeitig sind gerade die ProtagonistInnen eines "schlanken Staates" oftmals diejenigen, die auf der anderen Seite zusätzliche Finanzmittel für "innere Sicherheit" und militärische Interventionen fordern.

Alternativen für eine sozial und ökologisch tragfähige Finanzpolitik

Die aktuelle finanzpolitische Zwangslage ist nicht das Ergebnis von unausweichlichen Sachzwängen, sondern vielmehr von bewussten politischen Entscheidungen und Weichenstellungen, für die es sowohl auf nationaler als auch auf internationaler - insbesondere auf EU-europäischer - Ebene alternative Optionen gibt. Dazu muss zunächst mit zwei Tabus gebrochen werden, die die rot-grüne Bundesregierung von ihrer Vorgängerin übernommen und sich im Laufe ihrer Amtszeit immer mehr zu eigen gemacht hat: Die Tabuisierung eines gewissen Ausmaßes an öffentlicher Verschuldung sowie einer substanziellen Besteuerung von Einkommen und Vermögen von Unternehmen und privaten Haushalten. Sicherlich ist es langfristig sinnvoll, die Staatsverschuldung zurückzuführen - wenn auch nicht auf der Grundlage der gängigen Argumentation. Das Argument von der Lastenverschiebung auf die künftigen Generationen muss zurück gewiesen werden, da diese nicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch die entsprechenden privaten Forderungen und die kreditfinanzierten öffentlichen Sachinvestitionen erben. Eine weitere Ausweitung der Staatsverschuldung ist vielmehr deshalb problematisch, weil Zins- und Tilgungszahlungen durch die allgemeine Besteuerung finanziert werden, die - wie gezeigt - zunehmend regressiver wirkt. Unter diesen Bedingungen führt Staatsverschuldung zu einer Umverteilung zugunsten der vermögenderen Schichten, die die Staatspapiere halten, da diesen die Zinseinkommen zugute kommen und sie gleichzeitig zunehmend von Steuern (und damit auch den "Zinszahlungssteuern") entlastet werden. Allerdings wäre eine steigende Staatsverschuldung unnötig, wenn die vorhandenen steuerlichen Finanzierungsquellen wieder intensiver ausgeschöpft werden würden. Eine sozial und ökologisch zukunftsfähige Steuerpolitik muss sich an folgenden Eckpunkten orientieren. Die Unternehmen müssen angemessen zur Finanzierung der öffentlichen Leistungen, die sie in Anspruch nehmen, herangezogen werden. Der Körperschaftsteuersatz muss zumindest auf ein, dem EU-europäischen Umfeld entsprechendes, Niveau (der durchschnittliche Körperschaftsteuersatz in der EU betrug 2001 32 %; vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), 2001) angehoben werden. Darüber hinaus ist die Abschaffung von Steuervergünstigungen (wie die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen sowie die Erleichterung der Bildung von steuermindernder Körperschaft und gewerbesteuerlichen Organschaften; vgl. Schratzenstaller 2002), die sachlich nicht zu begründen sind, notwendig. Auch steuerliche Privilegien für die BezieherInnen hoher (Kapital)Einkünfte müssen beseitigt werden, um die umfassende Besteuerung sämtlicher persönlicher Einkünfte und damit eine Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit sicher zu stellen. Dies erfordert zunächst den Verzicht auf weitere Senkungen des Einkommensteuer-Spitzensteuersatzes, der im EU-Vergleich nicht exorbitant hoch ist (der durchschnittliche Einkommensteuer-Spitzensatz lag 2001 bei 50,5 %; vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), 2001) und außerdem ohnehin erst bei einem relativ hohen Einkommen einsetzt. Das seit 2001 geltende Halbeinkünfteverfahren, wonach Dividenden und Spekulationsgewinne (d.h. Veräußerungsgewinne aus innerhalb eines Jahres verkauften Wertpapieren) nur zur Hälfte besteuert werden, ist abzuschaffen. Statt dessen ist das Vollanrechnungsverfahren wieder einzuführen, das die auf ausgeschüttete Dividenden entfallende Körperschaftsteuer mit der persönlichen Steuerschuld von DividendenempfängerInnen verrechnet und so deren Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit sicherstellt. Spekulationsgewinne müssen zeitlich unbefristet und wieder in vollem Umfang steuerpflichtig werden. Gleichzeitig sind verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung bei Veräußerungsgewinnen sowie im Inland erzielten Zinseinkünften zu ergreifen, denn hier werden nach wie vor Steuern in zweistelliger Milliardenhöhe hinterzogen. Eine weitere Finanzierungsquelle, die ebenfalls die steuerliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt und darüber hinaus bei geeigneter Ausgestaltung durchaus ergiebig sein kann, ist eine substanzielle Erbschafts- und Vermögensbesteuerung. Die Vermögensteuer für private Vermögen ist - eventuell mit progressiven Steuersätzen - zu revitalisieren, auf der Grundlage eines Bewertungsverfahrens, das die Besteuerung der Marktwerte von Immobilien gewährleistet. Sie muss durch eine höhere Besteuerung von hohen Erbschaften flankiert werden. Darüber hinaus muss die Finanzierung der Gemeinden auf eine langfristig stabile Grundlage gestellt werden. Der Auftrag der von der rot-grünen Bundesregierung im Mai 2002 eingesetzten Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen geht in die falsche Richtung, soll diese doch auch Einsparpotenziale etwa durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe identifizieren (vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), 2002d). Anstatt in dieser Weise mit der Verfolgung weiterer unsozialer Sparprogrammen vor den kommunalen Finanzierungsproblemen zu kapitulieren, müssen Vorschläge zur Reform der kommunalen Steuern entwickelt werden, die die Mehreinnahmen ermöglichen, welche die Gemeinden zur Bewältigung ihrer wachsenden Aufgaben (Infrastrukturinvestitionen, lokale Beschäftigungsförderung, soziale Sicherung) benötigen. Ein fruchtbarer Ansatz ist die Ersetzung der Gewerbeertragsteuer durch eine kommunale Wertschöpfungsteuer, die von sämtlichen Gewerbetreibenden einer Gemeinde entrichtet wird und deren gesamte Wertschöpfung erfasst. Um der Steuerflucht von international mobilem Kapital die Grundlage zu entziehen, muss darüber hinaus zumindest auf EU-europäischer Ebene eine Harmonisierung bei der Besteuerung von Zinseinkünften sowie von Unternehmen angestrebt werden. Die neue Bundesregierung muss u.a. darauf hinwirken, dass die von der EU-Kommission seit 1997 angestrebte Richtlinie zur effektiveren Zinsbesteuerung, die die Einführung von zwischenstaatlichen Kontrollmitteilungen vorsieht, nun ohne weiteren Zeitverlust realisiert wird. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung sind die Einführung eines Mindeststeuersatzes sowie die Vereinbarung der Sitzlandbesteuerung von Unternehmen anzustreben. So kann die Möglichkeit des zwischenstaatlichen Unternehmenssteuerwettbewerbs unterbunden und der wachsende Druck auf die Unternehmenssteuersätze abgeschwächt werden. Auch sollte die günstige Gelegenheit, die sich aufgrund der fundamentalen Kritik einiger EU-Mitgliedsländer (Frankreich und Portugal) am SWP derzeit bietet, ergriffen werden, um dessen Außerkraftsetzung voranzutreiben.

Literatur:

Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) (2002a): Fakten zu den finanzpolitischen Vorstellungen von CDU/CSU, in: www.bundesfinanzministerium.de, download vom 25.06.2002 Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) (2002b): Datensammlung zur Steuerpolitik, Berlin Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) (2002c): Öffentliche Investitionen in der Diskussion, in: Monatsbericht 3/2002, S. 45 - 52 Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) (2002d): Finanzbericht 2003, Berlin Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.) (2001): Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich, in Monatsbericht 10/2001, S. 39 - 65 Busch, Manfred (2002): So wird die Amerikanisierung unserer Gesellschaft vorprogrammiert, in: Frankfurter Rundschau Nr. 176 vom 01.08.2002, S. 7 Schäfer, Claus (2001): Ungleichheiten politisch folgenlos? Zur aktuellen Einkommensverteilung, in: WSI Mitteilungen 11/2001, S. 659 - 673 Schratzenstaller, Margit (2002): Steuergerechtigkeit für niemanden. Rot-grüne Steuerpolitik 1998 bis 2002, in: Eicker-Wolf, Kai, et al. (Hrsg.): "Deutschland auf den Weg gebracht." Rot-grüne Wirtschafts- und Sozialpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Marburg, S. 47 - 85 Seidel, Bernhard (2001): Die Einkommensteuerreform, in: Truger, Achim (Hrsg.): Rot-grüne Steuerreformen in Deutschland. Eine Zwischenbilanz, Marburg, S. 21 - 46