Mund abwischen und besser machen!

Zum Ergebnis der Bundestagswahl 2002

"Mund abwischen und besser machen" - mit diesen Worten pflegt man im Fußball grausam herausgespielte Arbeitssiege seiner Mannschaft zu kommentieren. ...

... Und in der Tat hat die SPD erst in der letzten Minute, nachdem man sich fast die gesamte Spielzeit auf eine Verstärkung der rechten Abwehrseite verlassen hatte, durch einen Tempogegenstoß über den starken linken Flügel das entscheidende Tor geschossen. Jubel will da nicht aufkommen. Deshalb müssen die kommenden vier Jahre fürs Besser-Machen genutzt werden.
Bei aller Kritik muss zunächst festgehalten werden: Die SPD ist zum dritten Mal überhaupt größte Fraktion im Deutschen Bundestag. In der historischen Betrachtung ist dieses Ergebnis sogar als Erfolg zu werten.
Dennoch muss hinterfragt werden, warum die Euphorie des Wahlerfolges 1998 nicht annähernd über die Distanz einer Legislaturperiode gehalten werden konnte. Selten war ein Wahlkampf so auf Personen zugeschnitten wie 2002. Dem stand entgegen, dass für 2/3 aller Wahlberechtigten die Entscheidung für eine Partei wichtiger als der Kandidat für die Wahlentscheidung. Wenn die Kandidatenfrage entscheidend gewesen wäre, hätte die SPD einen Erdrutschsieg einfahren müssen. Die Orientierung auf die Popularität Gerhard Schröders konnte jedoch zumindest die Enttäuschung über eine als missglückt empfundene Arbeitsmarktpolitik bei den Wählerinnen und Wählern überdecken.
Hinzu kam mit dem Kandidaten der Union eine Person, in der sich viele Dinge gebündelt hatten, die man sich für die Zukunft der Gesellschaft nicht gewünscht hatte. Umfragen ergeben, dass die Wahlentscheidung durchaus auch Richtungsentscheidung war: Anhänger von CDU/CSU und FDP waren eher an Leistung als Grundwert der Politik interessiert, während Koalitionsanhänger am sozialen Ausgleich orientiert sind.
Zusammengefasst kann man festhalten: für die SPD gab es hohe Verluste in industriell geprägte Wahlkreise mit hohem Arbeiteranteil, bei Männern, Arbeitslosen, statusniedrigeren Bevölkerungsgruppen. Die CDU hatte ihre höchsten Gewinne in industriellen und ländlichen Wahlkreise Westdeutschlands.
Frauen haben hingegen überdurchschnittlich SPD gewählt (41% zu 36 % CDU/CSU; Ost: 43% zu 26%). Bei den 18-14jährigen (37%, +2) und 25-34jährigen (36%, -7) ist die SPD stärkste politische Kraft (Daten von infratest-dimap).
Die GRÜNEN hatten ihre besten Ergebnisse wie immer in städtischen, durch hohen Dienstleistungs- und Angestelltenanteil geprägten, Wahlkreisen. Bei ihnen sind die Stimmabgaben zugunsten einer rot-grünen Koalition zu berücksichtigen. Offensichtlich hatte ihre Zweitstimmenkampagne Erfolg.
Die insgesamt nicht vorhandene Proteststimmung und das Abhandenkommen der Identifikationsfiguren Bisky und Gysi hat offensichtlich zu dem schlechtem Abschneiden der PDS geführt (höchste Verluste in ihren Hochburgen - den ostdeutsche Verwaltungsstädten). Ob sie als ostdeutsche Regionalpartei, die im Bundestag quasi nicht vertreten ist, den Raum bekommt, um sich sozialistische Alternative zum rot-grünen Lager zu profilieren, ist zumindest fraglich. Die Beteiligungen an den Landesregierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hat sich bislang zugunsten der SPD ausgewirkt. Sie hat sich die Schwäche der PDS zu Nutzen gemacht und 300.000 Stimmen im Osten gewonnen. Damit ist die SPD dort klar stärkste Partei geworden.
Besinnung auf soziale Gerechtigkeit in der Endphase
Das Wahlergebnis hat gezeigt, dass insbesondere eine Hinwendung zu den Kernthemen der sozialen Gerechtigkeit die Wahlentscheidung für die SPD ermöglicht hat. Mit der Polarisierung und Hinwendung zu originären sozialdemokratischen Positionen konnten weitere Stimmenverluste in den traditionellen Hochburgen letztlich noch abgewendet werden. Hier ist der Ansatzpunkt für eine modernisierte inhaltliche Ausrichtung der Partei vor dem Hintergrund der anstehenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt und beispielsweise im Gesundheitswesen zu sehen: mit der Umsetzung der Reformen ist die Entfremdung von den Milieus, auf deren Mobilisierung die SPD angewiesen ist (auch im Hinblick auf anstehende Landtags- und Kommunalwahlen) unbedingt zu vermeiden. Letztlich war das zentrale Motiv für die Wahl der SPD die Wahrung sozialer Gerechtigkeit, die nun auch Leitschnur des glaubwürdigen Regierungshandelns sein wird.
Mythos Kampa entzaubert
Keiner der großen Parteien ist es gelungen, durch überzeugende Politikangebote Attraktivität zu erlangen. Der Herausforderer hat über die nervende Wiederholung der Regierungsdefizite hinaus keinerlei Andeutungen gemacht, in welche Richtung er das Land entwickeln möchte. Schröder hat trotz Hartz im zentralen Feld der Arbeitsmarktpolitik kraftlos gewirkt. Die Tatsache, dass die Stimmungen im Wochenwechsel umschlugen, ist weniger auf eine durchweg labile Wählerklientel und die Sprunghaftigkeit der Medien zurückzuführen. Diese Situation ist erst dadurch möglich geworden, dass die Parteien auf einen langfristigen und möglicherweise kontroversen Markenaufbau verzichtet haben. Die Strategie in Kampa und Arena lautete im Besonderen Konfliktvermeidung und Warten auf des Gegners Fehler.
Der "Mythos Kampa" ist durch den Wahlkampf entzaubert worden. Die Kampa wurde auf das zurückgestützt, was es ist - nämlich der Versuch, einen medial gestützten Wahlkampf unterstütze durch externe Kräfte professionell zu organisieren. Politk- und Programmentwicklung oder gar so etwas wie "Parteileben" zu organisieren, war nie und kann niemals Aufgabe einer Wahlkampfzentrale sein.
Strategiefehler in der Frühphase des Wahlkampfes hatten jedoch die Allzweckwaffe in der Partei schon früh in Zweifel gezogen. Vor Ort ist der Eindruck entstanden, als würde in einem Haus fernab von der Partei eine Kampagne am grünen Tisch geplant, die der durchführenden Basis kaum noch Gestaltungsmöglichkeiten einräumt.
Dem liegt offensichtlich ein Verständnis von Kampagnenführung zugrunde, das im wesentlichen die mediale Inszenierung im Blick hat. Zweifellos ist der passende Medienauftritt und die mediale Inszenierung von Politik, mithin die Bestimmung von Themen über die mediale Wahrnehmung, wichtigste und grundlegende Voraussetzung für Meinungsführerschaft. Es ist jedoch ein Irrtum, zu glauben, dass sich über vermittelte Meinung in den Medien gleichsam Meinung bei den Adressaten bildet.
Meinung entsteht durch Kommunikation und selten durch Zeitung lesen oder Fernsehen gucken. Daher muss der Dialog zur Meinungsbildung von der Partei an allen öffentlichen Stellen gesucht werden im Gespräch im persönlichen Umfeld, am Info-Stand, in Versammlungen und Netzwerken, die sich eben nicht nur auf den eigenen Laden richten und vor allem mit den wichtigen Köpfen in der Gesellschaft, den Multiplikatoren: dem Betriebsrat, der durch sein Auftreten und nicht durch sein Parteiamt die Sozialdemokratie verkörpert, dem Mitglied im Sportverein, dem Rentner auf dem Markt, dem Schülersprecher usw. Wichtig ist, dass sich bei den Menschen im Alltag ein Gesamtbild von den Zielen der Partei und ihrer Motivation abbildet.
Dazu gehört eben der vielfältige Dialog vor Ort, den man auch deshalb vernachlässigt hat, weil er von einer teils hilflosen Basis nicht mehr übergreifend abgedeckt werden (weil sie nicht mehr die Sozialstruktur repräsentiert), genauso wie die mediale Inszenierung, die Auseinandersetzung im parlamentarischen Raum und neue Formen der virtuellen Wahlkampfführung. Diese wahrgenommene Einseitigkeit hat bis weit in die Sommerpause hinein für Frustration und teils gar Blockade tief im mittleren Funktionärsbau und auf der hauptamtlichen Seite gesorgt. Eben bis zu dem Zeitpunkt, wo auch dem letzten klar geworden ist, dass es eben nicht um das Schicksal der Kampa oder das Abstrafen des in der Partei ungeliebten Bundesgeschäftsführers ging, in dem viele offensichtlich nicht mehr als den verachteten Stamokap aus Juso-Zeiten sehen können, sondern um eine Richtungsentscheidung für das Land und eine langfristige Perspektive für die Sozialdemokratie. Steigende Umfragewerte nach der Flutkatastrophe haben ihren Teil zur Motivationssteigerung beigetragen.
Erstaunlich war die Beobachtung, dass im Wahlkampf vor allem die Älteren und die Jüngeren und weniger die Generation des Funktionärsmittelbaus aktiv waren. Letztere haben sich oft für die Nörgelei auf Parteiversammlungen entschieden.
Ost und West
Den Wahlanalysen zufolge hat Schröder die Wahlen insbesondere in Ostdeutschland gewonnen. Dabei kam der SPD zugute, dass sie in West- wie Ostdeutschland ungefähr gleich stark gewählt worden ist. Regional gibt es natürlich erhebliche Unterschiede. Oft war jedoch zu vernehmen, dass im bevölkerungsreichsten Bundesland die Wahlen entschieden werden sollten.
So gesehen hat die SPD in Nordrhein-Westfalen einen nicht unbedeutenden Einbruch erlitten. Bei einer niedrigeren Wahlbeteiligung als noch 1998 wurden hier landesweit nur noch 43% gewonnen (1998: 46,9 %). Gemessen an den Ansprüchen im sozialdemokratischen Stammland ist dieses (wenn auch überdurchschnittliche) Wahlergebnis jedoch zu wenig. Zwar ist der Abwärtstrend seit den Kommunalwahlen 1999, wo die SPD noch hinter der CDU landete, numerisch nahezu rückgängig gemacht worden, dennoch zeigen sich enorme Mobilisierungsschwächen.
Die Ursachen hierfür können noch nicht endgültig benannt werden. Einige Trends aber, die auch interessant für den Gesamtzustand der Partei in Westdeutschland sein könnten, lassen sich absehen:
• Der mit Jahresbeginn durch die Abschaffung der Bezirke gestärkte Landesverband hat trotz einer ungeheuren Fülle von dezentralen und zentralen Wahlkampfveranstaltungen noch nicht die identitätsbildende Funktion der alten Bezirke übernehmen können. Die organisatorischen Binnenstrukturen haben offensichtlich noch nicht zu einer Verbesserung der Schlagkraft nach außen beigetragen.
• Der Zeitpunkt und die Form der Diskussionen um den Landeshaushalt in Nordrhein-Westfalen waren sicher nicht hilfreich. Insbesondere die Rolle des Ministerpräsidenten bei dessen uneinsichtiger Haltung zu Themen wie Studiengebühren haben in der Partei für massiven Unmut gesorgt, der in einer Abstimmungsniederlage Clements im Landesparteirat führte. Dabei war für die Wahlentscheidung der Menschen in NRW weniger der Haushalt und seine Auswirkungen an sich ausschlaggebend für die Stimmabgabe, wohl aber für die Stimmungslage und damit die Mobilisierungsfähigkeit in der Partei.
• Die Dialogstrukturen der Partei zielen ab auf ein Bild von gesellschaftlichen Milieus, das immer mehr fiktionale Züge zeigt. Die SPD in NRW ist die Partei der gesellschaftlichen Modernisierung insbesondere der altindustriellen Regionen wie auch des ländlichen Raumes. Als Organisation hat sie jedoch den Strukturwandel, den sie politisch gewollt und durchgesetzt hat, kaum nachvollzogen. In den alten Zechensiedlungen wohnen heute gut situierte junge Dienstleister/innen und auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerkes gibt es heute einen Technologiepark. Dennoch ist die Verankerung der Sozialdemokratie (insbesondere vor Ort) immer noch eher auf den bergmännischen Knappenverein als auf den Existenzgründerstammtisch ausgerichtet. Hier muss insbesondere die übergeordnete Ebene orientierend wirken und geeignete Beteiligungsmöglichkeiten entwickeln und anbieten. Die organisatorische Weiterentwicklung muss die Partei auf allen Ebenen erfassen können.
Nun wäre es zu einfach, den Schwarzen Peter nach NRW abzuschieben und in Berlin die Schuldigen in Düsseldorf zu finden. Ein simpler Zahlenvergleich macht den Handlungsbedarf für die SPD insgesamt deutlich: in den erfolgreichen Ost-Landesverbänden (inklusive Berlin) hat die SPD ca. 3,86 Mio. Zweitstimmen erhalten, in NRW ca. 4,5 Mio. Der Erfolg der SPD bei Bundestagswahl hängt also nicht unerheblich davon ab, wie sich der Landesverband im bevölkerungsreichsten Bundesland aufstellt. Hinzu muss eine gewisse Experimentierfreudigkeit bei der Entwicklung und Umsetzung sozialdemokratischer Reformprojekte in NRW bestehen bleiben.
Erneuerung durch Wiedergewinnung der Verankerung in progressiven Milieus
Die isolierte Forderung nach einer profilierteren originär sozialdemokratischen Politik der Bundesregierung greift in zweierlei Hinsicht zu kurz: zum einen ist der Koalitionspartner durch das Wahlergebnis eher gestärkt, was sich auch auf seinen Forderungskatalog auswirken dürfte. Angesichts der Positionen der GRÜNEN zu finanzpolitischen Fragen oder konkreten Fragen der Subventionspolitik wird es hier auch Aufgabe der SPD sein, Haltelinien einzuziehen. Zum anderen kann eine profiliertere Politik nur im Zusammenspiel mit modernen Partizipations- und Kommunikationsformen in der Partei erreicht werden.
Ein Problem ist sicherlich, dass die AktivistInnen in der SPD nicht mehr den Querschnitt der anzusprechenden Wählergruppen abbildet. Notwendig ist mittelfristig ein Kompetenzaufbau in der Parteibasis, die sich immer größer werdenden Herausforderungen gegenüber sieht, die sie immer weniger lösen kann, weil die Erneuerung der SPD seit der Netzwerk- und Online-Partei-Euphorie stecken und oberflächlich, nämlich auf die Spitzenfunktionäre orientiert, geblieben ist. Notwendig ist ebenso der gezielte Neuaufbau der Mitgliedschaft. Die Partei muss sich die Köpfe suchen, die sie braucht, um vor Ort und in den vielfältigen gesellschaftlichen Netzwerken dialogfähig zu sein.
So wenig es sich die Sozialdemokratie leisten kann, ihre traditionelle Klientel vor den Kopf zu stoßen, so wenig kann sie es sich erlauben, sich auf ihren Bestand auszuruhen. Sie muss auch offen sein für neue Ansprüche an Leben und Politik - und damit ist nicht gemeint, das Geklingel von der "neuen Mitte" wieder aufzuwärmen und sich denen anzudienen, die von den vorherrschenden Bedingungen nur gewinnen wollen. Will die SPD ihren Gestaltungsanspruch an die Gesellschaft aufrecht erhalten, muss sie gerade diejenigen für ihre Arbeit gewinnen, die mit den gegebenen Bedingungen nicht (!) zufrieden geben.
Profilbildung durch Diskursfähigkeit
Die notwendige Orientierung auf die Partei in ihrer gesamten Breite ist nicht mit einem Basis-Fetisch gleich zu setzen. Gerade die lokalen Gliederungen erwarten und brauchen politische Führung als Handlungsrahmen und argumentativen Resonanzkörper.
Allerdings hat sich gezeigt, dass mit dem Umzug der politischen Szene ins Raumschiff Berlin eine schleichende Entfremdung zwischen der Parteibasis und der Politischen Elite der Partei stattgefunden hat. Offensichtlich hat sich in Berlin eine politische Szene gefunden, die neben ihrer Diskussionskultur auch eine eigene Wahrnehmung von gesellschaftlicher Wirklichkeit und politischen Erfordernissen erwickelt hat, die sie kaum mehr in der Lage ist, "nach unten" zu kommunizieren.
Die Folge ist: Der typische Ortsvereinsfunktionär kann mit der durchgestylten Geschäftshaltung im Wahlkampf genauso wenig anfangen wie mit der Netzwerk-Schickeria.
Gemeinsame Identität benötigt ein gemeinsames Dach. Politische Führung der Bundesebene ist dringend notwendig. Dabei muss die Partei allerdings in ihrer Gesamtheit einbezogen werden. Das bedarf zweierlei: die Parteiführung muss Diskurse initiieren und auch bei Widerständen durchhalten, so dass eine gewisse Ergebnisoffenheit herrscht. Die Partei muss ihrerseits aber auch die intellektuelle Fähigkeit zur Diskursführung beweisen.
Die Tendenz zur Fixierung des politischen Horizonts auf den eigenen Claim muss einer Gesamtverantwortung auf allen Ebenen für die Sozialdemokratie insgesamt weichen. Wer mehr Diskurs will, muss ihn auch verantwortlich annehmen! Dabei ist klar: die bislang erreichten Modernisierungsschritte der Parteireform dürfen nicht wieder umgedreht oder einer inhaltlichen Beliebigkeit geopfert werden. Es gilt, die vielerorts eingetretene Sprachlosigkeit zu überwinden.
Dabei ist zum Beispiel von entscheidender Bedeutung wie die SPD angesichts weiterer anstehender Reformen soziale Gerechtigkeit definiert und in ihrer konkreten Tagespolitik auf allen Ebenen sichtbar und für die Menschen konkret "fühlbar" macht.
Notwendig ist hier sowohl die Formulierung der langen Linien und gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen, wie auch die Konkretisierung von Reformvorhaben im Alltagsgeschäft sowie eine ausreichende Ausstattung derer, die in den Kommunen mit dafür zu sorgen haben, dass sozialdemokratische Reformvorhaben umgesetzt werden kann.
Kurzfristiges Krisenmanagement nimmt in der Tagespolitik einen wichtigen Stellenwert ein, in ihr darf sich allerdings nicht Politik erschöpfen. Wichtig ist eben eine Verknüpfung der verschiedenen Handlungsebenen der Partei und der Fraktionen zu einem Gesamtentwurf sozialdemokratischer Reformpolitik, die auch den einzelnen Ebenen genügend Handlungs- und Einflussspielraum ermöglicht.
Schröder - vom geachteten zum geschätzten SPD-Vorsitzenden?
Und erfolgreich wird eine solche Politik, wenn sie mit glaubwürdigen Köpfen verbunden wird. Insofern war die Orientierung auf den Kanzler Schröder unvermeidbar, der jedoch in seinem Wahlkampf einen Spagat ohnegleichen vornehmen musste.
In den letzten Wochen hat Gerhard Schröder zunehmend auch die Rolle Lafontaines im 98er-Wahlkampf mit übernommen und somit das politische wie emotionale Zentrum der Partei besetzt, was vor allem auf die Besetzung originär-sozialdemokratischer Themen während der heißen Wahlkampfphase zurück zu führen ist. Er agierte im Wahlkampf eher als Parteivorsitzender, wie es sich die Partei von einem Vorsitzenden wünscht, denn als Bundeskanzler.
Gerhard Schröder hat so seine Position in der Partei nach den Wahlsieg untermauert. Wurde er bislang bestenfalls geachtet und respektiert, so wird er nun zunehmend auch geschätzt, soweit es ihm gelingt, die ihn immer wieder überwältigende Selbstbezogenheit zugunsten des Ganzen - der Partei, der sozialdemokratischen Programmatik - zurück zu nehmen.
Damit ist er an der Parteispitze, zumal nachdem Franz Müntefering nun den Job hat, die Fraktion zu führen, scheinbar alternativlos.
Generationsaufbau - unterstützen statt unterbuttern
Eine der spannendsten und zugleich schicksalhaftesten Herausforderungen der nächsten vier Jahre ist der Generationsaufbaus in der SPD.
Ein Blick in das Kabinett zeigt, dass der Generationswechsel unabwendbar ist. Betrachtet man die Sache von den Alterskohorten her, dann ist das jetzt die Chance der Mitte 40jährigen. Sie haben jetzt vier Jahre Zeit, sich zum unverzichtbaren Bestandteil der nächsten Generation zu machen. Gelingt ihnen, die statistisch in der Partei ohnehin unterrepräsentiert und oft auch von den Älteren noch weggebissen wurden, das nicht, werden sie wohl von den noch Jüngeren beim nächsten Mal abgeräumt. Dann können die Mitte 30jährigen einen Generationswechsel in der SPD allemal glaubwürdiger repräsentieren als die dann 50jährigen.
Viel wichtiger, als jetzt schon über die zukünftigen Konstellationen zu spekulieren und sich in Stellung zu bringen ist es aber, einen planvollen Generationswechsel in der Partei einzuleiten. Das wird für die Enkel-Generation eine neue Erfahrung sein, weil sie bislang immer gewohnt war, ihre jüngeren Konkurrenten unterzubuttern.
Allerdings geht es nicht nur um die Spitzenfunktionäre, sondern um einen Aufbau auf allen Ebenen. Dabei scheint es besonders wichtig, Personal mit Potenzial zu identifizieren, zu fördern und dann eben auch in Position zu bringen.
In diese Generationsdebatte haben sich bereits sehr viele unterschiedliche Akteure versucht einzuschreiben: vom Ministerpräsidenten über die Zusammenhänge der sich jung Fühlenden bis hin zum nassforschen Medientyp. Ihnen scheint allerdings eines gemein: die Orientierung auf Karriere im eigenen Laden und der Verlust an Bindung an reale gesellschaftliche Entwicklungen. Eine neue sozialdemokratische Führungsgeneration, den eigenen Laden im Griff und fest verankert in realen gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen, ist längst noch nicht in Sicht.
Die Personalentscheidung für den neuen Generalsekretär wird in der Öffentlichkeit als erstes Verjüngungssignal wahrgenommen. Olaf Scholz wird die zentrale Rolle nicht nur im Generationsaufbau, sondern auch in der Modernisierung der Strukturen zukommen.
In den Prozess der Generationenbildung haben sich zudem die Jusos mit ihrem aktionsorientierten Wahlkampf eingeschrieben. Die lästigen Versuche, neben den Jusos jugendliche Zusammenhänge zu etablieren, können als gescheitert angesehen werden. Am Ende hat die nahezu bundesweit flächendeckende Präsenz und Kreativität der Jusos mit dazu beigetragen, dass der Wahlkampf der SPD mehr als Info-Stand und Schröder-Kundgebungen zu bieten hatte. Alle, die noch bis vor kurzem den Jusos angesichts diverser Bundeskongress-Pleiten keinen Pfifferling mehr zugetraut hätten, haben jetzt wiederum erkennen können, dass der Jugendverband der SPD da ist, wenn es darauf ankommt.
Die inhaltlichen wie organisatorischen Herausforderungen für die SPD planvoll anzugehen wird die Herausforderung für nur einen kurzen Zeitraum sein, die 2006 bereits abgeschlossen sein muss. Dabei sind die inhaltlichen Reformprojekte immer mit ihren Vermittlungsformen, der Modernisierung von Parteistrukturen und Beteiligungsformen, zusammen zu denken.