Politik als Chance

Die Neubestimmung der Themen sozialistischer Politik muß der zentrale Diskursgegenstand der bevorstehenden Phase in der PDS sein. Nur so kann sie als sozialistische Partei in der BRD überleben.

I.

Die PDS im Wechselspiel der politischen Emotionen und Intentionen: Auf den schrillen Parteitag von Gera folgte die öffentliche Stille um die Partei. Die Partei, vor allem ihre Basis, ernüchtert und zunehmend verunsichert, wurde sich ihrer politischen Ratlosigkeit und auch ihrer physischen Erschöpfung bewußt. Die innerparteiliche Koalition von Gera zerbrach, als deren reformorientierter Teil dieser Misere gewahr wurde - und der eher traditionalistische Flügel weiter unverdrossen den Traum von der erlösenden Kraft der allzu geradlinigen antikapitalistischen Floskeln träumte. Vor dem nun anstehenden Sonderparteitag ist ein Bemühen verschiedener innerparteilicher Akteure spürbar, einander ideologisch abgerüstet zu begegnen, miteinander vertrauten Grund zu finden und alte Bündnisse zu reaktivieren - die Partei soll weiter leben. Unmerklich erfolgt der Rückgriff auf alte Rituale, die bis weit in die zweite Hälfte der 90er Jahre die Partei zusammen gehalten haben: Untergangsbeschwörungen einerseits, Fixierung auf Personen und Symbole andererseits. Nach außen einen Gestus der Stärke, nach innen hin alle Aussagen so weit von den weltanschaulichen Differenzen abstrahiert, daß darunter fast alles möglich blieb. Das einigende Band der Sinnstiftung: Wir sind alle irgendwie Sozialisten, wollen also die ganz andere Gesellschaft - und die meisten von uns sind daran gebunden, daß sie sich den größten Teil ihres politischen Lebens als Kommunisten verstanden.

Doch die Dinge haben sich gewendet: Der Gestus der Stärke ist nach der spätestens seit Anfang 2002 unübersehbaren strategischen Spaltung der Partei und angesichts des Niedergangs bei der Bundestagswahl und in den Umfragen unglaubwürdig. Die Fixierung auf Personen erzwingt einen Umweg in die Parteigeschichte. Die Symbole sind leer, seit konkurrierende Parteien sie als politische Themen behandeln und der Ernst der Krise im Lande Entscheidungen statt Vorhaltungen verlangt. Und die Suche nach abstrakten weltanschaulichen Gemeinsamkeiten führt eben nicht zu relevanten Eingriffen in die gegenwärtige deutsche Reformdebatte, sondern bestenfalls zu einer innerparteilichen Einigung darüber, was nach diesem Reformprozeß so kommen soll.

Die jetzt mögliche personelle Neuordnung an der Parteispitze kann dazu führen, daß zunächst der Erosionsprozeß der Partei selbst und ihres engsten Umfeldes aufgehalten wird. Die Partei wird jedoch - mit tragischen persönlichen Folgen für die Spitzenkräfte wie für jede für die PDS Engagierte und jeden Engagierten - dennoch scheitern, wenn sie jetzt nicht ernsthaft daran geht, sich als tatsächlich politische Partei neu zu konstituieren. Also auch: die politische Integration zu entdecken und zu praktizieren - und damit erst wirklich den weltanschaulichen Pluralismus zu ermöglichen.

Konsequentes Auftreten und Handeln als politische Partei - darum geht es bei dem in letzter Zeit gelegentlich benutzten Begriff einer "neuen Performance" der PDS. Das betrifft die Gesamtpartei - nicht nur einzelne Akteure, Gruppen oder Landesverbände, denen dies - quasi am Rande des bestimmenden ideologischen Betriebs - gestattet wird. Politisches Auftreten und Handeln der eigenen Partei muß man wollen - nicht nur hinnehmen.

II.

Was ist der Kern des Politischen? Entscheidungen über den Gang der Dinge in der Gesellschaft vorbereiten, herbeiführen, fällen und durchsetzen. Und kontrollieren. Wenn es der Partei gelingt, sich darum zu gruppieren, so wird sie sowohl zu innerer Integration wie vor allem zur Interventionsfähigkeit nach außen finden. Einen, wie es im PDS-Deutsch heißt, "Gebrauchswert" für die Gesellschaft präsentieren.

Was bedeutet dies nun?

Um welche Entscheidungen es geht, ist zunächst nicht in das Belieben von Parteien selbst gestellt. Dies zu akzeptieren, könnte zunächst schwer fallen. Denn die konkreten Entscheidungen leiten sich aus den existentiellen Gründen ab, warum Menschen in Gesellschaft leben und sich auch der Autorität eines Staates unterwerfen - nämlich um Sicherheit für Leib und Leben, Hab und Gut zu erlangen. Und das für Gegenwart und Zukunft - politisch relevant aber ist nie allein nur das Künftige. Was konkret das bedeutet, um welche Gegenstände es geht, wessen Interessen dabei in welcher Weise gewichtet werden, wer dabei profitiert, wer benachteiligt wird - all dies ist dann im politischen Raum heftig umkämpft. Hier müssen auch demokratische Sozialistinnen und Sozialisten ihren Platz finden.

Und sogar den Zugang zu diesem Platz können politische Kräfte nicht völlig willkürlich bestimmen. Alle relevanten politischen Parteien in den Demokratien der Gegenwart wurzeln in den politisch-geistigen Grundströmungen der bürgerlich-kapitalistischen Epoche - Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus, Demokratie. Zwar gibt es Überschneidungen und wechselseitige Adaptionen, gegen diese Vorprägungen aber kann - und will in der Regel - auch keine politische Partei an. Daraus entwickeln sie ihre spezifischen Themen, mit denen sie in bestimmten politischen Abschnitten definiert werden. Gelingt die Übersetzung nicht, eröffnen sich auf der Grundlage neuer gesellschaftlicher Herausforderungen und der Affinität der Problemlage zu den bestehenden Grundströmungen Chancen und Notwendigkeiten für neue politische Parteien. Exemplarisch dafür stehen die Grünen in Europa.

Aber auch die PDS in Deutschland. Ihre Lebensfähigkeit ist weniger ein Produkt des Willens der verschiedenen Erneuerergruppen aus der SED, als vielmehr ein Produkt des -weitgehend bewußt in Kauf genommenen - Versagens der bestehenden westdeutschen Parteien bei der Integration des Ostens in das vereinte Deutschland und der damit verbundenen sozialen Mißstände wie auch außenpolitischen (friedenspolitischen und damit die nationale Identität betreffenden) Fehlentwicklungen. Das Scheitern der PDS bei den Bundestagswahlen 2002 hat sicher vielerlei Gründe - dazu gehört aber auf jeden Fall das Unvermögen der PDS, aus diesen Themen (PDS-intern als "Images" verstanden und gehandhabt) eigenständiges politisches Handeln zu entwickeln, also entsprechende, von ihr beeinflußte und nur von ihr initiierbare Entscheidungen vorzuweisen (Referenzen).

Gleichwohl verweist die Tatsache, daß die PDS allein mit dem Gestus als Ostpartei, Partei der sozialen Gerechtigkeit und Friedenspartei nicht mehr hinreichend Mobilisierungskraft hatte, darauf, daß die Bedeutung dieser Themen - so, wie sie in den 90er Jahren verstanden wurden - zurück geht.

Die politische Neubestimmung der Themen sozialistischer Politik muß der zentrale Diskursgegenstand der bevorstehenden Phase - von der Vorbereitung des Sonderparteitages über den Programmparteitag bis zur Vor-Entscheidung über die politische Positionierung zu den Europa- und Landtagswahlen 2004 - sein. (1)

Nur thesenhaft sei dazu festgestellt: Weder das klassische "Ost"- Thema (wegen der zunehmenden Ausdifferenzierung der Teilgesellschaft Ost und der zunehmenden Komplexität der Ost-West-Verflechtungen in den gesellschaftlichen Problemen) noch der Impetus der "alleinigen Anti-Kriegspartei" (wegen des Verlustes der Alleinstellung und - dies vor allem - wegen der entstandenen und tatsächliche Aushandlungsfähigkeit voraussetzenden Mehrdimensionalität des Themas) können dafür einfach in das neue Jahrzehnt fortgeschrieben werden. Zentraler gesellschaftlicher Diskursgegenstand sind die sozialen Fragen (zu deren Bestandteilen "der Osten" und eine sozial gerechte Globalisierung gehören); hier also muß die PDS vor allem ansetzen. Das verlangt: Lücken in Diskurs und Entscheidungsprozeß schließen wollen. Wer meint, das Erfolgsrezept liege darin, im innerparteilichen Streit der SPD Partei zu ergreifen (und sich perspektivisch in der Sache an die voraussichtlichen Verlierer dieses Streits - die SPD-Linke und den Gewerkschaftsflügel - zu binden), der unterliegt einem Irrglauben. Die PDS wird tatsächlich nur dann einen "Gebrauchswert" erlangen, wenn sie sich zur sozial-innovativsten Partei Deutschlands entwickelt, wenn ihr Haupt-Thema (nicht selbst ernanntes Image!) eine soziale Integration neuer Art in Deutschland (West wie Ost) wird. (2) Und: Wenn sie sich auf dieser Grundlage (und eben nicht sozial-konservativer Basis) mit dem sozialen Protest im Lande verbündet, seine Anliegen auf ihre Weise in den politischen Raum einführt.

Nur auf eine solche Weise kann sie tatsächlich Entscheidungen vorbereiten, was bedeutet, zum gegebenen Zeitpunkt notwendige konkrete, positive Ziele setzen und dafür entscheidungsfähige Optionen inhaltlich ausarbeiten und kommunizieren. Und zwar nicht, indem der Kompromiß auf der Linie des politischen Wettbewerbers bereits vorweg genommen wird, sondern so, daß die Möglichkeit eines Kompromisses eröffnet wird, in dem sich die eigene Substanz zu großen Teilen wieder findet.

Freilich: Dies verlangt Ressourcen, vor allem Expertise. Mit dem Verlust der Bundestagsfraktion hat die PDS viel davon verloren; in der Phase der politischen Handlungsunfähigkeit des Vorstandes nach dem Geraer Parteitag sind weitere Verluste eingetreten, wurde Zeit für notwendige Arbeiten und Debatten verloren. Will die PDS auf die bundespolitische Bühne zurückkehren, so muß es ein Anliegen der gesamten Partei sein, diesen Ressourcenausfall so weit wie irgend möglich zu kompensieren. So wichtig die Landtagsfraktionen sind - sechs Mal Landespolitik sind noch lange nicht eine Bundespolitik, die Bestand im Parteienwettbewerb hat. Der neue Parteivorstand wird vor der Frage stehen, wie er Ressourcen für einen Erfolg versprechenden bundespolitischen Auftritt der Partei mobilisiert - innerhalb wie außerhalb der PDS. Eine Aktion "IdeenSpenden" könnte dafür hilfreich sein - ein Aufruf, sowohl Ideen und Konzepte für eine wirksame sozialistische Politik in Deutschland als auch finanzielle Mittel zu spenden, um solche Ideen intern und extern weiter auszuarbeiten. Die Partei müßte dafür freilich von ihrem Gestus der Allwissenheit herunter, sie bräuchte eine offenere Programmatik (dazu weiter unten) - und sie müßte vor allem endlich dazu übergehen, ihre beiden Vertreterinnen im Bundestag tatsächlich zu unterstützen und prominent in die Entwicklung der Parteipolitik einzubinden.

Doch zurück zum Herbeiführen von Entscheidungen. Dies ist eine bezüglich des Ausganges noch offene Phase politischer Willensbildung. Man muß sie erkennen und nutzen - wenn man sie verpaßt oder schlicht daneben agiert, hat es keinen Sinn, so zu tun, als sei noch alles offen. Dann richtet sich bestenfalls der Kampf darauf, die Fragen überhaupt erst wieder auf die Tagesordnung zu setzen. (Dann aber ist man wieder einen Schritt zurückgefallen und darf sich nicht allein darauf reduzieren - oder reduzieren lassen.) In dieser Phase bilden sich in einer pluralistischen Gesellschaft Lager und Allianzen, neue Kräfte werden mobilisiert, Interessen werden artikuliert, zusammen geführt, gewichtet, umgesetzt oder ausgegrenzt. Parteien spielen hier eine zentrale Rolle - aber nicht isoliert in einem Raumschiff unter sich über der erdabgewandten Seite des Mondes und in seinem Funkschatten.

Interessenaggregation ist immer dort am einfachsten, wo der Politik bestimmte Interessen strukturiert und organisiert gegenübertreten - in Gestalt von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, von Lobbyisten aller Art, von Attac oder Bürgerinitiativen unterschiedlichster Anliegen. (3) Dies um so mehr, als gerade strukturierte Interessenvertretung in der Regel auch in der Lage ist, sich in der Öffentlichkeit - vor allem auch über die Medien - Gehör und Einfluß zu verschaffen. Politische Verantwortung umfaßt aber mehr, als nur organisierten Interessen nach dem Munde zu reden. Politische Verantwortung verlangt noch viel mehr, diese Interessen gegeneinander abzuwägen, zu gewichten und auszutarieren. Mehr noch: Dies darf nicht nur im Rahmen der organisiert vorgetragenen Interessen geschehen - sondern auch unter Einbeziehung der nicht strukturierten Interessen in der Gesellschaft: jener von neu entstehenden sozialen Gruppen, von den Schwachen, Ausgegrenzten, Desintegrierten - und nicht zuletzt jener, die durch ihre besondere Lebenslage (noch) keinen Einfluß auf die gesellschaftlichen Belange von heute nehmen können, insbesondere also die Kinder, die nachwachsenden Generationen. Was also Politik leisten muß, wenn sie Entscheidungen herbeiführt, ist weitaus mehr als eine mechanische Übertragung des gesellschaftlichen Interessenspiels in die politischen Institutionen.

Die PDS war in ihren erfolgreichen Zeiten sehr wohl in der Lage, marginalisierte und nicht organisierte Interessen aufzugreifen und in ihren bundespolitischen Auftritt zu integrieren. Sie hat es kraft ihrer Existenz und ihres Auftretens geschafft, von großen Teilen der ostdeutschen Bevölkerung als Ausdruck ihres erstarkenden Selbstbewußtseins und als Symbol ihres selbst nicht oder nur in geringerem Maße geführten Kampfes um den aufrechten Gang in die deutsche Einheit angesehen zu werden. (4) Dieser enge kulturelle Kontakt ist seit Ende der 90er Jahre verloren gegangen. Die PDS hat weder wirkliche Tuchfühlung zu den in die ostdeutsche Provinztristesse abgesackten Resignierten und langfristigen Verlierern der deutschen Einheit oder zu deren in den Westen abwandernden Geschwistern, Kindern und Enkeln gehalten, noch hat sie sich wirklich bei jenen "neuen Ossis" verankern können, die - unabhängig von Geburtsort und -jahr - kraft eigener Lebensentscheidung die Leistungszentren des Ostens als den Ort ausgewählt haben, an dem sie dem eigenen Leben eine Perspektive geben wollen. (5)

Am Ende schließlich werden Entscheidungen gefällt und durchgesetzt, Umsetzung und Ergebnis kontrolliert. Dies ist der klassische Part von Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen. Dort jeweils mit möglichst großer Stärke präsent sein zu wollen, liegt in der Logik des Politischen. Wer Entscheidungen in seinem Sinne nicht fällen und durchsetzen will, entbehrt jeder politischen Glaubwürdigkeit. Wer die Präsenz in Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen zum inhaltleeren Selbstzweck macht, handelt ebenfalls nicht politisch. Aber das ist eigentlich banal. Und es gilt für jede Phase des politischen Prozesses: Wer sie verabsolutiert, tritt aus dem eigentlich Politischen heraus. Die Kunst besteht darin, die Balance zu gewährleisten und das eine in das andere greifen zu lassen. Das ist es, was die PDS lernen muß. Jetzt oder nie.

III.

Angesichts der von allen Seiten als existentiell erkannten Krise der Partei geht es also im umfassendsten Sinne um einen die bisherigen Defizite - auch programmatischer Art - überwindenden praktikablen Gegen- bzw. Neuentwurf der PDS-Performance (inhaltlich und personell). Diese neue PDS-Performance muß sich auf die Gesellschaft richten - konsequent und ohne ängstliche Rückschau. Die vordergründige Frage ist nicht, welche Defizite der letzten Jahre jetzt durch Neujustierung und starke Akzentuierung bereits vorhandener PDS-Positionen und innerparteilicher Kompromisse geschlossen werden können - sondern welche Defizite der gesellschaftliche Reformdiskurs aufweist und was Sozialistinnen und Sozialisten angesichts dessen innovativ einbringen können. (Auf diesem Wege wird man auch interne Defizite überwinden können.) Nur so ist jenes zentrale Image wieder zu gewinnen, das Harald Pätzolt als "schlaue Lösungen" beschreibt. Aber dann darf man eben nicht einfach behaupten, man habe sie - wie dies in den 90er Jahren üblich war und dann letztlich im Regierungshandeln tatsächlich entzaubert wurde, sondern man muß sie entwickeln. An einzelnen, konkreten Gegenständen beginnend - und dann ausgreifend und zu einer neuen, politischen Programmatik werdend.

Die Themen, die den derzeitigen Reformdiskurs in Deutschland prägen und in den die PDS politisch wie programmatisch eindringen muß, sind überschaubar:

  1. Der Aufbau auch in Zukunft beständiger sozialer Sicherungssysteme - insbesondere Renten und Gesundheit betreffend.
  2. Arbeitsmarktreform - oder umfassender gesagt, aber nicht alternativ zu denken: Umbau der Arbeitsgesellschaft.
  3. Die Entwicklung einer eigenständigen, global orientierten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik als Gegengewicht zum Unilateralismus der derzeit in den USA dominierenden Kräfte.
  4. Die Berücksichtigung der Spezifik Ostdeutschlands insbesondere bei den Punkten 1. und 2..

Bei der Behandlung dieser Themen gibt es im gesellschaftlichen Diskurs eine Reihe von Prämissen, die man nur bei Strafe des eigenen Untergangs ignorieren kann (da hilft auch die Etikettierung als "neoliberal " nichts):

  • der demographische Wandel der Gesellschaft
  • die Relationen zwischen Aktiven und Leistungsempfängern in den sozialen Sicherungssystemen generell
  • die vor diesem Hintergrund notwendige Entlastung des Faktors Arbeit (für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber)
  • ergo die Entwicklung neuer Finanzierungsgrundlagen für soziale Gerechtigkeit
  • eine Umstrukturierung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Arbeitsmarkt, die einen Umbau der Arbeitsgesellschaft im Sinne der Schaffung von neuen Unternehmen(-sformen) und (perspektivreichen, stabilen) Beschäftigungsverhältnissen ermöglicht
  • die Neuausrichtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungspotentiale des Landes unter den Bedingungen von Globalisierung, Wissensgesellschaft / "Informationskapitalismus", neuen Technologien etc. pp.
  • Wiedergewinnung der finanziellen Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand
  • die politische, wirtschaftliche und auch militärische Organisation Europas (einschließlich einer klaren Definition europäischer Interessen und Prinzipien), die Abhängigkeiten von den USA reduziert und der "restlichen" Welt als attraktive Alternative zum Kurs der Bush- Administration (eigentlich der dahinter stehenden längerfristigen Linie im amerikanischen Establishment) angeboten werden kann.

Zu erwarten ist an dieser Stelle die Frage, wo denn dabei das Sozialistische bleibe. Und es wird die Sorge auftauchen, die PDS verliere jedwede Eigenständigkeit, wenn sie sich auf die Fragen einlasse, die alle diskutieren.

Sicher, wenn man dem skizzierten Gedankengang folgt, muß man einige geliebte Tabus der Linken fallen lassen und sich schwierigen Fragen stellen.

Aber: Gerade dieses Herangehen erlaubt eine deutliche Kritik z. B. an der Agenda 2010 (und erst recht am Ergänzungsangebot der Union), ohne daß man sich auf die Position der Kanzlerkritiker in der SPD zurückziehen muß. Sozialistische Hauptkritik am gesellschaftlichen Diskurs lautet dann: Die "Reformer" um Schröder, Clement, Merkel und Stoiber gehen diese komplexen Herausforderungen sehr reduziert an. Sie stellen die Fragen ja gar nicht so, wie sie oben aufgeworfen wurden. Sie bauen die Sozialsysteme nicht um, sondern sie nutzen die Reserven des ersten Zugriffs: Leistungskürzungen jedweder Art. Sie reformieren nicht die Arbeitsgesellschaft, sondern sie verschaffen allein der Wirtschaftsseite größeren Spielraum: Kündigungsschutz weg etc. Sie konsolidieren nicht die Haushalte, sondern streichen und verschenken ohne irgendetwas wirklich in der Hand zu haben, irgendwelche Folgen abschätzen zu können, irgendwie auf neue Art Effizienz öffentlicher Mittelverwendung herstellen zu können. Sie entwerfen kein neues Europa, sondern sie konkurrieren mit den USA auf dem Sektor, auf dem staatliche Politik heutzutage - wieder in den Grenzen des Zugriffs auf Reserven des ersten Zugriffs - überhaupt noch in der Lage ist, Ressourcen zu mobilisieren: "nationale Sicherheit", sprich: Rüstung (und damit genau in dem Bereich, wo Europa in Konkurrenz zu den USA die schlechtesten Karten und die Welt die schlechtesten Erfahrungen hat).

Zugleich muß man sagen: Die Verweigerung all dieser Schritte ist noch weniger eine Reform, noch weniger Veränderung. Veränderung aber ist notwendig.

Was muß sozialistische Reformpolitik unter heutigen Bedingungen auszeichnen? Ein Beispiel: Die in die Krise geratene umlagefinanzierte Rente kennt nur wenige Stellschrauben: Auf der Einnahmeseite sind dies die Höhe der Beiträge und die Anzahl der Beitragszahler - auf der Ausgabenseite das Rentenniveau und die Dauer des Rentenalters. Zur Verbesserung der Einnahmen hat die PDS eine allgemeine Versicherungspflicht auch für Selbständige, Beamte und Abgeordnete sowie eine konditionierte Verdoppelung der Beitragsbemessungsgrenze vorgeschlagen - aber auch das ist nicht mehr als die Mobilisierung von Reserven des ersten Zugriffs, keine durchgreifende strukturelle Lösung. Von anderer Seite wird immer wieder versucht, das Renteneintrittsalter anzuheben, um so die Aufwendungen zu reduzieren. Nun mag es sein, daß in fünfzehn bis zwanzig Jahren so viel Junge fehlen, daß man die Alten wieder braucht - doch wenn sie bis dahin auf der Straße liegen, weil kaum noch Menschen über 50 beschäftigt werden, dann fehlen ihnen Qualifikation und Erfahrung und Übung Â… Wer also die Rente sanieren will, muß sich zunächst um die Reduzierung der Massenarbeitslosigkeit, um den Umbau der Arbeitsgesellschaft kümmern - ohne freilich die Lösung aller Probleme von dort aus erwarten zu dürfen. Was also tun?

Von hier an verstolpert sich der linke Rentendiskurs. Im Bemühen, das solidarische Rentensystem zu verteidigen, werden einerseits die demographische Entwicklung im großen zeitlichen Rahmen gesehen - und andererseits das alternierende Kapitaldeckungssystem auf seine Risiken reduziert.

Allerdings: Was genau gilt es beim gegenwärtigen Rentensystem zu verteidigen? Was genau ist die "solidarische Rente"? Das so gern auf Bismarck zurückgeführte, aber in seiner konkreten Gestalt mittlerweile viel mehr von Adenauer und seiner Rentenreform von 1957 geprägte System? Ist es das Prinzip der "paritätischen Finanzierung" durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Ist es die Umlagefinanzierung, der Generationenvertrag? Sind es die immer größer werdenden Bundeszuschüsse?

Jedes für sich ist angreifbar. Nicht jedoch das Eigentliche, was dahinter steht: Der moderne Sozialstaat geht davon aus, daß die Alterssicherung eine Aufgabe aller relevanten Akteure ist. Die politischen Kräfte unterscheiden sich aber in der Frage, in welchem Ausmaß und in welchen Relationen dies bezüglich der jeweiligen Akteure gelten muß.

Aus sozialistischer Sicht gibt es ein klares Prinzip: Der gesellschaftliche Reichtum ist auch für die Alterssicherung aller zu nutzen. Das muß geregelt werden und erhalten bleiben.

Ist das sozialistisch?

Ja, wenn man Sozialismus nicht "marxistologisch" auf die "Eigentumsfrage" reduziert, sondern jenes Koordinatensystem für Kritik und praktische Alternativen aufspannt, das die Thesen der PDS-Programm-Kommission schon einmal kannten - indem sie sich auf die spezifischen Zugänge, auf die Großthemen besannen, die die sozialistische Linke zeit ihres Bestehens erfolgreich und unverwechselbar politisch bearbeitet hat:

  • Gerechten Zugang aller zu den gesellschaftlichen Ressourcen herstellen und gewährleisten!
  • Die gesellschaftlichen Verhältnisse so ordnen, daß nicht Menschen sozial ausgegrenzt werden - und tatsächliche Ausgrenzung durch Integration beendet und nicht nur durch Alimentierung erträglich gemacht wird!
  • Wirtschaftliche und politische (Über-)Macht durch Stärkung der Interessen des Individuums und der sozial Betroffenen auf allen Ebenen begrenzen und zurückführen! Aushandlungsfähige Balancen herstellen - also natürlich die Tarifautonomie verteidigen und stärken, aber eben auch aushandlungsfähige Bündnisse für Arbeit nicht nur mit den Repräsentanten von Regierungspolitik, Wirtschaft und Gewerkschaften, sondern auch unter Einschluß von Arbeitslosen, Behinderten, Vertretern neuer Lebensformen, der Jugend natürlich und der Frauenrechtlerinnen.
  • Schließlich: Solidarisches, nicht egoistisches Menschenbild - in dem Wissen, daß der Mensch auch in die Lage versetzt werden muß, sich solidarisch zu verhalten.
    Ist das erst akzeptiert, stellt sich die nächste Frage: Wie zieht man unter heutigen Bedingungen den gesellschaftlichen Reichtum heran - ohne die Jungen zu überfordern, den Alten zu nehmen, den Staat zu verschulden, die Bezugszeiten zu verkürzen?
    Viele Jahrzehnte lang ließ sich der Anteil der betroffenen Akteure am einfachsten durch die Bindung der Beiträge an das - vor allem männliche - Normalarbeitsverhältnis bemessen. Heute müssen andere Ansätze hinzu treten:
  • Unternehmensbeiträge gemäß Wertschöpfung machen die Erträge des Produktivitätszuwachses auch für jene wirksam, die im Erwerbsleben dessen Opfer geworden sind;
  • eine steuerfinanzierte soziale Grundsicherung muß Ausdruck eines Teils der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung auch für die Altersvorsorge sein.

Die Erträge wirtschaftlicher Leistungskraft sind aber auch über Gewinnausschüttungen auf Eigentumsanteile z. B. an den börsennotierten Publikumsgesellschaften zu realisieren. Es kann nicht um eine Auslieferung der Renten an den überhitzten globalisierten Finanzmarkt gehen - wohl aber um eine auf breiter Basis beruhende, langfristig angelegte und somit Risiken minimierende Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der Leistungskraft der börsennotierten Großunternehmen. Spekulationsgeschäfte müssen dabei ausgeschlossen sein - wie in Deutschland schon jetzt für Pensionskassen vorgeschrieben; die Staatsverschuldung hingegen sollte auch nicht als vermeintlich sicheres Terrain für stabile Verzinsung angesehen werden. (6)

IV.

Wichtiger Bezugspunkt des PDS-internen Diskurses der letzten Wochen waren die Reformalternativen, die die Partei der Gesellschaft bieten will. Sie machen den zentralen Teil des Programmentwurfes aus, den die scheidende Vorsitzende Gabriele Zimmer vorgelegt hatte und den zumindest die großen Landesverbände unterstützten. Und doch: In den gesellschaftlichen Reformdiskurs konnte die PDS damit bislang nicht vorstoßen. Dafür gibt es Gründe. Denn abgesehen von einigen immanenten Schwächen des Teils zu den Reformalternativen - insbesondere in den Bereichen moderne Technologien, Bildung und Ostdeutschland - haben die Reformalternativen zwei entscheidende Handicaps:

Erstens: Ihre konzeptionelle Grundlegung in den ersten Kapiteln entwickelt eben gerade keine Basis für die Bestimmung von Anknüpfungspunkten demokratisch-sozialistischer Politik, sondern ist von der Jenseitigkeit und der großen Skepsis bzw. Distanz der ersten Kapitel gegenüber heutigen politischen Handlungsmöglichkeiten bestimmt.

Am deutlichsten wird dies zunächst in dem kaum verhüllten Avantgardismus, der den Programmentwurf durchzieht. Gewiß: Die in diesem Text beschriebene Partei sieht sich permanent im Gespräch mit allerlei Menschen - aber bei genauem Lesen sind es immer wieder nur diejenigen, die bereits mit "unseren Zielen" übereinstimmen, die die vorgegebene Weltsicht im Grundsatz teilen. Wir nehmen dann zur Kenntnis, daß der angestrebte künftige Sozialismus, daß die künftige sozialistische Gesellschaft politisch im Grunde nur auf eine politische Partei wie die PDS und deren Bündnis mit den Betroffenen hin gedacht wird - und nicht pluralistisch entfaltet wird. Wo sich der Entwurf über andere Parteien äußert, geschieht dies in massiver Anklage gegen sie und gegen die vorfindlichen Verhältnisse - zu Lasten der Einsicht, daß es auch eine politische Gemeinsamkeit von Demokratinnen und Demokraten über die Lager hinweg gibt und geben muß. Zum Beispiel: "Die gesellschaftliche Dominanz von Profit ist daher mit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit und mit der durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gebotenen Sozialpflichtigkeit des Eigentums prinzipiell unvereinbar." (7) Das heißt, die Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik ist verfassungswidrig. Und nur die PDS hat das erkannt.(8) Eigentlich müßte dann die Bundesrepublik verboten werden. In einem solchermaßen konstruierten Umfeld kommt man dann zu dem Schluß: "Die sozialdemokratischen Dritten Wege als Antwort auf den herrschenden Neoliberalismus Â… sind unvereinbar mit der Durchsetzung der sozialen, politischen und kulturellen Rechte aller Menschen Â…".(9) Dann wäre also auch Rot-Grün verfassungsfeindlich. Zudem sind SPD und Grüne laut Programmentwurf "unfähig, die entscheidenden Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen". Aber die PDS? Allein die PDS? (10)

Zweitens: Die letztlich problematische geistige Basis dieses Avantgardismus ist der die Grundlagenkapitel prägende Geschichtsmythos - der in dieser Fassung fehlgeschlagene Versuch einer übergreifenden, quasi naturrechtlichen (Re-)Legitimierung von Sozialismus. Da gibt es zunächst eine Art Urzustand - in ihm existiert eine Art abstrakter Mensch, quasi mit dem Schöpfungsakt auch mit Menschenwürde ausgestattet. Dieser Menschenwürde bemächtigt sich aber sofort - geradezu manichäisch - das Böse. Es trennt den Menschen von den konstituierenden Voraussetzungen seiner Menschenwürde, die fortan veräußerlicht, von ihm getrennt existieren - die Freiheitsgüter. Insofern sie nun vom Menschen getrennt sind, müssen sie ihm erst wieder verschafft, dem Bösen entrissen werden. Aus dieser Warte aber kommt die Freiheit. Es heißt: "Ohne soziale Gleichheit ist Freiheit nur die der Mächtigen und die Kehrseite von Ausbeutung." Und im gleichen Kontext: "Für uns ist Freiheit nicht als egoistisches Haben, sondern als solidarisches Tun zu erreichen." Damit ist Freiheit hier und heute völlig unmöglich - wer sich hier und heute in Freiheit wähnt, lebt offenbar in der falschen Freiheit: jener der Mächtigen und/oder jener des Egoismus und des "Habens". (11)

Noch in den Thesen der Programm-Kommission vom November 1999 wurde wesentlich ausgewogener formuliert: "Wir verstehen unter Freiheit die Möglichkeit des Individuums, seine Lebensfragen nach Maßgabe und Erkenntnis seiner eigenen Interessen zu entscheiden, diese Entscheidungen zur Geltung zu bringen und Konflikte mit Entscheidungen anderer auf dem Wege gleichberechtigter Aushandlung auf der Basis institutioneller Absicherung (Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Pluralismus) und gesellschaftlich akzeptierter Werte zu lösen. Wir sehen, dass eine kapitalistisch geprägte moderne Gesellschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland diesen hohen Freiheitsanspruch, den sie auf abstrakter Ebene selbst verkündet und im Unterschied zum realen Sozialismus in weiten Zügen juristisch garantiert, nicht umfassend einzulösen vermag." Und weiter hieß es: "Soziale Gleichheit ohne individuelle Freiheit ist ebenso wenig akzeptabel wie Freiheit ohne Gleichheit ... Jegliche Gegenüberstellung, ja Entgegensetzung sozialer und politischer Menschenrechte ist mit dem Denken und Handeln demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten nicht vereinbar. ... Die Einheit sozialer und politischer Rechte, Freiheiten, Entwicklungsmöglichkeiten - darauf kommt es an." Ja. Und darauf sollte sich die PDS in ihrer Programmatik besinnen. (12)

Drittens: Mit beidem - Avantgardismus und Geschichtsmythos - verbindet sich eine unter den Reformern in der PDS nicht hinreichend diskutierte und schon gar nicht politisch beantwortete Frage. Zwischen der Vorlage des ersten und des zweiten Zimmer-Entwurfes hatten die reformorientierten Autoren erfolgreich an der Beschreibung des demokratischen Sozialismus als eines "transformatorischen Projektes " gearbeitet - zugleich jedoch auf theoretischer Ebene die Frage ausgeklammert, wann und in welcher Weise dieser transformatorische Prozeß nach dem Willen demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten begonnen werden soll und kann, welcher Voraussetzungen er bedarf und welchen Charakter er haben wird. Vor allem wohl die politische Ernüchterung angesichts der Regierungsbeteiligungen in Schwerin und Berlin führte auf dieser Ebene schließlich zu einem Modell, das den transformatorischen Prozeß als Vorgang schrittweiser, aber zugleich umfassender, komplexer, möglichst ungestörter und zügiger Entfaltung ihres sozialistischen Zukunftsprojektes nach eigenen Maßstäben ansah - dem der traditionell bei den PDS-Reformern intendierte grundsätzliche Hegemoniewechsel in der Gesellschaft erst einmal voraus zu gehen habe. So kommt dann das "Eigentliche" erst irgendwann; es kann nicht schon jetzt begonnen werden, hier und heute kann man eigentlich nur reparieren - und muß aufpassen (bzw. wachsam davor bewahrt werden), daß man dabei nicht zum Arzt am Krankenbett des Kapitalismus verkommt. Damit war zumindest "Anschlußfähigkeit " zu neokommunistischen, jenseitigen Vorstellungen vom künftigen Sozialismus als der fernen, ganz anderen Gesellschaft entstanden - und zugleich eine tragische Entwurzelung des Bemühens um Reformalternativen, die letztlich auch den Widerspruch aus jenen Kreisen der Partei herauf beschwor, die in der praktischen Politik tätig sind. Die politisch-strategische Entsprechung dieser programmatischen Irritation bildete die "Mitte-Unten-Option" an Stelle der "Mitte-Links-Option" - was wiederum den politischen Kitt der fragilen innerparteilichen Koalition von Gera darstellte. Auf die Frage nach der Politikfähigkeit der PDS projiziert, erweist sich das gesamte Phänomen jedoch als entscheidendes Hindernis, als Blockade für einen erfolgreichen und perspektivträchtigen Wiedereinzug der PDS in die Bundespolitik.

V.

Von einer "Rückkehr" in die Bundespolitik sollte man nicht sprechen. Zum einen, weil sich die bundespolitischen Verhältnisse seit Mitte letzten Jahres deutlich verändert haben. Zum anderen, weil sich auch die PDS selbst in der Bundespolitik nicht wird behaupten können, wenn sie als die alte PDS wiederkommt, wenn sie sich nicht selbst wandelt. Insofern ist der in der Partei nicht wirkungslose Ruf "Kein zurück hinter Gera und Münster!" auch berechtigt. Beide Parteitage haben ein an sich richtiges Signal - politische Eigenständigkeit der PDS, keine Unterwerfung unter die Vorgaben anderer, Tapferkeit und Originalität als sozialistische Partei - gesetzt, aber mit ungeeigneten, weil die politische Handlungsfähigkeit der PDS einschränkenden bzw. verhindernden Antworten versehen. Letztlich verbirgt sich dahinter Führungsversagen, ein Versagen der politischen Führungsschichten der PDS. Wichtige Fragen wurden falsch gestellt und mit irreführenden Entscheidungsoptionen versehen. Jetzt ist die Krise existentiell. Aber der Befund taugt nicht als Vorwurf an "die anderen" in der Partei. Schon gar nicht zur unreflektierten Selbstlegitimation eigener politischer Ansprüche. Die Antworten liegen vor, nicht hinter der Partei. Sie zu finden, wird viel Kraft und Arbeit kosten.

Thomas Falkner - Jg. 1957; Dr. rer. pol.; Journalist und Publizist; Autor verschiedener Bücher über die Entwicklung der PDS und Aufsätze zur politischen Strategie der PDS. Mitverfasser von: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. (Hrsg.): Zur Programmatik der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar, Berlin 1997.

1 Die Rückkehr der PDS als Gesamtpartei auf die bundespolitische Bühne muß mit einer politischen Neubestimmung ihrer Themen einhergehen.

2 Die PDS hat die Chance, sich zur sozial-innovativsten Partei Deutschlands zu entwickeln.

3 Wo es darum geht, Entscheidungen herbei zu führen, bündelt sich die Interessenaggregation bei und durch Parteien. Dies ist die Bewährungssituation der Partei von unten, einer Partei, die in diesem Zusammenhang völlig zu Recht den Anspruch erhebt, ein gesellschaftliches "Mitte- Unten-Projekt" vertreten zu wollen.

4 "Die Ost-Identität von heute ist das wiedererstarkte Selbstbewusstsein und der Anspruch erheblicher Gruppen der Ostdeutschen, dass sie mit ihren Biografien, mit ihren Erfahrungen und Werten, mit ihren Gesellschaftsbildern und Lebensplänen legitimer und gleichberechtigter Teil der Gesellschaft der neuen Bundesrepublik sind.". Dietmar Wittich: Wahlzeiten, Kriegszeiten, andere Zeiten, Hamburg, S. 53.

5 Beide Gruppen - die der ostdeutschen Tristesse Ausgelieferten und die in den Zentren des Ostens nach ihren Wegen suchenden "neuen Ossis" politisch zusammenzuführen, ihnen ein politisches und kulturelles Leitbild für die Entwicklung dieser Region in den nächsten Jahren verlässlich anzubieten und damit gesellschaftliche Kraft frei zu setzen - das wäre eine zentrale Aufgabe für eine erneuerte PDS als Partei mit ostdeutscher Tradition und auf dem Weg zu einer Partei für eine Zukunftsregion in Deutschland, künftig einer "Partei der Regionen". Petra Pau: Die PDS am Beginn einer weiteren Etappe ihrer Erneuerung. Diskussionsangebot vom 22. Mai. 2000. Zitiert nach: http://www.petrapau.de/pds/index_rue.htm.

6 Schon eingangs der Präambel wird dieser Weg eingeschlagen: "Wir, die Mitglieder der PDS, geben uns dieses Programm mit der Absicht, unsere Ziele zu erklären und mit anderen über jene Wege zu sprechen, die zu einer friedlichen und gerechten Gesellschaft führen, einer Gesellschaft, in der jede und jeder selbstbestimmt und in sozialer Sicherheit leben kann. Wir suchen die Zusammenarbeit mit allen, die diese Ziele teilen, und wollen in dieser Zusammenarbeit unseren eigenen Platz bestimmen." Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus - Überarbeiteter Entwurf (Februar 2003), S. 1. (Hervorhebung d. A.). Nur auf den ersten Blick täuscht die Allgemeinheit der Formulierungen über das Problem hinweg. Denn: Wer eigentlich lehnt in einer modernen Gesellschaft Frieden, soziale Gerechtigkeit und Selbstbestimmung als Ziele ab? Es muß also eine andere Ebene geben, auf der sich die anderen von "uns" unterscheiden - und von der aus gesehen Zusammenarbeit mit "uns" möglich oder unmöglich ist. Was aber wird dann mit denen, die "unsere Ziele" nicht teilen?

7 Ebenda, S. 4.

8 Zu diesem Komplex ist - aus anderer Sicht - auf folgenden bemerkenswerten Artikel zu verweisen: Carlos Katins: Lieber klein aber fein. Zum Begriff der Menschenwürde im PDS Programmentwurf, in: Disput/April 2003.

9 Ebenda, S. 12.

10 Ebenda.

11 Ebenda, S. 4.

12 Thesen zur programmatischen Debatte. Dokument der Programm-Kommission, November 1999. Zitiert nach: http://www.pds-online.de/programm/programmkommission/ dokumente/ thesen.htm. 602

in: UTOPIE kreativ, H. 153/154 (Juli/August 2003), S. 592-602

Inhalt UTOPIE kreativ, H. 153/154 (Juli/August 2003)

VorSatz 581 Essay ULRICH BUSCH Agenda 2010 - das deutsche Programm für einen Gesellschaftsumbau 583 PDS - Wege aus der Krise THOMAS FALKNER Politik als Chance 592 MICHAEL CHRAPA Parteireform als Aufbruch? 603 STEFFEN KACHEL Zum Spannungsfeld von PDS und Parlamentarismus 609 JÖRN SCHÜTRUMPF Krisenhafte Kommunikation. Thesen 614 HEIKO HILKER Politische Kommunikation und PDS 617 ERHARD CROME PDS. Ansichten einer Krise 628 Nachhaltigkeit & Soziale Gerechtigkeit REINART BELLMANN, HUBERT LAITKO, KLAUS MEIER Generationengerechtigkeit: Die Verknüpfung ökologischer und sozialer Zielstellungen im Nachhaltigkeitskonzept 635 JOACHIM H. SPANGENBERG Soziale Nachhaltigkeit. Eine integrierte Perspektive für Deutschland 649 GÜNTHER BACHMANN Warum Nachhaltigkeit ? 662 KLAUS WARDENBACH Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert. Der World Summit in Johannesburg 666 CHRISTA WICHTERICH Nachhaltigkeit und neoliberale Globalisierung aus feministischer Sicht 670 RONALD HÖHNER Der Stempel von Rio 675 GERHARD BANSE Integrative nachhaltige Entwicklung und Technikfolgenabschätzung 680 EDGAR GÖLL Nachhaltigkeitspolitik - Beispiele aus Europa 692 ELISABETH VOSS Wie nachhaltig ist die aktuelle Arbeitsmarktpolitik? 696 Ernst Bloch: Hoffnung muß gelernt werden VOLKER CAYSA Bloch - (k)ein toter Hund 698 ROGER BEHRENS Aktualisierung des Ungleichzeitigen. Anmerkungen zur Prozeßlogik einer mehrschichtigen Dialektik 707 MICHAEL BRIE Zwischen Wärmestrom und Kälteschock 720 Politik & Zeitgeschichte JÜRGEN JAHN Geraubte Jahre. Der Lebensweg des Bernhard Steinberger 741 WOLFRAM ADOLPHI Verweigertes Gedenken 751 Festplatte WOLFGANG SABATH Die Wochen im Rückstau 758 Bücher & Zeitschriften Siegfried Freick: Die Währungsreform 1948 in Westdeutschland. Weichenstellung für ein halbes Jahrhundert (WOLFGANG TRIEBEL) 760 Wolfgang Schivelbusch: Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865 - Frankreich 1871 - Deutschland 1918 (STEFAN BOLLINGER) 761 Jörg Huffschmid: Politische Ökonomie der Finanzmärkte. Aktualisierte & erweiterte Neuauflage Bernard Cassen, Susan George, Horst Eberhard Richter, Jean Ziegler u. a.: Eine andere Welt ist möglich! (ULRICH BUSCH) 763 Rainer Rupp, Burchard Brentjes, Siegwart-Horst Günther: Vor dem dritten Golfkrieg (ANJA LAABS) 765 Gerhard Roth: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert (ALJOSCHA JEGODKA) 767 Hans-Dieter Heumann: Deutsche Außenpolitik jenseits von Idealismus und Realismus. Mit einem Vorwort von Hans-Dietrich Genscher (STEFAN BOLLINGER) 768 Arne Heise (Hrsg.): Neues Geld - alte Politik? Die EZB im makroökonomischen Interaktionsraum (ULRICH BUSCH) 770 Erhard Meueler Lob des Scheiterns. Methoden- und Geschichtenbuch zur Erwachsenenbildung an der Universität (EVELIN WITTICH) 772 Hartmut Häußermann, Andreas Kapphan: Berlin: von der geteilten zur gespalteten Stadt? Sozialräumlicher Wandel seit 1990. (TERESA ZAVALA) 773 Vida Obid, Mirko Messner, Andrej Leben: Haiders Exerzierfeld. Kärntens SlowenInnen in der deutschen Volksgemeinschaft (MARTIN SCHIRDEWAN) 774 Joachim Bischoff, Sebastian Herkommer, Hasko Hüning: Unsere Klassengesellschaft. Verdeckte und offene Strukturen sozialer Ungleichheit, (FRIEDHELM WOLSKI-PRENGER) 775 Christian Höffling: Korruption als soziale Beziehung, Forschung Soziologie. (ARNDT HOPFMANN) 777 Ulrich Klemm: Lernen ohne Schule. Argumente gegen Verschulung und Verstaatlichung von Bildung. (ANDREAS MERKENS) 778