Internet

1 Sichtweisen Das Internet ist ein ursprünglich auf das Telephonsystem aufsetzendes großtechnisches System, das zentralisierte, dezentrale und verteilte Computer- bzw. Datennetzwerke ...

... in einem besonderen, jedes beteiligte Gerät einzig auszeichnenden Adress- und Namensraum durch ein einheitlich gültiges Protokoll zur Weiterleitung von Datenpaketen (Transmission Control Protocol/Internet Protocol - TCP/IP) zu einem übergreifenden Netzwerk heterogener Netzwerke verknüpft. Im Alltagsverständnis werden häufig alle signifikant verbundenen Datennetzwerke, Anwendungen und deren technische Apparatur unter den Begriff subsumiert (s. Cannon 2002).
Die Blicke auf "das Netz" seit Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts waren vielfältig und haben sich in schneller Folge verändert. Im Mittelpunkt der frühen internet dreams seiner avantgardistischen Technikakteure standen postmoderne Raumkonzepte (Hyperraum, Informationsraum, Dataspace, Workspace, Virtualität). Die Rede vom Cyberspace (zuerst bei GIBSON 1982) versuchte mit gleichsam magischer Kraft das eigenartig Neue zu beschreiben, das mit dem Internet in die alte Welt und ihre Raumvorstellungen gekommen ist - und welche Rolle das Individuum in diesem neuen virtuellen Zusatzraum spielen würde (Konzeptionen der Posthumanität, Cyborgs, s. Gray 2002). Im Unterschied zu anderen technikbezogenen Sichtweisen, Leitkonzeptionen und Metaphern ist hier die kritische Frage nach den Machtverhältnissen und damit nach Politik fast immer mitgedacht worden und utopisches wie dystopisches Denken angeregt worden (Capurro 1995; Stephenson 1992).
In den 80er und 90er Jahren spiegelte sich die dann rasch ausgreifende Rolle des Internets in einer Fülle von Struktur-, Raum-, Bewegungs-, Sozial- und normativen Funktionsmetaphern wider (Netz, Markt, Datenautobahn, Sites, Domänen, Home, Hosts, Landscape, virtual community, digitale Stadt, global village, virtuelle Gesellschaft, Netzwerkgesellschaft, User, Surfer, Newbies, Einsteiger, Lurkers, Freaks, Nerds, Digerati, Agora, Brain, Labor, Archiv, Bibliothek usw.). Versucht wurde so das Internet alltagspraktisch handhabbar und zugleich mit Gesellschaftskonzepten der 90er Jahre passfähig zu machen (Informations- bzw. Wissensgesellschaft, Netzwerkgesellschaft). Im Vordergrund stand dabei die ideologiepolitische Zielsetzung der Unterstreichung des technischen Entwicklungspotentials des Gegenwartskapitalismus. Ende der 90er Jahre war die Kraft dieser Metaphern jedoch weitgehend erloschen - das Internet als domestiziertes Alltagsmedium ähnlich dem Telefon oder Fernsehen bedurfte ihrer nicht mehr.
Gesellschaftlich voherrschend geworden ist am Ausgang des 20. Jahrhunderts das Verständnis des Internets nicht als Raum, sondern als Netzwerk ("Matrix") und vor allem als ein Medium, das als allgemeines Individual- und als globales Massenmedium an die klassischen Massenmedien Print, Funk, Film, Fernsehen anschließt und sie dialektisch in einer neuen multi- oder besser monomedialen kulturtechnologischen Praxis integriert und aufhebt. Multimedialität, neuartige Informationstiefe durch praktisch unbegrenzte Speicherkapazität, Aktualität, Authentizität und Selektivität sowie die Ermöglichung polydirektionaler und interaktiver Deliberation statt Distribution sind hier die Stichworte, welche die Eigenart dieses Plattform - Mediums gegenüber den klassischen Medien beschreiben. Das Spektrum der Sichtweisen auf die Funktion dieses Mediums in den medialen Verhältnissen, welche die Menschen zueinander eingehen, reicht vom nach dem Kanalmodell des Fernsehens praktizierten kulturellen Pushmedium über das politische Medium interaktiver kommunikativer Selbstverständigung der Gesellschaftsöffentlichkeit bis zum ökonomischen Medium der Transaktion und Ware-Geld-Beziehungen.
2 Bestimmung Die Vielfalt und Weiträumigkeit dieser paradigmatischen Sichtweisen auf das Internet - Großtechnik, Cyberspace, Medium, Netzwerk - legt nahe, dass der Platz und vor allem die Funktion des Internets nicht allein in der Umwälzung der Kommunikation oder der technischen Infrastruktur gesehen werden kann. Auch die Anknüpfung an die klassisch-einschlägige Formulierung Marx` vom general intellect, der nach dem Heraustreten des Menschen aus dem unmittelbaren Produktionsprozess zur Entfaltung und Praktizierung nunmehr netztechnisch vermittelter digitalisierter Steuerungspotenziale instand gesetzt werde, greift zu kurz. Vielmehr geht es um eine nicht nur strukturverstärkende, sondern letztlich transformative computervermittelte Informationalisierung (CASTELLS 2001, 2002) bzw. Elektronifizierung (REISIN 2000) des Systems gesellschaftlicher Produktivkräfte, die sich seit den frühen 90er Jahren in dem Medium Internet und dessen informationellen und kommunikativen Kulturdimensionen sowie seinem politischen Potential zur Systemkontrolle und -kritik konzentriert zusammenfasst. Im Unterschied zu den anderen großtechnischen Systemen des vergangenen Jahrhunderts ist das Internet imstande, sich von den Medien oder das Militär über die Gesundheit, die Verwaltung oder die Bildung und Fürsorge bis zur Psychologie oder Verkehrsführung an zentrale gesellschaftlichen Funktionssysteme anzukoppeln und sie mehr oder weniger zu durchdringen, soweit deren Rekonstruktion im Medium von 0 und 1 als digitale Information möglich ist. Computernetzwerke sind also weit mehr als einfach Mittel der Produktion; sie sind auch Gegenstand bzw. Mittel der Kontrolle, der Arbeit, des Austausches und des Verbrauchs sowie der Verwertung. Sie stehen im Zentrum einer neuen Betriebsweise des Kapitalismus. Als Transaktionsmedium zielt dieses neuartige Netzwerk auf die Grundfunktion der allgemeinen Vermittlung, weshalb das frühe politische Basiskonzept des Netzes der Gedanke des Anschlusses, der Konnektivität, also der Ausdehnung, des global reach und des Universalismus im Zeitalter der kapitalistischen Globalisierung war (RILLING 2001). Die Form, auf die so abgezielt wurde, nennt man im gewöhnlichen Leben Monopol. Nur wenn es kein Exit und keine Freiheit vom Netz mehr gibt, ist die politische Grundidee des allgemeinen Mediums Inter-Net realisiert (TREANOR 1996). Die Funktion dieses neuartigen Mediums der allgemeinen Vermittlung besteht darin, Integration im Globalisierungsprozess des postfordistischen Kapitalismus technisch zu ermöglichen, soweit er zur Netzwerkgesellschaft (CASTELLS 2002) wird.
3 Akteure Ein globales großtechnisches System, das den Übergang in einen historisch neuen, eigenartigen virtuellen Raum bereitstellt (Bühl 1997), als Medium die kommunikativen Verhältnisse der Menschen untereinander umgestaltet und ihre Beziehungen wie die Warenwelt selbst und deren Bewegungen auf neue Weise informationalisiert, brachte in kürzester Frist einen ungewöhnlichen Umbau der traditionellen globalen Akteurs- und Hegemoniekonstellationen mit sich. Die fluide Vergesellschaftungsweise des großtechnischen Netzwerks Internet unterscheidet sich jedoch stark von jener der klassischen großen Staatstechnologien des 20. Jahrhunderts - der Rüstungs-, Raumfahrt- und Atomindustrien und ihren riesigen Unikatprodukten der Reaktoren, Raumstationen und Raketen und den dazugehörenden neuen Industrie- und Kapitalgruppen; daher bildeten sich nur in Ansätzen scharf umgrenzte, die Grundstrukturen der Gesellschaft neu bestimmende Akteurs- und Widerspruchskonstellationen heraus. Es entstanden riesige geschlossene Informationsräume (Intranets) und die neue Netzwerkgestalt der flexibilisierten Organisations- und Bewegungsform der kapitalistischen Unternehmung auch im Dienstleistungssektor bildete sich aus. Über das Internet wurden die Beziehungen zwischen Finanziers, Produzenten, Zulieferern und Konsumenten außerordentlich verdichtet und die Reorganisation der Arbeit beschleunigt (Entwicklung des "Arbeitskraftunternehmers") (Dyer-Witheford 1999). Neue Akteure ("Internetkapital") entstanden und bislang getrennte Industriesektoren - Kultur- und Unterhaltungsindustrie mit der Medien- und "Content"industrie als Kern, Bildungskonzerne, Telekommunikationsindustrie (insbesondere Telefongesellschaften), Computerindustrie, Elektroindustrie, Rüstungsindustrie (Derian 2001) - konvergierten zu neuen netzabhängigen Kapitalformationen und veränderten das Bild des globalen Reichtums: die Sparten Telekommunikation, Computer, Software und Internet waren 1984 für gerade 4 %, 1999 dagegen für 32 % der 400 reichsten US-Amerikaner Quelle ihres Geldvermögens (Merill Lynch, 2000). Als Repräsentanten des Kerns der Technik einer neuen Betriebsweise des Kapitalismus stehen sie im Zentrum der neuen Souveränität des 21. Jahrhunderts (KRYSMANSKI 2001).
4 Geschichte Das Netzwerk "Inter-Net" entstand seit Oktober 1969 als letztes der großtechnischen Systeme des 20. Jahrhunderts (Abbate 1999; ODLYZKO 2000). Es war kein Produkt der Industrie, sondern entwickelte sich an der Schnittstelle militärischer und universitärer Forschung und war zunächst stark geprägt von der libertären Kultur der späten 60er und 70er Jahre. 1969 verband der militärische Vorläufer des Internets "ARPANET" Computer in vier US-Forschungseinrichtungen miteinander. Programme zur Verbindung der Kommunikation der Menschen wurden entwickelt (E-Mail, Newsgroups). Nach der Übernahme des TCP/IP - Protokolls durch ARPANET (1983) war die technische Grundstruktur (dezentrale Netzstruktur, Technik der Datenpaketvermittlung, Adressraum, grafische Benutzeroberfläche) etabliert und ein "Netzwerk der Netzwerke" geschaffen worden, das Interoperabilität und Kompatibilität der sehr unterschiedlichen Teilnetze sowie die Adressierung und Identifikation der Teilnehmer sicherte. 1991 -1993 entstand mit dem World Wide Web (WWW) eine Anwendung, die sich rasch zur Plattform zahlreicher Funktionalitäten entwickelte (Berners-Lee, Fischetti, 1999; GILLIES, Cailliau 2000). Meritokratische Konsensbildung war bis Mitte der 90er Jahre typisch für die Entscheidungsprozesse über technische Standards, Protokolle und Architektur des Netzes. Seine Technik-, Produktions-, Kultur- und Sozialgeschichte ist bis heute patriarchalisch dominiert (VAN ZOONEN, 2002; FERNANDEZ u. a. 2003; FLOYD u. a. 2002). Seine Strukturgeschichte ist von zwei Prozessen geprägt.
Erstens bedeutete die Ergänzung der Großrechner mit der PC-Technologie und ihre Vernetzung eine Verknüpfung delokalisierter Datenverarbeitung und dezentralisierter Datenbestände, wodurch die Umdeutung des Computers von einer Rechenmaschine in ein Kommunikationsmedium begünstigt wurde. Diese technische Struktur und soziale Definition war der Anlass für die bis Mitte der 90er Jahre verbreiteten vielfältigen Hoffnungen, dass das Internet ein technischer Hebel zur Demokratisierung und Revitalisierung des Öffentlichen darstellen könne. "Nobody is the boss" (NEGROPONTE 1995, 181). Mittlerweile jedoch ist das Internet auf dem Weg von einem verteilten und multidirektionalen Medium zu einem zwar zentrumslosen, materiell aber in vielfältiger Weise zentralistisch operierenden Medium, das - ungeachtet der durch es beförderten "Lockerung" der klassisch fixierten Zeit- und Ortsbindungen der gesellschaftlichen Arbeitsprozesse - ständig neu in seinen verschiedenen Prozessfeldern massive technische (Client-Server-Technologie, Zentralität der Hosts / Router, Kontrolle elektronischer Flussräume), soziale, ökonomische (Produktion vs. Nutzung), geografische, kulturelle und politische Zentrum - Peripherie - Strukturen bildet, die sich sozial und politisch in ständig erneuerte Prozesse der gesellschaftlich hart fixierten Exklusion und Marginalisierung oder sogar Isolierung umsetzen - aber auch in immer wieder neu entstehende Knoten, Kanäle und Zonen des Empowerments. Der wechselhafte Bewegungsraum der politischen Auseinandersetzungen in dem und um das Netz findet sich im unübersichtlichen und extrem dynamischen Spektrum dieser vielfältigen Zentrum - Peripherie - Bildungen, deren Dynamik in der Ökonomie des globalisierten Medienimperialismus liegt. Seit Ende der 90er Jahre transformierte sich das Internet von einem ungewöhnlich schwach regulierten zu einem stark regulierten Medium mit hohem Kontrollpotential, da die Akteursidentiäten (Autoren, Sender, Empfänger) äußerst präzise adressiert und authentifiziert werden können (vgl. LESSIG 2001). Ein "digitales Panoptikum" (BARBROOK 2000) entstand. Die neoliberale Form, in der sich so das Netz zum Massenmedium entwickelt hat, zeigte sich vor allem am Fehlen eines institutionellen Gefüges politisch-sozialer Kontrolle, das für die alten Massenmedien des Fordismus charakteristisch war: von der fehlenden Konzentrationskontrolle über Regelungen der inneren Machtstruktur ("innere Pressefreiheit") und der wechselseitigen Selbstkritik der Medien bis zu justitiablen und normativen Festlegungen, wie sie etwa öffentlich-rechtliche Anstalten als Aufgabenstellung der Einrichtungen formulieren (Naturschutz, Gleichheit, internationale Verständigung usw.).
Zu dieser ersten Strukturveränderung gehört endlich der historische Wandel des Internets vom staatlichen nationalen Militärnetz (70er Jahre) zum internationalen Wissenschaftsnetz und Grassroots - Netzwerk (80er Jahre) und dann zum globalen Ökonomie- und Gesellschaftsnetz mit außerordentlich breitem und heterogenem Anwendungsspektrum (90er Jahre), mit der eine entsprechende Veränderung und Differenzierung des Spektrums der hegemonialen Systemakteure einherging. Diese Entwicklungsgeschichte verknüpfte die einzelnen Elemente des Impulses der Internet culture (JOHNSON 1997; LOVINK 2002): die starke technokratisch - meritokratische Kultur aus der Wissenschaft, die stabile Hacker-Kultur des "Teilens" (Gröndahl 2000), die bald randständige und kommerziell weitgehend substituierte Grassroots - Kultur der "virtual communities" und "digitalen Städte" (die auch eine Basis der oft politischen Netzkunst war, vgl. ARNS 2002) und die seit Ende der 90er Jahre dominierende Unternehmenskultur, die von Beginn an stark spekulative, luxuriöse und sozialautistische Züge hatte (HELMERS u.a. 1998). Dieses besondere kulturelle Feld löste sich Anfang des 21. Jahrhunderts weitgehend auf (Maresch, Rötzer 2001; Münker, Roesler 1997, 2002).
Zweitens vollzogen sich in struktureller Hinsicht eine Differenzierung des Leistungsspektrums und eine Veränderung der Operationsweise des Netzes. Aus technischen Diensten entstanden Dienste des Informationssharings und der Kommunikation. Das Nutzungsspektrum des Internets differenzierte sich und es transformierte sich aus einem "Datenmedium" in ein "Multimedium". Es adaptierte sich an die Prozesse gesellschaftlicher Individualisierung und trieb sie als ungewöhnlich zielgenaues Verteilmedium zugleich voran. ("Personalisierung"). Ein wesentliches Instrument für diesen Umbau ist die Entwicklung des multimedialen World Wide Web zur allgemeinen Benutzerschnittstelle und multifunktionellen Plattform des Netzes gewesen. Dadurch wurde die Konsumtion von Informationen außerordentlich demokratisiert (extrem niedrigschwelliger, weitreichender, billiger, multimedial eindringlicher, individualisierbarer Zugang auch zu alternativen, kulturell differenten Erfahrungen und utopischen Bildern, Zeichen und Projekten), die Produktion jedoch durch die Entstehung einer hochprofessionalisierten technischen Kultur dramatisch hierarchisiert, denn die Aneignung dieser Kultur setzt immer mehr technische Kompetenz sowie ökonomisches wie soziales Kapital voraus, das von Privatpersonen nicht mehr realisierbar ist. Damit wurde das Zentrum des Interaktivitätsversprechens des neuen Mediums weitgehend, wenn auch nicht völlig zerstört: nämlich der unschwere individuelle Rollenwechsel zwischen Produktion und Konsumtion. Bedienungs- statt Medienkompetenz war nun gefragt. So dominiert mittlerweile im öffentlich allgemein zugänglichen Netz das überwiegend gewerblich geleitete Umgehen mit Wissensformationen, die in Räumen des Profit- und Konsumwissens entwickelt, konfiguriert und bewegt werden und in der Regel das Internet als Sondermedium für spezielle Inhaltsinteressen neben dem Fernsehen als Unterhaltungs- und dem Radio als alltäglichem Begleitmedium etablierten. Das Netz wurde zum Medium zugerichtet, das den Zugang zum Kaufen, Sehen und Hören, nicht aber zum Machen, Reden und Gehörtwerden optimieren soll. Die durch die technische Gestaltung dieses Mediums ermöglichte massive Abschwächung der klassischen sozialen Unterscheidung - das Private fungiert als Schutzzone, das Öffentliche als Verbreitungszone - ist freilich nicht beseitigt, sondern zugleich dynamisiert worden, wie die millionenfachen öffentlichen Inszenierungen von Privatheit ("Homepage") zeigen. Auf ihre Art sind sie "kleine Medien" (ARNS 2002), die dem geschlossenen One-to-Many-Broadcasting der alten Medien und der neuen Hegemonialpraxis des Internets entgegenstehen. Der Prozess der Machtschließung des Internets ist daher immer prekär.
5 Ökonomie Ähnlich wie seine Struktur und Funktion haben sich auch die Eigentumsformen des Internets in seiner kurzen Geschichte mehrfach geändert. Es entstand als nicht - proprietäres und nicht kommodifiziertes Medium im zunächst militärstaatlichen öffentlichen Raum, der, soweit er zugleich public domain war, nicht durch besondere juristische Formen geschützt war und formell von jedermann angeeignet werden konnte. Seine Expansion seit Mitte der 80er Jahre dann führte nach einer Übergangsphase, bei der die zivile US-amerikanische "National Science Foundation" (NSF) eine Schlüsselrolle spielte, im wesentlichen in der ersten Hälfte der 90er Jahre in einer zweiten Etappe zu einer weitgehenden Privatisierung seiner materiellen (die Schicht der Übertragungsmedien Kabel, Satelliten, Funk, Speicher usw. und "Backbones" bzw. "Internet Exchanges"), der Ordnung seiner Schnittstellen zur Nutzung (Provider wie AOL) bzw. der dort laufenden Anwendungen und des Adressraums (Domain-Namen), ohne dass jedoch sein materiell-elektronisches Substrat (Daten) und die Programme und Protokolle seiner "logischen Schicht" (LESSIG 2001, 2001a) kommodifiziert worden wären (FRISCHMANN 2002; KESAN 2001; LAWAY 2000). In einer dritten Phase seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde im Zuge der globalen neoliberalen Verallgemeinerung des Privaten die Proprietarisierung des Netzes weiter ausgedehnt und es setzte sich nun auch eine starke Kommodifizierung seiner Informations- und Kommunikationsfunktion ("Content" - Schicht) durch (SCHILLER 1999). Mit der Migration des Internets zur Kabelbreitbandtechnologie und neuen Protokollen wurden technische Voraussetzungen für unterschiedliche Zugänge, Verteilungen und Nutzungen geschaffen ("Zoning"). Neuer Cyberspace wurde seitdem in hohem Maße durch Privatunternehmen wie AOL bereitgestellt, organisiert und kontrolliert, die Inhalte, Software und Transmissionsmedien zugleich besitzen und zunehmend das Grundprinzip der separierten Regulierung der drei Schichten des Netzes aufgeben. Als öffentliches Netz war das Internet ursprünglich ein offenes System, dessen "Intelligenz" und Rechenressourcen an den Enden der Netzwerke (den Maschinen der Nutzer) lagen; im privatisierten Netz verlagern sich die Intelligenz und Rechenmacht in das privatkapitalistisch dominierte Netzwerk. Eine Kultur der Kontrolle, des Ausschlusses durch Kommodifizierung entstand - so schränkten rund zwei Drittel aller Websites im Jahr 2002 den Zugang zu einem signifikanten Teil ihrer Seiten ein.
Die Ansätze einer Verallgemeinerung und Globalisierung der Information and Communication Commons wurden somit ab Mitte der 90er Jahre seitens des Computer-, Netz- und Contentkapitals mit einer ebenso globalen "zweiten Einhegungsbewegung" (BENKLER 1999) konterkariert, die sich auf die Herstellung, Verbreitung und Nutzung elektronischer Gegenstände, Produkte, Arbeits- wie Produktionsmittel (insonderheit Wissensbestände und Software) gleichermaßen richtete und die Sicherung der Warenform digitaler Güter durchsetzen sollte - also der Einschränkung ihrer ökonomischen Verfügbarkeit, somit gesellschaftlichen und kulturellen Exklusivität - durch Copyright, Patente, Warenzeichen und Branding (BOYLE 2003; NUSS 2002). Die Musikindustrie spielte hier den Vorreiter. Die zeitliche wie sachliche Reichweite der juristischen Tools der Privateigentumsbildung, insbesondere des Urheberrechts und der Patentierung, wurden auf neue Gebiete wie Software, Verfahren, Datenbankinhalte oder Geschäftsmethoden ausgedehnt, wodurch auch hier die zwei für eine kapitalistische Verwertungsökonomie "problematischen" Eigenschaften der immateriellen bzw. digitalen Güter aufgehoben wurden, sich aufgrund ihrer ideellen Natur durch Nutzung und Verbreitung nicht zu verknappen bzw. zu erschöpfen und zugleich nicht ausschließend zu sein. Der Namespace wurde kommodifiziert. Die traditionellen Einschränkungen des Eigentumsrechts ("fair use") schwinden langsam dahin; der Claim des eigentumssichernden Copyrights etwa expandierte von der Verteilung des Wissensprodukts auf den Vorgang seiner Vernutzung: auch das Lesen eines digitalen Buches wurde dem Copyright unterworfen, ein digital rights management koppelt nicht mehr nur den Zugang, sondern auch die folgende geldwerte Nutzung digitaler Güter an ein Überwachungssystem. Im digitalen Raum gehen deshalb die Dynamiken der Privatisierung und der Kontrolle bzw. Überwachung und Ausforschung frappierend eng zusammen: Privatheit und die Freiheit zur Anonymität stehen dem Zwang zur personalen Identifizierung des Subjekts (durch Passwörter, Signaturen, Datensammlung usw.) entgegen, wodurch Adressierbarkeit der Beteiligten und damit die Prozesssicherheit der privatförmigen kommerziellen Netzkommunikation bzw. -transaktion gewährleistet werden sollen.
Zugleich aber entwickelte sich im Produktions- und Verteilfeld der ursprünglich freien zentralen Arbeitstechnologie der neuen technischen Betriebsweise (der "logischen" Schicht - Programmsoftware, Protokolle - welche die Architektur des Netzes konfiguriert) eine neue Dynamik nicht privatförmiger Eigentumsenklaven, deren Kultur den Maximen des Privaten (Recht auf Verfügungs-, Nutzungs- und Zugangskontrolle und damit Schließung (Exklusion) statt Offenheit und Zugang (Access), Praxis der Konstruktion und Sicherung von Knappheit und Seltenheit) nicht folgte und in ihren radikalen Varianten sich nicht nur in die inhärent öffentliche Tradition der res publicae und res communes, der Allmende und des Gemeineigentums, des Commonwealth, der Commons oder der öffentlichen Treuhänderschaft stellte, sondern auch auf die res extra commercium, also die Überwindung der Kommodifizierung zielte (HESS 2000; Grassmuck 2002). Kulturhistorisch wurde auf die Geschenkökonomie (MAUSS 1990) als Alternative zur Kommerzialisierung des Netzes zurückgegriffen. Als die rechtspolitische Schlüsselinvention dieser Kultur kann die General Public License (GPL - das Copyleft) der Open Source - bzw. Free Software Bewegung gelten, die in Umkehrung der Wirkungsrichtung und Intention des klassischen Urheberrechts Schutz vor Einschränkungen der Nutzung, Verbreitung und Veränderung (zunächst vor allem der digitalen) Produkte bzw. Software bietet (Söderberg 2002).
Als Medium allgemeiner Vermittlung ist das Internet daher zugleich die technische Basis eines globalen öffentlichen Raums. Im Konflikt zwischen der Verallgemeinerung privater Eigentumsverhältnisse und Kommodifizierung und einer Revitalisierung des Öffentlichen, der Allgemeinheit der gesellschaftlichen Arbeit und der Commons vermittelte sich seit Ende der 90er Jahre weitaus stärker als zuvor ein zentraler Strukturwiderspruch des Netzes: formell allgemein, material aber exklusiv (HAUG 2000, 2003) zu sein und zu operieren. Dieser Vorgang ist deshalb so bemerkenswert, weil keine der neuen Großtechniken des 20. Jahrhunderts in relevanter Weise unter eigentumspolitischer Perspektive das Problem einer alternativen Vergesellschaftungsform aufgeworfen hatte. Dies hat sich nun dramatisch geändert. Mittlerweile ist der Konflikt um freie Software bzw. open source in das eigentums-, industrie- und rechtspolitische Zentrum der New Economy eingerückt (GRASSMUCK 2002; Heinrich-Böll-Stiftung 2000). Hier ist ein zentraler globaler Konflikt um Eigentum entstanden. Die Kämpfe im politischen Raum, in dem sich die Entwicklung des Mediums Internet anfänglich vollzogen hat, haben somit ein großtechnisches "Fundstück" hervorgebracht, dessen in sich widersprüchliche ökonomische Eigentumsgestalt keine einsinnige politische Struktur auf Dauer festlegt, sondern offen ist für durchaus unterschiedliche politische Effekte, Dominanzen und Optionen.
6 Soziologie Die soziale Dimension dieses Widerspruchs wurde in der gesamten Entwicklungsgeschichte des Internets als zu überwindende Grenze immer wieder sichtbar und neu thematisiert ("Information-Haves" und "Have-Nots", "Informationsreiche" und "Informationsarme", "Digital Divide", vgl. LOADER 1998; NORRIS 2001), da die Einbeziehung eines wachsenden Teils des globalen Gesellschaftskörpers Funktions- und Effizienzbedingung der entstehenden globalen informationskapitalistischen Ökonomie ist: der ökonomische Wert einer Netzwerkverbindung hängt von der Anzahl der bereits vernetzten Teilnehmer ab, die alten ökonomischen Maximen der Knappheit (die digitalen Güter verschleißen durch ihren Gebrauch nicht) und der steigenden Grenzkosten verlieren an Gewicht, jeder Zuwachs an Verschiedenheit bedeutet Zuwachs an wirtschaftlicher Attraktivität. Entgegen der Klassenlosigkeitsideologie und Gleichheitsrethorik des technoliberalen Milieus, welches die Entstehungskultur des Internets prägte, entwickelte sich das Internet als ein Medium, das die großen sozialen Ungleichheiten der gesellschaftlichen Teilungen der Arbeit reproduzierte, wobei sich mit seiner rapiden Expansion seit Mitte der 90er Jahre eine Reihe krasser Ausprägungen dieser Ungleichheiten reduzierten, andere jedoch blieben.
Nach über drei Jahrzehnten Internetgeschichte ist die Weltkarte des Access zum Netz (Konnektivität), der aktiven Nutzer wie Anbieter und seiner physikalischen Infrastruktur fast völlig deckungsgleich mit einem kleinen Ausschnitt der alten Karte der Industriestaaten; insbesondere dominieren hier diejenigen Nationen und Räume, welche auch die höchste Dichte an Transport, Energie und Telekommunikationsumsätzen haben und deren Bevölkerung intensiv auch "alte" Medien nutzt. Anfang des 21. Jahrhunderts hatten nach groben Schätzungen rund 80 % der Weltbevölkerung keinen Zugang zu Telefon, mehr als 90 % hatten keinen PC, 95 % waren ohne Netzanschluss. In den OECD-Staaten lagen über 90 % der an das Internet angeschlossenen Computer ("Hosts") und des Weltmarktes der Produktion und Konsumption von Computern, Hardware, Software und Diensten. Gut 5 % der Weltbevölkerung haben Zugang zum Internet, zwei Drittel davon lebte in nur fünf Ländern: USA, Japan, England, Kanada und BRD. An der Spitze einer Karte der realen Nutzung des Internets standen Ende 2000 die kleineren nordischen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten; ein zweites Cluster bilden die großen angloamerikanischen und englischsprachigen Staaten wie USA, Kanada, Australien und England; es folgen die asiatischen Staaten Singapur, Südkorea, Taiwan, Japan und ein viertes Cluster bildet eine Reihe kleinerer europäischer Staaten wie Holland, Belgien, Schweiz, Slowenien und Lettland. Die arme Welt ist marginal, regionale Zentren wie Südafrika oder Israel sind in dieses Nord-Süd / Ost -Muster globaler Konnektivität eingesprenkelt.
Die zahlreichen Studien zum sozialen Profil der NutzerInnen dieses Mediums zeigten bis Ende der 90er Jahre durchgängig eine starke Ungleichheit nach Geschlecht, Alter, Bildung, Familienstand, Beruf, Einkommen, Behinderung, Nationalität, ethnischer Herkunft, Region und Sprache. In dieser Phase war die Netznutzung weitgehend in den oberen Merkmalssegmenten geistiger Arbeit lokalisiert und in der männlichen, weißen, erwerbstätigen und englischsprachigen oberen Mittelklasse konzentriert ("Digerati"). Als besonders stabile Differenzierungsfaktoren beim Zugang und der Nutzung erweisen sich mittlerweile die Einbindung in das Erwerbssystem, die Faktoren Einkommen / Vermögen, Region (Nord-Süd, Ost-West, Stadt-Land), Ethnie sowie, mit Abstand, Qualifikation. Kommen diese Faktoren zusammen, sind die Unterschiede im Netzzugang und seiner Nutzung stark und nehmen sogar zu; erwerbslose, arme und gering qualifizierte Personen haben keinen Zugang, und wenn, dann nutzen sie das Internet nur zum Zweck der Unterhaltung und Kommunikation. Demgegenüber ebnen sich Zugangs- und Nutzungsunterschiede je nach Geschlecht, Alter, Familienstand und auch Sprache offenbar in dem Maße sukzessiv ein, wie die Nutzung netzvermittelten Wissens zur wesentlichen Teilhabevoraussetzung am Erwerbssystem und am System gesellschaftlicher Kommunikation wird. Relevant ist weiter die Einbindung der Netznutzung in unterschiedliche Medienkulturen und deren Leitapparate (TV, PC, Telefon). In der rapiden Zunahme mobiler Netzmedien (Smartphones) lässt sich eine Auflösung dieser Unterscheidung vermuten. Absehbar ist zugleich aber auch, dass Minderungen sozialer Unterschiede bei der Netznutzung und der sektoralen Durchdringung der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion immer stärker konterkariert werden dadurch, dass Zugänge zu neu differenzierten Diensten, Bandbreiten und zum Deep Web (Datenbanken) massiv über den Preismechanismus und Grenzziehungen nach Eigentumsrechten (z.B. Intranets) differenziert werden. Hinzu kommt, dass gerade die intensiven und extensiven Nutzer des Netzes Personen mit hohem Gesamtmedienkonsum und vielfältigen sozialen Kontakten, also hochkommunikative Menschen sind. Das Internet macht also nicht einsam, sondern ungleicher, denn es vergrößert insofern die Differenz zwischen kommunikationsintensiven und ohnehin kommunikationsarmen Personengruppen. Ingesamt spricht vieles dafür, dass das Internet nicht Ursache, sondern Folge und zugleich Katalysator sozialer Ungleichheit ist (BECHMANN u.a. 2003). Die Frage des Zugangs rückte damit immer stärker in das klassische Problemspektrum der sozialen Frage ein ("Informationsgerechtigkeit") und führte zur Übertragung politischer Forderungen ("freier, gleicher, offener, nicht-diskriminierender, unzensierter und weitgehend unentgeltlicher Zugang", "Universaldienst" bzw. "Grundversorgung", Selbstverwaltung) in die Netzpolitik.
Unvollkommen beschreibbar ist die soziale Ordnung und Topografie des Cyberspace (DODGE, KITCHIN 2001; Townsend 2001). Der globale Datenraum ist in unterschiedliche Funktionsräume des Datenexports, -handels und Datenkonsums fragmentiert, der sich über die Rekonstruktion der Datenflüsse, der Datenproduktion und -konsumtion erschließen lässt. Evident ist die aufsetzende extreme Ungleichheit der Sichtbarkeit und Aufmerksamkeitsstruktur, die nicht nur mit Angebotsmacht, sondern auch mit der zentrumsfavorisierenden Programmlogik des Hypertextes und den Verstärkungseffekten der Orientierungsmedien (Suchmaschinen, Kataloge) zu tun hat: 80 % des WWW-Netzverkehrs ging im Jahr 2000 auf nur 0,5 % aller Websites, nur 1000 (weit überwiegend US-amerikanische) Websites zogen mehr als die Hälfte aller Seitenaufrufe an sich. Über 90 % der Websites lagen innerhalb der OECD-Staaten. Die Topographie des globalen Datenverkehrs und der Angebots von Informationen (Inhalten) ist ungleich und vor allem US-zentriert (ZOOK 2001). Zwar wächst die Zahl der an das Internet angeschlossenen Computer (Hosts) ununterbrochen und es sinken global die Zugangskosten, aber die Verteilung der Anbindung an das Netz und damit der Chance, an der Bereitstellung von Inhalten für das neue Medium (content production) teilzuhaben, ist in hohem Maße ungleich. Etwa 9 von 10 Internethosts lagen Anfang 2000 in Hocheinkommensländern, in denen etwa 16 % der Weltbevölkerung lebt. Als allgemeinster Indikator für die Fähigkeit zur Bereitstellung von Inhalten gilt das Vorliegen einer Domäne. Über die Hälfte der Internetdomänen entfielen im Jahr 2000 auf die USA und während fast 90 % der "Top-Level"-Domänen von 150 Ländern der Erde weniger als 1 Mio. Webseiten bereitstellten, entfielen allein auf die USA mehr als 50 Millionen Seiten. Die Bereitstellung von Inhalten für das Netz ist überdurchschnittlich auf Städte, insbesondere Großstädte in den USA, konzentriert - allein in New York gab es mehr Internet-Hosts als in Afrika. Jede vierte Internetdomäne war zu diesem Zeitpunkt in den zehn größten Städten der Welt registriert, in denen 1,5 % der Weltbevölkerung lebt (ZOOK 2001). Die zehn größten überwiegend US-amerikanischen Internetprovider kontrollierten über 70 % des internationalen Datenverkehrs, der rund zur Hälfte durch Nordkalifornien fließt. Die US-amerikanische Geographie des Datenverkehrs wird durch sieben eng verknüpfte Metropolen bestimmt (MOSS, TOWNSEND 1998). Nur wenig sichtbar, aber hochbedeutungsvoll sind zudem einige wenige Firmennetzwerke. Ungeachtet der Entstehung sekundärer globaler Knotenpunkte des Datenverkehrs in Europa und Ostasien ist das Internet nicht global, sondern USA-zentriert, ein Stern mit den USA in seinem Zentrum (CUKIER 1999). Auf dieser Grundlage bildete sich seit Ende der 90er Jahre eine neue Struktur des Ein- und Ausschlusses heraus: wenige zentrale Netzknoten verknüpfen sich global mit ihresgleichen gleichsam ohne jegliches lokales Hinterland, dessen Inwertsetzung zurückbleibt. Zu ihnen gehören New York, Washington, San Francisco, Chicago, Seattle, Tokio, London, Amsterdam, Frankfurt, Paris und Brüssel. So verbindet die neue netzbasierte Ökonomie einige einfluss- und ressourcenstarke, städtische, englischsprachige Segmente der Weltgesellschaft, die auf der Grundlage einer neuen globalen Spaltung operieren.
7 Politik Das sich rasch verdichtende elitenplurale Akteursnetz, über das sich rechtliche, technische und ökonomische Entscheidungsprozesse zur Struktur und Entwicklung des Internets verwirklichen ("Politik für das Netz"), hat sich in den 90er Jahren global institutionalisiert und deutlich stabilisiert. Verglichen mit anderen großtechnischen Systemen hatte diese Struktur aus politischen, wissenschaftlichen, kommerziellen, professionellen Akteuren und meist privaten Betreiberorganisationen und Diensteanbietern jedoch deutliche Paradoxien: sie war transparenter und zugleich informeller, zentralistischer und zugleich "nach unten offen", durchsetzungsschwächer und zugleich hoch akzeptiert, da mit einer robusten Kultur technischer Effizienzorientierung gepanzert. Konflikte konnten in dem expandierenden System durch Verteilung der Zuwächse noch relativ leicht gelöst werden. Zwar hatten nationale und internationale politischen Instanzen, die mit traditionellen Verfahren demokratisch legitimiert sind, auf diese Struktur kaum Einfluss und staatliche Netzpolitik war seit dem Bedeutungsverlust der militärischen Instanzen und der Internationalisierung des kommodifizierten Internets in dieser Zeit zugriffs- und steuerungsschwächer geworden. Gleichwohl kannte die politische Geschichte des Netzes immer eine "letzte Instanz": die staatlichen Entscheidungsgremien in den USA oder von diesen kontrollierte internationale Entscheidungsgremien, welche die vielfältigen Namensräume des Netzes dominieren (MUELLER 2002). Mit der deutlichen Konsolidierung eines internationalen Akteurs (ICANN), der nachholenden Netzankoppelung vor allem der nationalen zentralstaatlichen Apparate und der (im Zeichen der ausgreifenden Kommodifizierungsprozesse geforderten) transnational verkoppelten Verrechtlichung der Netze wurde seit Ende der 90er Jahre die Politik wieder gestärkt. In allen Staaten wurden Regeln der Kontrolle und Zensur eingerichtet. Insofern kann also von einer Reaktivierung des Politischen durch Renationalisierung und Reterritorialisierung nach einer (im Zeitmaß des Internets recht langen) Phase der scheinbar kaum noch einzuschränkenden Entwicklungsdynamik des Primats der Ökonomie gesprochen werden. Eine neue Matrix aus politischer und privatökonomischer Netzmacht ist entstanden (Roesler, Stiegler 2002).
Das Medium Netz ermöglicht Bereitstellung und Erschließung politischer Informationen, politische Kommunikation bzw. politischen Diskurs (Deliberation) und Meinungsbildung, Kooperation und Organisierung, endlich eine Neukonfiguration politischer Entscheidungsprozesse und politischer Macht ("Politik mit dem Netz") (DROSSOU 1999; Hartmann 1999; HECKER, RILLING 1998; LOADER 1999; RILLING 1997, 2000). Die Digitalisierung des Politischen ist dauerhaft und greift ständig weiter aus. Ob das Internet dazu beiträgt, die vorhandene Ungleichheit in der politischen Teilhabe zu verringern, ob diese durch das neue Medium vergrößert wird oder ob es wirkungslos bleibt (Margolis, Resnick 2000), hängt ab von Ressourcen (Zeit, Geld, technische und sprachliche Kenntnisse, soziale Netzwerke), Motivationen (in erster Linie an der Computernutzung) und Möglichkeiten (Kosten, Zugang, Sprache, Qualifikation). Verglichen mit anderen Medien ermöglicht das Internet eine dramatische Senkung der Transaktionskosten und begünstigt daher die politische Teilhabe ressourcenschwacher Akteure (McCaughey, Ayers 2003). Theorien der "Mobilisierung" sehen vor allem mit Verweis auf neue technische Möglichkeiten eine Demokratisierung der Demokratie durch Egalisierung der Teilhabe am politischen Prozess, Theorien der "Verstärkung" gehen demgegenüber von einer Vertiefung der vorhandenen Partizipationsungleichheit aus (democratic divide). Vorliegende Analysen betonen zu Recht mit Verweis auf den andauernden social divide und die rasche Informationalisierung der ressourcenstarken Akteure (wie Staat ("E-Government"), Parteien, Großverbände, politische Medien, Aktivencluster) die Tendenz zur Stabilisierung des political divide (NORRIS 2001, 2002), zumal das Internet im politischen Raum auch ein Movens der Machtmodernisierung und -verlagerung wurde, da es eine Schlüsselrolle spielt bei der Entwicklung von Technologien der Geheimhaltung, der Kontrolle und Überwachung zunächst vor allem der Arbeit, dann auch anderer Lebensbereiche und des politischen Raums (NOGALA 2003; LYON 2003; Schulzki-Haddouti 2000; Webster, Ball 2003). Doch so wie in der Epoche des Industriekapitalismus die Fabrik den Organisationskontext und das Medium der sozialen Bewegung bildete, spielt das Internet im Prozess der Globalisierung nicht nur der "neuen" sozialen und politischen Bewegungen eine Schlüsselrolle als Medium und Raum: die Bürgernetzwerke, die politischen Hacker, endlich die lokalen, gemeindlichen und gewerkschaftlichen Akteure und die neuen internationalen Bewegungen der Globalisierungskritik prägten seit den 90er Jahren das "politische" Netz, tauschten bislang kaum sichtbares Wissen und politische Erfahrungen aus und schufen neue Räume politischer Öffentlichkeit und Praxis - bis hin zum "elektronischen zivilen Ungehorsam" (Barney 2000; Shostak 2002).
Gleichwohl sind die Möglichkeiten einer "Politik im Netz" begrenzt. Öffentlicher Raum ist noch keine Sphäre der Öffentlichkeit. Der Informationsraum - oder der Cyberspace - sei eine "nie-endende weltweite Unterhaltung" schrieb der Federal Court im amerikanischen Philadelphia in seinem Urteil zum Communications Decency Act vom Juni 1996 (U.S. District Court for Eastern District of Pennsylvania, Civil Action No.96-1458, 11. 6. 1996). Die öffentliche Rede als konstituierendes Element der bürgerlichen Öffentlichkeit ist nun allerdings kein Selbstzweck, sondern substantielle Begründung von Volkssouveränität. Es geht darum, "dass die unbehinderte Rede der Bürger von sich aus zu einem Verfahren finde, zu einem Prozess. Der Prozess, in dem sich die Vernünftigkeit des Streites immer deutlicher offenbare, dränge am Ende zum Urteil, zur Entscheidung, in der sich die volonté générale herstellen müsse. Öffentlichkeit wird also dazu gebraucht, die vagen und vorurteilsvollen Meinungen der Privatleute zum Beschluss, zum Gesetz zu führen...Dieser ZweckÂ…steht gerade nicht dem Internet eingeschrieben." (KOCH 1996, 160). Angesichts der in die Technik des Netzes eingeschriebenen praktischen Grenzenlosigkeit ist eine gültige Konstruktion von netzeigener, virtueller Allgemeinheit nicht möglich und ebensowenig kann eine Repräsentativität konstruiert werden, die allein eine legitime Zurechnung von Verantwortlichkeit für Entscheidungsfolgen ermöglicht. Politik im Cyberspace hat mit Kampf um Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit, mit politischer Meinungs- und Willensbildung - also auch mit Entscheidungsvorbereitung oder -konfiguration zu tun, nicht aber mit Wahl, Entscheidungsfällung und wenig mit ihrer Implementierung. Das Internet als Medium liefert keinen Raum für Entscheidungen, sondern Orte für politische Debatte, Kommunikation und Meinungsbildung. Wenn "das" Netz kein allgemeiner Raum für allgemeine politische Entscheidungen sein kann, weil im Cyberspace kein allgemeiner Wille entstehen und durchgesetzt werden kann, so entzieht sich andererseits "das" Netz auch einer globalen Kontrolle. Wenn dann freilich die vielen besonderen Netze und je einzelnen Informationsräume mit den verschiedensten Mitteln einer solchen besonderen Kontrolle unterworfen werden können - dann können sie auch statt dessen als Orte für besondere Willensbildung, politische Entscheidung und demokratische Selbstorganisation errichtet oder erkämpft werden (SUNSTEIN 2001).

Rainer Rilling
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