"Neue Zumutbarkeiten"

Das "Modell Volkswagen" und die Reform des ArbeitsmarktesDas VW-Projekt 5000 x 5000 wurde vielfach publiziert, gelobt und kritisiert ...

... - ist es die Vorlage für die eingeleitete Reform des Arbeitsmarktes? Ist das "atmende Unternehmen" Volkswagen der Laborversuch, der jetzt zum Feldversuch ausgeweitet wird?
Dem Konzept liegt die These zugrunde, die Personalkosten einschließlich der so genannten Lohnnebenkosten seien "in Deutschland" zu hoch. Daraus wurde eine neue Definition von Zumutbarkeit und von sozial abgeleitet. Es entspricht dem Selbstverständnis der Unternehmer, für andere neue Zumutbarkeiten zu definieren und für die gesamte Gesellschaft den Begriff sozial dahingehend umzudeuten, dass am Ende nur noch sozial sei, was Profit sichert.
In einem Interview mit dem VW-Personalvorstand und Vorsitzenden der Arbeitsmarkt-Reformkommission, Dr. rer. pol. h. c. Hartz, hört sich das so an: "Jeder ist so frei, wie er gut ist. ... Wir haben den Begriff sozial neu definiert. Sozial ist heute, was die Beschäftigungssicherung und die Beschäftigungsfähigkeit ermöglicht."
Er nimmt ausdrücklich für VW in Anspruch, einen "ungewöhnlichen Schritt (getan zu haben und) daß die Tarifpartei ‚Arbeitgeber‘ mit einem Gesamtkonzept ... in die Verhandlungen ging. ... Die Unternehmensseite trat erstmals mit einer geschlossenen Gesamtstrategie an. Sie berücksichtigte die Interessen der Arbeitnehmer; ..."
Hartz selbst und diejenigen, die dieses Konzept tragen, sprechen inzwischen vom "Modell Volkswagen". Der "Modellcharakter" wird vor allem in dem Anspruch deutlich, "die Interessen der Arbeitnehmer" im Konzept mit berücksichtigt zu haben. Eine eigenständige Interessenvertretung ist dann nicht mehr erforderlich.
Wenn 5000 x 5000 und das "atmende Unternehmen" die Blaupause für das Konzept der Hartz-Kommission sind, wenn VW das Modell ist, das auf die Gesellschaft übertragen werden soll, wie sind dann die Erfahrungen der Interessenvertretung bei VW zu bewerten? Geben uns diese Erfahrungen Hinweise zur besseren Beurteilung des Konzeptes der Hartz-Kommission?
Die Vorbereitung des Laborversuches - Trommelfeuer um die "Gefährdung des Standortes Deutschland"
Ein Mosaikstein in der Vorbereitung des Laborversuches ist die Entscheidung des Aufsichtsrates von Volkswagen, den im Winter 2002 auf den Markt gekommenen VW-Touareg, ein sportliches Geländefahrzeug der gehobenen Preisklasse, in Bratislawa bei VW-Slowakia bauen zu lassen. Bei dem Fahrzeug handelt es sich um eine Gemeinschaftsproduktion mit Porsche; Porsche vertreibt dieses modifizierte Fahrzeug unter einem anderen Namen und hat - anders als Volkswagen - Reklame damit gemacht, dieses Fahrzeug in Leipzig und ohne Inanspruchnahme von Subventionen bauen zu lassen.
Daraus ergeben sich u.a. folgende Feststellungen bzw. Fragen:
VW ist mit der Produktion nach Bratislawa gegangen, weil die vergleichsweise arme Slowakei mit Subventionen - in welcher Form auch immer - gewunken hat, die überwiegend von der EU finanziert werden. Unklar ist, ob die Subventionen den EU-Richtlinien entsprechen. Auszuschließen ist nicht, dass, wie in ähnlichen Fällen, die Subventionen (von VW) zurück gezahlt werden müssen. Dann würde deutlich, dass es nicht um Subventionen ging, die natürlich gerne genommen werden, sondern um Erpressung der Gewerkschaft und der inländischen Erwerbsbevölkerung. Eine parallele Strategie ist das Ausspielen von Beschäftigten gegen Erwerbslose, hier insbesondere der Gewerkschaft als der mächtigen Organisation, die eigennützig die Interessen der Arbeitnehmer gegen die Interessen der Erwerbslosen durchsetzt.
Mit Prof. Dr. Ekkehart Frieling vom Institut für Arbeitswissenschaft der Universität GH Kassel ist zu fragen, "warum Erpressung ein akzeptiertes Managementprinzip geworden ist ..." Dies vor allem in einem Unternehmen, in dem seit Jahrzehnten "kooperative Konfliktlösung" praktiziert wird und Beteiligte den Eindruck vermitteln, ohne Mitbestimmung des Betriebsrats laufe gar nichts.
Im Aufsichtsrat von Volkswagen sind - neben 6 Betriebsräten von VW - der IG Metall-Vorsitzende, weitere IG Metall-Vertreter, der niedersächsische Ministerpräsident und sonstige Mitglieder der niedersächsischen Landesregierung vertreten. Gegen deren Stimmen ist laut VW-Gesetz eine solche Produkt- und Standortentscheidung nicht möglich. Von einem (diesbezüglichen) Konflikt innerhalb des Aufsichtsrates war nie die Rede und eine betriebliche oder gewerkschaftliche Öffentlichkeit zu diesem Punkt gab es ebenfalls nicht.
Weitere Mosaiksteine:
Ein redaktioneller Artikel in der "Braunschweiger Zeitung", fußend auf einem Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden unter der Überschrift "Vorrang für deutsche Werke", ist aufschlussreich, weil das Konzept 5000 x 5000 hier erstmals näher beschrieben und als Denkmodell des Betriebsrates publiziert wird.
30.11. 1999: Presseinfo von VW:
"Volkswagen holt 5000 Arbeitsplätze vom Ausland nach Deutschland zurück. ... - mit einem weitreichenden Konzept ... möchte Volkswagen bei Produktentscheidungen wie der zum A-MPV, einer Großraumlimousine auf Golf-Basis, Arbeitsplätze aus dem Ausland an deutsche Standorte zurückholen."
Offensichtlich wurde ein durchdachtes Produktionskonzept, das bewährte Tarif- und Arbeitsnormen in Frage stellt, über eine städtische Veranstaltung und über die Presse an die Beschäftigten, an die IG Metall und an den Betriebsrat kommuniziert. Was immer Schein oder Wirklichkeit war, entweder es mangelt an Kooperation seitens des Vorstandes von Volkswagen mit Betriebsrat und IG Metall oder es mangelt an Vertrauen und Demokratie in IG Metall und Betriebsrat.
Beachtenswert bleibt der nationalistische Touch in der ersten Erklärung von Volkswagen zu diesem Projekt, der sich - allerdings abgeschwächt - in weiteren Verlautbarungen wiederfindet. Deutlich wird der Charakter als durchaus gefährliche Phrase, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass es sich um ein neues Produkt handelt, dass als solches nicht "vom Ausland nach Deutschland zurück" geholt werden konnte.
Interessant wird die Arbeitsplatzbilanz. Im Projekt wird unterstellt, dass 5000 neue, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Indikator dafür, ob diese Zusage eingelöst wird, werden die Produktionsarbeitsplätze bei VW in Wolfsburg und Hannover sein.
Das ursprüngliche Konzept wurde vielfach publiziert und bedarf hier keiner Wiederholung. Lediglich zwei Anmerkungen sollen gemacht werden:
Es wird eine Form von "Teamarbeit" konzipiert, die mit gewerkschaftlichen Vorstellungen wenig zu tun hat. Kritik fällt dennoch schwer, weil kein ausschließliches "zurück zu Taylor", zu kurzzyklischen Takten, vorgesehen ist. Tatsächlich wird die Leistungserbringung zum Maßstab auch für die Arbeitsorganisation nach dem Motto: Macht was ihr wollt, Hauptsache das Ergebnis stimmt. Angesichts der Ökonomisierung aller Prozesse und Beziehungen ist davon auszugehen, dass diejenigen, die dort arbeiten "dürfen", nicht die Kraft und Zeit haben, soziale Prozesse entsprechend ihren Interessen zu organisieren. Das ist auch der Grund, weshalb bei VW und anderen Unternehmen Gruppenarbeitskonzepte gescheitert sind. Die Antworten sind aber verschieden.
Mit dieser Form von "Teamarbeit" wird die Vereinzelung und Individualisierung eingeleitet, die im Ergebnis der Hartz-Kommission dann zur Ich-AG wird. Nicht auszuschließen, dass die Veränderungen der Beschäftigungsverhältnisse darauf hinauslaufen, die Arbeitsvertragsbeziehungen grundlegend zu verändern und das unternehmerische Risiko überwiegend auf die Beschäftigten zu übertragen. Eine fundierte Kritik findet sich in der Broschüre von "WissenTransfer".
Über einige Umwege, die einer gesonderten Betrachtung bedürfen, wurde das Projekt bezogen auf 3.500 Beschäftigte für den A-MPV in Wolfsburg mit der IG Metall im August 2001 tariflich geregelt. Hier sei auf die Kritik seitens der IG Metall hingewiesen, die u.a. durch Klaus Zwickel und Hartmut Meine nach dem erstmaligen Scheitern der Verhandlungen formuliert wurde.
Herausragende Bestandteile der Tarifverträge sind folgende Regelungen:
Die wertschöpfende regelmäßige Arbeitszeit beträgt durchschnittlich 35 Stunden pro Woche im Durchschnitt eines Jahres. Die konkrete Lage und Dauer der Arbeitszeit wird in Abstimmung mit dem Betriebsrat nach den Grundsätzen der Volkswagenwoche gesteuert. Die schichtplanmäßige wertschöpfende regelmäßige Arbeitszeit darf 42 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Weitere Vereinbarungen zur Arbeitszeitflexibilität betreffen u.a. 30 Spätschichten an Samstagen sowie ein Flexikonto von 200 Stunden.
Leistungsmängel: Die Teams sind für Qualität und Stückzahl verantwortlich. Bei Nichterreichen vorgegebener Qualität und Stückzahl sind die Beschäftigten zur Nacharbeit über das festgesetzte Schichtende hinaus verpflichtet. Sollte die Ursachen für Leistungsmängel der Arbeitgeber zu vertreten haben, gehen so erfolgte Nacharbeitsstunden als positives Zeitsaldo in das individuelle Flexibilitätskonto ein.
Alle Beschäftigten erhalten ein monatliches Grundentgelt von 4.500 DM (plus Bonus von 6000 DM/Jahr inkl. Nachtschichtzuschlägen), wenn das für den Monat vereinbarte Programm erfüllt worden ist oder trotz Nichtleistung individuell ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestanden hat.
Zusätzlich zur Arbeitszeit sind wöchentlich durchschnittlich 3 Stunden Qualifizierungszeit vorgesehen.
Die Einstellung erfolgt in einem gestuften Verfahren: Trainingsmaßnahme durch das Arbeitsamt, befristete Beschäftigung zum Zweck der Qualifizierung (6 Monate), unbefristete Beschäftigung bei der Auto 5000 GmbH.
Regeln zur Leistungs- und Personalbemessung unter Einbeziehung von Betriebsrat und Teams. Programmvereinbarung abgeleitet aus betriebswirtschaftlichen Vorgaben , daneben sind biologische und soziale Zumutbarkeit sowie Einhaltung der Arbeitszeit zu berücksichtigen.
Ein Vergleich des ursprünglichen Konzeptes und des Tarifabschlusses macht deutlich, dass in den Verhandlungen und durch öffentliche Debatten einige Giftzähne gezogen werden konnten. Dennoch ist eine Erkenntnis und notwendige Schlussfolgerung, dass Vereinbarungen, die tarifliche und soziale Standards dem Profit opfern, nur durchsetzbar sind unter Umgehung demokratischer Regeln.
Es ist ähnlich wie bei der Hartz-Kommission, wo eine Funktionärin von Ver.di und ein Funktionär der IG Metall mit beraten und zugestimmt haben. Die Gewerkschaftsvorstände haben den Ergebnissen im Wesentlichen zugestimmt, ohne dass dazu eine Diskussion in den Gewerkschaften oder mit betroffenen Erwerbsloseninitiativen stattgefunden hat. Eifrige Verfechter der Hartz-Kommission schlossen sich dem weiteren Denk- und Diskussionsverbot an und kolportierten die unglaubwürdige Losung, dieses Konzept "dürfe nicht zerredet" und müsse "eins zu eins" umgesetzt werden, damit die Arbeitslosigkeit in zwei Jahren halbiert werde. Es scheint also eine erforderliche Bedingung zur Durchsetzung solcher Konzepte zu sein, autoritär zu entscheiden. Wenn das die Bedingung ist, ist dann nicht zugleich auch das Einfordern und Umsetzen von demokratischen Ansprüchen und Mitbestimmung der Hebel, um solche Projekte und damit die sozialreaktionäre Entwicklung zu stoppen?
Erfahrungen aus der Krise von 1993
Vor dem Projekt 5000 x 5000 gab es bereits Erfahrungen aus dem Krisenmanagement des Jahres 1993. Wenige Wochen nach der einvernehmlichen Bestellung von Hartz zum Personalvorstand der Volkswagen AG im Oktober 1993 wurde ein Personalüberhang von 30.000 Beschäftigten in den Werken der VW AG diagnostiziert und die Lösung des Problems gleich mitgeliefert: 20% Arbeitszeit- und Einkommenskürzung, die 4-Tage-Woche bzw. die 28,8 Stunden-Woche.
Dazu ist unter der Autorenschaft von Hartz ein Buch erschienen, aus dem hier zitiert wird. Die Ausgangslage wird u.a. folgendermaßen beschrieben:
"Einer weltweiten Produktionskapazität von 39 Millionen Fahrzeugen steht lediglich ein jährlicher Bedarf von 28,5 Millionen gegenüber." (S. 10)
Bezüglich der Geschäftszahlen ist einer Tabelle (S. 11) zu entnehmen, dass der VW Konzern weltweit 1993 3 Mio. Fahrzeuge statt wie im Jahr 1992 3,5 Mio. produziert hat. Die Belegschaft der VW AG wurde von 1992 bis 1993 um 10.000 Beschäftigte auf 108.500 Beschäftigte reduziert; der Umsatz sank im gleichen Zeitraum von 53 Mrd. DM auf 43 Mrd. DM.
Zur Notwendigkeit personeller Maßnahmen heißt es: "Denn zu einer ehrlichen Analyse gehörte es auch, vor dem hohen Beschäftigungsüberhang nicht die Augen zu verschließen. Ein Überhang gemessen am geschrumpften Absatz und ein Überhang gemessen an dem Produktivitätspotential, das im Unternehmen steckt."
Dass VW an der Schaffung der Überkapazitäten beteiligt ist, wird nicht thematisiert , ebensowenig die zweite Seite von "Überkapazitäten", nämlich Kaufkraftschwäche.
Es ergeben sich folgende Fragen:
War die Drohung mit 30.000 Entlassungen eine reale Gefahr?
Wären "nur" 10.000 Entlassungen vertretbar gewesen?
Wären erforderliche Sozialplankosten von VW tragbar?
Unabhängig davon, wie diese Fragen theoretisch beantwortet wurden, wollte und konnte niemand die Verantwortung übernehmen, "es mal auszuprobieren". Es war eine Situation geschaffen, wo scheinbar keine andere Lösung möglich war. Bei der Hartz-Kommission wird dieser Stil auf die Spitze getrieben, indem die unveränderte Umsetzung des Konzeptes zur Erfolgsbedingung definiert wird.
Die Arbeitszeitverkürzung und Entgeltreduzierung bei VW war zu einem Teil ein Vorgriff auf beabsichtigte Produktivitätssteigerungen. Zunächst wurden attraktive Arbeitszeitmodelle vereinbart, z.B. 2-Schichtarbeit, jeweils 6 Stunden von 7 bis 13 Uhr und von 13 bis 19 Uhr. Damit war sofort die Debatte um die Notwendigkeit von Pausen verbunden: Die "neue Zumutbarkeit" wurde ausprobiert. Die beabsichtigten Produktivitätssteigerungen konnten nur unter den so geschaffenen Bedingungen ohne größere Konflikte realisiert werden, weil die Angst vor Massenentlassungen als Peitsche funktionierte; weil die Nachfrage wieder anzog und das notwendige Personal bzw. die erforderliche Arbeitszeit nicht zur Verfügung standen.
Inzwischen hat eine umfangreiche Umschichtung in der Belegschaft des Werkes Wolfsburg stattgefunden:

Belegschafts-Entwicklung und -Struktur, VW-Wolfsburg 1987-2002
Belegschaft* 1/1987 1/1993 1/1998 4/2001 12/2002
Beschäftigte 65.000 56.500 48.200 50.400 50.600
Leistungslohn 29.300 27.200 22.000 20.600 19.800
Zeitlohn 18.300 11.600 10.100 10.200 10.300
Gehalt 14.700 15.400 15.100 17.000 18.200
Frauen** 16.800 15.600 12.800 12.900 13.400
Ausländer 4.700 3.800 2.900 2.900 2.900
*gerundete Zahlen ohne Auszubildende, ** in der AG.

Weitere Beschäftigungsverhältnisse sind statistisch schwer ermittelbar. Es gibt Leiharbeit direkt bei VW; es gibt Fremdfirmen, die mit Leiharbeit Aufträge erfüllen und es gibt tausende Beschäftigte, die über Fremdfirmen regelmäßig bei VW in der Instandhaltung, in der Entwicklung und in vielfältigen Dienstleistungsbereichen eingesetzt sind sowie Praktikanten, studentische Mitarbeiter usw.
Nun ist zu konstatieren, dass die Produktion in Wolfsburg gesunken, an anderen Standorten aber gestiegen ist. Kapazitätsausbau hat vor allem in Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei stattgefunden, aber auch in Sachsen - immer an solchen Standorten, wo es Subventionen gibt und wo die Personalkosten vergleichsweise gering sind. Die größte Expansion findet in der VR China statt; mit der Option, die Fabriken in den internationalen Konzernverbund einzubeziehen, also dort gebaute Fahrzeuge in den Export zu geben.
Wenn man diese Entwicklungen miteinander vergleicht, drängt sich folgende Schlussfolgerung auf: Die 30.000 Entlassungen, die mit der 4-Tage-Woche verhindert werden sollten, haben in dieser Form und in diesem Umfang nicht stattgefunden. Es hat eine Verlagerung von Produktionsarbeitsplätzen aus den Werken der VW AG in Länder stattgefunden, in denen Volkswagen Subventionen erwarten konnte (wie es sie viele Jahre für VW in Wolfsburg auch in Form der "Zonenrandförderung" gegeben hat). Personell aufgebaut wurden die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten sowie die Administration - um schneller mehr Fahrzeuge entwickeln und konstruieren zu können und um den gewachsenen Konzern erfolgreich auf den Weg höherer Profite zu steuern.
Druck auf Beschäftigte trotz Beschäftigungssicherung
Andererseits ist hervorzuheben, dass es keine betriebsbedingten Entlassungen gab, sondern im Zuge der Arbeitszeit- und Einkommensreduzierung eine Beschäftigungssicherung in der VW AG. Dies ist positiv, weil dem Unternehmen damit eine Möglichkeit genommen ist, kollektiven Druck auszuüben.
Aber selbst mit Beschäftigungssicherung wirkt der Druck auf die Arbeitsplätze. Durch die Verlagerung von Produktion und ständige Umstrukturierungen sowie durch Einkaufspraktiken, in die Abteilungen von VW marktkonform einbezogen werden, wird die Existenzangst aufrecht erhalten. Allen Beschäftigten wird immer wieder vermittelt, dass jede Fertigung oder Dienstleistung extern bezogen werden kann, wenn das Unternehmen ökonomisch "dazu gezwungen wird". Dazu kommt das gesunde Mißtrauen, dass Beschäftigungssicherung nicht viel Wert ist, "wenn der Himmel einstürzt", wenn der Markt für VW einbricht oder VW von einem Konkurrenten gefressen wird.
Der individuelle Druck auf den Arbeitsplatz wird u.a. durch Rückkehrgespräche nach Arbeitsunfähigkeit und durch ein so genanntes "Gesundheitscoaching" aufrecht erhalten. Zwar gibt es - wie vereinbart - keine betriebsbedingten Entlassungen, durchaus aber personenbedingte Kündigungen. Und das ist - neben Aufhebungsverträgen, Altersteilzeitverträgen und sonstigen Kündigungen, gepaart damit, dass Fluktuation weitgehend nicht ersetzt wird - der Hauptgrund für die Veränderung in der Belegschaftsstruktur.
"Gesundheitscoaching" schließt in diesem Zusammenhang Vereinbarungen zwischen dem Unternehmen und dem betroffenen Beschäftigten ein. In der Werkszeitung wird dazu folgendes veröffentlicht: "Ein Gesundheitsstand auf hohem Niveau spielt eine wichtige Rolle für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Damit besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Standort- und Beschäftigungssicherung. ... Neben der Verantwortung des Unternehmens für eine aktive Gesundheitsförderung geht es deshalb zukünftig verstärkt um die persönliche Verantwortung unserer Mitarbeiter. ... Die verabredete Vorgehensweise wird von beiden Seiten in einem Gesprächsprotokoll festgehalten und dokumentiert. Treten nach dem Gesundheitscoaching erneute Krankheitsfälle auf, dient das Protokoll als Grundlage der folgenden Gespräche und Maßnahmen." Es geht also nicht nur um Gesundheitsförderung, sondern auch darum, mit der Unterschrift der Beschäftigten die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen für die "folgenden Maßnahmen" zu schaffen. Auch hier eine Linie zu den Anordnungen der Hartz-Kommission: Druck auf diejenigen, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht arbeiten können.
Wieder lohnt ein Blick auf die Ausgangssituation: Der Krankenstand hat sich in den zurückliegenden Jahren bei VW von ca. 10% auf weniger als 5% im Schnitt vermindert. Abzüglich der Schwerst- und Langzeitkranken bleibt ein kleiner Teil von Beschäftigten mit ganz normalen Erkrankungen, von der Grippe bis zum Beinbruch. Der geringe Krankenstand ist ohne mehr Druck auf die Beschäftigten nicht weiter zu senken.
Für Meister wurde inzwischen eine Gesundheitsmaßnahme verpflichtend eingeführt; ein Teil dieser verpflichtenden Maßnahme ist in der Freizeit abzuleisten. Dies ist ein Eingriff in das Privatleben der Beschäftigten und die Unterstellung, die Menschen täten nicht das für sie Gute und Richtige, sondern brauchten dazu den Übervater Volkswagen. Es handelt sich um einen "Terror der Ökonomie", weil die Beschäftigten aus teilweise eingeredeter Angst vor "Verlust der Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmens" zur Arbeit gehen, wo sie doch in Muße das Bett hüten sollten, um zu genesen. Wie bei Vorschlägen der Hartz-Kommission sind langfristige Folgen durch die Sozialversicherungen zu tragen.
Mit den durch die Hartz-Kommission angeordneten und durch die Regierung beschlossenen "Personal-Service-Agenturen" eröffnen sich auch für VW neue Möglichkeiten der Personalkosten-reduzierung, die den Einsatz von Hartz vielfach entschädigen. Durch Entgeltkürzung / 4-Tage-Woche hat VW nachhaltig 1 Mrd. EUR /Jahr gespart. Die Personalkosten im Konzern sind von 26 Prozent auf etwa 15 Prozent vom Umsatz gefallen.
Das Wunder von Wolfsburg - Halbierung der Arbeitslosigkeit
Zum 60. Geburtstag der Stadt im Jahr 1998 machte VW seiner Hauptstadt ein Geschenk: kein Planetarium oder Kulturzentrum, sondern die halbe Lösung des Problems Arbeitslosigkeit.
Ausgangspunkt war eine Quote von 17,9% im Jahr 1996 (13,6% im Jahr 1998). Für diese überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit gab es mehrere Ursachen: Die Monostruktur, die Fixierung auf Automobilbau; die Vergrößerung des Einzugsbereiches nach Sachsen-Anhalt ist ein weiterer Grund.
Zur Erreichung des Zieles wurde das Konzept "AutoVision" (mit McKinsey) entwickelt und die "Wolfsburg AG" gegründet. Dieses Gemeinschaftsunternehmen von VW und Stadt hat vier Geschäftsbereiche, die sich ergänzen und gegenseitig verstärken (sollen):
einen "InnovationsCampus" zur Unterstützung und Förderung von Unternehmensgründungen,
eine "LieferantenAnsiedlung" zur "Stärkung des Mittelstandes",
die "ErlebnisWelt" zur Einrichtung von Freizeit- und Unterhaltungsein¬richtungen,
die "PersonalServiceAgentur" zur Aufnahme des Geschäfts mit Leiharbeit; "Arbeitsuchende und Unternehmen werden systematisch zusammengebracht".
Daneben gab es weitere wichtige Projekte:
Bau der "Autostadt", eines ca. 1 Milliarde DM teueren Parks zur Auslieferung von Fahrzeugen des VW-Konzernes mit Museum und Pavillons der einzelnen Marken sowie
Neubau des Stadions für den VfL Wolfsburg
Bau eines Simultaneous Engineering (SE)-Zentrum, in dem Entwickler von VW mit Lieferanten Produkte entwickeln und Prozesse gestalten.
Inzwischen ist die Arbeitslosenquote in Wolfsburg gesunken (9,8% im November 2002). Was sind die Ursachen?
Die Stadt befindet sich in einem Prozeß der Umprofilierung. Aus der bisher abseits (der Autobahn) gelegenen, monostrukturierten VW-Stadt (sie wurde bekanntlich mit Grundsteinlegung von Volkswagen 1938 als "Stadt des KdF-Wagen" gegründet), entwickelt sich eine modernere Stadt mit einem umfangreicheren Angebot an Dienstleistungen und Gewerbebetrieben, also diversen Arbeitsplätzen, mit touristischen Zielen und einem vorzeigbaren Freizeitangebot. Einige größere Bauprojekte (Autostadt, Stadion, SE-Zentrum, Lieferantenpark, Logistikzentrum, HealthValley, ScienceCenter, AutoUni und weitere Gewerbegebiete) lösten in der jüngeren Vergangenheit (seit 1998) einen bis in die nächsten Jahre reichenden, zeitlich beschränkten Arbeitskräftebedarf aus. Manche dieser Investitionen sind ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft, bedeuten aber eine positive Stimulierung des Arbeitsmarktes.
Gesondert muss berücksichtigt werden, dass in Wolfsburg immer Menschen auch wegen VW gewohnt und gelebt haben. Wenn das Beschäftigungsverhältnis bei VW endet, ziehen viele davon in ihre Heimat innerhalb oder außerhalb Deutschlands zurück. Um die Ergebnisse zu bewerten, muss die Entwicklung der erwerbsfähigen Bevölkerung in Relation zur Arbeitslosenquote beachtet werden.
Ein Aspekt ist, jugendlichen Arbeitslosen eine Perspektive zu eröffnen. Auch hier Parallelen zur Hartz-Kommission.
Es wurde ein "Regionalverbund für Ausbildung (RVA)" mit den Partnern Handwerkskammer, Stadt, IHK, VW und weiteren gegründet, der Jugendliche ohne Ausbildungsplatz an Betriebe vermittelt. Die Betriebe, die nachweislich zusätzlich ausbilden, bekommen Zuschüsse, die Auszubildenden bekommen keine tarifliche Entlohnung (Ausbildungsvergütung), sondern eine pauschale Unterhaltsleistung. Mit der Einschränkung, dass tarifliche Regelungen unterschritten werden, kann dieser Ansatz als erfolgreich bezeichnet werden. Das sagt aber nur aus, dass die Ausbildungsmöglichkeiten in Handwerk und Industrie vorhanden sind.
Ein weiterer Baustein sind "Trainingsmaßnahmen", die Arbeitslose "erfolgreich" absolvieren müssen, um den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten. "Trainiert" wird dabei unter Leistungsbedingungen, regelmäßig und pünktlich zur Arbeit zu kommen, sich problemlos in die Produktion zu integrieren. Für einen Zeitraum von mehreren Wochen leisten diese Menschen produktive Arbeit, ohne dafür entlohnt zu werden; schlimmstenfalls bekommen sie den Sozialhilfesatz plus Fahrgeldzuschuss. Ein Teil derjenigen, die zu diesen Trainingsmaßnahmen verpflichtet wurden, sind anschließend bei VW in ein - zunächst befristetes - Arbeitsverhältnis übernommen worden; was belegt, dass es bei VW Arbeitskräftebedarf gab, der über mehrere Wochen vom Arbeitsamt gedeckt wurde. Auch hier die Parallele zum Konzept der Hartz-Kommission, einschließlich "Neutralisierung" des Kündigungsschutzes. So wird sichtbar, dass es um eine andere Sozialisation derjenigen geht, die jetzt in den Betrieb kommen. Sie müssen etliche Hürden überspringen und am Ende dankbar sein, dass sie zu den Auserwählten gehören, die bei Volkswagen arbeiten "dürfen".
Das alles soll zum Hartzschen "Arbeitskraftunternehmer" führen - und es funktioniert im Zusammenhang mit Standortchauvinismus und Ökonomisierung aller Beziehungen.
Zweifellos ist die Arbeitsmarktentwicklung auch in der Ansiedlung von VW-Lieferanten begründet. Dabei werden durch Stadt und VW verschieden wirkende Instrumente eingesetzt:
Die Stadt stellt Gewerbeflächen zur Verfügung; im günstigsten Fall handelt es sich um voll erschlossene Flächen, die preiswert an diejenigen abgegeben werden, die "Arbeitsplätze" versprechen.
Volkswagen ist - aufgrund reduzierter Fertigungstiefe (40% beim A-MPV) - auf enge Zusammenarbeit mit Lieferanten angewiesen. Diese Zusammenarbeit erfolgt immer noch am besten in persönlichen Beziehungen von Entwicklern und Konstrukteuren. Dies erfordert die räumliche Nähe.
Bei Einkaufsverhandlungen werden Anbieter motiviert und bevorzugt, die im Raum Wolfsburg produzieren. Dies senkt die Logistikkosten und die Liefersicherheit.
Bei den bisher genannten Formen der Ansiedlung handelt es sich um Arbeitsplätze, die an anderen Orten verloren gehen bzw. in ihrem bisherigen Umfeld nicht entstehen. Das ist eine teilweise Erklärung für die Arbeitsmarktentwicklung in Wolfsburg.
Zu den Ergebnissen der Arbeitsmarktentwicklung, die VW und Stadt für das "Modell Volkswagen" reklamieren, gehört die Erkenntnis für viele Beschäftigte, dass "ihr Arbeitsplatz" nicht sicher ist. Ganze Produktionsbereiche sind in den zurückliegenden Jahren verlagert worden - teils in "Billiglohnländer", teils in andere Unternehmen; neuerdings werden erst VW-Töchter gegründet, dann wird die Fertigung an diese Töchter ausgelagert. Über die dortigen Arbeitsbedingungen wird gesondert zu berichten sein.
Die jeweils betroffenen Beschäftigten von VW werden auf andere Arbeitsplätze umgesetzt oder in die neue Fertigung "verliehen" und es werden Beschäftigungsverhältnisse beendet.
Vor einiger Zeit wurde - mit Zustimmung des Aufsichtsrates - eine weitere VW-Tochter gegründet: Die AutoVision, u.a. zur Optimierung der Wolfsburg AG. Die Wolfsburg AG stieß an ihre Grenzen, weil sie als Gemeinschaftsunternehmen von VW und Stadt aus kommunalrechtlichen Gründen nicht außerhalb Wolfsburgs tätig sein konnte. Neben das Geschäft der bundesweiten Leiharbeit, jetzt durch von der Hartz-Kommission angeordnete Personal-Service-Agenturen bei allen Arbeitsämtern ein fast risikofreies Geschäft, tritt die Übernahme von Werkverträgen und die Funktion als "externer" Anbieter. So werden nicht mehr einzelne Personen als Leiharbeiter geholt, für die es eine eigenständige soziale Verantwortung gäbe, sondern mit der eigenen "Tochter" werden Werkverträge über die Erbringung von komplexen Leistungen abgeschlossen. Die dahinter stehenden Personen haben mit Volkswagen überhaupt kein Vertragsverhältnis. Argumentativ abgesichert wird dies damit, dass die entsprechende Fertigung so zwar nicht im Haustarifvertrag verbleibt, aber immerhin bei VW - und besser "wir" machen das Geschäft und behalten "uns" Einflußmöglichkeiten vor.
Arbeitsmarktwirksam wird dieses Konzept scheinbar, wenn das Arbeitsamt beginnt, die Erwerbslosen in der Personalservice-Agentur, zum Beispiel der AutoVision GmbH, verpflichtend zu beschäftigen. Unabhängig von dieser Konstruktion würde die notwendige Arbeit auch erledigt, eventuell an einem anderen Ort, eventuell zu anderen Konditionen.
Es muss also die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es nicht um die Verringerung der Arbeitslosigkeit geht, sondern um Risikoverlagerung und Personalkostenreduzierung. Auf das soziale Gefüge der Stadt und auf das Selbstverständnis und Selbstvertrauen der zu so unterschiedlichen Bedingungen beschäftigten Menschen hat das nur negative Auswirkungen.
Bemerkenswert ist die Rolle, die Volkswagen in den letzten Monaten in der Region und darüber hinaus als "Arbeitsplatzretter in letzter Not" bekommen hat. Bekanntlich war eine der Bedingungen des Konzeptes 5000 x 5000, dass Arbeitslose eingestellt werden. Dies mutierte in den letzten Monaten dahingehend, dass auch "von Arbeitslosigkeit bedrohte" eingestellt werden - natürlich zu gleichen Konditionen wie Arbeitslose. "Arbeitslos" ist ein eindeutiger Zustand; "von Arbeitslosigkeit bedroht" ist ein kaum zu definierender Prozeß, in dem sich latent alle abhängig Beschäftigten befinden, selbst Fußballmillionäre. Eine Auswirkung dieser Mutation ist, dass Volkswagen teils hoch qualifizierte Arbeitskräfte und nebenbei eine positive Presseberichterstattung bekommt.
Die Braunschweigischen Kohlebergwerke (BKB) legen Buschhaus als Kohlekraftwerk still? VW wird die besten Facharbeiter prüfen und dann probeweise übernehmen. Ähnliches bei einer Stilllegung der AEG-Elektrolux-Fertigung in Kassel. Der schönen Beschreibung wegen sei dieser Artikel ausführlicher zitiert: "Autovision sorgt für neue Hoffnung/130 AEG-Mitarbeiter sollen bei Volkswagen-Tochter unterkommen. Was am 21. November von Volkswagen und Elektrolux verkündet wurde, war ein Paukenschlag. Der Automobilkonzern wird die Aggregateaufbereitung des Baunataler Werkes bis Ende 2004 in die AEG-Hallen verlegen und 130 der zuletzt 395 Mitarbeitern Jobs anbieten. Zuvor werden die AEGler ein Jahr lang von VW weitergebildet. Der Großteil der Belegschaft hat das Angebot inzwischen angenommen. Nach Angaben der Betriebsratsvorsitzenden Traudel Berger haben von 297 Männer und Frauen, die einen Job suchen, 244 den drei Seiten umfassenden Vertrag unterschrieben. ... Finanziell unterstützt wird die nach langen Verhandlungen erreichte Auffanglösung von der Bundesanstalt für Arbeit und dem Elektrolux-Konzern. Sie kostet rund 25 Millionen Euro. Von Euphorie ist bei den Beschäftigten trotz der erfreulichen Wende nichts zu spüren. Schließlich werden sie erst in einem Jahr wissen, ob sie zu den Glücklichen gehören, die auf Dauer bei VW unterkommen."
Dem Betriebsrat gegenüber wurde immer betont, alle Maßnahmen (wie Gründung von WOB-AG und AutoVision sowie das Projekt 5000 x 5000) seien weder gegen den Haustarif gerichtet noch würde es keine Direkteinstellungen bei VW zu Haustarifbedingungen mehr geben. Von der A-MPV-Premiere zitiert die Financial Times Deutschland Hartz so: "Die Frage der Übertragbarkeit beschäftigt uns sehr. Wir schreiben auch künftig neue Modelle konzernweit aus und die Auto 5000 GmbH wird sich dafür bewerben." Nun erleben Beschäftigte bei VW, wie ihre bisherige Tätigkeit von Beschäftigten in billigen, teils prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgeführt wird. Allen stellt sich die Frage: Woran wird der Wert der Arbeit bemessen? Und was ist daran gerecht, wenn für gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt wird? Dies birgt für die Zukunft erheblichen innerbetrieblichen Konfliktstoff.
Was Direkteinstellungen betrifft, hat es nach 1998 noch etliche gegeben - allerdings durch die Übernahme zunächst befristet eingestellter Beschäftigter und auf Druck von Betriebsrat, IG Metall und Belegschaft. Seit dieser Kraftprobe - die Unternehmensleitung wollte die befristet Beschäftigten durch andere befristete Arbeitsverhältnisse ersetzen - gab es für die Produktion fast keine Neueinstellungen mehr, weil zusätzlicher Arbeitskräftebedarf durch WOB-AG und AutoVision erfüllt wird.
Fazit: Die "atmende Fabrik" - Probleme für Beschäftigte und Interessenvertretung
1. Der größere Teil dessen, was Hartz veröffentlichen lässt, ist Ideologie. Damit soll eine Atmosphäre geschaffen werden, in der Widerspruch zur Majestätsbeleidigung wird. Der Kern der Ideologie ist Modernisierung durch Mobilisierung des "Goldes in den Köpfen der Beschäftigten", durch persönliches Engagement und Verantwortung jeder einzelnen Person für ihr Wohl und Wehe und das Wohl und Wehe des Unternehmens. "Jeder Gute kann noch besser werden" und "Neues Denken - neues Handeln ... denn nur der Beste gewinnt" . In exemplarische Weise kann hier Sozialdarwninismus betrachtet werden. Deutlich wird dies bei solchen Begriffen wie "Arbeitskraftunternehmer" und "Ich-AG", VW-intern vorbereitet durch so genannte M4-Mitarbeiter: Multifunktional, mobil, menschlich, mitgestaltend.
"Mitgestaltend" heißt unternehmerisch Denken und ergebnisorientiertes arbeiten. Konkret wird das so beschrieben: "Die Macht der Menschen, die sich früher im Regeln und Bändigen auslebte, braucht nun ein Unternehmen zur Beschleunigung der Veränderung - eine Veränderung, die am erfolgreichsten gelingt, wenn darin die mitbestimmenden Betriebsräte zu verantwortlichen Mitgestaltern werden." "Mobil" heißt, dahin zu wandern, wo Arbeit ist: "Mitarbeiten bei einem Weltunternehmen bedeutet, daß letztlich die Volkswagen-Welt die Dimension und Ausdehnung vorgibt, in denen der einzelne gebraucht werden kann". Abgesehen davon, dass die Welt neu definiert wurde (Volkswagen-Welt, Volkswagen-Woche), ist nicht der Manager gemeint, der ein Jahresticket bei der Airline hat, sondern zum Beispiel die in Wolfsburg ausgebildeten und in Hannover in der Fertigung eingesetzten jungen Leute. "Menschlich" heißt u.a., Konflikte konstruktiv zu lösen, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Dazu gehört auch "Kundenorientierung, Transformationsmanagement, Ausrichtung auf Wertschöpfung - also besser, schneller und kostengünstiger als andere zu sein - alle Herausforderungen des atmenden Unternehmens bündeln sich zur M4-Erwartung an jeden einzelnen". Das dies nicht so leicht gelingen mag, schwant auch den Erfindern der VW-Welt: "Das Hineinwachsen in eine neue M4-Welt fällt schwer." "Mehrfachqualifiziert" heißt, über die Basisqualifikation ("Automobiltauglichkeit") zum Know-how-Produzenten zu werden. Die abverlangte Flexibilität wird so beschrieben: "Dazu gehört die Bereitschaft und Befähigung, sich in immer neue ‚Jobs‘ und Aufgabenbereiche einzuarbeiten ..."
Entscheidend bleibt die Profiterwartung: "Kein Arbeitsplatz, keine Dienstleistung kann künftig aus dem Benchmarking ... ausgespart werden, insbesondere mit dem Ziel, den Betroffenen die Chance zu geben, Abstände zu Zielwerten zu verringern und Vorteile zu verbessern." Das bleibt übrig von allem: Wie im Hamsterrad muss jede/r laufen und schwitzen, um besser zu sein als nähere oder fernere Kolleginnen und Kollegen. Solidarität wird zu einem Begriff, der nicht mehr auf Kolleginnen und Kollegen bezogen werden kann, sondern bestenfalls "Solidarität mit dem Unternehmen" bedeutet. Die internationale Dimension der Solidarität kann in diesem Konzept schon gar nicht mehr gedacht werden. Die Chance, Abstände zu verringern, also eventuell für weniger Geld mehr zu arbeiten als die Kollegin oder der Kollege, wird zur Voraussetzung zum Erhalt des Arbeitsplatzes. Und das wird vom Management sehr genau kontrolliert und von den Beschäftigten zunehmend verinnerlicht.
Um einen Schein von Demokratisierung herzustellen, werden bei VW und auf Empfehlung von Hartz auch bei der Arbeitsverwaltung Hierarchien abgebaut - als sei eine Leitungsebene undemokratisch und deren Abschaffung Demokratie. Hier ist die Auseinandersetzung schwierig, weil Leitung im Betrieb mit Demokratie so wenig zu tun hat wie Froschschenkel mit Artenschutz. Gruppenarbeit hätte im Gegensatz zu Taylorismus demokratischer sein können. Einige gehen zu Taylor zurück, VW geht den schwieriger zu kritisierenden Weg scheinbarer Demokratisierung. Die betrieblichen Vorgesetzten, sie werden inzwischen "Manager" genannt und einige fühlen sich so, werden auf diese neue Rolle intensiv vorbereitet. Dabei kommt es weniger auf fachliche, vielmehr auf überfachliche Fähigkeiten an. Ganz wesentlich geht es um Kommunikation, sehr bewusst in Konkurrenz zu der seit vielen Jahren funktionierenden Kommunikationstruktur der Gewerkschaft. Damit geht es um entgegengesetzte Inhalte: Benchmark, Kosten, Wettbewerb, Standortsicherung, Qualität, Stückzahl, Produktivität. Das sind die Inhalte, mit denen die Beschäftigten täglich mehrfach durch betriebliche Vorgesetzte, in "kritischen" Situationen durch Vertreter der Unternehmensführung konfrontiert werden. Die Standortpeitsche ist der "Motivator", der immer noch für die Beschäftigten erforderlich ist, die die Widersprüche oft spüren aber selten artikulieren können.
2. Der Mikrokosmos Wolfsburg stellt besondere Umsetzungsbedingungen dar. Es gibt eine gewachsene Beziehung zwischen Stadt und Unternehmen, weil beide aus einer Absicht gegründet wurden. Von Beginn an übte die Unternehmensleitung Einfluss auf Rat und Verwaltung aus. In Wolfsburg hängen viele am Tropf von Volkswagen - Einzelhandel, Bauwirtschaft, Dienstleistungsbetriebe, Presse, Kulturszene, Gastronomie, Bildungseinrichtungen. So eng wie derzeitig waren die Verbindungen wohl nie. Sicher ist der Oberbürgermeister demokratisch gewählt; aber reiner Zufall ist es nicht, dass es sich bei ihm um einen strategischen Partner von Volkswagen handelt: Die Schnellecke-Gruppe bietet unter verschiedenen Namen an fast allen Standorten von Volkswagen logistische und andere Dienst- und Produktionsleistungen an. Die WOB-AG als Gemeinschaftsunternehmen von VW und Stadt ist also mehr als ein Symbol; es ist der strategische Ansatz, um Einfluss zu nehmen auf alle öffentlichen Angelegenheiten und sich so Flankenschutz für die beabsichtigten Tabubrüche zu sichern. Die regionale Presse leistet, mit Ausnahmen, Hofberichterstattung statt kritischen Journalismus.
IG Metall und Betriebsrat sind in diesem Mikroklima gewachsen und ihm ausgesetzt. Daneben gibt es zahlreiche Bemühungen, insbesondere den Betriebsrat in die Unternehmenspolitik "einzubinden" - und so von einer autonomen Interessenvertretung abzuhalten.
Wenn die öffentliche und veröffentlichte Meinung, zum Teil weit über Wolfsburg hinaus, von Volkswagen dominiert wird, dann fällt es Gewerkschaft und Betriebsrat schwer, andere Positionen publik zu machen. Die erprobte Praxis von VW, zunächst an die Öffentlichkeit zu gehen ("Wir schaffen 5000 Arbeitsplätze") und anschließend "den Sozialpartner" zu informieren, hat die praktische Wirkung, dass jede kritische Position die Position desjenigen ist, der keine Arbeitsplätze schaffen will, desjenigen, der Arbeitsplätze vernichten will; jedenfalls sind solche Personen höchst unmodern, rückwärtsgewandt, reaktionär! Auch Hartz hat von Marx gelernt: "Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift."
3. Ein Schlüsselbegriff in all diesen Konzepten ist "Zumutbarkeit". Die schlichte Logik: Bevor jemand arbeitslos wird, ist es zumutbar, dass diese Person schneller und billiger arbeitet. Bezogen auf den Arbeitsmarkt bzw. die Arbeitslosenversicherung bedeutet es, dass, bevor jemand gar kein Geld bekommt, eben weniger zumutbar ist. Das wird in solche für jeden verständliche Formel gegossen: "Konvergenz und Konsens werden selbst dann erreichbar, wenn ein Partner nur Vorteile, der andere nur Nachteile hat. Die Zumutbarkeitsformel für Minus- und Nullsummenspiele lautet: tausche den größten Nachteil des einen gegen den kleinsten Vorteil des anderen. Mache den zumutbaren Nachteil zum komparativen Vorteil." Alles klar: Bevor der A-MPV billig in Portugal gebaut wird, bauen wir ihn noch billiger hier. VW hat nur Vorteile, die Beschäftigten haben nur Nachteile. Aber der größte Nachteil der Beschäftigten in Wolfsburg (das Auto nicht bauen zu können) wurde getauscht gegen den geringen Vorteil des Unternehmens ("nur" 8% Umsatzrendite). Der komparative Vorteil der Beschäftigten in Wolfsburg besteht eben darin, dass sie billiger und besser arbeiten dürfen als ihre Kollegen in Portugal.
Und was machen nun die Beschäftigten in Portugal? Und was macht das Management in Portugal? Und was machen wir in Wolfsburg? Hartz hat für uns eine Perspektive, der wir uns stellen müssen, wenn uns gemeinsam nichts besseres einfällt: "Können wir Schritt halten oder brauchen wir einen neuen Quantensprung im Zumutbaren? Oder provokativ gesagt: müßten nicht eigentlich alle Mitarbeiter für das Gehalt der 4-Tage-Woche wieder 40 und mehr Stunden arbeiten, als ginge es um ihren Lebensarbeitsplatz?"

1 Peter Hartz, Das atmende Unternehmen - Jeder Arbeitsplatz hat einen Kunden, Frankfurt/New York 1996.
2 Mit Reinhard Kühnl haben wir "vom Marxismus gelernt, die richtigen Fragen zu stellen". Ich hoffe, es gelingt.
3 Interview mit P. Hartz, in: Oberösterreichische Nachrichten, 10.6.2002.
4 Hartz, Das atmende Unternehmen, a.a.O., S. 11.
5 Handelsblatt, 27.6.2001: "Machtanspruch der Tarifparteien läßt Arbeitslosen keine Chance".
6 Die Mitbestimmung, H. 11/2001, S. 67.
7 Handelsblatt, 10.12.1999: "VW-Betriebsrat will den Spieß umdrehen". Sorgen macht Volkert nur eine Investitionsentscheidung, die schon einige Monate zurück liegt. Damals gelang es dem Betriebsrat nicht, die Produktion des mit Porsche geplanten Geländewagens in Deutschland zu halten.
8 Braunschweiger Zeitung, 20.11.1999: "Vorrang für deutsche Werke".
9 Hartz: "Die Mitarbeiter sind zu Unternehmern geworden." Wolfsburger Nachrichten, 14.1.2003.
10 www.wissentransfer.info "Halbierung der Arbeitslosigkeit bis 2005? Mit Leiharbeit und Niedriglohn zum flexiblen Kapitalismus/Zur Kritik der Hartz-Kommission". WissenTransfer, Hamburg, o.J. (vgl. die Re-zension von Wolfram Bukhardt in diesem Heft)
11 Tariflich nicht geregelt wurde die Option, mit 1.500 weiteren Beschäftigten in Hannover eine andere Produktion zu betreiben.
12 IGM-PresseinfoÂ’s vom 26.6.2001 und 28.6.2001, Frankfurter Rundschau, 2.7.2001 und Hartmut Meine, in "Einblick", H. 13/2001.
13 Projekttarifvertrag mit Anlagen, Qualifizierungstarifvertrag, Tarifvertrag über die Bildung eines gemeinsamen Betriebsrates und Mitbestimmungstarifvertrag, Text: WSI-Tarifarchiv VW5000.
14 Wie angekündigt wird die Arbeitszeit neu definiert, hier: "wertschöpfende Arbeitszeit".
15 "Die Volkswagenwoche beinhaltet folgende Flexibilitätskaskade: Flexibilität in Stunden pro Tag, danach Flexibilität in Schichten pro Tag, danach Flexibilität in Tagen pro Woche, danach Flexibilität in Samstagen."
16 Durch Bonus wird gesichert, dass im Durchschnitt der ersten drei Jahre das Einkommen eines tariflich Beschäftigten in der nieder-sächsischen Metall- und Elektroindustrie nicht unterschritten wird.
17 Am Ende des Projektes gibt es ein IHK-Zertifikat als "Fachkraft für Automobilbau".
18 Rendite von 8% (Börsenzeitung, 26.11.1999) und Produktivitätserhöhung von 20% (IGM VK-Information, 27.2.2001).
19 Befördert wurde seine Berufung durch seine Nähe zur IG Metall (er selbst rühmt sich der Mitgliedschaft) und durch seine Erfahrung bei der fast vollständig(en) geräuschlosen Liquidierung der Bergbau- und Hüttenindustrie im Saarland.
20 Peter Hartz, Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht - Die Volkswagen-Lösung, Frankfurt/New York 1994.
21 "Im Saldo ergibt sich in seltener Übereinstimmung mit der Prog-nose von 1993, daß heute mit 31000 Mannjahren weniger Personalka-pazität das Fahrzeugvolumen des Jahres 1993, also vor Einsetzen der Maßnahmen, produziert wird." Hartz, Das atmende Unternehmen, a.a.O., S. 21.
22 Die aktuelle Unternehmensplanung sieht eine Jahreskapazität von 6 Millionen Fahrzeugen vor.
23 Zu den Zweigwerken von VW in vielen Ländern kommen hun-derte von Tochtergesellschaften und Beteiligungen, inzwischen auch für die Produktion von Komponenten und - siehe Auto 5000 GmbH - von ganzen Fahrzeugen.
24 "autogramm" Nr. 3/31. Jg. vom 1.3.2001.
25 "Eine Region in Bewegung", Wolfsburg AG, April 2000.
26 "Wer ausgebildet werden will, soll zahlen." WissenTransfer, a.a.O., S. 16.
27 Vorläufer der Wolfsburg AG war das "Gründungs- und Innovati-onszentrum Wolfsburg GmbH (GIZ)", gegründet zu dem Zweck, Studenten innerhalb der Semesterferien unterhalb des Haustarifvertrages beschäftigen zu können.
28 Aller-Zeitung, 19.3.2002: "Für Faurecia-Mitarbeiter macht 5000 mal 5000 eine Ausnahme".
29 Hessische Niedersächsische Allgemeine, 13.12.2002: "Autovisi-on sorgt für neue Hoffnung".
30 "WIR", IG Metall Wolfsburg, 1/2000: "Klaus Volkert: Der Haustarif steht nicht zur Debatte" sowie Börsen-Zeitung, 28.6.2001: "5000-Projekt trat nicht gegen VW-Haustarif an", Bericht über die Stellungnahme von Hartz in der Wolfsburger Betriebsversammlung.
31 FTD, 14.1.03: "Volkswagen erhöht Kostendruck auf Standorte".
32 Hartz, Das atmende Unternehmen, a.a.O., S. 44.
33 Headline in der Präsentation des Projektes 5000 x 5000, Januar 2001.
34 Hartz, Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht", a.a.O., S. 111; im "Atmenden Unternehmen" wird aus "Multifunktional" dann "Mehrfachqua-lifiziert", was ja deutlich etwas anderes ist (a.a.O., S. 43).
35 Hartz, Das atmende Unternehmen, a.a.O., S. 47.
36 Ebd., S 47.
37 Ebd., S 48.
38 Ebd., S. 46.
39 Ebd., S. 45.
40 Roland Springer begründet dieses für Daimler-Chrysler.
41 Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht, a.a.O., S. 136.
42 Hartz, Das atmende Unternehmen, a.a.O., S. 17.
43 Ebd.