Besser als GPS

Der Stadtführer Navigator bietet Orientierung

Wer als Flüchtling in Hamburg ankommt, hat es nichtleicht, sich zurecht zu finden. Orientierung bietet seit Dezember 2003 der Navigator - Hamburger Stadtführer für Flüchtlinge, ...

... Migrantinnen und Migranten.

Wer als Flüchtling in Hamburg ankommt, hat es nicht leicht, sich zurecht zu finden. Orientierung bietet seit Dezember 2003 der Navigator - Hamburger Stadtführer für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten.

Auf hochglänzenden 256 Seiten werden Leserin und Leser mit zahlreichen Informationen zu allen möglichen Themen versorgt, die für Neuankömmlinge von Belang sind: Aufenthaltsrechtliche Hinweise finden sich dort ebenso wie Wichtiges zur Gesundheitsversorgung oder Anreisebeschreibungen zu den verschiedenen religiösen und kulturellen Einrichtungen. Mit Nachdruck wird LeserInnen ans Herz gelegt, bei wichtigen Fragen Beratungsstellen aufzusuchen. Der Situation von Frauen, Kindern und homosexuellen Menschen ist jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. Und (fast) immer sind auch Informationen für die etwa 50.000 Menschen dabei, die sich ohne gültige Papiere in Hamburg aufhalten. Dass der Navigator konsequent fünfsprachig ist (türkisch, deutsch, englisch, französisch und spanisch), macht ihn zu einer nützlichen Quelle für einen großen Teil der hier lebenden Flüchtlinge und MigrantInnen. Aber das Buch ist nicht nur Dienstleistungsangebot, sondern beschreibt auch die Probleme vieler Flüchtlinge, wie rassistische Polizeikontrollen oder Ausländerfeindlichkeit in der deutschen Bevölkerung. Darüber hinaus enthält es Hinweise auf politische Initiativen, die sich in Flüchtlingsfragen einsetzen und macht Vorschläge, wie Flüchtlinge ihren Alltag in die eigenen Hände nehmen können. Mit Hauke Wendler und Siglinde Hessler aus der Redaktionsgruppe des Navigator sprach Jan Ole Arps.

ak: Im November kam der Navigator - Hamburger Stadtführer für Flüchtlinge und MigrantInnen heraus. Könnt ihr kurz schildern, was es damit auf sich hat?

Hauke: Die Idee hinter dem Stadtführer war, eine Handreichung für Flüchtlinge und Migranten zu erstellen, die ihnen helfen soll, aus der Isolation herauszukommen und in einer fremden und häufig abweisenden Umgebung selber aktiv zu werden. Deshalb finden sich im Navigator neben Beratungsstellen und Informationen zu wichtigen Problemen auch solche für die Freizeit, etwa Ausgehtipps oder Hinweise auf die vielen (Stadtteil-)Kulturzentren, die es in Hamburg gibt. Andere Menschen kennen zu lernen, ist ja auch ein ganz wichtiges Thema, wenn man neu hier ist.

Inwieweit sind denn Erfahrungen von Flüchtlingen und MigrantInnen mit eingeflossen in die Erstellung des Buches? Nach welchen Kriterien habt ihr die präsentierten Informationen ausgewählt?

Siglinde: Die Mitglieder der Redaktion sind alle in Deutschland geboren, aber es gab ständig Rücksprache mit Freunden und Bekannten, die nicht aus Deutschland stammen. Am Anfang haben wir bspw. Interviews gemacht, um herauszufinden, was die Probleme sind, die man hat, wenn man neu in Hamburg ist oder was von einem solchen Stadtführer erwartet wird.

Hauke: Die Interviews sind auch Grundlage gewesen für die Erfahrungsberichte zu verschiedenen Themen, die wir aufgenommen haben. Davon erhoffen wir uns, dass Leute, die den Navigator lesen, vielleicht feststellen, dass andere ähnliche Situationen erleben oder ganz ähnliche Probleme haben wie sie selber.

Siglinde: Ursprünglich hatten wir gar nicht an ein richtiges Buch gedacht sondern an eine kleine Broschüre, die in mehreren Sprachen erscheinen sollte. Während der Arbeit ist das Projekt dann immer größer geworden. Wobei man trotzdem relativ zügig durchkommt, weil das Buch fünfsprachig ist, man also nur ein Fünftel lesen muss. Am Ende haben wir uns bewusst dafür entschieden, die Sprachen direkt nebeneinander abzudrucken, um eine Verständigung zwischen Menschen zu ermöglichen, die nicht die gleiche Sprache sprechen.

Orientiert sich die Sprachauswahl an den in Hamburg vertretenen Flüchtlingsgruppen?

Siglinde: Nein, ganz anteilig ist es nicht. Eine sehr wichtige Sprache, die wir aus technischen Gründen leider außen vor gelassen haben, ist Farsi, das von vielen Flüchtlingen aus Afghanistan gesprochen wird. Auch osteuropäische Sprachen fehlen.

Hauke: Viele russischsprachige Aus- und Übersiedler bekommen eine ganz gute Versorgung, z.B. gibt es deutsch-russische Broschüren darüber, wie man sich hier zurecht findet. Um das Klientel wird sich von öffentlicher Seite mehr gekümmert als etwa um Schwarzafrikaner oder Menschen aus Lateinamerika, die hier vielfach auch ohne Papiere leben. Dass diese Menschen den Navigator nutzen können, war uns sehr wichtig. Zum anderen wollten wir die Sprachen - wie etwa türkisch - berücksichtigen, die von ihrer Verbreitung her eine hohe Bedeutung haben.

Es fällt auf, das ihr beim Navigator einen Schwerpunkt auf den Verweis an Beratungsstellen gelegt habt. Weshalb?

Siglinde: Das Ausländer- und Asylrecht ist zu facettenreich, um es in gebündelter Form so wiederzugeben, dass es auch im Einzelfall nutzt. Das Wichtigste ist es deshalb, dass die Leute in die Beratungsstellen gehen, wo Menschen sitzen, die sich mit der aktuellen Rechtslage auskennen.

Hauke: Interessanterweise ist das Kapitel "Aufenthaltsrecht" ja eines der kürzeren geworden. Das liegt daran, dass von den Beratungsstellen, mit denen wir viel zusammen gearbeitet haben und deren Arbeit wir sehr schätzen, zum Beispiel Fluchtpunkt oder Woge e.V., immer wieder die Warnung kam, bei der Lektüre des Stadtführers dürfe nicht der Eindruck entstehen, man bräuchte keine Beratung oder anwaltliche Vertretung mehr. Deshalb haben wir versucht, nur die wichtigsten Informationen darzustellen und ansonsten zu vermitteln, dass es unbedingt sinnvoll ist, sich von kompetenter Stelle beraten zu lassen.

Gibt es Themen, die ihr gerne im Buch gehabt hättet, die jetzt aber nicht vorkommen?

Hauke: Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn mehr Selbsthilfegruppen und politische Initiativen drin wären. Ansonsten fällt mir ein, dass es uns im Laufe der Arbeit immer wichtiger geworden ist, dass auch Informationen für Leute ohne Papiere aufgenommen werden. Gerade da könnte ich mir aber auch vorstellen, dass es in manchen Bereichen mehr praktische Sachen gibt, die jetzt noch nicht auftauchen, weil wir sie nicht kennen.

Eine Sache die mir aufgefallen ist: Themen, die im antirassistischen Bereich in letzter Zeit wichtig waren - etwa das Thema Abschiebungen oder der Kampf gegen die Residenzpflicht - tauchen im Navigator nur sehr knapp auf.

Siglinde: Der Navigator soll zuerst mal ein Leitfaden sein und nicht so sehr politische Positionen darstellen. Wir haben uns zwar positioniert; so ein Buch an sich ist ja schon eine politische Aussage, denn wir sagen damit: Wir finden es gut, dass Leute hierher kommen - egal ob sie gültige Papiere haben oder nicht und egal aus welcher Motivation - und wir möchten sie hier unterstützen. Aber wir wollten politische Fragen nicht in den Vordergrund stellen. Das Buch soll einen praktischen Nutzen für die Zielgruppe haben.

Wie bringt ihr den Navigator an eure Zielgruppe? Ich könnte mir vorstellen, dass insbesondere die Menschen, die illegal hier leben, schwer zu erreichen sind.

Siglinde: Wir beliefern die Beratungsstellen, die den Navigator dann an ihre Klientel weitergeben. Außerdem haben wir das Buch einmal vor der Ausländerbehörde verteilt und planen weitere Verteilungen, z. B. vor der Bibby Altona (1). Bei Menschen, die sich illegal hier aufhalten, ist es etwas schwieriger. Die Medizinische Vermittlungs- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen z. B., die wir auch beliefern, wendet sich speziell an Leute ohne Papiere und vertritt das auch ganz offen. Ansonsten haben wir während der Arbeit viele Flüchtlinge und Migranten kennen gelernt und hoffen, dass der Navigator auf diesem Wege in die Communities einsickert. Vielleicht geben auch andere Leute, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, das Buch in ihrem Kreis weiter.

Hauke: Zwar können sich nur ganz wenige Beratungsstellen offen dazu bekennen, dass sie Leute ohne Papiere betreuen, aber faktisch sind es doch sehr viele. Die Behörden wissen besser als viele andere, dass natürlich auch die Leute ohne gültige Papiere irgendwie versorgt werden müssen und auch versorgt werden und sie verlassen sich dabei auch auf die bestehenden Netzwerke.

Du sagst, dass Illegalisierte gewissermaßen toleriert werden. Könnt ihr etwas darüber sagen, wie sich die Situation für sie in den letzten Jahren verändert hat? Knüpft ihr irgendwelche Hoffnungen an einen möglichen Regierungswechsel in Hamburg?

Hauke: Für Menschen ohne Papiere hat sich da nicht viel geändert. Die waren vorher rechtlos und das sind sie weiterhin. Aber solche Entwicklungen zu analysieren und anzuklagen, ist nicht Kernpunkt unserer Arbeit, auch wenn innerhalb unserer Gruppe sicherlich Konsens ist, dass die Probleme nicht mit der Wahl des Mitte-Rechts-Senats begonnen haben und auch nicht mit seiner Abwahl enden werden. Das Problem ist auch nicht auf Hamburg beschränkt, sondern ein bundesweites. Zum Beispiel ist es Regelungen auf Bundesebene zu verdanken, dass es praktisch keine legalen Wege für Flüchtlinge mehr gibt, nach Deutschland zu gelangen.

Habt ihr schon Feedback bekommen?

Hauke: Bisher haben wir den Navigator vor allem Beratungsstellen geliefert und vor der Ausländerbehörde verteilt. Die Reaktionen waren durchweg positiv.

Wie wird es mit eurem Projekt weitergehen? Wisst ihr, ob es in anderen Städten ähnliche Initiativen gibt?

Siglinde: Bei uns steht jetzt der Vertrieb an. Zudem ist geplant, eine Internetausgabe des Stadtführers zu machen, die hoffentlich im Sommer unter www.navigator-hh.de abrufbar sein wird. Aus anderen Städten gab es bisher drei Anfragen an uns. Das ist natürlich ein Effekt, auf den wir hoffen, dass die Idee des Stadtführers auch in anderen Orten aufgegriffen wird. Wenn Anfragen kommen, ob man aus dem Buch etwas übernehmen kann für nicht-kommerzielle Zwecke, dann freut uns das natürlich.

Interview: Jan Ole Arps

Anmerkungen:

1) Die Bibby Altona ist ein Wohnschiff an der Elbe, eine "Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung", in der alle untergebracht werden, die in Hamburg einen Antrag auf Asyl gestellt haben und in der Stadt bleiben dürfen. Sie ist die einzige solche Ersteinrichtung in Hamburg.

Der Navigator ist in einer Auflage von 5.500 erschienen. Seit Dezember wird er kostenlos an Flüchtlinge und MigrantInnen abgegeben. Er kann zum Selbstkostenpreis von fünf Euro auch direkt bestellt werden beim Verein Hamburger Stadtführer für Flüchtlinge und MigrantInnen e.V. Kontakt: 040/21 90 85 24 oder info@navigator-hh.de

aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 480 / 16.01.2004