Kopftuch gegen Kutte

In seltener Zurückhaltung hat sich das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 24. September 2003 (2 BvR 1436/02) geweigert zu entscheiden, ob es muslimischen Lehrerinnen gestatten werden soll, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Zwar fehle im geltenden Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg eine tragfähige Grundlage für ein entsprechendes Verbot, jedoch stehe es dem Landesgesetzgeber frei, diese Regelung zu schaffen, "etwa indem er im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben das zulässige Maß religiöser Bezüge in der Schule neu bestimmt." Die Klärung dieser Frage, an der für manche der christliche Charakter Europas, für andere der säkulare oder liberale Staat, für die Dritten schließlich die Emanzipation der Frau hängt, wurde also dorthin verwiesen, wo sie hin gehört: In die politische Auseinandersetzung.
Diese ist denn auch prompt wieder entbrannt. Eine Anzahl von Bundesländern, sowohl CDU- als auch SPD-geführte, wollen das Kopftuch für Lehrerinnen nun verbieten. Als erstes hat Baden-Württemberg einen Gesetzentwurf vorgelegt. Danach dürfen Lehrkräfte "keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes [...] oder den [...] Schulfrieden zu gefährden". Insbesondere soll Verhalten unzulässig sein, das den Eindruck erweckt, eine Lehrkraft trete gegen Menschenwürde, Gleichberechtigung und freiheitlich-demokratische Grundordnung auf. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs soll unter diese Klausel auch das Kopftuch fallen, weil zumindest ein Teil seiner Befürworter mit ihm eine mindere Stellung der Frau und ein fundamentalistisches Engagement für ein theokratisches Staatswesen verbinde.
Ohne Berücksichtigung der individuellen religiösen Einstellungen sollen also alle Trägerinnen eines Kopftuchs in Sippenhaft genommen und zu potentiellen FundamentalistInnen abgestempelt werden. Weniger undifferenziert wird mit christlich motivierten Verhaltensweisen umgegangen. Vom Verbot religiöser Symbole werden nämlich "Darstellungen christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" ausgenommen. Zur Begründung beruft sich die Landesregierung auf die christliche Verfassungstradition Baden-Württembergs. Damit werden die Vorgaben des Verfassungsgerichts ganz offensichtlich verfehlt. Dies hatte zwar die Tradition des jeweiligen Bundeslandes für ein relevantes Kriterium erklärt, gleichzeitig jedoch explizit darauf hingewiesen, dass ein an LehrerInnen gerichtetes Verbot, ihre Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen, nur dann verfassungsgemäß sei, "wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden".

Tobias Lieber, Berlin