Abkanzeleien

in (09.07.2004)

Über die deutschen Gewerkschaften ist ein strenges Schimpfgericht gekommen. Der Bundeskanzler warf Gewerkschaftsvorständlern, die sich regierungskritisch äußerten, ...

... "Realitätsverlust" vor. Prompt kam ihm der CDU-Scharfmacher Friedrich Merz zur Hilfe und schlug ein Bündnis der Bundestagsparteien vor, um auf gesetzgeberische Weise dem tarifpolitischen Einfluß der Gewerkschaften ein Ende zu machen; schließlich habe Gerhard Schröder selbst schon einmal eine solche Möglichkeit angedeutet. Der grüne Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer erklärte, ver.di-Chef Frank Bsirske (selbst ein Grüner) handele "verantwortungslos", wenn er die Agenda der Bundesregierung nicht akzeptiere. Die Auchnochvorsitzende Angelika Beer stellte an Bsirske die rhetorische Frage, ob er "denn überhaupt noch Interessen der Arbeitnehmer" vertrete. Und aus dem Kanzleramt wurde eine vertrauliche Mitteilung kolportiert, daß nun "die Zeit der Rotweinrunden mit den DGB-Leuten vorbei" sei. Im Spiegel gab Gerhard Schröder den Gewerkschaften darüber hinaus den Rat, "Leute, die inhaltlich nichts anzubieten haben, wie Herr Bsirske", aus ihren Ämtern zu entfernen. Ihr aller Vorgesetzter Michael Rogowski (Bundesverband der Deutschen Industrie) steuerte bei Christiansen gleich den orientierenden Hinweis bei, am besten ginge es ganz ohne Gewerkschaften.
Die Schärfe solcher Abmahnungen ist verwunderlich, denn fast alle Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften und des DGB beteuern nach wie vor ihr loyales Verhältnis zur Bundesregierung und auch, daß sie mit einer neuen linken Partei nichts im Sinne hätten. Nur einige Korrekturen am sozialpolitischen Kurs von Schröder und Clement seien doch bitte zuzugestehen.
Bei den Mitgliedern und bei vielen ehren- und hauptamtlichen Funktionären an der Basis herrscht eine andere Stimmung. Überwiegend setzt man hier in die rot-grüne Regierungspolitik kein Vertrauen mehr. Das Abkanzeln der Gewerkschaftsspitzen durch die Repräsentanten der Parteien dient offenbar dem Zweck, die Vorstandsbüros in Angst zu versetzen, damit diese routiniert den Zorn in den eigenen Organisationen ins Leere laufen lassen.
Einige SPD-PolitikerInnen gaben ihren Wechsel von der Gewerkschaft ver.di zur obrigkeitsfreundlicheren IG Bergbau-Chemie-Energie bekannt. Wahrscheinlich wollen sie, wenn es für sie keine Mandate mehr gibt, unter Tage fahren.

aus: Ossietzky 14-04