Reisebüro Geheimdienst

Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers Graham Greene erschien eine deutsche Biographie

Der zum Katholizismus konvertierte Schriftsteller Graham Greene, der am 2. Oktober 1904 im englischen Berkhampstead geboren wurde, hat Bewunderer unterschiedlichster Weltanschauungen.

Image Hosted by ImageShack.usDer zum Katholizismus konvertierte Schriftsteller Graham Greene, der am 2. Oktober 1904 im englischen Berkhampstead geboren wurde, hat Bewunderer unterschiedlichster Weltanschauungen, nicht zuletzt im Spionage-Milieu. Denn sein Thema waren die Konflikte von Loyalität und Verrat, die bekanntlich in allen politischen Lagern anzutreffen sind.

Im September erschien anläßlich des 100. Geburtstags eine Biographie von Ulrich Greiwe, der schon mit seinem Buch über den Spiegel-Gründer "Augstein - Ein gewisses Doppelleben" sein Faible für Existenzen im Zwielicht hat erkennen lassen. Greiwe gelingt es wunderbar, die Widerspiegelung der amourösen und politischen Leidenschaften Greene in dessen Werken aufzuspüren.

Gewöhnungsbedürftig ist, daß der Autor in dieser Biographie nicht chronologisch Greenes Leben nachspürt, sondern induktiv wie in einem Kriminalroman sich auf die Spur begibt. Direkt lästig ist, daß er jedes Buch Greenes bejubelt, so wird höchst widersprüchlich jede Neuerscheinung jeweils als Höchstleistung präsentiert. Schade auch, daß das Lektorat seinem Autor Greiwe einen oft allzu flapsigen Super-Illu-Jargon und Yellow-Press-Unsinn à la "erotisch wie ein Geheimdienstmann" hat durchgehen lassen. Aber für denjenigen, der deutschsprachig Biographisches über Greene lesen und nicht nur auf die jetzt neu aufgelegte, zuerst 1971 erschienene Autobiographie "Eine Art Leben" zurückgreifen will, für den bietet Greiwes fußnotenloses Porträt eine kompakte, gute Einführung in Leben und Werk Greenes, auf Letzteres Appetit machend.

Greenes Existent eignete etwas Widersprüchliches - kaum weniger als die Protagonisten seiner Literatur stand der Autor selbst im Zwielicht. Sein Großonkel war der Autor der "Schatzinsel", Robert Louis Stevenson, sein Vater der örtliche Schuldirektor. Als dessen Sohn befand Greene sich bereits als Schüler in einem existentiellen Spagat, witterten seine Mitschüler in ihm doch den Spion des Schulleiters, den eventuell illoyalen Mitschüler, und behandelten ihn als Außenseiter. Diese Zeit erschien dem jungen, verzweifelten Greene als die "Hölle": "Ich konnte mich den anderen nicht anschließen, ohne meinen Vater zu verraten, während sie mich wie einen Kollaborateur im feindbesetzten gebiet betrachteten." Greiwes Biographie ist hier lückenhaft: Unerwähnt bleiben die Selbstmordversuche, nach denen die Eltern ihn für ein halbes Jahr in eine psychoanalytische Therapie gaben - er trank Fixierlösungen, die er für giftig hielt, aß Tollkirschen, schluckte Kokain oder zwanzig Aspirintabletten auf einmal und spielte mehrfach russisch Roulette.

Nach dem Studium Neuerer Geschichte in Oxford wurde er Redakteur der "Times" und Filmkritiker beim "Spectator". Große Reisen nach Afrika und Asien wurden zum Fundus seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Um seine Geliebte heiraten zu können, trat er 1934 zum Katholizismus über. "Zwiespalt der Seele" hieß dann sein erster Roman (1929) zu dem für Greene zentralen Konflikt zwischen Gut und Böse. Die Sünder interessieren ihn immer wieder mehr als Gutmenschen: "Ich habe erkannt, daß Katholiken zum Bösen fähiger sind, als irgendwer", meinte der an die Erbsünde Glaubende mit nüchternem Blick auf menschliches Treiben. 1940 erschien "Die Kraft und die Herrlichkeit", für viele sein bestes Werk. Wegen ihrer Mischung von Abenteuer, Kriminalistik, Erotik und Religiosität wurden Greenes Bücher stets heftig diskutiert. Prüde Zeitgenossen nannten ihn sexbesessen, für andere war er ein katholischer Schriftsteller. Auf der einen Seite wurde sein Werk als Unterhaltungsliteratur abgetan, auf der anderen Seite wurde er immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Einer seiner Biografen hielt ihn trotz aller Frauengeschichten für homosexuell. Seine Bücher trugen charismatische Titel, deren Ausstrahlung der seines eigenen Namens entsprach und die auch Kinos eroberten. So redete er dem Filmproduzenten David O. Selznick in Hollywood den Titel "Eine Nacht in Wien" aus und beharrte auf "Der dritte Mann". Am 3. April 1991 starb der ständige Fast-Nobelpreisträger in Genf.

Faszinierend ist der politische Hintergrund in Greenes Werken, aber auch in dessen Lebensweg zwischen Sozialismus, Reformkommunismus und Katholizismus. Weltgeschichte und Heilsgeschehen: Greene sah im Vatikan zeitlebens eine Art Politbüro, Papst Johannes XXIII. erinnerte ihn an den Entstalinisierungskommunisten Nikita Chruschtschow - und umgekehrt. Ein Appell, permanent und vergeblich sich um Vergangenheitsbewältigung zu bemühen, lag ihm genauso wie seiner in "Der menschliche Faktor" sprechenden Person fern: "Die ärgsten Verbrechen, Boris, liegen stets in der Vergangenheit, und die Zukunft hat noch nicht begonnen. Ich kann nicht fortwährend weiterplappern: ‚Denkt an Prag! Denkt an BudapestÂ’ - das liegt Jahre zurück. Man muß sich mit der Gegenwart befassen", liest man in dem Kritik am real existierenden Sozialismus nicht aussparenden Roman. Und seine Kritik blieb nicht nur literarisch, erfährt man bei Greiwe: "Nach der Verhaftung der Oppositionellen Sinjawski und Daniel hat er die Veröffentlichung seiner Romane für die UdSSR verboten. Erst als die beiden Dissidenten unter Gorbatschow freikamen, hob er die Sperre wieder auf."

Daß Greene selbst britischer Geheimdienstmann war - übrigens länger, als er zu Lebzeiten eingestand (angeblich nur 1941 bis 1944) - ist längst enthüllt und wird auch in dieser Biographie öfter erwähnt. Ungeklärt bleibt allerdings die Frage, ob die Literatur dieses schriftstellerischen Global Player mit all den Schauplätzen weltweit, denen Reisen des Autors entsprachen, nicht noch mehr auf Spionageaufträgen beruht als bisher angenommen. Noch bis in die achtziger Jahre soll er beim britischen Geheimdienst MI6 als Mitarbeiter mit der Nummer 59200 aufgelistet sein (dieselbe Nummer wie der britische Bürochef in "Unser Mann in Havanna"!), der bei Reisen nach Lateinamerika, Südostasien, China und Osteuropa im Auftrag des Nachrichtendiensts Informationen beschaffte, lokale Agenten rekrutierte oder etwa dazu beitrug, Kontakt zu dem katholischen Bischof Nordvietnams herzustellen. Mit Hohn reagierte ein General in Vietnam, wo Greene 1951 von Militärs beschattet wurde, auf Greenes Auskunft, er treibe sich hier herum, um eine Reportage zu verfassen.

Im 1955 erschienenen Roman "Der stille Amerikaner" bemerkt ein Journalist kurz vor dem Zusammenbruch des französischen Kolonialismus in Vietnam, daß sein US-amerikanischer Freund in aller Stille als Feind Vietnams wirkt - er liefert ihn der nationalen Befreiungsbewegung aus. Als der Regisseur Phillip Noyce das Buch mit Michael Craine in der Journalistenrolle verfilmte, sollte das ein Beitrag zur Vietnamkriegsdebatte werden, aber dann kam der "11. September 2002" dazwischen und die Produktionsfirma beschloß im Hinblick auf die CIA-Kritik, den Film vorübergehend nicht zu veröffentlichen, um nicht als "unpatriotisch" zu gelten.

Allerdings ist auch das Schillernde dieses zweitältesten Gewerbes zu berücksichtigen, in dem nicht einfach der Spion ein Ausführender des Auftraggebers ist, sondern auch versucht, diesen für eigene Interesse einzuspannen. "Ein besseres Reisebüro", sei der Auslandsgeheimdienst MI6 für ihn gewesen, scherzte Greene. Der junge Greene war 1923 für einen Monat der kommunistischen Partei beigetreten, die ihm klein genug erschien, um darauf zu hoffen, so mit einer Delegazija ins gelobte Land Sowjetunion "kostenlos nach Moskau und Leningrad zu kommen".

Die Episode von Greene Versuch in der Weimarer Republik, gegen französische Separatisten verdeckt für Deutschland zu arbeiten, verdeutlicht, wie eigensinnig er Va banque spielte - dazu Greiwe: "Greene hatte sich nämlich nicht nur den Deutschen angedient (in seinen Augen: ‚den EntrechtetenÂ’), sondern er bewarb sich auch bei der anderen Seite. Der amerikanische Reparationsplan für Deutschland, der so genannte Dawes-Plan, machte ihm schließlich einen Strich durch die Rechnung: Er hatte sich bereits als Korrespondent bei dem franzosenfreundlichen britischen Rechtsextremisten-Blatt ‚The PatriotÂ’ beworben, um den Deutschen sodann Enthüllungen aus dem Lager des Feindes zuzuschanzen."

In der DDR-Ausgabe von "Der menschliche Faktor" liest man in der Einleitung, hier sei der Agent "stets Täter und Opfer zugleich"; und weiter: "Auf seiner jahrzehntelangen Suche nach dem ‚menschlichen FaktorÂ’ im Leben hat er die Faszination der kommunistischen Idee erkannt und bewertet sie als hoffnungsverheißende Alternative für eine vom Zusammenbruch bedrohte Welt". Ein Vorausexemplar dieses Romans schickte Greene dem englischen Sowjetagenten Kim Philby nach Moskau, der sich 1979 mit Neujahrsgrüßen aus Havanna revanchierte. Greene besuchte Philby mehrmals und spekulierte - von Putin und den seinen war noch nicht die Rede: In Rußland werde der Geheimdienst an die Macht kommen, "und es wird sich als viel einfacher erweisen, mit Pragmatikern auszukommen als mit Ideologen".

Greene selbst bekannte: "Der Schriftsteller hat noch mehr Ähnlichkeiten mit einem Doppelagenten als mit Gott". Das führt, wie in "Unser Mann in Havanna", auch zu einer spöttischen Hommage an die "Dienste" im trikontinentalen Klassenkampf. Im April 1959 war Greene übrigens nach Kuba geflogen, um Carol Reed bei der Verfilmung mit Alec Guinness zu helfen, und brachte dabei den Compagneros von Fidel Castro einen Koffer Winterkleidung mit; in Nikaragua war er mit dem Sandinisten-Innenminister Tomas Borge befreundet. "Wenn man einmal ein totes Kind in einem Straßengraben, sei es in Mexiko, Vietnam oder Haiti, liegen sah, schreibt man nicht mehr ‚schöneÂ’ Literatur", bekannte Greene. Das Zitat fehlt leider ebenso in dieser Biographie wie das folgende, ein Ausspruch des Dr. Magiot in der "Stunde der Komödianten": "Katholiken und Kommunisten haben große Verbrechen begangen, aber wenigstens haben sie nicht teilnahmslos abseits gestanden, wie alteingesessene Mächte. Ich hätte lieber Blut an den Händen als Wasser wie Pilatus."

Das antiimperialistische Motiv zieht sich durch mehrere Werke. "Die Stunde der Komödianten" ist der Abschaffung der von den USA gestützten Diktatur von "Papa Doc" auf Haiti gewidmet. Der Diktator François Duvalier ehrte ihn, auch das erwähnt Greiwe nicht, indem er eine Gegendarstellung "Graham Greenes Demaskierung" in Auftrag gab. Ironie der Geschichte: 1986 ließ der Diktator François Duvalier sich an der Côte dÂ’Azur in der Nähe von Greene nieder, der bei Cannes in Antibes wohnte. In einem Brief schrieb er 1967 aus Antibes an die "Times", daß er, wenn es sein müsse, lieber in der UdSSR als in den USA leben würde; 1970 trat er aus Protest gegen den Vietnamkrieg der USA aus der Amerikanischen Akademie der Künste und Wissenschaften aus. Ein Jahrzehnt nach seinem Tod wurde berichtet, daß Greene vier Jahrzehnte vom FBI überwacht wurde, beispielsweise als er 1983 bis fünf Uhr morgens mit Fidel Castro und Gabriel García Márquez zusammensaß.

· Ulrich Greiwe: Graham Greene und der Reichtum des Lebens. München, September 2004. Originalausgabe, Deutscher Taschenbuch-Verlag. 216 Seiten, 15 Euro. ISBN 3-423-24417-8.