(1) Haushaltsstrategien, Frauen und Sharia-Gerichtshöfe in Sokoto/Nordnigeria

(Teil 1 des Artikels)

Die Politisierung von Gender nach religiösen Vorgaben in vielen Muslim-Gesellschaften und ihre Auswirkungen auf die Gestaltung der Geschlechterbeziehungen hat die Gemeinsamkeiten in der Situation....

der Muslim-Frauen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Gleichzeitig beleuchten die Unterschiede in den Interpretationen und der Praxis des Islam in jenen Gesellschaften aber auch die Unterschiede in der Situation der Muslim-Frauen. Dieser Artikel erkennt an, dass der Islam in vielen Muslim-Gesellschaften eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Geschlechterbeziehungen spielt; er erkennt aber auch an, dass Frauen keine passiven Befolgerinnen der Normen und Regeln der Gesellschaft sind. In ihrer Eigenschaft als Akteurinnen beantworten, unterstützen, bestreiten, verhandeln, ja bekämpfen Frauen Strukturen und Praktiken, die sie benachteiligen, und tragen so zur Rekonstruktion der Geschlechterbeziehungen bei. Das Anliegen dieses Artikels ist es, die Rolle von Muslim-Frauen als Akteurinnen (sowohl als Heldinnen als auch als Opfern) unter besonderer Berücksichtigung der Haushaltsstrategien in einer Struktur dieser Art zu analysieren: in den Sharia-Gerichtshöfen. Sharia-Gerichtshöfe sind die am meisten genutzte und relevanteste juristische Institution für muslimische Hausa-Frauen.1 Sie nutzen sie trotz der Möglichkeit, andere Gerichte zu wählen. Fälle, die mit Eheschließung, Scheidung und Familienangelegenheiten zu tun haben, werden alle gemäß der Sharia verhandelt. Es fragt sich daher: in welcher Beziehung stehen die internen Haushaltsstrategien zur Nutzung der Sharia-Gerichtshöfe? Wie werden sie durch die Auswirkungen der rezenten Ausweitung des Sharia-Systems im Norden beeinflusst? Zur Beantwortung dieser Fragen beziehe ich mich auf Sokoto, eine Stadt, die einstmals die Hauptstadt eines islamischen Reiches war und heute Hauptstadt des Bundesstaates Sokoto ist, eines der nigerianischen Staaten, die die Sharia eingeführt haben. Die Analyse stützt sich auf eine Studie, die zwischen Dezember 1998 und 1999 - vor der Ausweitung des Sharia-Systems im Staate - in Sokoto durchgeführt wurde. Ihr Ziel war eine Analyse der Haushaltsstrategien in einer wirtschaftlichen Krisenperiode; sie umfasste Beobachtungen und Interviews von verheirateten weiblichen und männlichen Mitgliedern ausgewählter Haushalte. Als Methoden der Datengewinnung dienten weiterhin die Sammlung von Eheprozessakten und die Beobachtung von Gerichtsverfahren.

Der Artikel gliedert sich in fünf Kapitel: Kapitel eins liefert Hintergrund-Informationen über den Einfluss des Islam auf die Geschlechterbeziehungen in der Hausa-Gesellschaft. Das zweite Kapitel untersucht die Sharia als Rechtssystem im Hinblick auf Frauenfragen, das dritte präsentiert die Daten aus den Prozessakten. Das vierte Kapitel analysiert die Rolle der muslimischen Hausa-Frauen im Gerichtssystem und die Frage, wie die internen Haushaltsstrategien die Nutzung des Systems durch Frauen beeinflussen. Das letzte Kapitel erkundet, welche Auswirkungen die Ausweitung der Sharia auf den Bereich des Strafrechts auf die Nutzung der Gerichte durch Muslim-Frauen haben könnte.

Islam, Tradition und die Konstruktion der Geschlechterbeziehungen in der Hausa-Gesellschaft

Aufgabe dieses Kapitels ist die Untersuchung der Interaktion von islamischer und Hausa-Kultur und ihres Einflusses auf die Hausa-Frauen. Der Islam wurde um das elfte Jahrhundert herum in die Hausa-Gesellschaft eingeführt, und im 18. Jahrhundert war die Mehrheit der Hausa Muslime (Imam 1991). Das Leben der Hausa zu beherrschen begann der Islam im Gefolge der Sokoto-Jihad-Bewegung im 19. Jahrhundert und der anschließenden Errichtung eines Islamischen Staates, des Kalifats von Sokoto. Der Jihad zielte nicht auf die Bekehrung von Nicht-Muslimen ab, sondern auf die "Reinigung" des Islam von seinen Beimischungen aus der Hausa-Kultur. Eines der wichtigsten Gebiete für eine solche Reinigung und Transformation war das Thema "Frauen". Die Rolle und Stellung der Frauen wurde zu einem Streitthema zwischen islamischen Reformern und traditionalistischen islamischen Gelehrten. Der Führer des Jihad, Shehu Usman dan Fodio, beispielsweise schrieb sehr viel über die Stellung der Frauen in der Hausa-Gesellschaft der Zeit vor dem Jihad. In einem seiner Gedichte sagt der Shehu:

"Einige Frauen sind in Schwierigkeiten - weil ihre Männer an nichts als an Sex denken - einige Männer nehmen außerhalb des Hauses gewaltige Mahlzeiten zu sich, ohne sich darum zu kümmern, ob ihre Frauen genug zu essen haben - sie sind in ihrem Wesen hartherzig und besserwisserisch - sie schränken ihre Frauen zu sehr ein - sie bilden sie weder selbst weiter noch erlauben sie ihnen, sich durch andere weiterbilden zu lassen" (Lamido 2000).

Direkt an die Frauen gerichtet sagte er:

"Oh Muslim-Frauen, hört nicht auf die Worte der Fehlgeleiteten, die euch in die Irre führen wollen, indem sie euch befehlen, euren Ehemännern zu gehorchen, statt zu sagen, ihr sollt Allah und seinem Gesandten gehorchen. Sie sagen euch, das Glück einer Frau liege im Gehorsam gegenüber ihrem Gatten, aber das ist nur vorgeschoben, um euch zu bewegen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie erlegen euch Pflichten auf, die euch weder Allah noch sein Gesandter auferlegen. Sie lassen euch kochen, waschen und andere Dinge tun, die sie wünschen, unterlassen es aber, euch zu lehren, was Allah und sein Gesandter befehlen" (zit. n. Kani, 1988, 69).

Der Einfluss des Jihad zeigt sich bis heute darin, dass sich der Islam als zentraler Faktor im öffentlichen und privaten Leben der Muslime im Norden festgesetzt hat. Auf der individuellen Ebene beispielsweise ist der Islam für viele Muslim-Frauen nicht einfach eine Religion, der zuzugehören sie durch die Ausführung ritueller Handlungen demonstrieren. Er ist vielmehr eine umfassende Lebensorientierung; ihr gesamtes Leben, streben sie, nach seinen Lehren zu gestalten. In ihrer Studie über den Einfluss von Islam und westlicher Erziehung auf Frauen in Sokoto zitiert Knipp (1987) die Aussagen von drei Kategorien von Frauen: nicht-westlich-erzogenen Frauen, jungen Frauen und berufstätigen Frauen. Eine nicht-westlich-erzogene Frau sagte: "Der Islam hat großen Einfluss auf alles, was ich sage und tue, darauf, wie meine Beziehung zu meinem Mann, meiner Familie und meinen Kindern sein sollte" (ebd. 407). Eine andere sagte: "Das meiste, was du in deinem Leben tust, ist durch die Religion angeleitet. Was immer du tust, du tust es für Gott. ... Der Islam ist meine Religion ... er leitet jede und jeden an, wie sie ihr Leben führen sollen" (ebd. 139f). Eine junge Universitätsstudentin sagte: "... und jede Einzelheit, wie du auf die Toilette gehen sollst, wie du mit anderen zusammen sein sollst, wie du Wissen erwerben sollst, steht im Koran. ... Für mich persönlich ist der Koran alles" (ebd. 277). Eine berufstätige Frau sagte: "Der Islam ist eine Lebensform, nicht ein Teil des Lebens. Was immer ich tue, ist, so hoffe ich, in Übereinstimmung mit der Religion. Ich bete, dass mehr oder weniger mein ganzes Verhalten, alles was ich tue, mit der Religion übereinstimmt. Sie ist mehr oder weniger eine Lebensweise" (ebd. 406).

Ein anderer Aspekt des Islam ist die Politisierung von Gender in der Region. So weit die Erfahrung Nigerias mit der Demokratie reicht, hat das Thema der politischen Partizipation der Muslim-Frauen eine bestimmende politische Rolle gespielt - wechselnd je nach der politischen Situation der Zeit. Beispielsweise erhielten die Frauen des Südens ab 1952 das Stimmrecht, die Frauen des Nordens aber konnten dieses Recht aus religiösen Gründen nicht vor 1979 in Anspruch nehmen (Callaway/Creevy 1994). Als jedoch die politische Struktur Nigerias aus einer regionalen in eine föderale umgewandelt wurde* und die Stimmen der Frauen des Nordens deshalb gebraucht wurden, um die Macht der Hausa in der nigerianischen Politik zu vergrößern und festzuschreiben, erhielten sie das Stimmrecht. Der Diskurs über das Stimmrecht für Muslim-Frauen veränderte sich als Reflex auf derartigen politischen Wandel. Während der Zweiten Republik(1979-1983 - d. Ü.) engagierten sich prominente religiöse Führer in den Medien und Moscheen sowie auf anderen religiösen Veranstaltungen aktiv in der Kampagne für die Beteiligung der Frauen an den Wahlen - ganz im Gegensatz zu ihren früheren Stellungnahmen zu dem Thema.

Die Kombination des Einflusses von Islam und traditioneller Hausa-Kultur hat den muslimischen Hausa-Frauen eine Sonderstellung verschafft. Sie passen weder vollständig zusammen mit unseren Vorstellungen von den Muslim-Frauen, wie sie aus den Gesellschaften des Mittleren Osten oder Südasiens abgeleitet zu werden pflegen, noch mit denen von der typischen afrikanischen Frau, die als Markthändlerin oder Bäuerin im öffentlichen Raum aktiv ist. Obwohl es viele muslimische Gesellschaften im subsaharischen Afrika gibt, ist beispielsweise die Seklusion (purdah) in keiner so weit verbreitet und so fest verankert wie in der Hausa-Gesellschaft. In ihr sind wie in den muslimischen Gesellschaften Asiens und Arabiens die Aktivitäten nach Geschlechtern getrennt. Hausa-Frauen leben als Teil ihres islamischen Erbes allgemein in Seklusion und ihre Aktivitäten sind auf das Haus beschränkt. Anders als ihre Muslim-Schwestern haben sie jedoch die afrikanische Eigenart der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen beibehalten und engagieren sich trotz der Beschränkung auf das Haus in einkommensschaffenden Aktivitäten.

In der Hausa-Gesellschaft sind Männer und Frauen wie in anderen Muslim-Gesellschaften voneinander getrennt. Von Frauen wird erwartet, dass sie ihre Aktivitäten innerhalb des Hauses durchführen, mit nur minimalem Kontakt zur öffentlichen Sphäre. Bei der Seklusion in der Hausa-Gesellschaft werden drei Formen unterschieden: "Kulle", "Tsari" und "Kulle Zucci". "Kulle" bedeutet wörtlich "einschließen", während "Tsari" "beschützen" heißt. In der Praxis bedeutet ersteres, dass es den Frauen nicht erlaubt ist, das Haus des Ehemanns zu verlassen; es wird gedanklich mit Emiren und islamischen Gelehrten verbunden. Gemäß dem Tsari-Typus dürfen die Frauen das Haus verlassen, aber nur unter bestimmten Einschränkungen bezüglich der Zeit (üblicherweise nur in der Nacht, ausgenommen bei Krankenhausbesuchen oder dem Besuch von Zeremonien), der Kleidung und der Genehmigung durch den Ehemann. Im Gefolge des sozialen Wandels gibt es inzwischen jedoch auch Kulle Zucci (Seklusion im Herzen), was Frauen in formellen Beschäftigungsverhältnissen zugestanden wird - allerdings nur unter dem Schleier und eingeschränkt auf die Orte, die sie besuchen, beispielsweise Märkte oder öffentliche Plätze.

Was die Purdah-Praxis angeht, gibt es jedoch Unterschiede zwischen der Hausa-Gesellschaft und anderen Muslim-Gesellschaften. In der Hausa-Gesellschaft ist das Kriterium für die Seklusion nicht wie in vielen mittelöstlichen und asiatischen Gesellschaften Weiblichkeit, sondern Ehestand. Ein verheiratetes Hausa-Mädchen von zehn Jahren steht unter Seklusion, eine unverheiratete Erwachsene von dreißig Jahren nicht. In Anbetracht dessen und der Tatsache, dass Frauen zwischen Seklusion und Nicht-Seklusion im Falle der Scheidung hin und her wandern, kann man schließen, dass das Thema von Ehre und Schande, das den akademischen Diskurs über Purdah dominiert, in der Hausa-Gesellschaft nicht von Bedeutung ist. Weiterhin ist die Praxis - anders als in den Gesellschaften des Mittleren Ostens und Südasiens, wo die Seklusion in ländlichen Familien im Allgemeinen nicht praktiziert wird - in der Hausa-Gesellschaft in ländlichen Familien ebenso verbreitet wie in städtischen. Der normative Druck in Richtung auf Seklusion ist in ländlichen wie in städtischen Gebieten so stark, dass sehr wenige Frauen es akzeptieren würden, nicht unter Seklusion zu stehen (vgl. Imam 1993 für ländliche, Coles 1991 für städtische Gebiete). Eine Gemeinsamkeit zwischen den mittelöstlichen/südasiatischen und den Hausa-Gesellschaften liegt jedoch in dem Trend, neu zu definieren, welche Berufe für gebildete und angesehene Muslim-Frauen passend sind. Medizinische, hochqualifizierte freiberufliche und Lehr-Tätigkeiten werden als angemessen definiert, Sekretärinnen und Angestellten-Jobs nicht.

Ein Sondermerkmal der Hausa-Frauen, das sie mit ihrer afrikanischen Tradition verbindet, ist ihr nahezu universelles Engagement in einkommensschaffenden Beschäftigungen. Die Erklärung hierfür liegt, von der wirtschaftlichen Motivation einmal abgesehen, in einem komplexen Gemisch von sozialen Faktoren, die für viele afrikanische Gesellschaften charakteristisch ist. Zum einen herrscht, obwohl Frauen nach der Purdah-Ideologie von ihren Männern abhängig sein sollten, das Gefühl vor, dass Frauen eine private, von denen ihrer Gatten getrennte und unabhängige Einkommensquelle haben müssen. Zum zweiten müssen Frauen Teile der Mitgiften für die Hochzeiten ihrer Töchter aufbringen - Emaille und Eisentöpfe, Teller, Kleidungsstücke, Speisen und Raumdekorationen z.B. Dies sind Verpflichtungen, die Mütter sehr ernst nehmen (Pittin 1988). Zum dritten knüpfen Frauen über Freundschafts-, Verwandtschafts- und Heiratsbande ihre eigenen sozialen Kontakte und Netzwerke in Unabhängigkeit von denen ihre Ehemänner und Eltern; Besuche und Austausch von Geschenken sind wesentliche Bestandteile dieser Beziehungen. Auch jenseits von monetären Überlegungen wird die Motivation von in Seklusion lebenden Frauen, einkommensschaffende Beschäftigungen aufzunehmen, durch sozialen Druck gefördert. Wenn sich eine Frau als zu respektierende Erwachsene etablieren will, muss sie eine Beschäftigung vorweisen können. Der Beschäftigungsbereich ist wahrscheinlich der einzige, in dem Co-Ehefrauen in gesellschaftlich gebilligter Weise mit einander in Konkurrenz treten dürfen.

Die islamischen Prinzipien der Verantwortlichkeit der Männer für die Versorgung und der Geschlechtertrennung auf der einen Seite und die Hausa-Traditionen der Verantwortlichkeit der Mütter für die Versorgung der Töchter und der Hochschätzung von getrennten und vom Gatten unabhängigen Einkommen der Frauen auf der anderen schufen zusammen eine eigene Frauen-Ökonomie im Hausaland, eine Ökonomie, die Frauen entwickeln, erhalten und kontrollieren. Wegen der Seklusion kann die Mehrzahl der Frauen nicht in der Landwirtschaft tätig werden, weshalb die Männer diesen Sektor dominieren. Die Frauen dominieren dagegen die Weiterverarbeitung und Vorbereitung. Die Weiterverarbeitung agrarischer Produkte ist Frauensache. Es geht dabei z.B. um die Verarbeitung von Paddy zu Parboiled Rice oder von Erdnüssen zu Erdnussöl oder Erdnusskuchen. Von dieser Arbeit von Frauen unter Seklusion war und ist die Hausa-Gesellschaft seit langem abhängig für ihre Versorgung mit Parboiled Rice und Speiseöl. Die Einführung neuer Technologien wie beispielsweise Ölmühlen änderte an dieser Arbeitsteilung nichts. Was passierte, war, dass die Männer die Mühlen kontrollieren und die Frauen als Weiterverarbeiterinnen die Dienste solcher Mühlen mieten müssen, bisweilen von ihren eigenen Ehemännern (vgl. Adamu 1992). Ein weiteres wichtiges Feldder Hausa-Ökonomie, das die Frauen kontrollieren, ist die Nahrungszubereitung. Callaway (1987) beschreibt dies als "boomende Nahrungsmittelindustrie". Schildkrout (1983, 114) schreibt über das Nahrungsmittelgeschäft der in Seklusion lebenden Frauen in Kano: "Wenn Frauen Nahrungsmittel für den Verkauf statt für den eigenen Konsum kochen oder in anderen einkommensschaffenden Tätigkeiten aktiv werden, gehört alles Einkommen ihnen." Auch in der Produktion und dem Management von Tierbeständen sind Frauen unter Seklusion tätig; sie züchten Hühner, Schafe und Rinder und beherrschen die Hasen- und Ziegenproduktion, welche als Frauendomäne angesehen wird (Adamu 1991). Dies ist eine Form des Sparens und des Investierens im Rahmen der Beschränkung auf das Haus. In seiner Studie über Zaria schreibt Simmons (1976, 10): "Kleinviehproduktion, eine Einkommensquelle vieler Frauen, wird eher als gutes ‘BankgeschäftÂ’ angesehen denn als Job. Schafe, Hühner und Ziegen dienen als Wertspeicher in einer ländlichen Gesellschaft ohne Banken; sie tragen Zinsen in der Form von Nachwuchs und der Rest steht zur Liquidation zur Verfügung, wann immer man Bargeld braucht."

Bei der Vermarktung existiert eine ähnliche Dichotomie. Die Frauen unter Seklusion partizipieren am Handel auf dem Markt und am Handel im Hause. "Der Handel im Hause ist heute im Hausaland mindestens ebenso wichtig wie der auf dem Markt." Das Haus wurde zu einem Marktplatz, auf dem eine breite Palette von Gütern und Dienstleistungen ge- und verkauft wird (Jackson 1981). In ländlichen Gegenden, wo es keine Märkte gibt, ist das Dorf substantiell abhängig von diesem häuslichen Handel der Frauen. Hills Studie über das Dorf Batagarawa im Staate Katsina z.B. zeigt, dass zwei Drittel aller Frauen des Dorfes im häuslichen Handel tätig waren. In diesem Handel herrscht eine ziemlich ähnliche Form der Konkurrenz wie auf dem offenen Marktplatz, weil Kinder und ältere Frauen beim Einkaufen von Haus zu Haus weiterziehen. Interessanterweise haben Männer zu diesem häuslichen Markt nur Zutritt über die Vermittlung von Kindern oder ihren Ehefrauen.

Weiterhin hängt trotz des für Frauen wie für Männer gleichermaßen starken sozialen Drucks, im Ehestand zu bleiben, kein Stigma an der Scheidung. Frauen verlassen ohne Schwierigkeiten Ehen, mit denen sie nicht zufrieden sind. Die hohe Scheidungshäufigkeit erlaubt es Frauen, innerhalb wie außerhalb der Ehe zu leben und macht sie dadurch weniger abhängig von der Ehe als die Männer. Nach Callaway (1984, 439) ist die Ehe für Hausa-Frauen "notwendig als sozialer Status, aber nicht als Ort der Pflege emotionaler Geborgenheit". Dagegen "hat jeder Mann Angst, ohne Frau zu bleiben und zur komischen Figur zu werden, einer, dessen Frau ihn verlassen hat und der es nicht geschafft hat, eine andere zu finden" (Barkow 1972, 324). Trotz der nahezu universellen Verbreitung der Ehe in der Hausa-Gesellschaft, wird diese als ein Vertrag zwischen Gatte und Gattin angesehen, nach dem der Mann für die materiellen Bedürfnisse Sorge tragen, die Frau in der Seklusion verharren und folgsam sein muss. In Seklusion lebende Hausa-Frauen halten dieses Kontraktmodell der Ehe generell hoch und fördern es aktiv. Wenngleich dieses Verhalten der Frauen die Illusion von der vollständigen Abhängigkeit der Hausa-Frauen von ihren Männern stützen mag, hat es doch seine Vorteile. Dadurch, dass sie das Kontraktmodell hochhalten, haben sie die Institution der Ehe flexibel und der Manipulation zugänglich gemacht, was sich an der Art und Weise zeigt, wie Frauen die Gerichtshöfe nutzen.

Die kontraktuelle Natur der Ehebeziehungen hat weiterhin zu einer klaren Grenzziehung zwischen den Ressourcen von Mann und Frau geführt. Eine Frau kann keine direkten Ansprüche auf das Einkommen oder Vermögen ihres Mannes geltend machen, und ebenso wenig kann dies der Gatte bezüglich Einkommen und Vermögen seiner Gattin (Pittin 1987). Hill (1972, 72) bemerkt, dass die persönlichen Beziehungen zwischen Ehemann und Ehefrau bei ihren ökonomischen Transaktionen eine sehr geringe Rolle spielen. Sie schreibt:

"Eine Frau, die Erdnussöl für den Verkauf produziert, betreibt ihr Geschäft auf eigene Rechnung und es ist in keiner Weise unschicklich, hierfür Erdnüsse zu Marktpreisen von ihrem Ehemann zu erstehen oder mit ihrem Haushaltsgeld von sich selber Öl zu kaufen."

Ganz ähnlich notiert Schildkrout (1983, 114f):

"Wenn Frauen Nahrungsmittel für den Verkauf statt für den eigenen Konsum kochen oder in anderen einkommensschaffenden Tätigkeiten aktiv werden, gehört alles Einkommen ihnen. Die gesamte Tätigkeit wird klar unterschieden von ihrer Verpflichtung, das Essen für ihre Familien zuzubereiten. ... Einige Frauen kaufen mit anderen Worten Nahrungsmittel von sich selbst als Nahrungsmittel-Verkäuferinnen, um damit ihre Familien zu ernähren."

Schließlich erlaubt dies den Frauen auch, ihre eigenen Ressourcen zu besitzen und zu akkumulieren. Das Frauensprichwort "verzehren wir den Reichtum der Männer mit Vergnügen, der Reichtum der Frauen dient der Akkumulation" ist bezeichnend für das Handeln der Frauen. Der hohe Anteil der Frauen in Tab. 1., die ihre Männer vor Gericht wegen ihres Unterhalts verklagen, und die Tricks der Frauen, um zu erreichen, dass ihre Männer für ihre Bedürfnisse zahlen (vgl. Kasten 1.), zeigen an, wie die Frauen das Heiratssystem ausnutzen. Ein verwandtes Gebiet ist das der Polygynie. In der Hausa-Gesellschaft hat die Polygynie sowohl religiöse als auch kulturelle Bedeutung und wird in großem Umfang praktiziert. In vielen Muslim-Gesellschaften hat man juristische Reformen zu ihrer Kontrolle eingeführt, so dass sie nicht mehr allgemein praktiziert wird. In Afrika nimmt man weithin an, dass Ehen umso monogamer sind, je gebildeter die Partner sind. "Dies scheint jedoch für die Hausa nicht zuzutreffen" (Knipp 1987, 335). In einer Untersuchung über berufstätige Frauen in Sokoto behauptet Knipp, die Einstellung zur Polygynie sei eine des Missfallens verbunden mit Sichabfinden in ihre Unvermeidlichkeit.

Das wechselhafte Schicksal der Sharia in der Hausa-Gesellschaft

Die vielleicht wichtigste Auswirkung der Jihad Bewegung war die Etablierung des Sharia-Rechtssystems im gesamten Sokoto-Kalifat, welches das gegenwärtige Nordnigeria und den Süden der heutigen Republik Niger umfasste. Das System fand Anwendung in allen politischen, administrativen, ökonomischen und sozialen Angelegenheiten des Staates und seiner Bürger. Sharia-Gerichtshöfe zur Verhandlung von Zivil- und Strafrechtsfällen wurden im ganzen Lande eingerichtet. Die Eroberung des islamischen Staates durch das britische Kolonialreich brachte die ersten Einschnitte in das Sharia-Rechtssystem im Norden. Die Macht der Sharia-Gerichtshöfe wurde substantiell beschnitten und ein neues, dem britischen ähnliches Rechtssystem wurde eingeführt. Es hat bis heute Geltung. Die letzte Beschneidung oder Einschränkung für Sharia kam im Anschluss an Nigerias Unabhängigkeit im Jahre 1960 mit der neuen Verfassung, in der die Anwendung der Sharia auf Zivilrechtsfälle begrenzt wurde. Im Jahre 1999 jedoch schlug das wechselhafte Schicksal des Systems erneut um. Der Geltungsbereich des Sharia-Rechtssystems wurde nach und nach in 12 Staaten auf die Behandlung von Zivil- und Strafrechtsfällen ausgeweitet. Diese Aktion der 12 Staaten löste heftige Debatten zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Ausweitung aus.

Yadudu (2002) liefert die umfassendste Darstellung der Pro-Sharia-Position. In seiner Sicht wurde die muslimische Agitation für die Wiedereinführung der Sharia durch eine Reihe von Bedingungen ermöglicht. Die wichtigsten davon sind: 1. Die überwältigende Unterstützung durch die Bevölkerung in den betroffenen Staaten.
2. Die politische Führerschaft und das Engagement der politischen Klasse bei der Einführung des Systems, die sie als großen politischen Sieg ansah.
3. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem herrschenden Rechtssystem, insbesondere dem Strafrechtssystem, das durch Korruption und endlose Verfahren verseucht und nicht in den Normen verankert ist, welche die Muslime in Ehren halten.
4. Es sei ein Sieg der Demokratie. Nach der Wiedereinführung der Sharia würden, so Yadudu, die zwei Arme der Regierung (der legislative und der exekutive) "den Forderungen ihrer Wählerschaft Folge leisten und somit demokratischen Prinzipien entsprechen".
5. Es entspreche der Verfassung, denn diese gebe allen Bürgern das Recht auf Ausübung ihrer Religion. "Sich in einem Teil seines Lebens durch bestimmte Aspekte der Sharia leiten zu lassen, in einem anderen durch säkulare Gesetze, läuft" in Yadudus Sicht "auf Drückebergerei hinaus, eine abscheuliche Form des Unglaubens. Nach bestem Wissen und Gewissen versteht ein Muslim seinen Glauben als einen, der die totale Unterwerfung unter die Sharia fordert".

In der Sicht der Sharia-Gegner hat die Ausweitung der Sharia durch die Gouverneure der nördlichen Staaten wenig mit Religion zu tun; ihre Hauptgründe waren politische:
1. Es handle sich um eine Strategie zur Verbreitung von Chaos zu Lasten der gegenwärtigen demokratischen Regierung durch die politische Elite des Nordens, die das Land jahrzehntelang mittels der Militärdiktatur beherrscht und nun ihre Macht durch den demokratischen Prozess verloren habe.
2. Die Wiederherstellung der Sharia widerspreche der Verfassung, weil sie den säkularen Charakter des nigerianischen Staates negiere. Sie laufe mehr oder weniger auf die Annahme des Islam als Staatsreligion hinaus.
3. Sie könnte gegen die fundamentalen Menschenrechte der nicht-muslimischen nigerianischen Bürger jener Staaten verstoßen.
4. Sie sei eine Strategie zur Ablenkung der Massen von den Misserfolgen der Regierungen jener Staaten.

Nach diesen Hintergrundinformationen über die Sharia und die Frauen in Nordnigeria werde ich nun Daten aus den Gerichtshöfen präsentieren - die mit die wichtigsten Sharia-Strukturen verkörpern und denen das Hauptaugenmerk dieses Artikels gilt.

Die Ehegerichtsakten im Überblick

Das Material für diese Analyse wurde in zwei Bezirksgerichts- bzw. Oberbezirksgerichtshöfen gesammelt, die für Sokoto-Stadt zuständig waren.3 Es umfasst die Gerichtsakten aus der Zeit von 1988-1998. In dieser Zeit bearbeiteten die Gerichte insgesamt 2302 Eheprozesse. Rund 59% davon waren Scheidungsfälle, 41% Nichtscheidungsfälle. Mit Nichtscheidungsfällen bezeichnen wir Situationen, in denen ein Partner die Vermittlung oder Entscheidung des Gerichts in einem Streitfall sucht, nicht die Auflösung der Ehe. Was die Geschlechterverteilungder Klienten angeht, stellten die Frauen die Mehrheit (83% der Fälle). Das Übergewicht der Frauen erklärt sich daraus, dass Männer eine Beziehung einseitig beenden können, ohne vor Gericht zu ziehen, während Frauen entweder ihren Gatten zur Scheidung veranlassen/provozieren oder vor Gericht ziehen müssen, um die Scheidung zu erlangen.

Es gibt viele Gründe, warum Ehepaare vor Gericht ziehen. Sie werden in Tabelle 1 dargestellt. Mehr als die Hälfte kommen aus Unterhalts- und Zahlungsgründen. Diese Fälle umfassen Klagen über Nahrung, Kleidung, Unterbringung, medizinische Kosten, unterlassene Brautpreiszahlung, Zahlungen für die Kinder, Zahlungen für den Unterhalt während der Schwangerschaft nach einer Scheidung oder in Zeiten, in denen die Frau bei ihren Eltern Zuflucht sucht.

Misshandlung umfasst Verprügeln der Ehefrau, Beleidigung der Ehefrau oder ihrer Eltern und Alkoholismus des Ehemannes. Der häufigste Fall in der Kategorie "Beschuldigung" ist der des Ehebruchvorwurfs des Mannes an die Frau. Unter "Bestätigung" verstehen wir die Fälle, in denen eine Frau vor Gericht zieht, um ihre Scheidung durch das Gericht bestätigt zu bekommen. Dies ist notwendig, denn es ist nicht ungewöhnlich, dass Männer die Scheidung, die sie selbst ausgesprochen haben, im Nachhinein leugnen, insbesondere dann, wenn eine Frau sich wieder verheiratet. Der Mann könnte dann die Frau der Bigamie beschuldigen, um die Annullierung der neuen Ehe vom Gericht zu erlangen. Die Kategorie "Sexuelles" umfasst Fälle von Scheidung wegen Impotenz des Mannes oder zu hohen sexuellen Forderungen. "Emotionale Gründe" umfassen Scheidungsbegehren wegen Mangels an Liebe oder wegen der Bevorzugung einer Co-Ehefrau durch den Ehemann. "Andere" betreffen Fälle wie Bigamie, Unfruchtbarkeit des Mannes, Weigerung des Mannes, einem Kind nach der Entbindung der Frau einen Namen zu geben, Probleme mit seiner Verwandtschaftsgruppe und Verhinderung der Fortsetzung der Ausbildung einer Frau. Die meisten dieser Fälle ha-ben Frauen vor das Gericht gebracht. Die Männer machen vor Gericht Forderungen auf Rückgabe von Geldern und Gütern geltend, die sie als Brautpreis gezahlt haben, ohne dass die Hochzeit zustande kam. Fälle der "Rückkehr der Gattin" werden von Ehemännern vor Gericht gebracht, deren Ehefrauen ins Haus ihrer Eltern geflohen sind und sich weigern, zurückzukehren.

Der Zweck des Gangs zum Gericht ist bei Männern und Frauen verschieden. Dies liegt vor allem an den Unterschieden in den Bestimmungen des Ehekontrakts und in den Erwartungen an Mann und Frau. Da ein Mann eine Beziehung einseitig beenden, eine Frau aber nur entweder ihren Mann zur Scheidung veranlassen oder dies vor Gericht einklagen kann, haben (wie in Tab. 2 zu sehen) Frauen die Mehrzahl der Gerichtsverfahren veranlasst. Aus dem gleichen Grund bezogen sich die von Männern veranlassten Verfahren selten auf Scheidung. In allen von Männern ausgehenden Scheidungsprozessen ging es um Bigamie-Vorwürfe, in denen ein Mann die Auflösung der neuen Ehe seiner Ex-Frau verlangte.

Frauen als Akteurinnen im Gerichtssystem

Vor der Ausweitung des Sharia-Rechtssystems im Staat Sokoto durften die Bezirksgerichte Personenstands- und Ehe-Angelegenheiten nur nach dem islamischen Recht verhandeln. Trotz dieser Einschränkung waren diese Gerichtshöfe jedoch für die muslimischen Frauen im Norden die bedeutendsten und am meisten frequentierten juristischen Institutionen geblieben. Auseinandersetzungen, die Frauen in ihren Rollen als Ehefrauen und Müttern betreffen - einschließlich Vererbung, Eheschließung, Scheidung, Sorge für die Kinder - werden üblicherweise im Rahmen des islamischen Rechtssystems verhandelt und gelöst, nicht in dem des parallelen nigerianischen Zivilrechts. Konsequenterweise wurden die Gerichtshöfe eine der politischen Arenen, in denen Haushaltsstrategien durchgespielt und Streitigkeiten zwischen Ehemann und Ehefrau verhandelt werden. Die Nützlichkeit der Gerichte in Verhandlungsstrategien von Frauen wird jedoch in großem Maß von den Streitthemen beeinflusst. Wie Kandiyoti (1998) und Bryceson (1995) bemerken, hängen die Verhandlungschancen von Männern und Frauen nicht nur von den individuellen Ressourcen ab, sondern auch von den kulturellen Normen und Sanktionen der Gemeinschaft, die die Eheverträge garantiert und den daraus folgenden Rechten und Pflichten Geltung verschafft. Diese Regeln determinieren nicht nur die Haushaltsstrategien, sie bilden auch die Grundlagen für die rationalen Wahlentscheidungen der Frauen, die sie dazu prädisponieren, die eine oder die andere Strategie zu wählen.
So haben wir in unserer Untersuchung beispielsweise festgestellt, dass Frauen sowohl offene als auch verdeckte Verhandlungsstrategien benützen. Wenn eine Frau in einer Auseinandersetzung in einer ideologisch starken Position ist, wird sie wahrscheinlich eine offene Strategie wählen, wenn sie in einer schwachen Position ist, eine verdeckte. Z.B. tendieren Frauen, die mehr Bewegungsfreiheit anstreben, etwa für Besuche von Verwandten und Freunden oder, um außerhalb des Hauses zu arbeiten, dazu, verdeckte und sanfte Techniken anzuwenden, etwa Rückzug ins Schweigen, Verweigerung von Geschlechtsverkehr, Unterlassen des Kochens oder Kochen von Speisen, die der Ehemann nicht mag, Beschwerden bei Verwandten. Anwendung von offenen Verhandlungsstrategien in Fällen, in denen die Frau ideologisch schwach ist, etwa bei Arbeiten außerhalb des Hauses, ist ein Signal, dass sie die Ehe beenden will. Deshalb gab es auch nur wenige von Frauen eingeleitete Gerichtsverfahren mit der Begründung, sie würden von ihren Männern daran gehindert, eine Beschäftigung außerhalb des Hauses aufzunehmen oder ihre Ausbildung fortzusetzen (in der Tabelle unter "andere" eingeordnet).

Der Gang zum Gericht war eine der offenen Strategien, die Frauen benutzten, um eine Ehe zu beenden oder in öffentlicher Verhandlung zu erreichen, was in privater Verhandlung misslungen war. Diese Strategie hat jedoch ihre Grenzen. Das Gericht ist Teil der sozialen Strukturen, die dazu dienen, die dominante patriarchalische Ideologie aufrechtzuerhalten und zu sanktionieren. Deshalb können Frauen, um vor Gericht zu siegen, nur solche Themen vorbringen, die diese Ideologie nicht in Frage stellen. Solche Themen umfassen mangelnde Versorgung, Aneignung ihres Eigentums, zu wenig Sex, Misshandlung und so weiter....

(Fortsetzung siehe Teil 2)